Globalisierung und regionale Integration

Ökonomische Entwicklungen, Perspektiven und Grenzen

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 13.07.2015

Von: Liza Soutschek und Miriam Zerbel

# Globalisierung

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Eine klassische These der Ökonomie lautet: Weniger Beschränkungen im Handel und Kapitalverkehr vermehren die Wohlfahrt. Auf dieser Idee basieren nicht nur der europäische Binnenmarkt, sondern auch internationale Abkommen wie TTIP.  Allerdings nehmen die Zweifel zu, ob schrankenloser internationaler Kapitalverkehr immer von Vorteil ist. Der Ruf nach besseren internationalen Regelwerken wird lauter.  Und die aktuelle Krise in Griechenland vertieft die Debatten über die Währungsunion. 

Näher am aktuellen Geschehen kann eine solche Veranstaltung kaum sein: Kurz bevor am 12. Juli die Staats- und Regierungschefs der 19 Euro-Länder zu einem Treffen über ein drittes Hilfspaket für Griechenland zusammenkamen, diskutierten in Tutzing die Teilnehmer der Tagung „Globalisierung und regionale Integration“  wie es weitergeht mit Wirtschaftswachstum und Währungsunion.

Vier Trilemmata

Die historischen Deutungen übernahm zunächst der britische Wirtschaftshistoriker Professor Harold James von der Princeton University. Er referierte über die Krise der Europäischen  Währungsunion aus historischer Perspektive. Der Forscher wies darauf hin, das immer häufiger freier Kapitalverkehr und nationalstaatliche Autonomie in Gegensatz geraten können. James unterscheidet vier Trilemmata des internationalen Zahlungsverkehrs:

  1. Das makroökonomische Trilemma
  2. Das Trilemma der Finanzstabilität
  3. Das politökonomische Trilemma
  4. Das internationale Trilemma

Mit vielen historischen Beispielen erläuterte der Wirtschaftshistoriker sein Modell. So entsteht ein bekanntes gesamtwirtschaftliches Trilemma, wenn ein Land versucht, Kapitalmobilität, feste Wechselkurse und monetäre Autonomie zu verwirklichen. Durch Impulse aus größeren Ländern oder Währungsräumen verlieren kleinere Länder dann die Möglichkeit, eine Geldpolitik zu betreiben, die sich nach ihren eigenen wirtschaftlichen Erfordernissen richtet. Dass freier Kapitalverkehr und feste Wechselkurse die Finanzstabilität gefährden können, konkretisierte James am Beispiel der Weimarer Republik. Vorbild für das politökonomische Modell war das England des 18. und 19. Jahrhunderts: Kapitalmobilität, Demokratie und Geldautonomie passen demnach nur in seltenen politischen Konstellationen zusammen, zum Beispiel dann, wenn im Parlament zugleich auch die Gläubiger des Staates vertreten sind. „In England waren die Staatsanleihen sicherer als in den absolutistischen Nachbarstaaten“, erläuterte James.

Warnung vor De-Globalisierung

Im internationalen Trilemma geraten Kapitalmobilität, Demokratie und internationale Ordnung in Konflikt. Die Frage: Wie beeinflussen sich Globalisierung und internationale Beziehungen? beantwortete James mit Hinweis auf Beispiele aus Italien zur Zeit Mussolinis und aus Putins Russland. Er zeigte, dass auch diese Kombination problematisch ist. Der Historiker sieht in der Schaffung internationalen Regeln die langfristig Bestand haben, die Hauptaufgabe für Europa. Wie man künftig mit Staatsschulden umgehen sollte, sei  jedoch eine Frage die auf internationaler Ebene gelöst werden müsse.  Zugleich warnte er: „Wenn uns das nicht gelingt, dann droht die Gefahr der De-Globalisierung.“

Heilsbringer oder Teufelswerk?

Ebenso aktuell wie das Treffen auf höchster Euroländer-Ebene zu Griechenland ist auch die Verknüpfung unserer Tagung mit der 10. TTIP-Verhandlungsrunde (vom 13. bis 17. Juli). Professor Gabriel Felbermayr vom Münchner ifo-Institut wollte allerdings mit Blick auf das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP weder von einem Tri- noch von einem Dilemma sprechen. „Wir haben in Deutschland ein Wirtschaftsmodell, das auf internationalen Handel ausgelegt ist“, bekräftigte der Wirtschaftsexperte. Zugleich war er sich aber einig mit seinem Kollegen James: Felbermayr verhehlte nicht, dass er neuen Regelungsbedarf für  den Welthandel sieht. Er mahnte Modernisierungen in folgenden Bereichen an: Dienstleistungshandel, Investitionen, Mobilität von Arbeitskräften, Datenfluss und –sicherheit, geistiges Eigentum, Kohärenz der Regulierungen, Mehrfachverzollung und Bürokratie. Grundsätzlich sieht der Wissenschaftler in dem TTIP-Abkommen Chancen, vor allem für exportorientierte Nationen wie Deutschland. Unter anderem verspricht er sich davon positive Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft: Hundertausende neuer Arbeitsplätze könnten dadurch entstehen.

