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Emotionen in der Politik

Warum wir sie nicht den Populisten überlassen sollten

Politik und Emotionen sind nicht voneinander zu trennen. Gefühle veranlassen Menschen zum Handeln, sie fördern die aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger am gesellschaftlichen Leben. Gleichzeitig machen es Emotionen Populisten besonders leicht, Fake News und Verschwörungsmythen zu verbreiten. Das Verhältnis von Emotionen und Politik sowie die Möglichkeiten der politischen Bildung in diesem Bereich waren Thema der Tagung "Emotionen in der Politik" an der Akademie für Politische Bildung.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 11.01.2022

Von: Beate Winterer / Foto: Beate Winterer

Programm: Emotionen in der Politik

Emotionen in der Politik

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.

Egal, ob eine hitzige Bundestagsdebatte um das Infektionsschutzgesetz oder die persönliche Wahlentscheidung für eine Partei, weil die Spitzenkandidatin sympathischer erscheint. "Demokratische Prozesse sind nie emotionsfrei", sagt Gary S. Schaal, Professor für Politische Theorie an der Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg. Schon Niccolo Machiavelli bezeichnete Politik als Leidenschaft. Doch besonders die Deutschen sind aufgrund ihrer Vergangenheit vorsichtig, Emotionen zum Thema der Politik zu machen. Sie komplett herauszuhalten erscheint jedoch auch unmöglich. Über die Fragen, ob und wie Emotionen und Politik zusammenpassen und welche Rolle dabei der Populismus spielt, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Rahmen der Tagung "Emotionen in der Politik" an der Akademie für Politische Bildung diskutiert.

Angst als Gefahr für die Demokratie

"Wir brauchen eine demokratische Emotionspolitik", fordert Gary S. Schaal, "nicht, weil wir AfD-Anhänger sind, sondern weil Emotionen sowieso mitspielen." Dabei seien Gefühle an sich nie politisch gut oder schlecht  - entscheidend sei der Kontext und wie Emotionen im demokratischen Prozess bearbeitet werden. Auch Wut kann politisch wünschenswert sein - beispielsweise gegenüber einer Diktatur. "Emotionen sollten im öffentlichen Diskurs aufgegriffen werden", empfiehlt Schaal. Denn Menschen tendieren dazu, ihre eigenen Gefühle absolut zu setzen. "Aber bei gefühlten Wirklichkeiten ist keine Aufklärung mehr möglich", sagt Schaal. Als Beispiel nennt er die Angst, die immer wieder politische Auseinandersetzungen prägt. Die Angst vor Überfremdung, vor dem Corona-Virus oder vor den Folgen der Finanzkrise. Werden diese Ängste nicht aufgegriffen und auf ihren kognitiven Gehalt geprüft, gefährden sie die Demokratie - wie beim Sturm von Trump-Anhängern auf das Kapitol in Januar 2021.

Emotionen in der politischen Rhetorik

Bürger und Politiker befinden sich in einer emotionalen Beziehung zueinander und beeinflussen sich gegenseitig, sagt Schaal. Politische Kommunikation ist laut Kersten Sven Roth persuasive Kommunikation, also Überzeugungskommunikation. Deshalb ist sie auf Rhetorik angewiesen. "Politik sucht Anklang, damit ist sie immer auch populistisch", sagt Roth. Mit welcher Strategie Politikerinnen und Politiker überzeugen, hängt allerdings stark vom Typ ab. Er veranschaulicht das anhand des rhetorischen Dreiecks von Aristoteles, bestehend aus Logos, Pathos und Ethos. "Weder Norbert Walter-Borjans noch Olaf Scholz können Pathos, also an Emotionen und Gefühle appellieren", sagt Kersten Sven Roth. Dennoch sind beide erfolgreiche Redner, denn sie sprechen sehr Ethos-stark, also intelligent und glaubwürdig. Und auch Angela Merkels Wahlkampf-Slogan "Sie kennen mich" betont Ethos. Dem Corona-Virus pathetisch "den Kampf angesagt" hat auch sie nie.

Logos - also Argumente und Fakten - muss im Gegensatz zu Ethos und Pathos aber jeder erfolgreiche Politiker und jede erfolgreiche Politikerin transportieren können. Fehlt dieses rhetorische Kriterium, wird eine Rede irrational. Dem Redner ist es also völlig egal, worum es geht, Hauptsache das Publikum stimmt ihm zu. Populisten positionieren sich in der Nähe ihrer Zielgruppe, indem sie sich um jeden Preis von einer anderen Gruppe abgrenzen. Diesen Antagonismus brauche es laut Roth, wenn ein ideologisches Populismus-Konzept zugrunde gelegt wird. Dieses Konzept definiert Populismus als Modus der politischen Artikulation, der auf eine Krise der Repräsentation reagiert.

Populismus braucht Gefühle

Emotionen sind für Populisten besonders wichtig, denn sie bringen Menschen zum Handeln. Damit haben Populisten gerade auf Social-Media-Plattformen einen entscheidenden Vorteil: Die Algorithmen bevorzugen emotionale Beiträge, weil diese mehr Menschen ansprechen und dazu bewegen, sie anzuklicken, zu kommentieren und zu teilen - also mit ihnen zu interagieren. Je mehr Nutzerinnen und Nutzer mit einem Beitrag interagieren, desto höhere Werbeerlöse erzielen die Plattformen damit. "Emotionale Kommunikation darf aber nicht denjenigen überlassen werden, die manipulieren wollen", betont die Journalistin und Dozentin Alexandra Borchardt. Sie fordert von ihren Kolleginnen und Kollegen in den Redaktionen, bewusst mit Emotionen umzugehen und durch gutes Storytelling neben Fakten und neutralen Informationen auch Emotionen zu transportieren und Empathie zu erzeugen. "Sonst werden online nur noch Fake News und Verschwörungstheorien verstärkt", warnt die Medienexpertin.

Emotionen als Thema politischer Bildung

Markus Appel fordert deshalb eine bessere Medienbildung. Das Problem sei nicht, dass es Algorithmen gibt, sondern wie diese funktionieren. "Kinder und Jugendliche müssen verstehen, warum es nicht sinnvoll ist, immer auf das erste Video zu klicken, das vorgeschlagen wird", sagt der Kommunikationspsychologe von der Universität Würzburg. Landen Nutzerinnen und Nutzer online einmal in der Ecke der Verschwörungsmythen, schlägt ihnen der Algorithmus immer weiter Inhalte aus diesem Spektrum vor. Das Problem: "Die Quelle wird schnell vergessen, aber an die Geschichten erinnern wir uns weiterhin", sagt Appel. Regina Münderlein, Kulturpädagogin an der Hochschule Kempten, möchte Algorithmen und Emotionen deshalb stärker in der politischen Bildung thematisieren, um junge Menschen vor politischer Überwältigung durch Populisten zu schützen. In der Praxis passiere leider häufig das Gegenteil: Lehrkräfte verhalten sich passiv aus Angst, gegen das Neutralitätsgebot zu verstoßen und selbst zu überwältigen. Dabei wäre es für die politische Bildung und die Medienbildung, die in Zeiten der Digitalisierung untrennbar zusammengehören, so wichtig, dass gerade sie ihre Schülerinnen und Schülern über Populismus und Emotionen in der Politik aufklären.

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