Kino kann auch weiblich
Filmgespräch am See mit Maria Schrader und Julia von Heinz
Die Weinstein-Affäre war ein Weckruf für die Filmindustrie. Seitdem bemüht sich die Branche, Arbeitsbedingungen sicherer und gerechter zu gestalten. Die deutsche Regisseurin und Drehbuchautorin Maria Schrader hat den Fall in ihrem Film "She Said" bearbeitet. Über diese Produktion, die Darstellung von Missbrauch im Film und die Erwartungen an Frauen auf dem Regiestuhl hat sie mit ihrer Kollegin, der Regisseurin und Drehbuchautorin Julia von Heinz, beim Filmgespräch am See im Rahmen des Fünf Seen Filmfestivals in der Akademie für Politische Bildung diskutiert.
Tutzing / Kultur / Online seit: 07.09.2023
Von: Konstantin Hadzi-Vukovic / Foto: Konstantin Hadzi-Vukovic
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"Ich komme aus einer Zeit, in der man es schwerer hatte als Frau", sagt die Filmregisseurin und Drehbuchautorin Julia von Heinz. Es werde langsam besser, aber es sei immer noch nicht gut. Viel zu oft fehlten Drehbücher und Themen, die sie als Frau hätte verfilmen wollen, sagt die Regisseurin von Filmen wie "Und morgen die ganze Welt" und "Ich bin dann mal weg". Maria Schrader, Schauspielerin, Regisseurin und Drehbuchautorin, erinnert sich an ihre Regieanfänge: "Bei meinem ersten Film habe ich gespürt, dass es Leute gibt, die mir misstrauen." Das habe sie ängstlich gemacht. Vielen männlichen Kollegen sei es egal, was andere über ihre Arbeit denken. Schrader hingegen fühlt sich bei kritischen Reaktionen immer noch manchmal verunsichert. Über die Art und Weise, wie die Filmbranche Frauen behandelt, haben die beiden Filmemacherinnen beim Filmgespräch am See im Rahmen des Fünf Seen Filmfestivals gesprochen.
Als Frau auf dem Regiestuhl
Sylvia Griss von der ARTE-Abteilung des Bayerischen Rundfunks, die das Gespräch moderiert, fragt die beiden Frauen, ob die regieführende Person immer stark und selbstbewusst auftreten müsse. "Ich gehe das nicht mehr mit", sagt Julia von Heinz. "Ich weine auf dem Set und meine Kamerafrau weint." Für sie ist es wichtig, sich nicht zu verstellen und ab und zu auch ihre Panik zu zeigen. Sie schreie aber nicht herum und mache niemanden fertig. Während der Arbeit an einem Film sei ihr nicht immer klar, wie die finale Form aussehen wird. "Diese Unsicherheiten kommuniziere ich absolut offen." Falls es Menschen gebe, die das als Führungsschwäche auslegen, interessiert sie das nicht. Die Arbeit sei viel zu anstrengend, als dass sie noch irgendeine Art von Fassade aufrechterhalten könne.
Maria Schrader wendet ein, dass Selbstbewusstsein ein notwendiger Faktor ist, um sich durchzusetzen. Julia von Heinz findet das auch, fügt allerdings hinzu, dass Frauen "kein Talent zum Größenwahn haben". Ihre Erfahrung ist, dass es Mädchen manchmal an dieser Art Selbstbewusstsein fehle. "Wir müssen unseren Töchtern und uns selbst sagen, dass wir auch so fühlen dürfen, wie manchmal Männer", sagt sie. Ihrer Erfahrung nach legen Kollegen allerdings ein selbstbewusstes Verhalten bei Frauen oft als unsympathisch aus. "Das wird mir aber zunehmend egaler", sagt von Heinz.
