Jaroslav Rudis liest aus "Weihnachten in Prag"
Der tschechische Schriftsteller war mit seinem neuen Buch in der Akademie
Dieses Mal ist Jaroslav Rudis am Bahnhof in Tutzing ausgestiegen. Der tschechische Schriftsteller und selbsterklärte Eisenbahnliebhaber hat in der Akademie für Politische Bildung aus seinem neuen Buch "Weihnachten in Prag" vorgelesen. Mit viel Humor führte er das Publikum durch eine etwas andere Weihnachtsnacht und die Kneipen und Geheimnisse der Stadt an der Moldau.
Tutzing / Kultur / Online seit: 12.12.2023
Von: Konstantin Hadzi-Vukovic / Foto: Konstantin Hadzi-Vukovic
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Eigentlich wollte er gerne Eisenbahnfahrer werden, sagt Jaroslav Rudis. Allerdings haben die übergroßen Dioptrien der Brille auf dem Kopf dem Traum einen Riegel vorgeschoben. "So musste ich mich damit abfinden, der erste Akademiker in der Familie zu werden", scherzt der tschechische Schriftsteller. Ein Unglück für Rudis, doch ein Glück für viele Leserinnen und Leser, die ihm in der Akademie für Politische Bildung in Tutzing zuhörten. Anlass für die Veranstaltung mit dem Adalbert Stifter Verein war sein neuer Roman "Weihnachten in Prag", aus dem Rudis dem Publikum vorlas. Es ist das vierte Buch, das der tschechische Schriftsteller in deutscher Sprache verfasst hat. Neben zahlreichen Romanen, darunter "Der Himmel unter Berlin", "Grandhotel" und "Die Stille in Prag", verfasste Rudis unter anderem das Drama "Alois Nebel" und vertont mit der "Kafka Band" die Romane von Franz Kafka.
Eine etwas andere Weihnachtsnacht
In seinem neuen Roman "Weihnachten in Prag" darf Kafka natürlich nicht fehlen. Nur ist es nicht Franz Kafka, der in diesem Buch auftaucht, sondern Kavka mit "v", der Kafka genannt wird und dessen Kopf nicht zu leuchten aufhört. Neben ihm ziehen der Ich-Erzähler, der den gleichen Namen wie Rudis trägt, der König von Prag und eine Italienerin aus Mailand durch das weihnachtliche Prag. "Am Hauptbahnhof nimmt Prag mich immer wieder auf, am Hauptbahnhof entlässt mich Prag wieder", liest Rudis aus dem Buch vor. Ein typisches Motiv für den Tschechen, der dafür bekannt ist, alle Reisen im Zug zurückzulegen. Auch zur Lesung nach Tutzing war er mit der Bahn gekommen.
Am Prager Hauptbahnhof beginnt der Weg der Gruppe durch die Kneipen. Die Idee sei gewesen, eine Art Märchen zu schreiben, sagt Rudis. Ein Märchen für Erwachsene - in dem Bier getrunken wird und vier verlorene Menschen durch die tschechische Hauptstadt irren. Deswegen auch das etwas untypische Setting für eine Weihnachtsgeschichte. "An diesem heiligen Tag für so viele von uns, haben viele Kneipen in Prag offen", erzählt Rudis. Er sei oft an Heiligabend in Prag Bier trinken gewesen und es seien glühende, starke Momente gewesen. "Oft sind es Leute, die verlassen worden oder einsam sind und in die Kneipen gehen, um ein Bierchen zu trinken und sich zu unterhalten." Dazu gebe es oft Karpfen oder Kartoffelsalat. Für Rudis gehört das zum Magischen an Prag und Mitteleuropa - verschiedene Schichten von Geschichten und Untergeschichten, die Menschen sich erzählen.
