Rattenfänger und Seelenfischer im Netz
Wie Extremisten und Fundamentalisten das Internet nutzen / Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 13.07.2017
Von: Sara Borasio
Foto: pixabay CC0
# Populismus und Extremismus
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Die Jugend ist praktisch immer online, hauptsächlich über das Smartphone. Susanne Eggert, Wissenschaftliche Direktorin des JFF - Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis, bezeichnete das Internet als unabdinglich, um zu kommunizieren, sich zu informieren und amüsieren. Doch ein souveräner Umgang mit den Angeboten der Online-Welt sei für Kinder und Jugendliche schwierig, beispielsweise in rechtlichen Fragen oder was Schutzmöglichkeiten angeht.
Qualitätsjournalismus gegen fake news
Wolfgang Schweiger (Universität Hohenheim) thematisierte die Rolle des World Wide Webs für drei wesentliche Schritte im demokratischen Prozess: Informieren, Diskutieren und Meinungsbildung. Heutzutage habe der Bürger nicht nur Zugriff auf traditionelle journalistische Medien, sondern auch auf alternative Medien, welche sich oft recht schwer unterscheiden ließen. Algorithmen hinter Sozialen Medien wie Facebook oder Browsers wie Google führten zu Filterblasen, auch sei die virtuelle Freundesgruppe dem Einzelnen meist ähnlich. Was dabei fehlt, ist ein ausgewogener Nachrichtenüberblick, und das erhöht die Anfälligkeit für Desinformation und Pseudo-Informiertheit.
In der Diskussion über bestimmte Themen habe das Internet eine enthemmende Wirkung, die Online-Kommunikation sei oft destruktiv, wenn es überhaupt zu einer kommt. Dazu kommt das Phänomen der Echokammern, also die Neigung zu glauben, die eigene Meinung sei die der Mehrheit - was wiederum zu erhöhter Redebereitschaft und zur Meinungsverstärkung führt. Was hilft dagegen? Bildung, und traditionelle journalistische Quellen, sagt Schweiger: „Wir brauchen unabhängigen Journalismus, der weiterhin seinen Job macht."
Genau das Thema von Gudrun Riedl, stellvertretende Leiterin von BR24, dem Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks. „Wir sind keine Sendeanstalten mehr, wir sind Kommunikationsunternehmen", meint Riedl. Es gebe dank der Online-Präsenz eine zunehmende Nachfrage nach eigener Recherche, was eine sehr positive Entwicklung sei. Durch das Internet würden auch Publikumsinteressen mehr vertreten. Es sei für Journalisten oft nicht einfach, unter Zeitdruck wahre Meldungen von „Fake News" zu unterscheiden, immer genau die Quelle einer Meldung zu identifizieren.
Rechtsextremismus und Salafismus im Netz
Thomas Estrada von der bayerischen Informationsstelle gegen Extremismus informierte über die Vielzahl an technischen Möglichkeiten, die rechtsextreme Gruppen haben: WhatsApp-Gruppen würden ebenso zur Radikalisierung genutzt wie eigene Messenger oder Apps - zum Beispiel „Patriot Peer", eine App, in der man Punkte für patriotisches Verhalten verdienen kann, wozu sowohl der Besuch im Hofbräuhaus als auch die Teilnahme am AfD-Parteitag zählen können. Auch Salafisten nutzen das Netz, um Propaganda zu verbreiten, zu rekrutieren, Gewalt zu legitimieren und ein Gefühl des Zusammenhalts aufzubauen. Extrem Radikalisierte erhalten Anweisungen für die Ausübung von Attentaten in Chats, Anleitungen zur Bombenkonstruktion oder für LKW-Aschläge sind frei verfügbar.
Religion und Esoterik
Religiöser Fundamentalismus findet sich auch im christlichen Bereich, etwa bei den Zeugen Jehovas oder Scientology. Matthias Pöhlmann (Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern) schilderte, dass in letzter Zeit eine vielzahl neuer christlicher Gruppen entstanden sei - modern im Auftritt nach außen, inhaltlich ausgesprochen konservativ, meist mit "sehr problematischen Haltungen" zu Homosexualität und zum Islam.
Dazu kommt das Alltagsphänomen Esoterik, das sich nach Pöhlmann „als institutionen-, technik- und fortschritsskeptische Strömung" gibt mit starken Tendenzen zu anti-demokratischem Gedankengut von links wie rechts. Online-Plattformen seien eine effektive Möglichkeit zur Verbreitung der Ansichten dieser esoterischen Gruppen, welche auch teilweise Verschwörungstheorien in selbst produzierten „Fernsehsendungen" präsentieren, eigene Videoportale betreiben, sich gegenseitig vernetzen und unterstützen. So entsteht eine Nachrichtenquelle für einige, die die „Lügenpresse" leid sind.
Schutz vor Abzocke ist so einfach
Oswald Peter von der staatlichen Berufsschule Regen erteilte Ratschläge, um sich gegen Betrug im Internet zu schützen: Das beginne bei regelmäßigen Updates von Betriebssystem und sonstiger Software; Passwörter sollten sicher sein, mit mindestens 8 Zeichen, Zahlen, Buchstaben, Groß- und Sonderzeichen. Mails von unbekannten Empfängern sollten ebenso wenig geöffnet werden wie deren Anhänge oder Links auf fragwürdige Internetseiten. Ebenfalls wichtig: Regelmäßige Backups auf externe Medien, damit bei einem Virus nicht alle Daten zerstört würden.
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