Der männliche und der weibliche Blick im Film
Das Gespräch wechselt zu den Perspektiven, aus denen Männer und Frauen jeweils Filme machen. Ein Kameraschwenk vom Po einer Frau auf die High-Heels. Sex-Szenen, bei denen ihr Kopf nicht sichtbar ist. Laut Julia von Heinz typische Beispiele für den Male Gaze - den männliche Filmblick auf Frauen, die darin oft sexualisiert werden. Allerdings haben nicht nur männliche Filmschaffende einen Male Gaze. Der komme manchmal auch bei Regisseurinnen vor. Moderatorin Sylvia Griss fragt Maria Schrader, ob den Film "Aimée und Jaguar" aus dem Jahr 1999, in dem sie mitspielte, statt Max Färberböck nicht eine Frau hätte drehen sollen. Darin geht es um eine Liebesbeziehung zweier Frauen zur Zeit des Nationalsozialismus. Maria Schrader verneint. "Jeder sollte jede Geschichte erzählen können. Das ist auch Gleichberechtigung." Sie wünscht sich eine Welt, in der es keine unterrepräsentierten Gruppen gebe und in der niemand das Gefühl habe, dass ihm oder ihr die Stimme weggenommen werde. "Es gibt Männer, die einen weiblichen Blick haben können, genauso wie es Frauen gibt, die kein Bewusstsein für diesen Female Gaze haben", sagt die Schauspielerin und Regisseurin. Es komme beim Filmemachen auf Sensibilität und ein Verständnis für die Figuren an. Fähigkeiten, die geschlechterunabhängig sind, ergänzt sie.
Sexueller Missbrauch im Film
Julia von Heinz gibt Seminare zur Darstellung von Sexualität in Filmen. Außerdem hat sie bei einer Tatort-Folge Regie geführt, in der der Missbrauch eines fünfzehnjährigen Mädchens durch einen älteren Mann dargestellt wird. In der Vorbereitungsphase absolvierte die Regisseurin einen Kurs bei der Intimacy-Koordinatorin Ita O'Brien. "Es war hilfreich, um zu begreifen, wie man jeglichen Anspruch echter Chemie zwischen Darstellern rausnimmt", sagt von Heinz. Sie lernte, das Filmen von Sexualität komplett auf das Handwerkliche herunterzubrechen, was für sie einfacher umzusetzen ist. Dieses Wissen sei für die Tatort-Folge von großer Bedeutung gewesen.
Im Film "She Said" hat Maria Schrader Regie geführt. Der Blick auf den weiblichen Körper und insbesondere die Auseinandersetzung mit sexuellem Missbrauch spielen darin eine große Rolle. Der Film erzählt die wahre Geschichte über die Recherchen zweier New-York-Times-Journalistinnen, Megan Twohey und Jodi Kantor, die versuchen, die Opfer des Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein dazu zu bringen, gegen ihn auszusagen. Für den Film entschied Schrader sich, auf die Darstellung von sexuellem Missbrauch zu verzichten. Keine nackten Frauen, keine Opfer am Tatort. "Eine radikale Entscheidung", wie Schrader selbst sagt. Auch Harvey Weinstein fehlt als Figur. "Wir sind in einem kulturellen Narrativ aufgewachsen, das eine Faszination für Täterfiguren hat", sagt Schrader. Sie wolle aber nicht zu so einer Faszination beitragen.
Ratschläge für junge Frauen im Filmbusiness
Beide Frauen haben für die zukünftigen Generationen - vor allem jungen Frauen, die Filme machen wollen - Ratschläge. "Das Wesentliche ist, dass man sich so lange mit etwas beschäftigt, bis man sagen kann, ich möchte das machen und halte es für erzählenswert", findet Maria Schrader. Julia von Heinz wünscht jungen Frauen, viel selbstbewusster mit dem Wunsch umzugehen, sowohl Regisseurin als auch Mutter zu sein. "Ich habe jahrelang meine Kinder versteckt", sagt sie selbst. Deswegen sei ihr großer Wunsch, dass die Filmbranche ein Umfeld für weibliche Filmschaffende kreiere, in dem auch Mütter für Projekt angenommen werden.
Das Filmgespräch am See in der Presse
"Jeder sollte jede Geschichte erzählen können." (Süddeutsche Zeitung)
Die Filmgespräche am See der vergangenen Jahre
2021: Postpandemische Perspektiven: Wohin mit Film und Kultur? (Senta Berger, Michael Herbig)
2019: Verfilmte Räume (Caroline Link, Tom Tykwer, Uli Hanisch)
2018: Verfilmte Zeit (Josef Bierbichler, Dominik Graf)
2017: Am Rande der Gesellschaft (István Szabó, Eva Mattes, Kai Wessel)
2016: Fremde im Film (Matthias Koßmehl, Sebastian Schipper, Nicolette Krebitz)