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Welche Zukunft hat das Kino?

Filmgespräch am See mit Rosenmüller, Pinske und Danquart

Das Kino leidet in der Pandemie. Obwohl die Lichtspielhäuser längst wieder geöffnet sind, kehrt das Publikum nicht zurück. Welche Filme braucht es, um die Menschen wieder in die Kinos zu locken? Welche Produktionsbedingungen wünschen sich deutsche Filmemacherinnen und Filmemacher? Darüber haben Regisseurin Annika Pinske und ihre Kollegen Pepe Danquart und Marcus H. Rosenmüller beim Filmgespräch am See im Rahmen des Fünf Seen Filmfestivals 2022 diskutiert. "Tragikomödie Kino" war der Titel des Podiumsgesprächs in der Akademie für Politische Bildung.

Tutzing / Kultur / Online seit: 22.09.2022

Von: Beate Winterer / Foto: Beate Winterer

Programm: Kultur am See: 9. Filmgespräch am See: Tragikomödie Kino

Filmgespräch am See: Tragikomödie Kino

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.

Der Tod der Lichtspielhäuser wurde oft vorhergesagt: in den 50er Jahren, als die ersten Fernsehgeräte die deutschen Wohnzimmer eroberten, in den 80ern und 90ern, als Videorekorder und DVD-Player hinzukamen, und in den 2000ern, als ganz Deutschland über den Umgang mit Raubkopien diskutierte. Doch so ernst wie in der Corona-Pandemie war die Lage nie. Um rund 40 Prozent sind die Besuchszahlen in Kinos seit 2019 gesunken. Es braucht einen neuen deutschen Film, der die Menschen zurück vor die Leinwand holt. Darüber sind sich beim 9. Filmgespräch am See im Rahmen des Fünf Seen Filmfestivals in der Akademie für Politische Bildung in Tutzing alle einig. Dokumentarfilmer und Oscar-Gewinner Pepe Danquart, Regisseurin Annika Pinske, ihr bayerischer Kollege Marcus H. Rosenmüller und Moderatorin Anna-Elena Knerich vom Bayerischen Runkfunk haben unter dem Titel "Tragikomödie Kino" über die Zukunft des Kinos, die Filmförderung in Deutschland und Filmunterricht in der Schule diskutiert.

Filmverleiher bestimmen, was Kinos zeigen

Annika Pinske glaubt an das Rezept "Weniger ist mehr". Sie schlägt vor, insgesamt weniger Filme ins Kino zu bringen, aber mutiger und diverser zu werden und mehr Zeit in die Entwicklung zu investieren. "Manchen Filmen tut das Kino nicht gut. Was auf kleinen Bildschirmen funktioniert, muss nicht auf der großen Leinwand funktionieren", ist sie überzeugt. Pepe Danquart stimmt ihr zu. Er sieht vor allem die Flut an neuen Filmen problematisch, mit denen Kinobetreiberinnen und Kinobetreiber wöchentlich konfrontiert sind. Vor allem die amerikanischen Verleiher üben mit ihrer Marktmacht großen Druck auf die Lichtspielhäuser aus. "Als wir in den 70er Jahren mit dem Filmemachen angefangen haben, haben die Kinobetreiber einem Film auch mal drei oder vier Wochen gegeben. Manche Filme brauchen Zeit, um anzulaufen, sie müssen sich herumsprechen - mouth to mouth", erzählt er. Heute gilt das Gesetz: Wenn ein Film nicht läuft, läuft ein anderer. Ein Film, der die Erwartungen nicht erfüllt, wird nach einer Woche aussortiert. Große Verleiher aus den USA verlangen zum Teil gleich mehrere Säle, wenn Kinos ihre Blockbuster zeigen wollen. Das zwingt Kinobetreiberinnen und Kinobetreiber, sogar gut laufende, aber kleinere Produktionen, aus dem Programm zu nehmen.

