Die digitalisierte Pflege

Wie die Interaktion zwischen Mensch und Technik einen Berufszweig und die Gesellschaft herausfordert

Schweinfurt / Tagungsbericht / Online seit: 30.11.2018

Von: Sebastian Haas

# Digitalisierung, Sozialstaat, Ethik

Download: Die Digitalisierung und der Mensch

Wie sich die Digitalisierung auf den Umgang miteinander auswirkt, wird in kaum einem Bereich so deutlich wie in der Pflege – sie schafft neue Optionen, Pflegebedürftige zu versorgen und Arbeitsprozesse in der Alten- und Krankenpflege zu gestalten. Doch entsprechen die neuen Möglichkeiten unserem Verständnis von Zuwendung oder eines verträglichen Arbeitsumfelds? Wir haben über Chancen und Probleme der Digitalisierung im Pflegebereich, über Pflegeroboter und Automatisierung, sowie über eine Ethik der Pflege im digitalen Zeitalter gesprochen.


Bildergalerie

Flickr APB Tutzing

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing

Die Digitalpakete der Bayerischen Staatsregierung formulieren den klaren Auftrag, Bayern zum Spitzenstandort für High-Tech in der Pflege zu machen. Die Schlagworte reichen vom Smart Home über die digitale Patientenakte bis zum Pflegeroboter. „Doch das Innovationspotenzial wird nicht zukunftsweisend genutzt, weil man über die Pflege spricht, und nicht mit der Pflege", sagt Edith Dürr, die Vorsitzende des Bayerischen Landespflegerates. Bei vielen vermeintlichen Verbesserungen fehle die Perspektive der Nutzer, diese müssten von Anfang an in die Entwicklung neuer Prozesse, Angebote und Technik einbezogen werden. Kein Wunder, dass Pflegekräfte eher skeptisch sind gegenüber den Digitalisierungsplänen. Sie sorgen sich um das Akute: die Zukunftsfähigkeit der Tätigkeit, die eigene Gesundheit und Sicherheit und die von Patientinnen und Patienten. Schließlich wird bis 2030 die Anzahl der Pflegebedürftigen in Deutschland um ein gutes Drittel zunehmen, während die Pflege-Berufe unter einem enormen Nachwuchs- und Fachkräftemangel leiden. Technik ersetzt keine Fachkräfte. Und die fehlen.

Robotik und Automatisierung

Flexibilität, eigenverantwortliches Entscheiden, Feingefühl – das zeigen nicht nur menschliche Pflegekräfte, sondern auch Pflegeroboter. Annette Hagengruber entwickelt diese am Institut für Robotik und Mechatronik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Im Projekt SMiLE (Servicerobotik für Menschen in Lebenssituationen mit Einschränkungen) geht es darum, „Menschen mit Bewegungseinschränkungen zu einem erfüllteren, selbständigeren Leben zu verhelfen". So kann ein einarmiger Roboter am Rollstuhl jetzt schon gelähmten Personen helfen, indem er über Sensoren verbliebene Muskelsignale abgreift und sich so steuern lässt. Künstliche Intelligenz erkennt dann zum Beispiel, dass mit dem Inhalt einer Wasserflasche ein Glas befüllt werden soll, und erledigt den Rest. Die Anwendungsbereiche für die Pflege-Robotik, die auch zusammen mit der Caritas entwickelt werden, sind vielfältig: Sie reichen von der Unterstützung zuhause mittels eines ständig erreichbaren Tele-Operators bis zur Einführung einer Zusatzausbildung für das neue Berufsbild des Pflegetechnikers.

