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Der Reiz des Autoritären

Liberale Demokratien unter Druck

Weltweit sind autoritäre Regime auf dem Vormarsch. Antidemokratische und illiberale Strukturen breiten sich aus. Auch in scheinbar gefestigten Demokratien des Westens bekommen Politiker und Parteien mit autoritären Programmen Zustimmung und gelangen sogar in Regierungsverantwortung. Grundrechte und Gewaltenteilung stehen auch in einigen EU-Staaten zur Disposition und werden teilweise ausgehebelt. Dem "Reiz des Autoritären" war deshalb Thema einer Tagung der Akademie für Politische Bildung, dem Landesverband Bayern der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung (DVPB) und der Europäischen Akademie Bayern e.V. in der Georg-von-Vollmar-Akademie in Kochel am See.

Kochel am See / Tagungsbericht / Online seit: 29.09.2020

Von: / Foto: Dr. Michael Schröder

Programm: Der Reiz des Autoritären - liberale Demokratien unter Druck

Der Reiz des Autoritären - liberale Demokratien unter Druck

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Auch in Deutschland erkennt der Extremismusforscher Alexander Häusler von der Hochschule Düsseldorf eine "Strahlkraft des Autoritären" und im rechtspopulistischen Lager ein "völkisches Aufbegehren". Zwar gingen laut den "Mitte-Studien" geschlossen rechtsextreme Weltbilder zurück, aber einzelne extreme Einstellungen stiegen an - insbesondere abwertende Einstellungen gegenüber Zugewanderten. Diese Entwicklung sei nicht losgelöst von den Strömungen in Europa zu sehen: Immerhin stelle die Internationale der Nationalisten mit ihrer Rechtsaußenfraktion "Identität und Demokratie" (ID) mit 76 Mitgliedern die viertgrößte Fraktion im EU-Parlament. Eine Tagung der Akademie für Politische Bildung, dem Landesverband Bayern der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung (DVPB) und der Europäischen Akademie Bayern e.V. in der Georg-von-Vollmar-Akademie in Kochel am See hat sich deshalb dem "Reiz des Autoritären" gewidmet.

Als Merkmale des Rechtspopulismus identifiziert Häusler den Gegensatz zwischen Volk und Elite, eine Politik der Feindbilder sowie das Narrativ vom Reinigen ("Aufräumen", "Säubern" und "Ausmisten"). In der aktuellen COVID-19-Pandemie sieht Häusler das vereinigte Auftreten einer Mischung von Pandemieskeptikern, Demokratieverächtern und Rechtsextremen.

Polarisierung in den USA

Lars Brozus von der Stiftung Wissenschaft und Politik beschreibt für die USA eine politische und ideologische Polarisierung - nicht erst seit der Amtsübernahme von Donald Trump. Die persönliche Verortung in einem der beiden politischen Lager werde zum Bestandteil der individuellen und kollektiven Identität. Das ginge einher mit hoher Loyalität gegenüber der jeweiligen Partei und deren Kandidatinnen und Kandidaten. Die Auseinanderentwicklung der Einkommens- und Lebensverhältnisse sei in den USA erheblich ausgeprägter als in anderen Industriestaaten.

Trump sei eigentlich ein "unwahrscheinlicher Kandidat". Er verkörpere die sozialliberalen Werte New Yorks. Seine persönliche Lebensführung sei kaum kompatibel mit einem christlich-konservativen Weltbild: seine Scheidungen, sein vulgärer Umgangston und sein Geschäftsgebaren. Er beweise ebenso eine hohe politische Flexibilität und sei auch schon mal als demokratischer Präsidentschaftskandidat gehandelt worden. Seine Vergangenheit als Medienstar und Showmaster helfe ihm bei der Darstellung seiner Politik und seine Distanz zur Politik verleihe Glaubwürdigkeit. Zuspitzen und Polarisieren seien seine wirksamsten Methoden.

