Krieg im Pazifik? Taiwan nach der Wahl
Episode 27 unseres Podcasts mit Saskia Hieber
Taiwan hat mit William Lai einen neuen Präsidenten gewählt, im Mai folgt die Amtsübergabe an den bisherigen Vizepräsidenten. Die Personalie könnte das angespannte Verhältnis zu China weiter belasten, denn Lai stand unter den Kandidaten für die größte Distanz zum Nachbarland. Saskia Hieber, Dozentin für Internationale Politik mit Schwerpunkt Asien-Pazifik der Akademie für Politische Bildung, geht davon aus, dass China seine Nadelstiche auf Taiwan ausweiten wird. Sie rechnet in den kommenden Monaten mit verstärkten Militärmanövern, Sanktionen und Desinformationskampagnen. Wie wahrscheinlich ein Krieg im Pazifik ist und welche Rolle die westliche Unterstützung für die Ukraine in den chinesischen Überlegungen spielt, erklärt sie im Gespräch.
Tutzing / Podcast / Online seit: 21.03.2024
Von: / Foto: APB Tutzing
Podcast
Beate Winterer: Es ist wieder an der Zeit, über China zu sprechen, besser gesagt über China und Taiwan. Taiwan hat mit William Lai einen neuen Präsidenten gewählt. Er ist aktuell noch Vizepräsident und derjenige der drei Kandidaten, der die größte Distanz zum Nachbarland China sucht. Peking, das Taiwan als abtrünnige Provinz ansieht, hatte die Wahl im Vorfeld zur Schicksalswahl erklärt. Zur Entscheidung zwischen Krieg und Frieden. Wer William Lai ist und was seine anstehende Präsidentschaft für das Verhältnis zwischen Taiwan und China und den Frieden in der Welt bedeutet, beleuchten wir in dieser Episode von "Akademie fürs Ohr". Für alle, die mich noch nicht kennen: Ich bin Beate Winter, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit und Community Management der Akademie. Und bei mir ist unsere China Expertin, meine Kollegin Dr. Saskia Hieber. Sie leitet den Arbeitsbereich Internationale Politik mit Schwerpunkt Asien-Pazifik und hat die Wahlen in Taiwan für euch verfolgt. Schön, dass du da bist, Saskia.
Saskia Hieber: Danke für die Einladung.
Die Präsidentschaftswahlen 2024 in Taiwan
Beate Winterer: William Lai war bisher schon Vizepräsident Taiwans und übernimmt im Mai die Amtsgeschäfte von seiner Vorgängerin und Parteikollegin Tsai Ing-wen. Wie siehst du denn diese politische Entwicklung? Und warum sind die Wahlen in Taiwan denn so wichtig, dass wir in Deutschland darüber sprechen?
Saskia Hieber: Die Präsidentin Tsai hat nach zwei Legislaturperioden ganz gesetzeskonform ihren Nichtantritt erklärt und wird sich aus der Politik zurückziehen - im Gegensatz zum chinesischen Präsidenten und Parteivorsitzenden Xi Jinping, der sich für die Position des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei und des Präsidenten der Volksrepublik China eine dritte Amtszeit hat ermöglichen lassen. Also die Amtszeitbeschränkung in China am Festland wurde aufgehoben. Dass diese freien und demokratischen Wahlen wiederholt friedlich, transparent und geordnet ablaufen konnten, ist schon ein großer Erfolg für Taiwan, für das Selbstbewusstsein der Taiwaner als eine der wenigen stabilen, gesicherten, erfolgreichen Demokratien in Asien.
Chinas Propaganda gegen die Präsidentenpartei DPP
Beate Winterer: Ich habe es erwähnt, China spricht von einer Entscheidung zwischen Krieg und Frieden. William Lai selbst hat die Wahl als Entscheidung zwischen Demokratie und Autokratie bezeichnet. Was unterscheidet Lai denn von den anderen Kandidaten, die angetreten sind - vor allem auch mit Blick auf das Verhältnis zu China?
Saskia Hieber: Die Partei der Präsidentin Tsai Ing-wen und von William Lai, die DPP, ist um etwas mehr Abstand zu Peking bemüht als die andere große Partei, die Kuomintang oder auch die neue, jüngere Partei, die TPP. Der Vorwurf, es gehe hier um die Entscheidung zwischen Krieg und Frieden, ist auch ein Versuch Pekings, Druck auf die Taiwaner, Druck auf die Bevölkerung Taiwans auszuüben. Es ist ein Versuch, Misstrauen gegenüber der gegenwärtigen Regierung zu streuen. Es ist ein Versuch, Angst zu verbreiten. Angst davor, dass die DPP, die Partei von Präsidentin Tsai und bald Präsident Lai, einen Krieg fördern würde. Und das ist ein großes Problem vor und während dieser Wahlen, dass nicht nur durch Militärmanöver Unsicherheit geschürt wird, sondern auch durch Informationskriegsführung, durch Desinformationskampagnen - durch Schmutzkampagnen, muss man sprichwörtlich sagen. Peking versucht also, Unsicherheit, Angst und Schrecken zu befördern. Es gibt ganze Trollarmeen, die millionenfach Konten angreifen, die auch versuchen, junge taiwaner Influencer zu instrumentalisieren. Es gibt die lächerlichsten Fake-Kampagnen: Die Nahrungsmittelsicherheit sei nicht gewährleistet, Nahrungsmittel wären vergiftet, die USA würden Taiwan fallen lassen, so wie Afghanistan. Die USA würden Taiwan verraten, die taiwaner Halbleiterindustrie kaputt machen wollen. Also das sind Wellen, Fluten von Fake News, Desinformationskampagnen, die sehr viel Unsicherheit in Taiwan schüren und natürlich bewusst darauf abzielen, nicht nur informationstechnisch, nicht nur militärisch Taiwan zu verunsichern, sondern auch durch wirtschaftliche Sanktionen, durch See- und Luftraumblockaden auch Taiwans Industrie und Wirtschaft zu schädigen.
