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Heißes Eisen Nachrichtensperre

Vor 40 Jahren: Tutzinger Mediengespräch zum Deutschen Herbst 1977

Dezember 1977



Bundesarchiv, B 145 Bild-F051842-0029 / Wegmann, Ludwig / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de],

"Nachrichtensperre" als Thema in Tutzing

Als Bezeichnung für das Informationsverhalten der Bundesregierung während der Schleyer-Entführung hatte sich das Stichwort „Nachrichtensperre" eingebürgert. Nachrichtensperre lautete denn auch das Titelthema des Ersten Tutzinger Mediengesprächs, zum dem Akademiedozent Hans Friedrich vom 5. bis 7. Dezember 1977 namhafte Politiker, Journalisten und Medienwissenschaftler nach Tutzing eingeladen hatte.

Die medienpolitische Bedeutung der sechswöchigen Nachrichtensperre im Entführungsfall Schleyer war schon während der Ereignisse allen beteiligten und betroffenen staatlichen und publizistischen Stellen bewusst gewesen. Das tragische Ende und die weitreichenden Verwicklungen (Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut" am 13. Oktober 1977 nach Mogadischu, Terroristengroßfahndung in der Bundesrepublik und die Selbstmorde der inhaftierten RAF-Mitglieder Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin und Andreas Baader in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim) erlaubten es den betroffenen Institutionen jedoch nicht, unmittelbar und öffentlich die medienpolitischen Aspekte im Zusammenhang zu erörtern. Anfang Dezember 1977, nach Erscheinen der Dokumentation des Bundespresseamtes zum Entführungsfall Schleyer, bot sich ein hinlänglicher zeitlicher Abstand, um die Erfahrungen und die mögliche medienpolitische Zukunftsbedeutung einer zwischen Staat und freier Publizistik vereinbarten Nachrichtensteuerung in Krisenzeiten zu diskutieren.

Staatliche Nachrichtenlenkung versus Freiheit

Es stellte sich im Verlauf des Tutzinger Mediengesprächs heraus, dass dieses Stichwort den Problembereich nur unzureichend beschreibt. Die Nachrichtenlenkung in diesen sechs Wochen reichte weiter als die sonst üblichen – mehr oder weniger umstrittenen – Nachrichtensperren des journalistischen Alltags. Amtsverschwiegenheit wird von staatlichen Behörden nicht selten praktiziert, zumal aus rechtlichen Gründen. In solchen Fällen hat jedoch der Journalist die Freiheit der Recherche und der Berichterstattung aus anderen Quellen. Die Presse betreibt ihrerseits gegenüber staatlichen Stellen Nachrichtensperre, wenn sie Namen ihrer Informanten schützt. Eine Form vereinbarter Nachrichtensperre ist üblich, wenn Politiker oder Beamte vertrauliche, d.h. nicht zur Verbreitung bestimmte Informationen oder erst nach Ablauf einer Sperrfrist zu veröffentlichende Informationen weitergeben.

Die vom Bundespresseamt im Auftrag der Bundesregierung von der bundesdeutschen Publizistik erbetene und erhaltene Nachrichtendiskretion im Entführungsfall Schleyer ging jedoch weit über übliche Nachrichtensperren hinaus. Die Befürchtung mancher Journalisten und Staatsbürger, hier könne sich eine Routine staatlicher Nachrichtenlenkung zu Lasten der demokratischen Freiheit einspielen, kam im Tutzinger Mediengespräch zur Sprache.

Große Beachtung

Das Interesse und die Beteiligung an der Veranstaltung waren geradezu überwältigend. Der alte Hörsaal der Akademie musste zeitweise über 130 Personen fassen. Entscheidend für das gute Gelingen war insbesondere die Bereitschaft des Bundespresseamtes, namentlich von dessen Leiter, Regierungssprecher Klaus Bölling, sowie des damaligen Präsidenten des Bundeskriminalamts Horst Herold, sich den kritischen Fragen der Journalisten zu stellen. Die ausführliche Presseberichterstattung über die Akademieveranstaltung konzentrierte sich denn auch vornehmlich auf die ersten beiden Podiumsgespräche mit Klaus Bölling und Horst Herold.

Steffen H. Elsner / Hans Friedrich (†)

Einträge im Akademiemosaik

Übersicht

2018: Romano Guardini und die Akademie

2016: Lernstatt Demokratie

2016: Digitale Optimierung mit der Zahl sieben

2013: Alles Öko, oder was?

2013: Ein kritisch-wohlwollender Begleiter und Förderer

2013: Eigennütziges Miteinander der Generationen

2010: Hilfestellungen für das wissenschaftliche Arbeiten

2007: Festlich war es bei uns schon immer

2003: Rationalität als Ziel politischer Bildung

1998: Akademie und Bayerischer Senat

1998: „Spiels noch einmal, Sam!“

1994: Scharpings Tutzinger Rede

1989: 28 Jahre Friedliche Revolution

1985: „Eine Demokratie ist kein Schlaraffenland“

1982: Weihnachtswunsch nach mehr Geld bleibt unerfüllt

1977: Heißes Eisen Nachrichtensperre

1975: Ein unprätentiöser Mann der ersten Stunde

1974: Gästehaus der Akademie

1972: Kybernetikon – ein medienpädagogisches Experiment

1970: Fruchtbare Kooperation mit Tradition

1969: Mitbegründer der „Kritischen Akademie"

1968: Telekolleg aus Tutzing

1967: Die Akademie und die sogenannte „Ausländerfrage"

1966: „Humoriger Poltergeist" und „urbajuwarischer Senator"

1966: 51 Jahre „Mobilisierung der Demokratie"

1966: Anspruch und Wirklichkeit der politischen Bildung in Bayern

1965: Zeitlebens ein Freund von Druckwerk und „schwarzer Kunst“

1963: Ein Dachschaden mit Folgen

1963: Die Ordnung des Freistaats

1963: Beunruhigte Staatsbürger, kritische Experten oder Wichtigtuer?

1962: Vor 55 Jahren: Stadtentwicklung als großes neues Thema

1962: Politische Bildung für die Bundeswehr

1961: Vor 56 Jahren: heftiger Gegenwind für die Akademie

1961: Bedeutender Staatsrechtler und Gründungskurator der Akademie

1961: Entschiedenes Nein zur „Ludendorffstraße"

1961: „Politische Bildung durch das Buch – Aufgabe und Möglichkeiten“

1960: "Ach, Obrigkeit und … Stauffenbach"

1960: Politische Jugendbildung im überregionalen Verbund

1960: „Homo sociologicus" und Liebhaber von Kartoffelpuffern

1959: Endlich Gewissheit

1959: Frühe Kämpferin für Frauenrechte

1959: Die Veröffentlichungen der Akademie

1959: „Wissen, was 'drüben' ist"

1959: Erinnerung an einen Gründervater

1958: Startschuss für politische Bildungsarbeit

1958: Erfolgreiche Arbeit für transatlantischen Kulturaustausch

1958: Ein Leben im Zeichen der politischen Bildung

1955: „Grünwalder Empfehlungen" als Blaupause