Urbane Sicherheit

Ingenieurstagung: Leben und Bauen in riskanten Zeiten

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 15.05.2017

Von: Miriam Zerbel

Foto: CCO Pixabay

# Kommunalpolitik

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Der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt oder im Londoner Regierungsviertel, Hochwasser in Simbach und Tornado in Hamburg – Terror und Naturkatastrophen werden immer häufiger, so das Gefühl vieler Bürger. Wie kann die kommunale Infrastruktur verbessert, die urbane Sicherheit vergrößert werden? Mit dieser Frage beschäftigten sich in der Akademie neben Ingenieuren und Architekten auch Sozialwissenschaftler, Studenten und Verwaltungsfachleute.


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Schon zum fünften Mal organisierte die Akademie gemeinsam mit der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau und dem Forschungszentrum RISK diese interdisziplinäre Veranstaltung. Im Zentrum stand die Frage, wie wir mit Risiken und Sicherheit umgehen. Dass der Klimawandel vor allem städtische Ballungsräume besonders betrifft, machte Professor Peter Höppe in seinem Grundlagenvortrag deutlich. Mithilfe vieler Daten und Zahlen veranschaulichte der Leiter der Geo-Risiko-Forschung bei der Münchner Rückversicherungsgesellschaft: Der Klimawandel ist real und menschengemacht.

Demnach fördert die Untersuchung von Eisbohrkernen aus der Antarktis, die Erkenntnis zutage, wonach wir heute nicht nur die höchste Kohlendioxidkonzentration seit mindestens 3,3 Millionen Jahren haben. Die Werte nehmen auch kontinuierlich weiter zu. Ferner ist die bodennahe globale Mitteltemperatur von 1880 bis 2012 um 0,85 Prozent angestiegen. Das Abschmelzen des Eises in der Arktis beschleunigt die globale Erwärmung weiter, weil das Sonnenlicht nicht mehr reflektiert wird. Mit präziser Genauigkeit zeichnete Höppe ein bedrohliches Szenario: Küstengebiete werden überflutet, das Wirtschaftswachstum verlangsamt sich, die Versorgung in einigen Erdteilen ist zunehmend gefährdet, Migrations- und Gewaltrisiken steigen.

Mehr Extremwetterereignisse in Deutschland

Die Analyse der zu erwartenden Klimaveränderungen in Deutschland gab ebenfalls keinen Grund zur Beruhigung. Dem Experten zufolge werden die extremen Werte zunehmen: mehr Niederschlag, häufig Gewitter im Winter und Herbst, Starkniederschlag im Sommer und gleichfalls Dürre. Immer häufiger stellt er konvektive Ereignisse fest, also das Zusammentreffen von zwei Arten von Naturkatastrophen wie Hagel und Sturm. Selbst die Ökonomie geht laut Weltwirtschaftsforum in Davos davon aus, dass der Klimawandel eines der größten Risiken der Menschheit ist.

Die globale Erwärmung führt zu mehr Wetterextremen. Seit 1980 hat sich die Zahl der wetterbedingten Schäden verdreifacht. Peter Höppe, Leiter der Geo-Risiko-Forschung in der Munich RE

Besonders betroffen sind zwar Städte, aber der Wissenschaftler sieht auch Chancen. Seine Handlungsempfehlungen beziehen sich nicht ausschließlich auf technische Bereiche. Entsiegelung der Oberflächen und mehr Grün, um den Wärmeinseleffekt zu brechen, weniger Luftverschmutzung durch den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs oder die Unterstützung sozialer Netze, um die gegenseitige Hilfe in der Bevölkerung voranzubringen sind nur einige davon. Allein die Förderung der E-Mobilität könnte in Deutschland zu einer Verringerung des Klimagasausstoßes um rund 27 Prozent beitragen.

Keine Weltnorm für Sicherheit

Welches Maß an Sicherheit im urbanen Raum gewünscht ist, hängt auch damit zusammen, wie viel Risiko eine Gesellschaft zu tragen bereit ist. Dass die Gesellschaft den Maßstab dafür festlegt, verdeutlichte Professor Norbert Gebbeken, Sprecher des Forschungszentrums RISK (Risiko, Infrastruktur, Sicherheit und Konflikt). Ingenieure setzten das gesellschaftliche Bedürfnis dann um. Die entscheidenden Einflussgrößen aus Risiko, Sicherheit, Akzeptanz und der Kostenfrage seien jedoch nicht eindeutig definiert. „Amerika hat ein anderes Verständnis von Sicherheit als Deutschland. Sicherheit wird nationalstaatlich bewertet, es gibt keine Weltnorm."

In der Risikoabwägung komme es zum einen auf die persönlich Einschätzung der Gefahr an und zum anderen auf die Möglichkeit selbst Einfluss zu nehmen, erklärte Gebbeken. Und weil er auch Präsident der Bayerische Ingenieurekammer-Bau ist, folgte eine Risiko-Gleichung. Das Risiko als Maß der Größe einer Gefahr ergibt sich demnach aus der Häufigkeit, also der Wahrscheinlichkeit, dass ein Ereignis eintritt, multipliziert mit den Kosten, also dem Verlust oder der Schwere des Schadens (Risiko = Häufigkeit x Kosten). Diskutiert werde dabei immer wieder, wie wahrscheinlich ein Schaden eintritt sowie wo der Staat und wo Bürgerinnen und Bürger in die Pflicht genommen werden.

