Dialog suchen - das ist Demokratie

Professor Hans Vorländer (TU Dresden) im Interview zur Debatte über Flucht, Asyl und Integration

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 06.05.2016

Von: Sibylle Kölmel und Raphael Gritschmeier

# Gesellschaftlicher Wandel, Integration, Migration

Download: Hoffnung Europa. Die EU als Raum und Ziel von Migration

Hans Vorlaender Tutzing Akademie

Hans Vorländer, Lehrstuhlinhaber für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Technischen Universität Dresden, ist ein gefragter Gesprächspartner, wenn es um die gesellschaftlichen Auswirkungen der globalen Migration geht. Mit einem Team aus wissenschaftlichen Mitarbeitern und Studierenden hat er ab Ende 2014 erstmalig empirisch untersucht, wer aus welchen Gründen an den PEGIDA-Demonstrationen in Dresden teilnimmt. An der Akademie für Politische Bildung hielt er im April einen Vortrag über die Kontroverse in der Migrationsdebatte, außerdem sprach er bei unserer Tagung „Hoffnung Europa“ über die Folgen der Einwanderung auf das deutsche Parteiensystem.

Im Gespräch mit www.apb-tutzing.de äußert sich Vorländer gewohnt deutlich zum „politischen Biotop“ in und um Dresden, zur Aggression in der Migrationsdebatte sowie zu den deutschlandweiten Vorbehalten gegenüber Flüchtenden und Asylbewerbern. Außerdem macht er Vorschläge für eine konstruktive Diskussion über Flucht, Migration und Integration.

Sie haben als einer der ersten Wissenschaftler überhaupt das Phänomen PEGIDA detailliert untersucht. Warum ist die Bewegung in Sachsen entstanden? Weshalb immer wieder Sachsen?

Vorländer: Der erste Grund ist darin zu suchen, dass die Organisatoren auf ein Netz von Freunden und Bekannten zurückgreifen konnten, welches sich schon früher etabliert hatte, im Umfeld des Fußballs, auch der Fluthilfe und dann im Bereich der kleingewerblichen Dienstleistung. Der zweite Grund liegt darin, dass in Dresden und Sachsen eine konservative Grundstimmung anzutreffen ist, die Empfänglichkeit für die Anliegen von PEGIDA erkennen lässt. Das Dritte ist, dass Dresden eine gute Bühne und Kulisse abgibt, die medienwirksam ist. Und dann leben viele Dresdner in einer Art politischem Biotop, welches schon zu DDR-Zeiten sich durch Abschließung nach außen konstituierte. Das führt zu einer Selbstbezüglichkeit, die wenig Offenheit nach außen mit sich führt. Der Mythos Dresdens, Barockstadt, Zerstörung, Wiederaufbau, lassen den Eindruck entstehen, dass Dresden etwas ganz Besonderes ist. Da wird schnell die eigene Gruppe, die Alteingesessenen, überhöht und das Andere, Fremde, Unbekannte, abgelehnt oder abgewertet. Und schließlich kann man auch sagen, dass in Ostdeutschland, auch in Dresden, traditionell wenig Kontakt zu Fremden, Ausländern und Flüchtlingen bestanden hat, so dass hier die Sorgen und  Ängste vor dem Unbekannten, dem Flüchtling und Migranten besonders ausgeprägt gewesen ist.

Viele Menschen sind erschrocken über den enormen Hass, auch gegen Flüchtlinge, der sich dort zeigt. Was haben Sie für eine Erklärung dafür? Was macht dieser Hass dauerhaft mit den Menschen, die ihn NICHT empfinden, die Flüchtlinge willkommen heißen?