Skepsis zum Wahlausgang

Mit Blick auf den Wahltag am 3. November zeigt sich der Amerikaexperte skeptisch: Er glaube wegen der wahrscheinlich hohen Zahl von Briefwählern nicht an ein schnelles Wahlergebnis. Ein langer Auszählprozess nähre den Verdacht auf Wahlmanipulationen ebenso wie ein mögliches knappes Ergebnis. Schwierig seien auch bewusst ambivalente Äußerungen Trumps zur Frage, ob er eine Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen akzeptieren würde. Es gebe ohnehin zahlreiche Sollbruchstellen im politischen Prozess zwischen den Wahlen bis zum Amtsantritt am 20. Januar 2021. Die Nervosität steige obendrein noch durch die Nachbesetzung im Supreme Court mit der konservativen und strenggläubigen Juristin Amy Coney Barrett.

Wirtschaftliche Stabilität nach dem Chaos in Russland

Die andere Großmacht Russland beleuchtet Dominik Tomenendal von der Europäischen Akademie Bayern. Er erklärt den Erfolg des Autokraten Putin mit der wirtschaftlichen Stabilität und Ordnung und steigenden Gehältern nach zehn Jahren "Jelzin-Chaos". Seit der Krim-Annexion im Jahr 2014 stieg seine Popularität auf 87 Prozent. Er reite auf einer Welle des Nationalismus. Bei einer Umfrage unter Russen nach ihren persönlichen Wünschen standen höhere Gehälter an der Spitze (24 Prozent). Eine Ausweitung der Demokratie ist dagegen nur für vier Prozent wichtig. Das Fehlen einer strukturierten Opposition mache Putin das Regieren in einem zunehmend autoritären System relativ leicht.

Demokratiegefährdung in Polen

Auch in Polen, das erst vor 30 Jahren die Militär- und Sowjetherrschaft überwunden hat, breiten sich wieder autoritäre Strukturen aus. Polen liegt in einem globalen Demokratie-Index auf Platz 44. Zum Vergleich: Die Liste wird angeführt von Dänemark, Schweden und Norwegen. Hinter Polen liegen von den EU-Ländern nur noch Kroatien (46), Malta (49), Bulgarien (54), Rumänien (65) und Ungarn (71).
Nach Einschätzung Ralf Knoblochs von der Europäische Akademie Bayern spaltet die Politik der Regierungspartei PiS das Land: Die einen lieben sie, weil zuerst die Wirtschaft kommt - dann der Sozialstaat. Es gibt viele Freiheiten für die Unternehmer und wenig staatliche Regulierung. Die Pro-Kopf-Einkommen und die Wirtschaft wachsen. Das Kindergeld beträgt umgerechnet 115 Euro. Das bringt im ländlichen Raum für zwei oder mehr Kinder oft mehr als ein schlecht bezahlter Job und reduziert die hohe Armut in großen Familien. Auch die Einführung einer 13. Rente pro Jahr lindert die ausgeprägte Altersarmut.

Nationalismus statt Europa

Nach dem EU-Beitritt überlagerte ein europäisches "Wir-Gefühl" die polnische nationale Identität. Dabei hatten viele Polen durchaus ein starkes Bedürfnis nach einem nationalen "Wir-Gefühl" und Nationalstolz. Das wird von der PiS bedient durch eine neue Geschichtsschreibung, die Polen in der Opferrolle sieht und eine Neuinterpretation historischer Themen, das Umschreiben von Schulbüchern und die Umgestaltung von Ausstellungen. Die Regierung hat seit 2015 den öffentlichen Rundfunk unter ihre Kontrolle gebracht. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen TVP und PolskieRadio sind inzwischen zum Propaganda-Instrument der PiS geworden. Mehr als 200 Journalisten wurden entlassen oder degradiert. Auch private, regierungskritische Medien stehen unter Druck: durch Entzug von Werbung und Strafanzeigen. Auf einer internationalen Rangliste der Pressefreiheit steht Polen auf Platz 59 von 180 Staaten.

