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Wir sind das Entwicklungsland!

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller und weitere Experten zu Fluchtursachen und dem Aufbau von Infrastrukturen

Gerd Müller Bundesminister Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Tutzing

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 05.05.2018

Von: Sebastian Haas

Foto: APB Tutzing

# Wirtschaft, Entwicklungspolitik, Afrika

Download: Mit Infrastrukturen gegen Fluchtursachen


Flickr APB Tutzing

© Akademie für Politische Bildung Tutzing

Flucht und Migration gab es schon immer, dramatisch wie heute war die Situation jedoch noch nie. Derzeit sind fast 70 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, die Weltbevölkerung wird im Jahr 2040 voraussichtlich 10 Milliarden betragen, fast ein Viertel mehr als heute. „Wenn wir vor diesem Hintergrund weiter wirtschaften wie bisher, bringen wir den Planeten an den Rand des Abgrunds. Dann ist für den Menschen bald kein Platz mehr" – mit drastischen Worten wie diesen umschrieb der Bundesentwicklungsminister seinen Appell (ähnlich wie bereits im April 2016 bei unserem Jahresempfang in der Hauptverwaltung Bayern der Deutschen Bundesbank) für

  • ressourcensparendes Bauen und ein Ende des Flächenverbrauchs
  • eine globale Verantwortung der reichen Länder für die Schwachen
  • fairen Handel sowie die Entkopplung von Wachstum und dem Verbrauch endlicher Ressourcen
  • Investitionen in ländliche Entwicklung und Nachhaltigkeit
  • Einen Technologie- und Investitionstransfer in die Entwicklungsländer („Biomasse statt Kohlekraftwerke" / "Wir sind das Entwicklungsland, denn wir treiben den Klimawandel voran.")
  • (berufliche) Bildung und die Gleichberechtigung der Geschlechter
  • die Finanzierung der Maßnahmen in der Entwicklungszusammenarbeit durch eine Finanztransaktionssteuer.

Das sind Ziele, für die ein Minister auf Podien viel Applaus bekommt – die aber ohne Verbündete kaum durchzusetzen sind. So musste Gerd Müller auch eingestehen, dass er in Politik und Wirtschaft schlüssige Konzepte für nachhaltige Entwicklung meist vermisst und Lobbyverbände stärker sind als jeder Appell für eine menschenwürdige Wirtschaftsordnung.

Infrastrukturen aufbauen: Wasser und Grünflächen

Schaut man in den Global Risk Report des Weltwirtschaftsforums, findet sich auf Rang fünf der Menschheits-Risiken das Thema Wasserversorgung. Steffen Krause und Christian Schaum (Universität der Bundeswehr München) erklärten, warum:

  • 2,1 Milliarden Menschen weltweit haben keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser.
  • Etwa 2,5 Milliarden Jobs weltweit sind (un)mittelbar mit Wasserversorgung verbunden.
  • Gewässer machen nicht an Grenzen halt und bergen die Gefahr zwischenstaatlicher wie inländischer Konflikte (sprich: dem Nachbarn, der Landwirtschaft, der Industrie, der eigenen Bevölkerung das Wasser abdrehen).
  • Eine annehmbar stabile Wasserversorgung kostet Menschen an der Armutsgrenze etwa sechs Prozent ihres Aufkommens.
  • Wo man sich nicht um das Abwasser kümmert, steigt die Seuchengefahr – so geschehen im Jemen, wo binnen kurzer Zeit die Cholera ausbrach und bis dato schätzungsweise 100.000 Menschen das Leben gekostet hat.

