Bayern zwischen Solidarität und Ausgrenzung

Eine Podiumsdiskussion in Kooperation mit den Asyl-Unterstützerkreisen im Landkreis Weilheim-Schongau

Peißenberg / Tagungsbericht / Online seit: 06.07.2017

Von: Sara Borasio

# Bayern, Integration

„Integration ausgeträumt? Bayern zwischen Solidarität und Ausgrenzung" – so lautete der Titel der Podiumsdiskussion, die die Asyl-Unterstützerkreise im Landkreis Weilheim-Schongau in Kooperation mit der Akademie für Politische Bildung am 21. Juni 2017 veranstaltet haben.

Integration Podium


Die oft vergebliche Wohnungssuche der Flüchtlinge war ein vieldiskutiertes Thema in der Peißenberger Tiefstollenhalle. Für Andrea Jochner-Weiß (Landrätin von Weilheim-Schongau, CSU) ist dies eine Herausforderung, bei der es bei weitem mehr Unterstützung braucht. Wenn ein Flüchtling anerkannt wird, habe er denselben Status wie ein Hartz-IV-Empfänger und müsse sich eine Wohnung suchen. Da dies aber oft unmöglich sei, müssten viele anerkannte Flüchtlinge für eine recht hohe Miete als sogenannte „Fehlbeleger" weiterhin in ihrer Flüchtlingsunterkunft wohnen, um Obdachlosigkeit zu vermeiden. Weil die Flüchtlinge von der jeweiligen Bezirken den einzelnen Landkreisen zugewiesen werden, müssten die Bezirke hier auch mehr Verantwortung übernehmen und könnten diese nicht auf die kommunale Ebene abwälzen.

Wohnraummangel ein riesiges Problem

Auch Manuela Vanni (1. Bürgermeisterin der Marktgemeinde Peißenberg) kennt dieses leidige Thema. Sie unterstrich, wie schwierig es sei, befriedigende Lösungen zu finden. Selbst bei Containern, welche kurzfristig weiterhelfen könnten, würde die Schaffung der bau- und planungsrechtlichen Grundlagen zu lange dauern. Eine andere Möglichkeit wären steuerliche Anreize, etwa eine Steuer auf leerstehende Wohnungen, was aber politisch kaum durchsetzbar sei. Langfristig wäre es daher laut Vanni wichtig, grundsätzlich mehr Wohnraum zu schaffen, wofür man allerdings auch Grundstücke benötige. Vielen Kommunen gehe es zudem finanziell nicht gut, was deren Handlungsmöglichkeiten beim Erwerb von Bauland einschränke. Vanni warnte zudem nachdrücklich vor einer „Neiddebatte", die aus der Konkurrenz zwischen Flüchtlingen und anderen Menschen, die eine preiswerte Wohnung benötigen, entstehen könnte.

Dies unterstrich auch Ingeborg Bias-Putzier, eine ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit Aktive aus Weilheim. Für sie ist klar, dass man sozial Schwache und Flüchtlinge nicht gegeneinander ausspielen könne. Hier sei auch der Staat gefragt; so würden etwa immer mehr Gebiete als Gewerbegebiete ausgewiesen, was ihrer Ansicht nach ebenso wie die Spekulation mit Immobilien deutlich eingeschränkt werden solle.

Dr. Stephan Dünnwald vom bayerischen Flüchtlingsrat betonte, dass es auch in Bayern durchaus Unterschiede in dieser Hinsicht gebe. In manchen Regionen der Oberpfalz und Oberfrankens seien die politisch Verantwortlichen froh, wenn Flüchtlinge untergebracht werden, da so die Folgen der Landflucht gebremst werden könnten. Schulen etwa profitierten hierdurch und könnten vor der Schließung bewahrt werden. Es brauche insgesamt aber schnelle Lösungen, um die Wohnungssituation der Flüchtlinge zu verbessern. Positive Beispiele seien etwa Münchens Bauprogramm „Wohnen für alle" oder die Gemeinde Lindau, welche alte Gemeindeunterkünfte für die Unterbringung von Flüchtlingen nutze. Letztendlich könne diese aktuelle Debatte langfristig sogar eine positive Auswirkung auf den gesamten Mietwohnungsmarkt haben. Wohnraummangel existiere schließlich schon seit Jahren, aber erst durch die steigende Zahl von Flüchtlingen wurde das Problem öffentlich breit diskutiert und von der Politik als drängende Herausforderung wahrgenommen.

