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Psychische Belastungen nach Auslandseinsätzen der Bundeswehr

Ausstellung "Gesichter des Lebens" porträtiert Soldatinnen und Soldaten

Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sind in ihren Einsätzen mit schweren psychischen Belastungen konfrontiert, von denen sich manche auch nach ihrer Rückkehr in die Heimat nicht vollständig erholen. Die Fotografin Daniela Skrzypczak zeigt mit ihrem Projekt "Gesichter des Lebens" unter anderem Soldatinnen und Soldaten mit Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), um auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen. Bei einem Tischgespräch zur Ausstellungseröffnung in der Akademie für Politische Bildung haben der ehemalige Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Reinhold Robbe, und Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr München mit zwei porträtierten Soldaten und ihren Partnerinnen über die Auswirkungen von Kriegserfahrungen und den Umgang mit Veteraninnen und Veteranen in der Gesellschaft gesprochen.

Tutzing / Kultur / Online seit: 19.04.2024

Von: Rebecca Meyer / Foto: Beate Winterer

Programm: Kultur am See: Tutzinger Kulturnacht trifft "Gesichter des Lebens"

Tutzinger Kulturnacht trifft "Gesichter des Lebens"

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.

"Nach dem Anschlag auf einen deutschen Militärkonvoi am 7. Juni 2003 in Afghanistan mussten wir dafür kämpfen, mit gepanzerten Fahrzeugen zum Flughafen zu fahren. Das war ein Ding der Unmöglichkeit, weil es solche Fahrzeuge einfach nicht gab", erzählt Dirk Meyer-Schumann. Der Berufssoldat erkrankte infolge von zwei Auslandseinsätzen der Bundeswehr im Kosovo 2000 und in Afghanistan 2003 an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Für das Projekt "Gesichter des Lebens", mit dem die Fotografin Daniela Skrzypczak aktive und ehemalige Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr porträtiert, hat er seine Geschichte erzählt. Bei einem Tischgespräch zur Eröffnung der Ausstellung in der Akademie für Politische Bildung haben er und seine Partnerin Daniela Schumann mit Reinhold Robbe, dem ehemaligen Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr München, Kay Stübner, einem weiteren Porträtierten, und dessen Partnerin Mandy Eckelt über die Nachwirkungen von Kriegserfahrungen gesprochen.

Mangelnde Vor- und Nachbereitung von Auslandseinsätzen

Die Auslandseinsätze hätten tiefe Spuren hinterlassen, beschreibt Dirk Meyer-Schumann. Der Anschlag in Afghanistan markierte nicht nur den ersten direkten Angriff auf deutsche Truppen seit dem Zweiten Weltkrieg, sondern deckte auch eklatante Mängel in der psychologischen Betreuung der deutschen Soldatinnen und Soldaten auf. In einem Lager mit 1500 bis 2000 Personen gab es nur einen einzigen Truppenpsychologen. Nach dem Anschlag am 7. Juni fehlte ein Leitfaden für den Umgang mit psychischen Belastungen, der sowohl den Soldatinnen und Soldaten als auch den Verantwortlichen in der Bundeswehr Orientierung geboten hätte. Meyer-Schumann hätte sich mehr qualifizierte Truppenpsychologinnen und Truppenpsychologen sowie präventive Maßnahmen, wie Schulungen im Umgang mit den psychischen Belastungen von Auslandseinsätzen gewünscht. Die Symptome der PTBS traten bei ihm erst nach der Rückkehr nach Hause auf: Albträume, Aggressivität und Halluzinationen. Auf diese Folgen von Auslandseinsätzen seien die Truppen nicht vorbereitet worden, betont er. Mittlerweile begleitet ihn ein Assistenzhund, der ihm hilft, seinen Alltag zu bestreiten: "Lucy ist der Grund, weshalb ich hier noch sitzen kann", ist er überzeugt.

Die Bundeswehr hat in den vergangenen Jahren versucht, ihre Versäumnisse aufzuholen, stellt der ehemalige Wehrbeauftragte Reinhold Robbe fest. Inzwischen sei das Netz der Hilfe breiter geworden. Trotzdem bedarf es weiteren Verbesserungen. Die Bundeswehr müsse Soldatinnen und Soldaten während und nach Auslandseinsätzen umfassend betreuen und die Truppen auch für psychische Probleme sensibilisieren. Darüber hinaus müssen die Unterstützungsmaßnahmen kontinuierlich überprüft und angepasst werden, damit sie den sich wandelnden Bedürfnissen der Truppen gerecht werden.