Stephan Pauleit (TU München) erläuterte, dass ohne eine geregelte Stadtplanung der Aufbau jeglicher Infrastruktur schwer umzusetzen ist. Der Großteil der afrikanischen Städte zum Beispiel wird wegen des hohen Bevölkerungswachstums „informell besiedelt" – also auf die Schnelle ohne zentrale Wasserversorgung und ÖPNV, ohne Kanalisation, Müllabfuhr und Gewerbegebiete. In diesem Zusammenhang haben Grüne Infrastrukturen einen enormen Nutzen: Grünflächen, Dachbegrünung, natürlicher Wasserfluss und vieles andere sorgen für Hochwasser- und Erosionsschutz, die Verbesserung der Luft, die Speicherung von Kohlenstoff, fördern Biodiversität und Ernährung. Je grüner eine Stadt, desto weniger wirkt sich der Klimawandel aus.

Auf dem Weg zur globalen Partnerschaft

Gute und schöne Beispiele – doch Geld und Know-how zu transferieren genügt eben nicht. Darüber diskutierten Kanwal Amin (TU München), der Landrat von Donau-Rieß Stefan Rößle und Benjamin Schraven vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik. Doch bereits die Themen ihrer Impulse zeigten, wie verschieden die Ansätze zu einer neuen globalen Partnerschaft sein können: Kanwal Amin berichtete über die vielen Naturkatastrophen in ihrem Heimatland Pakistan und die Möglichkeiten, dort einen funktionierenden Katastrophenschutz zu etablieren. Stefan Rößle hat im Landkreis eine eigene Koordinatorin für Entwicklungszusammenarbeit etabliert, die Schulbauprojekte in Afrika koordiniert – ein ehrlich gemeintes Engagement, hinter dem aber auch eine klare Kosten-Nutzen-Rechnung steckt: Eine Schule in Afrika zu bauen kostet 50.000 Euro, ebenso viel, wie die Versorgung eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings in Deutschland pro Jahr kostet. „Die Hilfe vor Ort ist also wesentlich günstiger als die Hilfe und Versorgung bei uns", sagt Rößle. David Schraven erläuterte Grundsätzliches zur Migration:

  • Es gibt nicht einen Antrieb für Migration, sondern immer ein ganzes Bündel aus ökonomischen, politischen, sozialen und klimatischen Gründen.
  • Der Großteil weltweiter Migrationsbewegungen spielt sich nicht mit dem Ziel Europa ab, sondern vor allem von südlichen in südliche Länder (wie die Golfstaaten), innerhalb von Staaten, auch in den ländlichen Bereich.
  • In den Herkunftsländern der Migranten kommen jährlich etwa 500 Milliarden US-Dollar an Rücküberweisungen an – das Vierfache der weltweiten Entwicklungszusammenarbeit.
  • Bessert sich die wirtschaftliche Situation in armen oder Schwellenländern, nimmt die Migration eher zu. In den Industrienationen kennt man das auch: Junge, gut ausgebildete Berufsstarter zieht es gerne als expats ins Ausland.

Von Lehm, Brunnen und Corporate Governance

Und sonst? Erklärte Alexander Jakob, Group Chief Auditor beim Rückversicherer Munich Re, warum Theorie und Praxis einer Corporate Governance oftmals schwer zusammenzubringen sind; hielt die Architektin Anna Heringer (Blue House) ein flammendes Plädoyer für die Nutzung natürlicher Baustoffe – Lehmbauten zum Beispiel sind genauso stabil wie die aus Zement und verbrauchen in der Erstellung und Instandhaltung deutlich weniger Energie; stellte M. Kurt Saygin die Arbeit von Ingenieure ohne Grenzen vor und berichtete von Erfolgen und Fehlschlägen bei der Durchführung von Projekten in der Entwicklungszusammenarbeit, speziell beim lokalen Ausbau der Trinkwasserversorgung.


Weitere Informationen

Ein Minister nimmt es mit den Konzernen auf - Ein Buch von Gerd Müller (Frankfurter Allgemeine Zeitung)

Tödliches Trinkwasser - die Arsen-Krise in Bangladesh (Neue Zürcher Zeitung)

Versehentlich vergiftet - groß angelegte Hilfsaktion in Bangladesh geht schief (ZEIT)

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