Die Akademie und die sogenannte „Ausländerfrage"

Seit 50 Jahren beschäftigt sich die Akademie mit praktischen Problemen der Sozialarbeit mit Zugewanderten

Dezember 1967



Erik Liebermann


„Die Aktualität des Ausländerproblems braucht nicht umständlich begründet zu werden. Ich habe allerdings den Eindruck, daß bei uns fast jedes größere Problem über seinen Sachinhalt hinaus sogleich zu einem zweiten wird, indem wir es mit größtmöglicher Aufregung diskutieren. Man tut so, als wäre die Emotionalisierung ein Nachweis dafür, daß man moralisch engagiert ist. Für die Auslösung einer Problemdiskussion mag dies bis zu einem gewissen Grade sogar zutreffen. Im weiteren Fortgang bewährt sich das moralische Engagement aber in der Anstrengung des Denkens, das sich mitunter eben auch gegen die eigenen Gefühle richtet. Ich habe die Vermutung, daß sich an unseren gegenwärtigen Diskussionen zu viele Leute beteiligen, die geradezu Angst vor Problemlösungen haben, weil sie ihren Hang zur Aufgeregtheit dann nicht mehr kultivieren könnten, bzw. sich schnell ein anderes Objekt dafür suchen müßten. In der Nervosität sind aber wohl selten Probleme vernünftig gelöst worden."

Diese mahnenden Zeilen entstammen nicht der aktuellen Debatte, sondern vielmehr dem Geleitwort, das der vormalige Akademiedirektor Manfred Hättich dem Themenheft zur „Ausländerfrage", erschienen in der akademieeigenen Publikationsreihe „Zur aktuellen Diskussion", aus dem Jahr 1983 vorangestellt hat.

Auch damals hing der Haussegen in der alten Bundesrepublik längst schon gehörig schief, in der zu diesem Zeitpunkt insgesamt rund 4,6 Millionen Ausländer lebten. An deren Anfang stand, im Zeichen von „Wirtschaftswunder" und Arbeitskräftemangel, die Anwerbung von Millionen „Gastarbeitern". Viele kamen und gingen. Andere blieben und zogen ihre Familien nach. Somit war, in den bedenkenswerten Worten des Migrationsexperten Klaus J. Bade, „aus der ‚Gastarbeiterfrage' (...) eine Einwanderungsfrage, aus dem Arbeitskräfteimport eine importierte soziale Frage geworden, die nicht einfach wieder exportiert werden kann, weil es hier nicht um Gebrauchsartikel, sondern um Menschen geht".

Integration als Thema der Akademie

Bereits damals waren also Fragen der sozialen Integration nicht weniger dringlich als sie es heute sind. Folgerichtig hat die Akademie schon früh diese Thematik aufgegriffen und zum Gegenstand einschlägiger Veranstaltungen für die interessierte Allgemeinheit wie auch für spezielle Fachkreise gemacht: „Das sogenannte Gastarbeiter-Problem", stand beispielsweise am 18./19. Februar 1967 im Mittelpunkt einer Außenveranstaltung der Akademie in Zusammenarbeit mit der Landesarbeitsgemeinschaft „Arbeit und Leben". Ausgehend von der Tatsache, dass im Juni 1966 in der Bundesrepublik über 1,3 Millionen Ausländer in allen Zweigen der Wirtschaft arbeiteten, wurde in Gauting danach gefragt, ob sich die (west-)deutsche Bevölkerung inzwischen an die Gastarbeiter gewöhnt habe. Auch seinerzeit hat es in allen Schichten starke Vorurteile gegen Ausländer gegeben und politische Gruppen versuchten, daraus Nutzen zu ziehen. So zog die rechtsextreme NPD 1966 mit 15 Abgeordneten in den Bayerischen Landtag ein und scheiterte 1969 bei den Bundestagswahlen nur knapp an der Fünf-Prozent-Hürde.
Zweck dieser Veranstaltung war, zunächst ein realistisches Bild über die Lage speziell der Gastarbeiter zu gewinnen, ihre Wirkung auf die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes zu erörtern und nach Möglichkeiten zu suchen, die grassierenden Vorurteile gegen sie kritisch zu hinterfragen und auszuräumen.

Arbeitstagungen für Sozialarbeiter

Speziell für Sozialarbeiter und Beschäftigte der Sozialverwaltung, insbesondere aus der Landeshauptstadt München, sind dann zu Beginn der 1970er Jahre Arbeitstagungen eingeführt worden, in denen Probleme aus dem Spannungsfeld zwischen individueller Freiheit und gesellschaftlicher Prägung kritisch beleuchtet wurden: „Die Politisierung in der kommunalen Selbstverwaltung in Stadtregionen" oder „Kommunale Sozialarbeit im Spannungsfeld zwischen Klienten und Institution" lauteten beispielsweise die Seminartitel. Das Engagement der Akademie sollte dem Gespräch zwischen Sozialwissenschaftlern, Kommunalpolitikern und Praktikern der Sozialarbeit über Fragen der kommunalen Sozialpolitik und über neuere Ansätze von fall- und feldorientierter Sozialarbeit dienen; zum anderen sollte das Zusammenwirken der Dienstleistungen von Freien Verbänden der Wohlfahrtspflege, bürgerschaftlichen Initiativen und von kommunalen sozialen Diensten und Behörden thematisiert werden.