Prag als literarische Inspiration
"Prag ist ein unglaublich historischer Ort", sagt Rudis. Genau wie die Lokale. Manche seien 400 oder 500 Jahre alt und das begeistere Rudis. Diese "Zoorunde", wie Rudis die Tour durch die Kneipen mit Namen wie "Zum Nilpferd" und "Zum Kater" nennt, habe als Grundlage immer das Reden, sich miteinander unterhalten, Geschichten erzählen. Wie in vielen anderen Werken habe er auch in seinem neuen Roman eigene Erfahrungen, aber auch Geschichten von Bekannten verarbeitet. "Weihnachten in Prag" hat eine gewisse Verbindung mit seinem Roman "Nachtgestalten". "Beide sind ein Nachtspaziergang durch Prag, bei dem viel Bier getrunken wird. Es geht um das Banale, aber auch um etwas zutiefst Melancholisches und Depressives", sagt Rudis. Die Figuren aus "Weihnachten in Prag" sind Produkte von Begegnungen, zum Beispiel mit dem König von Prag. "Das war ein Kleinkrimineller, den ich mit einem Italiener getroffen habe, der auf der Suche nach einer verlorenen Liebe war und nach Prag gefahren ist", erzählt er. Das sei für Rudis das Besondere an Prag: Eine schräge, komische Anziehungskraft habe diese Stadt, sagt er. Er verarbeitet in seinen Werken gerne die Menschen, die er in Zügen, in Kneipen oder in der Stadt trifft. "Wenn mir eine interessante Geschichte erzählt wird, muss ich sie sofort aufschreiben."
Ein weiteres Kennzeichen Prags ist für Rudis die Zweisprachigkeit der Stadt, die die deutsch-tschechische Nachbarschaft und die gemeinsame Vergangenheit so greifbar macht. "All diese tschechischen Schriftsteller haben Deutsch gesprochen", sagt Rudis. Jaroslav Hasek habe auf Tschechisch geschrieben, aber unter anderem mit Egon Erwin Kisch auch ein Theaterstück auf Deutsch verfasst. "Sein Deutsch war so gut, genau wie das Tschechisch von Franz Kafka, Max Brod oder Johannes Urzidil", sagt Rudis. Diese Personen könne man von Prag nicht trennen. Das mache diese Stadt und ihre vielen Geheimnisse aus - bis heute. Wobei dies auch charakteristisch sei für ganz Mitteleuropa. Anna-Elena Knerich, Kulturjournalistin beim Bayerischen Rundfunk, moderierte das Gespräch in Tutzing. Sie betont Kafkas Bedeutung für die Stadt Prag. Die Mischung aus dem Melancholisch-Düsteren und Humorvollen sei typisch für ihn. Eine Charakteristik, die auch das neue Buch von Rudis aufweist. "Die Grundstimmung ist bei mir oft melancholisch, aber ohne Humor würde das nicht funktionieren", sagt der Autor. Zum Leben und Überleben brauche der Mensch Humor, er sei unsere letzte Hoffnung. Der Humor helfe auch, dass seine Erzählung nicht zu kitschig werde, wie man vielleicht denken könnte. Deswegen durchbricht Rudis gerne die Einsamkeit der Geschichte mit witzigen Passagen. Bei der Lesung in Tutzing gab es ebenfalls lustige Momente. Besonders gut kam eine Anmerkung von Rudis über den deutschen Zugverkehr an. Die Reise von Prag nach München dauere heute nur ein Ticken kürzer als zu Zeiten Kafkas. "Sechs Stunden und das noch ohne Speisewagen!", beschwerte sich Rudis.
Jaroslav Rudis und Jaromír 99
Auch die Idee zu "Weihnachten in Prag" hat mit Zügen zu tun. Vergangenes Jahr hat Rudis eine Weihnachtsgeschichte für die Frankfurter Allgemeine Zeitung geschrieben, eine Kurzgeschichte zu einer Illustration von Jaromír 99. "Ein Kollege von mir - Uwe Ebbinghaus - hat ein tolles Bild von Jaromír gefunden mit einer Brotbüchse, einem tschechischen Triebwagen, irgendwo auf einem verschneiten Weg in Böhmen." Rudis' Geschichte dazu wurde sehr gut rezipiert. Deshalb schlug Regina Kammerer, Leiterin des Verlages Luchterhand, vor, eine Weihnachtsgeschichte zu veröffentlichen. "Weihnachten in Prag" hat ebenfalls der tschechische Comiczeichner Jaromír 99 illustriert, ein langjähriger Freund von Rudis, mit dem er bereits an einer Graphic Novel zu "Alois Nebel" gearbeitet hat. "Es ist aber doch etwas schwierig geworden, weil ich noch etwas anderes zu schreiben hatte und am Ende im Frühsommer über Weihnachten in Prag schreiben musste", erzählt der Schriftsteller. Ihm und Jaromír 99 ist es aber letztendlich gelungen, sich in den Winter zu versetzen, so dass das Buch pünktlich erschienen ist. "Es freut mich sehr, dass es so gut läuft", sagt Rudis. Inzwischen liegt die dritte Auflage in den Läden.