Finanzmärkte: „Ist der Tiger gebändigt?“

Im Jahr 2008 rückten sie durch die Wirtschaftskrise in den Fokus: die Finanzmärkte. Sie sind ein zentrales Element der globalen Ökonomie, nach der Krise gerieten sie jedoch in Verruf. Die Forderung nach Regulierung der scheinbar unberechenbaren Märkte kam damals auf. Dr. Jürgen Pfister, der ehemalige Chefvolkswirt der BayernLB, fragte in seinem Vortrag: „Ist der Tiger gebändigt?“ Mit fachkundigem Blick analysierte er den heutigen Stand der Finanzmarktregulierung in Europa. Die bisherigen Schritte sahen vor allem zwei Dinge vor: zum einen die Schaffung neuer Aufsichtsbehörden und zum anderen den Erlass umfassender Regeln. Im Mittelpunkt steht die Verpflichtung der Banken, zukünftig mehr Eigenkapital als Rücklage für Notfälle zu bilden. „Das Eigenkapital ist die Achillesferse der Banken“, so Pfister. Die Erhöhung und die weiteren Maßnahmen seien auf jeden Fall richtig. Herausforderungen bestünden jedoch auch weiterhin: So bleibe etwa der tatsächliche Erfolg der zudem nur auf die Europäische Union beschränkten Regulierungen  noch abzuwarten. Am Ende kam Pfister zur folgendem Schluss: Eine vollständige Zähmung des Tigers ist auch heute nicht erreicht und es wird sie vermutlich nicht geben. Wenn Politik, Aufsichtsbehörden und Banken aber weiterhin konstruktiv zusammenarbeiten, kann das Risiko von Krisen zumindest eingedämmt werden.

Die EU: Integration oder Auseinanderbrechen

Seit der Finanzkrise scheinen die Europäische Union und vor allem der Euro immer wieder am Rande des Abgrunds zu stehen, aktuell durch die Grexit-Debatte. Professor Gerhard Illing von der Ludwig-Maximilians-Universität München sieht darin allerdings kein ökonomisches, sondern ein politisches Problem. „Eine gemeinsame Währung kann nicht funktionieren, wenn es keine zentrale fiskalische Regelung dafür gibt“, so der Wirtschaftswissenschaftler. Ökonomen hätten dieses Problem bereits bei der Einführung des Euro erkannt, in der Krise träten die Schwächen nun deutlich hervor. Für die Zukunft sieht Illing nur zwei reale Optionen: Entweder werde die EU durch eine verstärkte Integration zu einer politischen Union oder es drohe ein Auseinanderbrechen. Die bloße Ergänzung von Regeln, etwa in einem „Maastricht 2.0“, stellt für Illing keine ausreichende Lösung dar. Die Integration könne in zwei Schritten erfolgen: Zuerst sei alles zu unternehmen, was im Rahmen der bestehenden Verträge möglich ist. Anschließend gehe es um eine institutionelle Vertiefung – einschließlich der Übertragung nationaler Souveränitätsrechte auf europäische Ebene. Inwiefern dies im heutigen politischen Klima überhaupt möglich ist, war anschließend Gegenstand einer angeregten Diskussion.

Bilanz der Globalisierung

Nach dieser intensiven Beschäftigung mit Europa, erweiterte sich die Perspektive: Der Fokus lag nun auf der weltweiten Globalisierung. Professor Stephan Klasen von der Georg-August-Universität in Göttingen leitete das Thema mit folgender Frage ein: Was hat die Globalisierung, die sich vor allem seit den 1970er Jahren in einer zunehmenden Ausweitung der Handels- und Kapitalflüsse zeigt, mit Blick auf die globale Ungleichheit bisher bewirkt? Insgesamt hätten sich die globalen Entwicklungschancen vergrößert, gab Klasen in seinem Vortrag zur Antwort. Anders als von Ökonomen erhofft und erwartet, seien die weltweiten Unterschiede aber immer noch sehr hoch. „Zwar hat sich die Ungleichheit zwischen den Ländern in Folge der Globalisierung reduziert, die Differenzen innerhalb der Länder  – etwa was Reichtum und Armut betrifft – sind aber überall gestiegen“, so der Wirtschaftsexperte. Dies sei hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass für den Einzelnen sehr unterschiedliche Möglichkeiten bestünden, von der Globalisierung zu profitieren. Um diese in der Zukunft zu verbessern, sei eine aktive Steuerung und strategische Wirtschaftspolitik notwendig, meinte Klasen. Dann könnten noch mehr Menschen an den positiven Effekten der Globalisierung teilhaben.

Globalisierung und Nachhaltigkeit: kein Widerspruch

Prinzipiell positiv stand der Globalisierung auch Dr. Michael Jakob vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change in Berlin gegenüber. Den Wirtschaftswissenschaftler und Nachhaltigkeitsforscher beschäftigte aber die Frage: „Kann es in dieser Form weitergehen?“ Die zunehmende Knappheit von Rohstoffen, die Übernutzung von Absorptionskapazitäten und der Verlust an Biodiversität erfordern ein Primat der Nachhaltigkeit – stellt diese eine Grenze für Wachstum und Globalisierung dar? Jakob sieht dies nicht so: „Marktorientierte Wirtschaft und Nachhaltigkeit sind keine unvereinbaren Gegensätze.“  Auch beziehungsweise gerade mit umweltfreundlichen Methoden lassen sich wirtschaftliche Erfolge erzielen. Technische Fortschritte wie klimaneutrale Energien seien dabei zentral, erklärte Jakob. Es sei jedoch unrealistisch, dass die erforderliche Umstellung spontan durch die Märkte selbst erfolge. Dies sei nur möglich durch eine bewusste politische Vorgabe. Hierin sieht Jakob die wichtigste gesellschaftliche Aufgabe für die nächsten Jahrzehnte.


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