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Bürger begehren

Stuttgart 21 und Dritte Startbahn am Münchner Flughafen


Geißler-Münch-Tutzing

Akademiedirektorin Prof. Dr. Ursula Münch begrüßte Heiner Geißler gemeinsam mit mehr als 250 Gästen am Starnberger See.


Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 02.07.2012

Von: Carolin Dameris

# Kommunalpolitik, Gesellschaftlicher Wandel

Download: Bürger begehren - Technologische Innovationen als gesellschaftliche Herausforderung


Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. So steht es in Artikel 20 des Grundgesetzes. Doch wie sieht die Realität aus? Bürgerliche Teilhabe an politischen Entscheidungen bleibt ein virulentes Thema. Hier geht es um zwei wichtige Fallbeispiele.

Die Tagung „Bürger begehren: Technologische Innovationen als gesellschaftliche Herausforderung“, die vom 29. Juni bis 1. Juli 2012 in der Akademie für Politische Bildung Tutzing stattfand, griff die Frage nach Partizipation auf. Besonderes Augenmerk lag auf der Frage der Bürgerbeteiligung in technologischen Belangen, doch auch die generelle Teilhabe bei Großprojekten wurde in den Vordergrund gerückt. Stuttgart 21 und der Bürgerentscheid über die dritte Startbahn des Münchner Flughafens waren die großen Themen.

Ja zur Volksabstimmung

Ein so volles Haus hat die Akademie für Politische Bildung selten erlebt: Mit dem Auftakt zu unserer Tagung eröffneten wir auch unsere Veranstaltungsreihe „Akademiegespräche am See“, zu der Besucher ohne Anmeldung und Gebühren spannende Vorträge besuchen können. Gut 250 Gäste versammelten sich also in unserem Auditorium, um den Worten von Heiner Geißler zu lauschen, der sich zuletzt als Schlichter bei Stuttgart 21 einen Namen gemacht hat.

„Die Demokratie befindet sich in einer Glaubwürdigkeitskrise“, urteilte Heiner Geißler, Bundesminister a.D. Derzeit herrsche ein Misstrauen gegenüber dem ökonomischen System, das sich auf die Politik übertrage. „Die Bürger lassen sich nicht mehr alles gefallen was von oben vorgegeben wird.“ Bürgerbeteiligung müsse als Ergänzung der Repräsentativdemokratie funktionieren, wie es das Grundgesetz in Artikel 20 vorsieht, bekräftigte Geißler.

„Stuttgart 21 hätte so nicht laufen müssen“

Mit einer genialen Idee eines Bahnhofs-Umbaus hatte alles angefangen. Und 2011 kam es zu einer Volksabstimmung, die sich für das Bauvorhaben für Stuttgart 21 aussprach. Doch der Prozess, der zwischen Idee und Abstimmung verlief, sei durchweg von Fehlern gekennzeichnet, kritisierte Geißler. Befriedung durch Rationalisierung der Diskussion war sein damaliger Auftrag als Schlichter des Großprojekts. Vier Bedingungen seien dafür nötig gewesen:

  • Alle Parteien an einen Tisch
  • Alle Fakten auf den Tisch
  • Austausch auf Augenhöhe
  • Totale Transparenz

Das Kernelement der Schlichtung sei ein Faktencheck. Dem müsse eine aktive Bürgerbeteiligung folgen. „60 Prozent waren gegen Stuttgart 21 – nach dem rationalen Austausch von Argumenten wendete sich die Stimmungslage“, unterstrich Geißler. Mangelnde und verkehrte Kommunikation hätte die Situation unnötig verkompliziert. Die Realisierungsfähigkeit von Großprojekten hänge von der erfolgreichen Durchführung zweier Phasen ab:

1. Phase: der anfänglichen Idee müsse eine öffentliche Diskussion folgen, die mit einer Abstimmung endet. 2. Phase:  ein Alternativplan müsse vorgelegt und wiederum diskutiert werden, bis es zur endgültigen Abstimmung kommt.

Dabei sollten neben den ökologischen und finanziellen Möglichkeiten auch die Lebenswirklichkeiten der Menschen berücksichtigt werden. „Damit Großprojekte in Zukunft besser gelingen, bedarf es einer intensiven Einbindung der Bürger. Das Vertrauen in die Demokratie kann nur durch eine sinnvolle, organisierte Beteiligung der Bürger zurückgewonnen werden“, plädierte Geissler.

„Man kann es nicht allen recht machen“

Hat es während der Planung der dritten Startbahn am Münchner Flughafen Bürgerbeteiligung gegeben? Gab es einen Faktencheck? Wenn nicht, hätte es dann einen Unterschied gemacht, wenn ein solcher stattgefunden hätte? Mit diesen Fragen eröffnete Akademiedirektorin Ursula Münch die Diskussionsrunde, in der Gegner und Befürworter des Bauvorhabens ihre Eindrücke des Planungs- und Kommunikationsprozesses schilderten. Der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei Thomas Kreuzer und Hans-Joachim Bues, zuständig für die Unternehmenskommunikation am Flughafen München, standen dem Landesvorsitzenden der Grünen Dieter Janecek und Hartmut Binner vom Aktionsbündnis AufgeMUCkt gegenüber.

Bues und Kreuzer waren sich einig: Die Möglichkeit einer Teilhabe war gegeben. Die Ausbaupläne hätten seit Jahren offen gelegen. Das Projekt als solches würde bereits seit sieben Jahren verfolgt, erklärte Bues: „Die Planung war sehr transparent.“ Ja, man hätte sich äußern dürfen, stimmte Janecek zu. Diese Option sei jedoch formaler Art gewesen und hätte nichts an dem eigentlichen Willen der Landesregierung, das Bauvorhaben umzusetzen, ändern können. Wenn sich Argumente nicht durchsetzen, hieße das nicht, dass sie nicht vorgebracht werden konnten, erinnerte Kreuzer. „Man kann es nicht allen recht machen“, so seine Einschätzung. Binner kritisierte die Führung der Diskussionen im Vorfeld – diese hätten nicht auf Augenhöhe stattgefunden.

Wer darf abstimmen?

Ist es legitim, dass allein München über die dritte Startbahn abstimmen durfte? Die Münchner, die am wenigsten betroffen sind, haben sich gegen den Bau ausgesprochen. Das zeige, dass auch bei breiterer Beteiligung kein anderes Ergebnis zu erwarten gewesen wäre, befand Janecek. Kreuzer sieht sich hier in der Verantwortung ganz Bayerns: „Der Bedarf einer dritten Startbahn ist nach wie vor gegeben. Wir müssen uns weiterentwickeln.“ Bayern brauche die dritte Startbahn, um München als internationales Drehkreuz zu erhalten.

Die Landesregierung steht in der Kritik, den Bürgerwillen nicht zu akzeptieren. Dies wird ihr auch von den Grünen vorgeworfen. Doch wie hätte die Opposition reagiert, wäre der Entscheid anders ausgegangen? „Dann hätte ich im Stadtrat für einen Ausbau stimmen müssen, auch wenn ich formal dagegen bin“, rechtfertigte Janecek. Einen fortlaufenden Protest in der Bevölkerung hätte er jedoch nicht verbieten können. Der Bürgerentscheid ist ein Jahr rechtlich bindend. Politisch wird er diese Zeitspanne wohl durchbrechen.

In einem waren sich alle Referenten einig: Eine frühzeitige und damit rechtzeitige Einbindung der Bürgerschaft – in welcher konkreten Form auch immer – ist unabdingbar. Auch um Frustration bei Bürgern wie Entscheidungsträgern zu vermeiden.

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