Und vergib uns unsere Schulden…

Vertrauen und Verantwortung in der Wirtschaft

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 10.07.2011

Von: Sebastian Haas und Lena Förster

# Wirtschaft

Oberreuter-James-Blum-Quaisser

Ein Forum Menschenwürdige Wirtschaftsordnung im Hochsommer - daher blinzeln die entscheidenden Personen des ersten Tages auch in die Kamera: (v.l.) Akademiedirektor Heinrich Oberreuter, Wirtschaftshistoriker Harold James, Ulrich Blum (Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle) und Akademie-Dozent Wolfgang Quaisser. (Foto: Haas)

Unser 7. Forum Menschenwürdige Wirtschaftsordnung findet während der dramatischen Eurokrise statt. Das wirft Fragen auf: Orientieren sich Politik und Wirtschaft noch am Gemeinwohl? Können Finanzmärkte und Wirtschaftspolitiker verlorenes Vertrauen zurückgewinnen? Verdienen sie es überhaupt? Wie kann Verantwortung in der Wirtschaft ethisch begründet und gefördert werden?

Das sind wahre Akademiethemen – und daher haben wir zwei Tage lang intensiv diskutiert. Den Anfang machte der englische Wirtschaftshistoriker Harold James von der Princeton University. In seinem Vortrag über die historischen Erfahrungen aus Wirtschaftskrisen machte er klar: Krude Mathematik kann die Probleme nicht erklären und schon gar nicht lösen. Forscher, Politiker und Ökonomen müssen weit über ihren Tellerrand hinausblicken.

Harold James machte es vor und erklärte, wie das Privatleben dem Handeln an der Börse immer ähnlicher wird: „Man deckt seine Bedürfnisse mit verschiedenen Partnern ab und versucht das Beste für sich herauszuholen. Das kann kompliziert werden.“ Ebenso kompliziert wie das Prinzip des funky business, in dem man sich nicht nach vorsichtigen, langweiligen Mitmenschen richtet, sondern Dinge kauft und verkauft, die keiner versteht. Außerdem habe die sinkende Geburtenrate nicht nur einen Überschuss an Männern zur Folge, sondern damit auch einen Überschuss an Risikobereitschaft, Gewalt und Instabilität. Krisen sind immer ein Problem aller, und niemals nur ein Problem der Eliten.

Ökonomie: Berechnend, aber nicht bewertend

Dennoch: Die Märkte hätten oftmals eine solche Distanz zur Gesellschaft aufgebaut, dass viele Ökonomen meinen, ihr Geschäft habe nichts mit Menschen zu tun. Und das beweist James: Die Ökonomie berechnet, aber sie bewertet nicht. Im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen, die das eher sehen das wie Moralphilosophen: Die Finanzkrise hängt bei ihnen mit Eigenliebe, Stolz und Gier zusammen. Wer Schulden hat, gelangt in die Knechtschaft seines Geldgebers („Und vergib uns unsere Schulden“). Das Vertrauen in geltende Systeme schwindet. Und am Ende verhält es sich wie im Konjunkturzyklus: Je mehr die Wirtschaftsleistung ansteigt, desto mehr bindet man sich an Werte. In der Krise dann entspringt der Ruf nach neuer Werteorientierung.

Ulrich Blum, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, trat ans Rednerpult, um über die aktuellen Erfahrungen der Vertrauenskrise in die Wirtschaft zu berichten. Zwei Fragen standen im Mittelpunkt seiner Ausführungen: Wohin trägt uns fehlende Erkenntnis? Wohin zunehmende Virtualität? Für Blum ist klar: Nur mit soliden Staatsfinanzen und festen Mechanismen kann man die Probleme rechtzeitig erkennen und in den Griff kriegen. „Eine kausale Vorbereitung auf Katastrophen ist nicht möglich. Niemand kennt die Resonanz der Wirtschaft. Deshalb müssen die Staaten gute Leitplanken bauen und die Systeme so entkoppeln, dass bei einem Unfall nur ein Brückenglied herunterfällt, aber nicht alles zusammenbricht“, meint Blum.  Wer sich nur auf Prognosen und Prophezeiungen verlässt, wird böse überrascht – die Finanzkrise der vergangenen vier Jahre zeigt es.

Vertrauen war das große Thema der Vorträge von Ulrich Hemel vom Berliner Institut für Sozialstrategie und Kurt Imhof von der Universität Zürich. Vertrauen geht jeder Handlung voraus und wird aktiviert durch Kompetenz und Emotion. Im bisher gängigen Weltbild ging man von der All-Erklärbarkeit aus. Was nicht passte, wurde ausgeblendet; so entstand der Anstrich von Fachkunde und Seriosität. Kurt Imhof nennt ein Beispiel: „Bei durchschnittlich zwei Prozent Eigenkapital lohnt sich das Vertrauen in Banken überhaupt nicht.“ Und Ulrich Hebel stellt die These auf: „Selbstüberschätzung, gepaart mit intellektuellem Irrtum, ist die europäische Lebenslüge.“ Man fluche in der Europäischen Union über die Unübersichtlichkeit, schiebe die Verantwortung weg, suche Ursachen außerhalb des eigenen Wirkungsraums und reformiere ohne Reform, also ohne eigentliche Grundfragen zu stellen.