Das Selbstbild von Soldatinnen und Soldaten

Obwohl es Fortschritte gibt, zögern Soldatinnen und Soldaten oft, sich Hilfe zu suchen, etwa aus Angst vor beruflichen Konsequenzen. "Wenn man an den falschen Truppenarzt gelangt, wird man schnell arbeitsunfähig geschrieben. Damit ist eine Karriere in der Bundeswehr auf absehbare Zeit nicht mehr möglich. Das ist schwer zu vereinbaren mit dem soldatischen Selbstverständnis", sagt Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München.

Das spielt auch bei Dirk Meyer-Schumanns Geschichte eine Rolle. "Ein Soldat kämpft für die Freiheit des Landes. Der geht nicht freiwillig zum Arzt und sagt, dass ihm was fehlt. So ähnlich wie: Ein Indianer kennt keinen Schmerz", stimmt er zu. Er arbeitete mehrere Jahre unverändert weiter und versuchte, diesem Ideal gerecht zu werden, bis er 2015 nach einer Retraumatisierung zusammenbrach. Wie ihm ergeht es auch anderen Soldatinnen und Soldaten, die sich verpflichtet fühlen, ihre Arbeit trotz psychischer Erkrankungen fortzusetzen.

Auf den ersten Blick wirken viele nicht traumatisiert. Im Gegensatz zu körperlichen Beeinträchtigungen sind seelische Verwundungen unsichtbar und manifestieren sich oftmals spät im Leben. "Erst vor kurzer Zeit provozierte in Ulm ein Mann die Polizei, ihn zu erschießen. Er war ein Soldat, der in Afghanistan gedient hatte und seit zwei oder drei Jahren unter einer PTBS litt. Er ist komplett durch das Raster der Bundeswehr gefallen", schildert Masala einen solchen Fall. Kay Stübner, dessen Porträt ebenfalls in der Ausstellung hängt, wünschte sich oft, dass er mit einer körperlichen Verletzung aus Afghanistan zurückgekommen wäre. "Hätte ich nur ein Bein, würden Menschen begreifen, dass im Einsatz etwas passiert ist. Meine seelischen Verletzungen sieht man nicht und in der Gesellschaft werden sie zu wenig thematisiert", sagt er. Mittlerweile bilden die Universitäten der Bundeswehr Psychologinnen und Psychologen aus, die auf Bedürfnisse der Soldatinnen und Soldaten spezialisiert sind.

Andere Länder haben beim Thema PTBS schneller reagiert als Deutschland, betont Reinhold Robbe. Die USA verfügen seit Jahrzehnten über Erfahrung bei der Therapie und gehen im gesellschaftlichen Diskurs offen damit um. Das sei in der Bundesrepublik bisher nicht gelungen. Die Gesellschaft brauche mehr Aufklärung über psychische Erkrankungen, die nicht nur Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten beträfen, stimmt Mandy Eckelt, Partnerin von Kay Stübner, zu.

Mehr Unterstützung für Familien von Soldatinnen und Soldaten

Auslandseinsätze belasten nicht nur die Soldatin oder den Soldaten, sondern auch ihre Familien. Daniela Schumann erinnert sich, als ihr Mann Dirk aus Afghanistan zurückkam: "Ich holte ihn vom Flughafen ab, sah ihm in die Augen und wusste: Das ist nicht mehr derselbe Mann", erzählt sie. Die Beziehung ging 2017 beinahe in die Brüche, als sie mit den Belastungen nicht mehr zurechtkam. Durch einen Zufall stieß sie auf ein Projekt, in dem sich Angehörige von Soldatinnen und Soldaten mit PTBS zusammenfanden. "Das hat geholfen, weil man gemerkt hat, dass man damit nicht alleine ist", erinnert sie sich. Mandy Eckelt berichtet von ähnlichen Erfahrungen. Sie fühlte sich alleine gelassen und musste lernen, mit der Erkrankung ihres Partners umzugehen. "Ich wurde einfach ins kalte Wasser geworfen. Am Ende nahm ich dann therapeutische Hilfe in Anspruch", erzählt sie.