Recht auf Arbeit

Auch die Themen Arbeit und Ausbildung sorgten für viel Diskussion. Bias-Putzier zeigte sich sichtlich frustriert und kritisierte, dass die Arbeit der Unterstützerkreise von der bayerischen Landespolitik regelrecht torpediert werde. Es dauere oft länger, ein Vertrauensverhältnis zu den Flüchtlingen aufzubauen. Wenn diese dann allen Ratschlägen folgten und dennoch wegen sich plötzlich ändernder Vorgaben von Arbeitsverboten getroffen werden, zerstöre dies das Vertrauen in die Verlässlichkeit der ehrenamtlichen Helfer. Viele Flüchtlinge hätten sich zudem sehr gut integriert und verlören dann bei einem negativen Bescheid ihre Arbeitserlaubnis, was sie von einem Tag auf den anderen von Menschen, die zur gesellschaftlichen Wertschöpfung beitragen und Steuern zahlen, zu Almosenempfängern mache. Dies sei extrem frustrierend für Flüchtlinge und auch für Ehrenamtliche, von denen sich viele resigniert zurückzögen.

Die Vertreterin der Unterstützerkreise ging in ihrer Bewertung der Situation sogar noch einen Schritt weiter und erklärte, Arbeitsverbote seien menschenverachtend. Denn das Recht auf Arbeit stehe in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und werde hier aber ignoriert. Die Untätigkeit führe bei vielen Asylbewerbern zu schwerwiegenden psychischen Problemen. Auch wenn nicht jeder eine Bleibeperspektive habe, sollten sie alle arbeiten dürfen. Denn das Know-how, was sie sich aneignen, käme auch nach ihrer möglichen Rückkehr in die Heimat den Herkunftsländern zugute und sei letztendlich eine nachhaltige Entwicklungshilfe.

Benötigt es ein Einwanderungsgesetz?

Auch für Unternehmen sei die Unsicherheit in Sachen Arbeit und Ausbildung eine Bürde, meinte Mareike Ziegler vom Integrationsteam der IHK. Es brauche für die Integration verlässliche Instrumente, welche den Unternehmen garantieren, dass Flüchtlinge zum Beispiel die Ausbildung auch beenden können. Dies wurde mit der sogenannten „3+2-Regelung" im Integrationsgesetz verankert. Wenn ein geduldeter Flüchtling in Ausbildung kommt, soll er diese nach drei Jahren beenden können und dann noch zwei weitere Jahre ein Aufenthaltsrecht und damit den Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Die Bundesländer hätten diese Regelung allerdings sehr unterschiedlich umgesetzt, Bayern vor allem auf sehr restriktive Weise. Hier hätten Menschen mit schlechter oder mittlerer Bleibeperspektive grundsätzlich nur geringe Möglichkeiten zur Aufnahme einer Ausbildung oder Arbeit. Dabei wäre es sowohl für Unternehmen als auch für Flüchtlinge gut, wenn sie arbeiten dürften.

In vielen Wortmeldungen auf dem Podium und aus dem Publikum wurde ferner betont, dass ein Einwanderungsgesetz tatsächlich überfällig sei. Mit Hilfe einer solchen Rechtsgrundlage könnten viele Schieflagen vermieden werden, die aus den jetzigen asylrechtlichen Regelungen entstehen, weil diese die Lebenssituation zahlreicher Migranten nicht sachgerecht erfassen und ihnen keine angemessenen Perspektiven eröffnen würden.


Weitere Informationen

Unterstützerkreise zunehmend frustriert - Bernard Jepsen im Weilheimer Tagblatt


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