Projekt zur „Verbesserung der Hilfen für ausländische Familien"

Ein wichtiger Schritt im Hinblick auf eine weitere Konsolidierung in der Ausländer(sozial)arbeit stellte das Anfang der 1980er Jahre – in Zusammenarbeit mit verschiedenen Münchner Wohlfahrtseinrichtungen – entwickelte Modell-Projekt zur „Verbesserung der Hilfen für ausländische Familien" dar. Zur Durchführung des Projekts hatte sich 1980, auf Initiative des Allgemeinen Sozialdienstes (ASD) des Sozialreferats der Landeshauptstadt München hin, eine Planungsgruppe konstituiert, in der die Akademie durch Klaus Grosch und Karl-Heinz Willenborg vertreten war. Für die in Tutzing veranstalteten Arbeitstagungen erwies sich eine Zweiteilung als besonders fruchtbar: Vorweg ein inhaltlicher Teil, der auf der Grundlage aktueller Informationen und Analysen von Wissenschaftlern über die Situation von Ausländern in der Bundesrepublik eine rational(er)e Diskussion ermöglichen sollte. Dieser erste Fortbildungsteil wurde allein durch die Akademie, als der für politische Erwachsenenbildung kompetenten Einrichtung, konzipiert und gestaltet. An dem anschließenden Kooperationsteil war sie hingegen inhaltlich nicht beteiligt, bot jedoch den teilnehmenden Institutionen(vertretern) ein Forum, in welchem die Praktiker der Sozialarbeit Fragen der konkreten Zusammenarbeit auf Münchner Ebene und weitere Kooperationsschritte beraten konnten.

Zu den Kooperationspartnern der ersten Stunde gehörten über den Allgemeinen Sozialdienst (ASD) hinaus: das Stadtjugendamt der Landeshauptstadt München, die Arbeiterwohlfahrt (AWO-Referat für Ausländersozialarbeit), der Diözesan-Caritasverband der Erzdiözese München und Freising e.V., die Innere Mission München (Griechisches Zentrum), die Evangelische Kirche München (Geschäftsstelle Ausländerarbeit), der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband BV Obb. sowie eine Reihe freier Initiativen und kleinerer Ausländerprojekte aus München. Sie alle hatten sich zum gemeinsamen Ziel gesetzt, die laufenden Bemühungen um Eingliederung ausländischer Familien stärker aufeinander abzustimmen und damit letztlich die vorhandenen Mittel gezielter und wirkungsvoller zum Einsatz zu bringen. Es handelte sich dabei um den ersten größeren Versuch dieser Art in der gesamten Bundesrepublik, der auch über München hinaus in anderen Großstätten mit Interesse verfolgt wurde.

Erste Zwischenbilanz 1984

Im März 1984 wurde nach mehr als vierjähriger Tätigkeit ein erster Projektbericht vorgelegt. Eine der zentralen Erkenntnisse resultierte aus der gemeinsamen Erfahrung, dass eine wirkliche und weitergehende Verbesserung der Hilfen wohl nur dann zu erreichen wäre, wenn „alle ‚einschlägigen' Dienststellen und Behörden in das Kooperationsgeschehen mit einbezogen würden, deren Tätigkeit und Entscheidungen existentielle Bedeutung für ausländische Familien haben." Dementsprechend wurde der Arbeitskreis um folgende Institutionen erweitert: Amt für Wohnungswesen, die Abteilung für Sozialplanung, das Schul- und das Sozialamt der Landeshauptstadt München, das Kreisverwaltungsreferat (Ausländerangelegenheiten) sowie das Arbeitsamt München. Ab 1985 saßen damit alle für die ausländischen Familien wichtigen Institutionen in der bayerischen Landeshauptstadt an einem Tisch. Später sind noch weitere Einrichtungen hinzugekommen: wie beispielsweise die Informationsstelle für Ausländer des BRK oder das Büro der/des Ausländerbeauftragten der Stadt München.

München ist gewappnet – dank AKIA

Wie wichtig es ist, Netzwerke der Kooperation zu bilden und Ansprechpartner zu benennen und kontinuierlich zusammenzubringen, hatte sich in München bereits in den 1990er-Jahren mit den Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien gezeigt. Welch nachhaltig positive Effekte diese frühen Kooperationsanstrengungen in der Landeshauptstadt München gezeitigt haben, hat sich dann gerade auch inmitten der massiven „Flüchtlingswelle 2015" erwiesen. Aufgrund der langen Erfahrungen in der gemeinsamen Ausländer(sozial)arbeit sei man in München recht gut auf die herausfordernde Situation ab Anfang September 2015 vorbereitet gewesen – so die einhellige Einschätzung der Referenten unserer Tagung „Flüchtlinge – Perspektiven und Herausforderungen aus kommunaler Sicht" in Zusammenarbeit mit AKIA vom 21. bis 23. Oktober 2015.

„AKIA" steht nun für „Arbeitsgemeinschaft Kooperation in der interkulturellen Arbeit". Nach 14-jährigem Bestehen war die Planungsgruppe in ihrer Sitzung vom 23. November 1994 darin übereingekommen, die bisherige Bezeichnung „Projekt – Verbesserung der Hilfen für ausländische Familien" durch die neue Bezeichnung „Arbeitsgemeinschaft Kooperation im Ausländerbereich" (kurz: AKIA) zu ersetzen. Aber auch diese sollte – im Gegensatz zum anhaltenden Problemdruck – nicht unverändert bleiben. Dessen ungeachtet gilt: Nach wie vor ist AKIA ein wichtiger Kooperationspartner der Akademie.

Steffen H. Elsner


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