Hatte Marx doch Recht?

Soziale Ungleichheit in Deutschland und Europa

Lichtenfels / Tagungsbericht / Online seit: 26.11.2018

Von: Michael Schröder

# Politische Philosophie, Sozialstaat

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2018 jährte sich der Geburtstag von Karl Marx zum 200. Mal. Anlass, nach den aktuellen Probleme der sozialen Ungleichheit in Deutschland und Europa zu fragen.


Markus M. Grabka (unten im Foto rechts) vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin konnte mit neuesten Daten aus dem sozioökonomischen Panel (SOEP) zur sozialen Ungleichheit in Deutschland aufwarten. So habe es in den letzten 15 Jahren kaum eine Steigerung der Bruttolöhne gegeben. Aber die Ungleichheit der Bruttostundenlöhne sei leicht rückläufig. Ebenso konnte die Ungleichheit der Bruttomonatslöhne gestoppt werden.

Armutsrisiko steigt

Bei den Haushaltsnettoeinkommen gehe die Schere zwischen den niedrigsten und den höchsten immer weiter auseinander. Und das Armutsrisiko steigt seit 2000 signifikant an: Als arm gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Haushaltsnettoeinkommens zur Verfügung hat. 2015 lag dieser Schwellenwert bei 1.086 Euro für einen Ein-Personen-Haushalt. Danach gelten knapp 17 Prozent der privaten Haushalte als vom Armutsrisiko betroffen. Besonders hoch ist dies bei Familien mit Migrationshintergrund (knapp 30 Prozent). Ebenfalls überdurchschnittlich stark betroffen sind Arbeitslose und Alleinerziehende. Eine weitere Ursache sind die steigenden Mietkosten in Großstädten: Sie liegen mittlerweile bei rund 35 Prozent des Nettoeinkommens. Im internationalen Vergleich hätte Deutschland allerdings ein eher unterdurchschnittliches Niveau an Einkommensungleichheit, sagte der Berliner Wirtschaftsforscher.

Extreme Ungleichheit bei Vermögen

Beim individuellen Vermögen sind die Ungleichheiten stärker ausgeprägt: Ein Prozent der Erwachsenen verfügt im Durchschnitt über jeweils 817.000 Euro Privatvermögen. Am unteren Ende der Skala stehen dagegen Personen, die durchschnittlich rund 24.000 Euro Schulden haben. Die Vermögensungleichheit in Deutschland sei eine der höchsten im Euroraum, sagte Grabka. Außerdem werde das Ausmaß noch unterschätzt, da es über die Top-Reichen kaum zuverlässige Angaben gäbe.

Den Vergleich mit europäischen Ländern brachte Michael Dauderstädt (im Foto links) in die Tagung ein. Er war Leiter der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung. Für die EU machte er sowohl erhebliche Disparitäten zwischen den Ländern als auch eine wachsende innerstaatliche Ungleichheit aus. Diese regionalen Ungleichheiten seien größer als die zwischen den Staaten.

Ein EU-Beitritt ändert nicht viel

Die erfolgreichsten Aufholprozesse bei der sozialen Ungleichheit lassen sich in der Europäischen Union vor dem Beitritt der ärmeren Länder in den 1950-er und 1960-er Jahren nachweisen. Bis zum Jahr 1990 war der Konvergenzerfolg von Irland (Beitritt 1972), Griechenland (1981), Portugal und Spanien (1986) eher mäßig. Die EU-Regionalpolitik zeigte kaum messbare Erfolge.

Der stärkste Aufholprozess in der späteren EU-15 erfolgte im Zuge der Währungsunion durch die Realzinssenkungen und den Konsum- und Investitionsboom an der Peripherie. Wegen der großen Unterschiede bei Produktivität und Lohnniveau entstehen innerhalb der EU Migrationsanreize. So verlieren Staaten mit geringen Verdienstmöglichkeiten junge Fachkräfte, die dort dringend gebraucht werden. Dauderstädt empfahl die Anhebung zu niedriger Mindestlöhne, verstärkte Bildungsanstrengungen sowie eine höhere Besteuerung von Spitzeneinkommen, Vermögen und Erbschaften. Als erfolgreiches Beispiel nannte er Irland, dem es durch extrem niedrige Besteuerung von Firmengewinnen gelang, große Firmen anzusiedeln. Allerdings sieht er keine Chance für einen europaweiten Einsatz dieses Modells.

Eine Tagung der Akademie für Politische Bildung in der Franken-Akademie Schloss Schney in Zusammenarbeit mit dem Landesverband Bayern der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung (DVPB) und der Europäischen Akademie Bayern.


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