Fragen über Fragen

Diese technische Entwicklung zieht jede Menge Fragen nach sich: Wenn die Matratze Patientinnen und Patienten vor allem nachts selbständig wendet, wo bleibt dann der soziale Kontakt? Darf man Demenzkranken mit Virtual-Reality-Anwendungen eine andere Realität vorspielen? Wer hält Opa vor unsinnigen Bestellungen bei Amazon ab, wenn in seinem Zimmer Alexa immer eingeschaltet ist? Und vor allem: Wer soll das alles bezahlen? Michael Pflügner ist Geschäftsführer des NürnbergStift, das etwa 1000 Personen in stationärer, Kurzzeit-, Tages und ambulanter Pflege betreut. Er lässt in seinen fünf Standorten gerade WLAN und eine elektronische Pflegedokumentation einführen – und schaut dennoch gerne viele Schritte weiter, „weil wir frühzeitig eine Haltung zu den Innovationen brauchen, weil wir ein funktionierendes Management von Versorgungsketten benötigen, weil Pflegeberufe attraktiv für den Nachwuchs sein müssen".

Ein Campus für digitale Medizin

Weit vorne in Sachen Medizin-Innovation möchte die RHÖN-KLINIKUM AG sein, die im Dezember 2018 in Bad Neustadt einen Gesundheits-Campus eröffnen wird. Vorstandsmitglied Bernd Griewing stellte das Konzept aus ambulanter und stationärer Versorgung, Ausbildung und Wohnen am Campus, Präventions- und Reha-Angeboten vor. Dazu kommt eine wahre IT-Offensive mit den Schwerpunkten elektronische Dokumentation, Robotik, technische Assistenz und Telemedizin. Ziele sind neben optimalen Bedingungen für Patientinnen und Mitarbeiter natürlich eine optimale Auslastung und Wirtschaftlichkeit; Griewing formuliert das so: „Ich will nicht jeden Schwindel oder Spannungskopfschmerz fünf Tage lang in unserer Klinik betreuen." Die aktuelle politische Diskussion, die sich auf die schwierige Ausgangslage für Pflege fokussiert, hält Griewing für verfehlt, denn „sie hält junge Menschen mehr denn je davon ab, Pflegeberufe zu ergreifen". Was womöglich auch abhält, sind die veränderten Anforderungen. Wer nach Digitalkompetenzen für Pflegekräfte fragt, bekommt folgende Schwerpunkte genannt: Dokumentation und Datenschutz, Qualitäts-, Prozess- und Projektmanagement, Kommunikationstraining und Wissensmanagement. In diese Richtung wird aber kaum ausgebildet.

Eine Ethik digitaler Pflege

Wie man es auch dreht und wendet: Technische Systeme entwickeln sich von reinen Werkzeugen zu kooperativen Interaktionspartnern, und sie rücken immer näher an die Menschen heran (wearables) – wenn nicht sogar in sie hinein (Prothesen, Herzschrittmacher...). Arne Manzeschke ist Professor an der Evangelischen Hochschule Nürnberg und Leiter der Fachstelle Ethik und Anthropologie im Gesundheitswesen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Er erarbeitete Fragen, die sich im Zusammenhang der Mensch-Technik-Interaktion stellen. Zum weiteren Nachdenken seien drei davon an den Schluss dieser Zusammenfassung gestellt:

  • Welche Tätigkeiten können durch technische Assistenz-Systeme von der Pflege abgezogen werden, und wann ist Pflege keine Pflege mehr?
  • Wie wird informationelle Selbstbestimmung gewährleistet, wenn im Zuge der Automatisierung unfassbar große Mengen an Daten über Patientinnen und Patienten, Pflegerinnen und Pfleger gesammelt werden?
  • Wie die Würde der Gepflegten und zwischenmenschliche Beziehungen wahren?

Die Tagung „Die Digitalisierung und der Mensch – das Beispiel Pflege" haben wir am 17. November 2018 gemeinsam mit und in der Agentur für Arbeit Schweinfurt durchgeführt. Wir danken dem dortigen Vorsitzenden der Geschäftsführung Thomas Stelzer, allen beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Zusammenarbeit sowie 60 Tagungsgästen fürs Dabeisein.


Weitere Informationen

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