Erdogans Allmacht nach dem Putsch

Ein "Präsidialsystem auf türkische Art" erläutert Jochen Zellner, stellvertretender Leiter der Europäischen Akademie Bayern. Die Wahlerfolge Erdogans gründen sich vor allem auf die Mitte des Landes, während an der Westküste und in Ankara die kemalistische CHP dominiert und im Osten die Kurdenpartei HDP. Er ist auf die Unterstützung der Nationalisten (MHP) angewiesen, deren Vertreter besonders nach dem gescheiterten Militärputsch 2016 viele frei gewordene Stellen im Staatsapparat besetzten. Bei diesen "Säuberungen" haben rund 150.000 bis 180.000 Personen ihre Posten verloren.

Erdogan ist politisch von der MHP abhängig und erpressbar. Sie ist das Zünglein an der Waage. Dennoch ist er nach der Einführung des Präsidialsystems das alleinige Zentrum des Staates, das um sich herum Kreise von anhängigen Räten, Büros und Ministerien aufgebaut hat. Die Stärke Erdogans liege aber auch in der Schwäche der zerstrittenen Opposition. Die habe nur einen gemeinsamen Nenner: das Feindbild Erdogan, so Zellner.

Einengung der Meinungsfreiheit

Werner Patzelt, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der TU Dresden, umreißt die Probleme, die er in Bezug auf autoritäre Strukturen auch in Deutschland sieht: Ausgrenzung von Themen und Personen und eine inhaltliche Verengung dessen, was noch gesagt werden kann. Aus der Attitüde heraus "Wir wissen, was gut tut und ist" würden eigentlich illiberale Politikvorstellungen propagiert. Aber: "Wer bestimmt, was auszugrenzen ist?" fragte Patzelt. Digitale Shitstorms im Internet seien die moderne Form von sozialer Ächtung mit einer ungeheuren Wirkung und massenhafter Verbreitung.

Für Patzelt ist das der "Kampf um die Durchsetzung der eigenen kulturellen Hegemonie" gegenüber Andersdenkenden. Er sieht eine "Einengung der Meinungsfreiheit", wenn Gastwirte nicht mehr frei darüber entscheiden könnten, welcher politischen Partei sie ihre Räume vermieten. "Das ist kein liberaler Verfassungsstaat mehr. Und wenn Leute 'die Merkel-Diktatur' auf den gleichen historischen Müllhaufen werfen wollen wie einst die DDR, dann ist der Liberalismus am Ende." Es sei die dringende Aufgabe der Politischen Bildung, die westlichen Werte und die Spielregeln des demokratischen Verfassungsstaats zu vermitteln.

Herausforderungen für Politische Bildung

Klaus-Peter Hufer von der Universität Duisburg-Essen kritisiert an Patzelts Ausführungen, dass er kein Wort zum Rassismus gesagt habe und die AfD nicht erwähnt habe, denn: "Die Neue Rechte will die kulturelle Hegemonie. Die Gefahr der Ausgrenzung von Minderheiten kommt von rechts, nicht von links." Und er sieht durchaus keinen Verlust von Wertmaßstäben und Moral in der Gesellschaft: "Die Bewegung 'Fridays for Future' ist eine höchst moralische Angelegenheit."

Der Landesvorsitzende der DVPB Bayern, Markus Gloe, meint, Politische Bildung sei manchmal auch zu "verkopft und rational". "Aufsuchende politische Bildung" sei wichtiger denn je. "Wir müssen uns fragen, mit welchen Methoden und Formaten kommen wir an die ran, damit wir nicht die'‚Konfirmation der schon Konfirmierten' vornehmen", sagte Hufer. Gloe bedauert, dass sich Lehrkräfte häufig nicht in den Disput und in eine kontroverse Diskussion hineintrauen und sich lieber "vermeintlich neutral" verhielten. "Da wird dann lieber über eine extremistische oder rassistische Äußerung eines Schülers hinweggehört, um einer Diskussion auszuweichen." Diese Zurückhaltung sei aber eine falsch verstandene Neutralität, die auch gar nicht gefordert sei. Es gehe nur um parteipolitische Neutralität, nicht um Neutralität den Werten der Verfassung gegenüber, sagte Gloe.

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