Filmförderung in Deutschland: Das Fernsehen spricht mit

Ein anderes Problem, auf das die beiden Filmemacher und die Filmemacherin in ihrem Gespräch immer wieder stoßen, ist die Filmförderung in Deutschland. Pepe Danquart kritisiert Verleiher, die Filme danach auswählen, ob sie eine Förderung bekommen oder nicht. Wenn es nach ihm ginge, wäre der Filmvertrieb mit einem größeren persönlichen Risiko verbunden. "Das würde aber bedeuten, dass man schon vorher weiß, was ein guter Film ist", wendet seine Kollegin Annika Pinske ein. Sie würde bei den Fernsehsendern ansetzen, die finanziell stark an der Filmförderung beteiligt sind - und deshalb mitreden wollen. Eine deutsche Besonderheit. Die Konsequenz daraus sind normierte Formate. Ein Spielfilm dauert 90 Minuten, die Tagesschau wird nicht verschoben. Diese Praxis gehe zulasten von Qualität und Kreativität, ist Pinske überzeugt. Sie verweist auf Diskussionen rund um den Film "Toni Erdmann" (162 Minuten), den die Fernsehredakteurinnen und -redakteuere lieber deutlich kürzer gesehen hätten. "Für radikales, mutiges Kino braucht man keine Fernsehsender. Man kann nachträglich immer noch Verträge schließen", findet die Regisseurin. Marcus H. Rosenmüller wünscht sich zwar ebenfalls mehr Freiheit, hat Fernsehkolleginnen und -kollegen aber auch zu schätzen gelernt. "Manchmal war es nicht schlecht, wenn einem jemand reingeredet hat. Aber man muss lernen damit umzugehen", sagt der Regisseur.

Mit der Lösung von den Fernsehsendern wäre jedoch die Pflicht vom Tisch, in jedem Bundesland, das durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an der jeweiligen Förderung beteiligt ist, auch zu drehen. Pepe Danquart berichtet von Crews und Equipment, die unnötig quer durch Deutschland gefahren werden, und einer Menge verbranntem Geld. "Wenn die freie Wirtschaft so funktionieren würde, wäre sie längst tot", fasst er zusammen. Gleichzeitig gibt er zu, "sein ganzes Leben" von der Filmförderung profitiert zu haben. "Es ist immer schwierig, am Ast zu sägen, auf dem man sitzt", sagt der Oscar-Gewinner. "'Trautmann' hätte ich ohne Förderung nicht machen können. Ich habe lange für die Finanzierung gebraucht", erzählt auch Marcus H. Rosenmüller. Annika Pinske schließt sich ihren Kollegen an: "Ich komme aus einer Arbeiterfamilie. Wenn es die Filmförderung nicht gäbe, würde ich hier nicht sitzen. Sie ist auch eine Möglichkeit, dass Leute wie ich - aus Frankfurt an der Oder, ausm Plattenbau - andere Geschichten erzählen." Filmförderung ja, aber anders. Da sind sich Pinske, Rosenmüller und Danquart einig.

Filmunterricht in der Schule: Deutschland hinkt hinterher

Vielleicht ist für die Zukunft des Kinos aber gar nicht entscheidend, woher das Geld für die Produktion kommt. Dass Arthouse-Kinos gerade besonders kämpfen, hängt auch damit zusammen, dass Filme in der Schule kaum eine Rolle spielen - "außer der Unterricht fällt aus", wie Annika Pinske scherzt. Wieder eine deutsche Besonderheit. Pepe Danquart erklärt das so: Im Nationalsozialismus gab es einen Bruch in der deutschen Kulturgeschichte. Die großen Filmemacher emigrierten im Zweiten Weltkrieg nach Amerika. Wer in Deutschland blieb, produzierte die immer gleichen Heimatfilme. Dieser Bruch sei nie aufgearbeitet worden. Alle Podiumsgäste eint deshalb der Wunsch, Filme - wie etwa in Frankreich - in die Schulen zu bringen, sie gemeinsam zu rezipieren, zu diskutieren und vielleicht sogar zu drehen. So wie es mit Literatur selbstverständlich geschieht.

Wem das zu weit geht, für den hat Akademiedirektorin Ursula Münch einen Tipp: "Nehmen Sie doch beim nächsten Kinobesuch Ihre Kinder und Enkelkinder mit - oder die Nachbarskinder, die mit den Eltern nie ins Kino gehen." Dann erfüllt sich vielleicht auch der Wunsch von Marcus H. Rosenmüller: "Volle Häuser, Jung und Alt, und alle erleben gemeinsam Filme." Oder wie es Matthias Helwig, Leiter des Fünf Seen Filmfestivals, formuliert: "Ich hoffe auf ein komödiantisches Ende."

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