Spieltrieb, Selbstüberschätzung und harte Medienschelte

„Würden wir nicht nach Vertrauen, Anerkennung, Reputation streben, wäre der Mensch noch des Menschen Wolf“, meint Kurt Imhof. Vertrauen baut sich langsam auf. Gerade in der Wirtschaft entstehen deshalb engmaschige Handlungsstränge und komplexe Systeme, die wir selbst nicht mehr kontrollieren können oder wollen. Vertrauen wird aber schnell zerstört – wenn wie in der gegenwärtigen Krise Erwartungen enttäuscht werden. Dann erwarten wir weitere Enttäuschungen, dann bricht unser Vertrauen ein, dann skandalisieren die Medien die Probleme. Und warum tun sie das? Imhof meint: Weil sie zuvor die Wichtigkeiten verdreht haben, Sie schauten nicht auf die groß produzierende Industrie, sondern auf den Randbereich der Finanzwirtschaft, konzentrierten sich auf Führungspersonen und Aktienkurse – und aus dem Manager-Hype von einst wird heute die Abzocker-Debatte. Das ernüchternde Fazit: „Die Reflexion und Warnungsfunktion der Medien geht verloren. Erst wenn die Krise da ist, beginnt die Krisenkommunikation. Davon können wir nichts mehr lernen. Wir können nur noch gemeinsam an die Wand fahren.“

Ein zweites Mal an die Wand?

Wie die Finanzwelt an die Wand gefahren ist, erklärte Jürgen Pfister. Der Chefvolkswirt der Bayerischen Landesbank sprach über Hintergründe und Ablauf des „Jahrhundertereignisses Finanzkrise“ und steuerte Erkenntnisse bei: Erstens haben wir keine Wirtschaftskrise sondern „nur“ eine Finanzkrise mit strukturell geschwächten Banken. Zweitens lägen ihre Ursachen nur zum Teil in der Gier. Banker könnten diese zwar „privilegierter ausleben als andere“ und kauften in der Hoffnung auf Gewinn auch Anteile, die sie nicht verstehen. Die Hauptursachen lägen drittens in fehlenden Regulierungs- und Kontrollinstanzen. Die habe man nun (mal schlecht, mal recht) installiert: G20, Basel III, Bankenabgabe, Finanztransaktionssteuer, Vergeltungsregeln. Pfister blickt dennoch pessimistisch in die Zukunft: Denn die Stabilität der Finanzmärkte sei noch lange nicht gewährleistet (der Blick nach Griechenland, Spanien, Portugal und Italien zeigt es), in der Finanzwirtschaft kehrten alte Verhaltensmuster wieder zurück, der Konsens in der G20 bröckle. „Eine zweite Krise würden die Banken nicht überleben, und das möchte ich nicht erleben“ – so schloss der Chefvolkswirt seinen Vortrag.

Die Wirtschaftsethiker Michael Aßländer, Olaf. J. Schumann (beide Universität Kassel) und Thomas Beschorner (Universität St. Gallen) führten ein intensives Fachgespräch zum Thema „Wirtschaftsethik für neue Zeiten“. Denn Sozialstandards, Umweltbelange, Normen und Verantwortung werden in Unternehmen mehr und mehr diskutiert. Wird hier überreguliert? Kommt so mehr Gerechtigkeit in die Welt, oder geht es nur um den Handel mit profitablen Umweltzertifikaten und Greenwashing? Kann man moralisches Handeln mit ISO-Normen wahrscheinlicher machen? Die Unternehmens-Ethikerin Anette Kleinfeld meint: Ja. Sie war (als eine von über 650 Experten und Beobachtern aus 99 Ländern) maßgeblich beteiligt an der Erstellung der ISO-Norm 26000 – ein Leitfaden für Organisationen, die als „gesellschaftlich verantwortlich“ angesehen werden wollen. Die Anerkennung gliedert sich nach folgenden Prinzipien: Rechenschaftspflicht, Transparenz und ethisches Verhalten, dazu Achtung nicht nur der Anspruchsgruppen, sondern auch der Rechtsstaatlichkeit, internationaler Verhaltensstandards und der Menschenrechte.

Wir veranstalteten das 7. Forum Menschenwürdige Wirtschaftsordnung am 8. und 9. Juli 2011 in Zusammenarbeit mit dem Institut für Wirtschaftsforschung Halle und mit Unterstützung der Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung.


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