Politik, Kommerz und (Un-)Fairplay
Wie kann Sport noch ein gesellschaftliches Allgemeingut bleiben?
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 13.10.2018
Von: Sebastian Haas und Andreas Kalina
Foto: APB Tutzing
# Kommunalpolitik, Gesellschaftlicher Wandel, Medien, Integration
Auf sportlicher Ebene gehören Betrug und Unfair Play zur alltäglichen Begleiterscheinung – häufig geduldet, wenn nicht gar gefördert durch institutionelle oder staatliche Strukturen. "Es geht Verbänden und Funktionären nicht darum, Doping zu bekämpfen, denn das sorgt für Leistung, bessere Quoten und größeren Profit aller Beteiligten. Es geht vielmehr darum, die Diskussion darüber zu beenden", sagt daher auch Hajo Seppelt, Journalist und Experte für die Themen Doping und Korruption im Sport. Am Beispiel der Recherchen über das russische Staatsdoping machte er deutlich, dass Anti-Doping-Berichterstattung auf allen Seiten zu Konflikten führt: mit Sportlerinnen und Sportlern, Kolleginnen und Kollegen, Funktionären, Programmdirektoren und auch Zuschauern, die Spitzenleistungen sehen wollen. "Würden wir nur das senden, was den Zuschauern gefällt, wären wir auf einem ganz falschen Weg", meint Seppelt dazu.
Die Vergabepolitik bei globalen Großveranstaltungen scheint immer delikater, zumal Offerten aus Russland, China, Aserbaidschan oder den Golfstaaten mit Regelmäßigkeit den Zuschlag erhalten – oft mit fragwürdigen Entwicklungsplänen. Denn Sport ist seit jeher stets auch ein Machtinstrument – und wie ein jedes andere auch wird er eben nicht nur aufs Gemeinwohl verpflichtet eingesetzt, sondern ist durchaus für Missbrauch anfällig. Inwiefern lässt sich hier durch (Selbst-)Kontrolle, politische Regelungen oder Gerichtsbarkeit gegensteuern? Was passiert, wenn sich die breite Bevölkerung gegen große Sportveranstaltungen positioniert, Athleten protestieren oder für Protest vereinnahmt werden? Auch darüber wurde an drei Tagen in der Akademie für Politische Bildung intensiv diskutiert.
Kommerz und Events - wo bleibt der Breitensport?
Eines ist sicher: Mit Sport lässt sich viel Geld verdienen - vor allem, wenn die Show stimmt. Verstößt Kommerz gegen die Moral? Wie kann Sport ein gesellschaftliches Allgemeingut bleiben, und der Fußball im Speziellen? Darüber macht sich Claus Vogt mit der Fanvereinigung FCPlayFair! Verein für Integrität im Profifußball Gedanken. Als Konsequenz einer groß angelegten Studie unter Fußballfans hat man fünf zentrale Aspekte ausgemacht, um das Kulturgut Fußball zu schützen:
- klare finanzielle Regeln, wie zum Beispiel die Einführung eines salary caps, der die ständig wachsenden Gehälter der Spieler begrenzt;
- fanfreundliche Anstoßzeiten;
- eine gerechtere Verteilung der TV-Gelder für mehr Wettbewerb vor allem innerhalb der Bundesliga;
- Profifußball-Vereinen verpflichten, in ihren obersten Kontrollgremien einen gewählten und qualifizierten Fanvertreter zu installieren.
Ebenso diskutierten der Parlamentarische Staatssekretär im Innen- (und Sport-)Ministerium Stephan Mayer (CSU), der Präsident des Bayerischen Landes-Sportverbands Jörg Ammon und der Direktor des Deutschen Instituts für Sportmarketing André Bühler. Ammon stellt fest, dass die Sportvereine zwar immer mehr Mitglieder haben, doch ehrenamtliche Helfer fehlen, die den Betrieb am Laufen halten; ein Trend, der sich nur durch mehr hauptamtliche Berufe in den Vereinen aufhalten lässt. André Bühler betonte darüber hinaus, dass die "Monokultur Fußball" und deren Überkommerzialisierung den gesamten Sport-Standort Deutschland gefährde und empfahl:
Fernseher aus, schauen Sie sich Amateursportlerinnen und -sportler vor Ort an.
André Bühler, Direktor Deutsches Institut für Sportmarketing
Sport-Staatssekretär Mayer ist in einer Zwickmühle: Einerseits lehnen die Bürgerinnen und Bürger großer Städte Großereignisse in ihren Kommunen vermehrt ab, andererseits lamentieren Sie über die Vergabe nach Minsk, Sotschi, Pyeongchang oder Peking. Mit einer nationalen Strategie für Sport-Großereignisse möchte Mayer Bevölkerung, Verbände, Sportlerinnen und Sportler von der Ausrichtung überzeugen - und hofft zum Beispiel auf deutsche Bewerbungen für Olympia 2032.
Integration und Inklusion
Dessen ungeachtet ist Sport ein Grundelement des gesellschaftlichen Zusammenhalts und stellt relevante gesundheitsfördernde, integrative, pädagogische und friedensstiftende Angebote zur Verfügung - selbst auf weltweiter Ebene, wie Stephen Ibelli vom US-Generalkonsulat München erläuterte. Arbion Gashi, beim Bayerischen Jugendring und bei der Bayerischen Sportjugend für Interkulturelles zuständig, hat den Sport als Gegenpol zum Mangel an Selbstbestimmung in Fragen von Migration und Asyl selbst erlebt und sagt: Er kann gesellschaftliche Zwänge und Gräben überwinden, Vereine und Verbände können ein Zuhause bieten.
Kirsten Bruhn, mehrmalige Paralympics-(Gold-)Medaillengewinnerin im Schwimmen, ist der beste Beweis dafür, dass körperliche Beeinträchtigungen gerade im Sport ein überwindbares Hindernis sind. Doch gibt es auch im Leben einer Hochleistungssportlerin Tage, in denen sie sich "nicht fit, nicht vollkommen und nicht willkommen fühlt", in denen ihr klar wird, "dass unsere Gesellschaft auch heute noch nicht durchgehend barrierearm ist" - aber sie dennoch eine Hoffnung antreibt:
Irgendwann wird hoffentlich eine Kirsten Bruhn die Heldin sein, und nicht ein Usain Bolt.
Weitere Informationen
US Council Of Foreign Relations: The Mixed Record of Sports Diplomacy
Zur Homepage von Paralympics-Siegerin Kirsten Bruhn
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Kirsten Bruhn im Interview zu "GOLD - Du kannst mehr als Du denkst" (YouTube)
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