Der Abend der Europäer

EU-Energiekommissar Günther Oettinger zu Gast beim Jahresempfang der Akademie für Politsche Bildung

München / Tagungsbericht / Online seit: 04.04.2014

Von: Sebastian Haas

# Europa, Wirtschaft, Ökologie und Nachhaltigkeit

Download: Die Herausforderungen für die Europäische Union nach der Europawahl 2014

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Die Hauptpersonen eines gelungenen europäischen Abends: Der Vorsitzende der Europa-Union München Stavros Kostantinidis, Akademiedirektorin Prof. Dr. Ursula Münch und EU-Energiekommissar Günther Oettinger (Fotos: v. Opalinski).

Der Jahresempfang der Akademie für Politische Bildung Tutzing gemeinsam mit der Europa-Union München, der Griechischen Akademie, den Jungen Europäern München und der Deutsch-Hellenischen Wirtschaftsvereinigung zeigte deutlich: die Münchner Meinungsführer müssen von der Wichtigkeit Europas, europäischer Zusammenhänge und den bevorstehenden Europawahlen nicht mehr überzeugt werden – anders als der Großteil der enttäuschten Bevölkerung. Dennoch waren es vor allem warnende Töne, die vom Podium in der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbank in Richtung der gut 250 Gäste drangen.

EU-Energiekommissar Günther Oettinger bemerkt Selbstzufriedenheit und Isolationstendenzen in Bund, Bayern und Baden-Württemberg. Der CSU-Spitzenkandidat für die Europawahl Markus Ferber fürchtet offensichtlich eine noch geringere Beteiligung als bei der Stimmabgabe auf kommunaler Ebene. Prof. Dr. Ursula Münch, die Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing, erkennt ein verheerendes Bild der Bürger von Politikern und Politik. Man hätte sich also ernsthafte Sorgen um den Zustand der EU machen können, wäre da nicht der Vorsitzende der Europa-Union München Stavros Kostantinidis gewesen, der einmal mehr bewies: Europa kann auch anpacken, charmant sein, netzwerken, integrieren und begeistern.

Europa? Interessiert nur Interessierte

„Es muss etwas in der Luft liegen“, meint Europaparlamentarier Markus Ferber mit Blick auf München: Eine Regierungserklärung der bayerischen Europaministerin, eine große Demonstration gegen das europäisch-amerikanische Freihandelsabkommen, Auftritte von Jean-Claude Juncker und Martin Schulz. Die Wahlen zum Europäischen Parlament am 25. Mai werfen ihre Schatten voraus – und fallen in eine Zeit, in der die Nachwirkungen der Finanzkrise dazu führen, dass immer bestimmter demokratische Defizite in der EU beklagt und das Überdenken des Einigungsprozesses gefordert werden. So richtete CSU-Mann Ferber vor allem den Appell an seine Zuhörer, das System Europa durch den Gang zur Wahl zu legitimieren, stellte aber gleichzeitig fest: interessant sind solche Worte wohl nur für politisch Interessierte, längst nicht mehr für Otto Normalbürger.

(K)eine Wirkungsmacht gegen die Finanzmärkte

Eine ähnliche Sicht vertritt die Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing. Entscheidend ist nach Ansicht von Prof. Dr. Ursula Münch das Bild, das die Leute von der Politik haben – und der bescheinigen sie keine Wirkungsmacht gegen die konkurrierende Parallelwelt der Finanzmärkte. Warum also europäisch wählen gehen, wenn zudem von einer europäischen Parteien-, Wissens-, oder Medienlandschaft noch längst nicht die Rede sein kann? Professorin Münch gibt den politisch Aktiven einen Rat: „Deutlich machen, worauf sie Einfluss haben, worauf nicht, und vor allem: warum nicht.“ Dann besteht zumindest noch eine geringe Chance, dass die Wahlurnen in knapp zwei Monaten nicht erschreckend leer bleiben.

Der Vortrag des EU-Energiekommissars hatte denn auch das vielsagende Motto: Die Herausforderungen für die Europäische Union nach der Europawahl 2014 – und Günther Oettinger nutzte dies für einen breiten Rundumschlag gegen seiner Ansicht nach selbstzufriedene Nationalstaatsprediger und Fortschrittsverweigerer.

Die europäische Verantwortung

Nationalstaatliches Denken und Handeln ist zwar auch für den EU-Kommissar selbstverständlich, geschehen aber muss es in Verantwortung für ganz Europa. „Wollen wir nur Wohlstand für unsere Generation und in unserer eigenen Ackerfurche, dann brauchen wir Europa nicht. Wollen wir aber globale Autorität ausüben gegenüber den USA und China, dann müssen wir europäisch denken.“ Ohne eine gemeinsame Linie in der europäischen Außen- und Wirtschaftspolitik – so schwierig sie auch zustande gekommen sein mag – „hätte Putin in der gesamten Ukraine leichtes Spiel gehabt“, ist sich Oettinger sicher. Vor diesem Hintergrund verteidigte er auch die (zu) frühe Aufnahme Rumäniens und Bulgariens in die EU: „sonst würden die jetzt zappeln wie die Ukraine“.

Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr

Darüber hinaus gab sich der EU-Energiekommissar – verständlich in seiner Position und an einem Veranstaltungsort wie der deutschen Bundesbank – als Mann der Wirtschaft, des Freihandels, und mehr oder minder gut kaschiert auch als einer der Atomkraft. Europas Stärke, Schwäche und Reformbedarf zeigen sich nach Meinung Oettingers in drei einfachen Zahlen: sieben Prozent der Weltbevölkerung leben in Europa, sie erbringen 25 Prozent der wirtschaftlichen Leistung und sind verantwortlich für die Hälfte der weltweiten Sozialprogramme. „Vor diesem Hintergrund erscheint mir die deutsche Sozialpolitik verantwortungslos“, sagt Oettinger. Mit einer Rente mit Anfang 60, einem Mindestlohn für alle Branchen und der Verleugnung der sinnvollen Agenda 2010 lasse sich die Wettbewerbsfähigkeit nicht erhalten. Deutschland drohe wieder zum kranken Mann Europas zu werden.

Eine lähmende Angst

In diesem Zusammenhang forderte Oettinger gerade in Bayern („ein besonderes Glückskind des europäischen Wohlstands“) mehr Respekt für alle Einwanderer ein, die mit großem persönlichen Einsatz oft die Lücken füllten, die eine veraltete deutsche Gesellschaft auf dem Arbeitsmarkt hinterlässt. Die zurückhaltende und grantelnde süddeutsche Seele sorgt bei dem Wandler im Zentrum europäischer Wirtschaftsmacht mittlerweile für Staunen und Besorgnis. Man kritisiere Olympische Spiele in Sotschi, die Fußball-WM in Katar, verweigere der Sportjugend der Welt aber ein Großereignis in München, wolle keine Nachtflüge über Frankfurt, keine dritten Startbahnen in Freising, kein Stuttgart 21, keine Windkraft, keine neuen Stromtrassen. In der Angst der Bürger vor Innovation, Modernisierung und Investition sieht der EU-Energiekommissar eine große Gefahr für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Bayerns, Deutschlands und Europas.

Sebastian Haas

Die Veranstaltung fand in der Hauptverwaltung Bayern der Deutschen Bundesbank in München statt - wir bedanken uns herzlich für die Gastfreundschaft.


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