Sicherheit als Illusion

Dass unsere Gesellschaft mit Risiken nicht rational umgeht war die Quintessenz des Vortrags von Professor Klaus Heilmann. Der Risikoforscher monierte, dass es keine Maßangabe, keine Sicherheitsskala gibt, die nötig wäre, um Risiken einschätzen zu können. Das hänge auch mit der Unklarheit des Begriffs „Risiko" zusammen. Ein konkretes Beispiel half bei der Definition: Ein Löwe stellt eine Gefahr für den Menschen dar, das Risiko ändert sich je nachdem wie nah man dem Löwen kommt. Die Gefahr kann beherrscht werden, beispielsweise durch Gitterstäbe im Zoo, aber es bleibt ein Restrisiko, ob die Gitterstäbe auch wirklich fest sind und den Löwen fernhalten.

Die Binsenweisheit, dass es absolute Sicherheit nicht gibt, füllte Heilmann mit Leben: „Es geht immer um Kompromisse, um die Frage, was ist technisch und gesellschaftlich durchsetzbar. Bis zu welchem Grad ist das sinnvoll?"
Im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit sei die zentrale Frage: „Wie viel finanzielle Belastung sind wir bereit, für mehr Sicherheit zu tragen? Wie viel Entzug persönlicher Freiheit für mehr Sicherheit sind wir bereit in Kauf zu nehmen?"

Angst ist persönlich und unbestimmt

Mit dieser gesellschaftlichen Weichenstellung befasst sich die Politik. Zunächst müsse die Politik die Analyse der Lebenswirklichkeit der Menschen in den Blick nehmen, sagte der innenpolitische Sprecher der CSU-Landtagsfraktion Dr. Florian Herrmann in der anschließenden insbesondere von vielen Studenten besuchten Podiumsdiskussion. Entscheidend sei dann die politische Schwerpunktsetzung.

Darin, dass Ängste per se nicht schlecht sind, waren sich Heilmann und Herrmann einig. Denn hinter dem Begriff Angst stehe ein individuelles unbestimmtes Gefühl der Gefährdung, das evolutionsbiologisch wichtig sei. Die Angst vor dem Säbelzahntiger habe dem Menschen das Überleben gesichert. Frucht hingegen sei konkret fassbar, die Sorge vor etwas Bestimmtem. Der mediale Umgang mit Sicherheit und Risiken ist nach Ansicht Heilmanns geprägt von der Intransparenz des Informationstransfers. Immerhin verfolge jeder Informierende bestimmte Absichten. Ferner trage zu viel Information und zu wenig Wissen dazu bei, dass „der Bild-Leser andere Ängste hat als der FAZ-Leser".

Der Münchner Weg zur Vermeidung von Brennpunkten

Die Ansicht, das die Informationsflut viele Menschen verunsichert, teilt auch der Münchner Polizeipräsident Hubertus Andrä, der sich vor der schwierigen Aufgabe sah, über Polizeiarbeit in Problemvierteln der Landeshauptstadt zu sprechen. Das staatliche Gewaltmonopol finde Anwendung, in München gebe es keine no-go-areas, erklärte Andrä. Im vergangenen Jahr haben sich demnach in der Stadt 110.000 Straftaten ereignet, vom Taschendiebstahl bis zum Mord. Das entspricht der Zahl vom Jahr 2010, obwohl mittlerweile 140.000 Menschen zugezogen sind. Stadtviertel wie das Hasenbergl oder Neuperlach seien keine sozialen Brennpunkte und besser als ihr Ruf.

Um Problemviertel wie das belgische Molenbeek erst gar nicht entstehen zu lassen lässt sich stadtbaulich vorsorgen. Eine gemischte Wohn- und Bevölkerungsstruktur verhindert die Ghettobildung. Vermieden werden sollte laut Andrä auch der Eindruck verwahrloster Gebäude oder Infrastruktur.

Spiel mit der Angst

Die Frage nach der Rolle der Medien im Umgang mit der Angst stand im Mittelpunkt einer weiteren abschließenden Podiumsdiskussion. Der ehemalige BR-Chefredakteur Sigmund Gottlieb gab gleich zu Beginn unumwunden zu: „Ja, Ängste werden durch Medien und Politik instrumentalisiert". Die Medien skandalisierten, trivialisierten und personalisierten mehr als früher. Er begründete das mit dem Diktat des Online-Marktes, der noch schneller als beispielsweise der Print-Markt funktioniere und mit anderen Themen Klickzahlen generieren müsse. Mit Blick auf die jüngsten Falschmeldungen etablierter Medien zum NPD-Urteil des Bundesverfassungsgerichts warnte Gottlieb aber zugleich vor der Entwicklung. „Gründlichkeit muss vor Schnelligkeit gehen. Be first, but first be sure."

Der Medienwissenschaftler Christian Schicha von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg wies daraufhin, dass die Journalisten die Inszenierungsdominanz verloren haben. Der frühere Nachrichten-Konsument sei nun beispielsweise als Blogger auch Produzent. Zugleich kritisierte Schicha die vor allem in Talk-Shows ausgeprägten Skandalisierungstendenzen: „Da steht Deutschland tagtäglich am Abgrund". Gottlieb erläuterte daraufhin die Zwänge der privaten TV-Produktionsfirmen, denen die öffentlich-rechtlichen Sender bei schlechter Quote kündigten. Gleichwohl trieb beide Diskussionsteilnehmer die Sorge um, das die Bürger den Medien immer mehr misstrauten, weil sie Journalisten als Teil des Establishments wahrnehmen.


Weitere Informationen

"Motor gesellschaftlicher Entwicklungen": Interview mit dem Präsidenten der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau (Bayerische Staatszeitung)

Klima, Katastrophen, Kriminalität - Fachdiskussion über ein effektives Risikomanagement für eine urbane Sicherheit (Bayerische Staatszeitung)


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