Woher kommt der Hass?
"Ausländerfeinde" gegen "Gutmenschen" / Professor Hans Vorländer zur Kontroverse in der Migrationsdebatte
Prof. Dr. Hans Vorländer von der Technischen Universität Dresden sprach beim öffentlichen Abendvortrag zum Thema "'Ausländerfeinde' gegen 'Gutmenschen' - woher kommt der Hass?" (Foto: Haas).
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 07.04.2016
Von: Sibylle Kölmel
# Gesellschaftlicher Wandel, Integration
Download: "Ausländerfeinde" gegen "Gutmenschen". Woher kommt der Hass?
Seit Monaten spaltet die Diskussion über die Flüchtlingssituation das Land. Auf der einen Seite fordern viele Bürgerinnen und Bürger einen humanitären Umgang mit den Menschen, die vor Krieg und Elend fliehen, und sind auch bereit, sich ehrenamtlich für die Geflüchteten zu engagieren. Pegida-Anhänger demonstrieren gegen vermeintliche Überfremdung und die AfD erzielt zweistellige Umfrageergebnisse. Im Internet fallen die Menschen übereinander her und bezichtigen sich, naive 'Gutmenschen' oder 'Ausländerfeind' zu sein. Das gegenseitige Unverständnis ist so groß, dass ein konstruktiver Meinungsaustausch und die gemeinsame Suche nach Kompromissen und Lösungswegen kaum mehr möglich erscheint.
Prof. Dr. Hans Vorländer, Lehrstuhlinhaber für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Technischen Universität Dresden und sein Team haben (ab Ende 2014) erstmalig empirisch untersucht, wie sich die PEGIDA-Demonstrationen in Dresden zusammensetzen: Dafür wurden rund 400 Teilnehmer nach sozio-demographischen Merkmalen und nach ihrer Motivation befragt. Daher lieferte der Dresdner Politologe vor fast 120 Zuhörern in der APB zunächst eine dezidierte Analyse des „PEGIDISTEN“:
- Dieser entstammt der Mittelschicht,
- ist gut ausgebildet,
- überwiegend berufstätig,
- verfügt über ein Nettoeinkommen, das für sächsische Verhältnisse leicht über dem Durschnitt liegt,
- ist 48 Jahre alt,
- zu 70 Prozent männlich und
- nicht religiös.
- Er weist keine Parteiverbundenheit auf und stammt zu 40 Prozent aus Dresden und zu ebenfalls 40 Prozent aus dem sächsischen Umland.
Die meisten PEGIDA-Demonstranten haben grundlegende Ressentiments gegenüber Zuwanderern und Asylbewerbern. Stark ausgeprägt sind dabei Vorbehalte gegen Muslime bzw. den Islam. PEGIDA ist eine rechtspopulistische Bewegung (auch und vor allem die Organisatoren und Redner haben Kontakte ins rechtsextreme Milieu), und vertritt die „Überhöhung der eigenen Gruppe“ und eine, so Vorländer „Attitüde der allgemeinen Empörung“.
Denn: Hauptmotiv für die Teilnahme an den montäglichen Demonstrationen ist eine ausgeprägte Unzufriedenheit mit der Politik und der „Lügenpresse“; die Demonstranten haben das Vertrauen in beide Institutionen verloren. Die konkrete Praxis der Demokratie sei für die PEGIDA-Anhänger nur schwer einzuschätzen. Sie fühlen sich mit ihren eigenen Problemen nicht gesehen (Die da oben – Wir da unten). Insgesamt ist die Zahl der Nichtwähler, das „Lager der Enttäuschten“, in Sachsen groß.
Im weiteren Verlauf referierte Prof. Hans Vorländer über PEGIDA und die AfD, die sozialen Netzwerke, die für die Bewegung parallele, nicht kompatible Wirklichkeiten erzeugten, in denen „man sich wechselseitig bestätigt und glaubt dass man in der Mehrheit ist“. Ausserdem vertritt er die Ansicht, dass die Kölner Silvesternacht den öffentlichen Diskurs verändert, ihn transparenter und differenzierter gemacht hat.
Dennoch: Sowohl die Flüchtlingsströme als auch die seitens vieler Bürger gefühlte große Verunsicherung werde weiter bestehen.
Kürzlich erschienen ist der Band „PEGIDA - Entwicklung, Zusammensetzung und Deutung einer Empörungsbewegung“ (Springer-Verlag GmbH, Heidelberg, 2016) der Autoren Prof. Hans Vorländer, Maik Herold und Dr. Steven Schäller vom Lehrstuhl für Politische Theorie und Ideengeschichte an der TU Dresden.
Weitere Informationen
Prof. Hans Vorländer in der FAZ: "Was ist PEGIDA und warum?".
Präsentation der Studie "Wer geht zu PEGIDA und warum" auf der Homepage der TU Dresden
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