Beide Frauen wünschen sich mehr Unterstützung für die Familien in Form von therapeutischen Angeboten. Projekte wie das Arbeitsfeld Seelsorge für Einsatzbelastete Menschen (ASEM) halfen Familie Meyer-Schumann, gemeinsam Freizeit zu verbringen und schöne Dinge zu erleben. Besonders wichtig sind beiden Partnerinnen ihre Kinder. Auf sie müsse besonders Rücksicht genommen werden, weil auch sie unter den Belastungen leiden, sagt Schumann.

Kinderbetreuung als Geheimwaffe

Die Einsatzfähigkeit der Soldatinnen und Soldaten hänge eng mit der Versorgung ihrer Familie zusammen, bestätigt Masala. Ein amerikanischer General bezeichnete ihm gegenüber einmal den Kindergarten als sein "wichtigstes Waffensystem". "Wenn Soldatinnen und Soldaten in einen Einsatz ziehen, müssen Kinder betreut und versorgt sein, weil die Menschen sonst nur mit dem halben Kopf bei der Sache sind", führt er aus. "In den beiden großen Auslandseinsätzen der Bundeswehr in Mali und Afghanistan waren ungefähr 90.000 Menschen im Einsatz. Mit jeweils einer Partnerin oder einem Partner und einem Kind kommen wir auf 270.000 Betroffene", rechnet Masala vor. Dieses Ausmaß sei vielen Deutschen nicht bewusst.

Die Familien der Soldatinnen und Soldaten stehen nicht nur in regelmäßigen Abständen vor Versetzungen und Umzügen, sondern bestreiten auch alleine den Alltag, oft ohne Kontakt zu ihren Angehörigen im Einsatz. Mittlerweile betrage die Vorlaufzeit bei Einsätzen nur drei bis zehn Tage, was es Familien erschwert, sich adäquat auf die Abwesenheit eines Verwandten vorzubereiten. Masala sieht die Bundeswehr in der Verantwortung, Unterstützung anzubieten. Das sollte aber nicht erst bei realen Einsätzen, sondern auch während Übungen umgesetzt werden, ergänzt Meyer-Schumann.

Der Angriff auf die Ukraine als Weckruf für die Gesellschaft

Carlo Masala befürchtet, dass das Thema PTBS an Relevanz verliert, weil die großen deutschen Auslandseinsätze zeitlich weit zurückliegen. "In diesem Sinne ist der Angriffskrieg auf die Ukraine ein Weckruf. Mit Mali und Afghanistan konnte sich die deutsche Gesellschaft lange nicht identifizieren, weil es geographisch weit weg war. Jetzt ist der Krieg vor der eigenen Haustür und es gibt endlich wieder Debatten über die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr", sagt Dirk Meyer-Schumann.

Der russische Angriff auf die Ukraine hat die Gesellschaft wachgerüttelt und Menschen dazu gebracht, über die Rolle der Bundeswehr und die Sicherheit Deutschlands nachzudenken. Viele hätten die Augen vor der Realität verschlossen, seien aber wieder für den Dialog offen, ergänzt Reinhold Robbe. "Da ist nicht nur Interesse, sondern auch Betroffenheit. Diese gesellschaftliche Betroffenheit ist entscheidend, um notwendige Veränderungen anzustoßen", sagt er.

Sichtbarkeit in der Gesellschaft

In der Gesellschaft brauche es außerdem mehr Verständnis für die Arbeit, die die Soldatinnen und Soldaten leisten. Studien belegen, dass das den Gesundungsprozess von PTBS-Patientinnen und -Patienten beschleunige, erklärt Robbe. Wahrnehmung und Wertschätzung sei das, was Soldatinnen und Soldaten brauchen, stimmt die Fotografin Daniela Skrzypczak zu. Auch diesem Grund sei "Gesichter des Lebens" entstanden.

Ihr Projekt erzählt die Geschichten von Veteraninnen und Veteranen, von ihren Erfahrungen während der Auslandseinsätze der Bundeswehr und von ihrem Leben nach der Rückkehr nach Deutschland. Skrzypczak hat Soldatinnen und Soldaten unterschiedlichster Ränge potratiert, um ihre Schicksale, Gefühle, Wünsche und Ängste sichtbar zu machen. Die Ausstellung "Gesichter des Lebens" ist noch bis Anfang Mai 2024 im Foyer Auditorium der Akademie für Politische Bildung in Tutzing zu sehen. Der Eintritt ist frei.

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