Vorländer: Hass hat immer etwas zu tun mit Angst, Verunsicherung und auch Ratlosigkeit darüber, wie man mit etwas Fremdem umgeht. Insofern ist der Hass ein Ausdruck einer tiefen eigenen Unsicherheit. Womöglich hat das auch mit den großen Veränderungen der letzten 25 Jahre zu tun, wo in Ostdeutschland kein Stein auf demselben geblieben ist, wo in Ostsachsen der soziale, ökonomische und demographische Wandel besonders spürbar ist. Unsicherheit und Angst, vielleicht auch individuelle Demütigung, wird in Formen des Hasses ‚überkompensiert‘, eine Art Entladung von zuvor sublimierter Aggression. Immer bedarf es aber auch derjenigen, die Hass predigen, die Sorgen und Ängste zu instrumentalisieren versuchen. Sie geben den Takt vor. A la longue wird dann die Hassrede, die Agggression salonfähig. Wenn die Stimmung so aufgeheizt wird, wenn die Menschen sich empören und sich der Zorn nicht nur gegen die Politik und die Medien, sondern auch gegen Fremde, Flüchtlinge oder Muslime richtet, dann spaltet sich auch eine Stadtgesellschaft wie die Dresdens und polarisiert sich eine politische Landschaft. „Ausländerhasser“ stehen gegen „Gutmenschen“. Der Graben scheint unüberbrückbar. Und doch muss man versuchen, in Dialogforen, ihn zu überbrücken. Das gelingt manchmal, oft aber auch nicht. 

Warum reagiert der Osten Deutschlands insgesamt extremer auf die Flüchtlinge, die kommen?

Vorländer: Da bin ich mir nicht sicher, ob das so ist. Wir haben ja auch in Westdeutschland große Vorbehalte, wie das ja jetzt bei den Wahlen zu den Landtagen zum Ausdruck gekommen ist. Außerdem gibt es auch in Westdeutschland Anschläge auf Asylbewerberheime – insofern ist das kein ostdeutsches Phänomen. Was man dennoch über die spezifisch ostdeutsche Lage sagen könnte, ist zweierlei: Erstens ist in Ostdeutschland die allgemeine Verunsicherung größer, durch den Wandel der letzten drei Jahrzehnte. Und zum Zweiten: In Ostdeutschland hat man eben nicht gelernt, mit Fremden, mit anderen Kulturen umzugehen, weil man von diesen „inneren“ Globalisierungsprozessen hermetisch abgeriegelt war.

Miteinander in ein konstruktives Gespräch zu kommen, gemeinsam Kompromisse zu finden, erscheint fast aussichtslos. Was könnte ein Weg sein, dass es doch gelingt?

Vorländer: Es gibt keinen anderen Weg als den zu versuchen, miteinander ins Gespräch zu kommen. In solchen Situationen, wo Menschen Gewalt ausüben oder volksverhetzende Reden schwingen, muss indes der Weg über die Strafverfolgung gegangen werden. Der Rechtstaat ist nicht wehrlos. Ansonsten muss der Dialog gesucht werden. Das ist Demokratie. Und natürlich müssen Möglichkeiten für die Begegnung zwischen Zugewanderten und Einheimischen geschaffen werden. Dadurch, da gibt es viele Beispiele, können sich Einstellungen sehr schnell verändern.

Wie soll eine ehrliche Diskussion über die Integration aussehen? Was muss/kann ein jeder dafür tun? Welche Regeln sollten wir uns als Gesellschaft dafür geben?

Vorländer: Ich glaube erstens, dass man ehrlich und offen miteinander umgehen sollte. Zweitens: Man sollte auf die moralische Stigmatisierung solcher Menschen verzichten, die anderer Meinung sind, so dass man aus der Polarisierung von Gutmenschen und Ausländerhassern herauskommt. Polarisierung hilft nicht weiter, sie spaltet die Gesellschaft. Drittens muss man die Probleme, die mit Migration zusammenhängen, also vor allem die der Integration offen benennen, man darf da keine Tabus errichten. Und vor allem muss die Politik zeigen, dass sie für die Integration gute Konzepte hat. Sie muss auch die entsprechenden Mittel bereitstellen, damit jeder eine solche Chance hat, die Sprache zu erlernen, das Land und sein Recht, seine Regeln und Werte kennenzulernen und möglichst schnell in Arbeit zu kommen. Und dann geht es nur, wenn Politik und Zivilgesellschaft  zusammenarbeiten. Die Zivilgesellschaft hat Herausragendes geleistet in den letzten Monaten. Und deshalb können nur beide, nämlich Politik und Zivilgesellschaft, die Probleme zu lösen versuchen.


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