Taiwans demokratische Entwicklung
Beate Winterer: Du hast es gesagt, die demokratische Entwicklung in Taiwan war keine Selbstverständlichkeit. Es ist eine große Errungenschaft, dass freie Wahlen stattfinden. Die ersten freien Wahlen gab es auch erst 1996. Wie ist Taiwan denn diese Entwicklung gelungen? Und würdest du sagen, die Demokratie ist jetzt wirklich in Gefahr?
Saskia Hieber: Die Demokratie ist nicht in Gefahr. Die Taiwaner sind darauf sehr stolz, selber sich ihre Demokratie nicht nur erkämpft und erarbeitet, auch verteidigt zu haben. Das Kriegsrecht wurde 1988 aufgehoben und dann begannen Parteigründungen. Die DPP wurde gegründet. Insofern hatte die Kuomintang... Taiwan war früher, ähnlich wie die Volksrepublik, eine autoritäre Einparteienregierung, Diktatur, könnte man fast sagen, mit Kriegsrecht, eine Art Militärdiktatur, die die Bevölkerung sehr unterdrückt hat. Und diese verschiedenen Bewegungen, die nicht nur von Studierenden ausgingen, von Intellektuellen, sondern auch getragen wurde von Arbeitern, von Hausfrauen, sind sehr, sehr wichtig. Hervorzuheben ist beispielsweise die Sonnenblumenbewegung 2014, im Zuge derer auch das Parlament besetzt wurde. Die damals hauptsächlich jüngeren Leute demonstrierten gegen ein Dienstleistungsabkommen mit China, das die damalige Regierung unter Präsident Ma Ying-jeou geschlossen hatte. Nach einem Wirtschaftsabkommen mit China, das schon 2010 geschlossen wurde. Diese Abkommen wurden zurückgenommen. Insofern war diese Sonnenblumenbewegung, wie früher auch schon die Lilienbewegung, sehr erfolgreich. Diese Protestbewegungen waren friedlich und beinhalteten große Teile der Bevölkerung. Also insofern ist man da sehr, sehr stolz und dann kam natürlich Jahre später das Negativbeispiel Hongkongs. Die neuen Sicherheitsgesetze Pekings wurden Hongkong übergestülpt. Die Protest- und Studierendenbewegung in Hongkong war damit tot. Auch das Modell "Ein Land, zwei Systeme" war tot und viele Aktivistinnen und Protestierende mussten dann auch nach Taiwan fliehen. Also war die Entwicklung in Hongkong ein Weckruf. Ein Negativbeispiel, das sich viele Taiwaner sehr zu Herzen genommen haben und verstanden haben, dass Taiwan sehr viel Vorsicht gegenüber der Volksrepublik China haben muss.
Das schwierige Verhältnis zwischen Taiwan und China
Beate Winterer: Du hast es gesagt, China hat sich massiv in den Wahlkampf in Taiwan eingemischt. Sie konnten die Wahl von William Lai nicht verhindern. Er sagt jetzt aber auch, er sei bereit, die Tür für den Austausch und die Zusammenarbeit mit China zu öffnen, wenn die Voraussetzungen für Gleichheit und Würde gegeben sind. Was meint William Lai damit? Was will er denn von China?
Saskia Hieber: Er hat hier zwei Herausforderungen zu bewältigen. Er muss kommunizieren, dass er der Präsident aller Taiwaner ist. Das ist sehr wichtig, auch der Kuomintang-Anhänger, auch von den wenigen Taiwanern, die sich immer noch sehr nah zu China fühlen. Und es ist wichtig, das auch der Kuomintang entgegenzusetzen. Nicht nur die Kuomintang ist die Partei des Friedens. Er muss kommunizieren, dass die Politik der DPP nicht gefährlich ist und dass die DPP keinen Krieg vom Zaun brechen wird oder provozieren wird mit Peking. Also ist hier eine Reihe von Aufgaben zu bewältigen. Natürlich hat er mit über 40 Prozent ein gutes Wahlergebnis hingelegt. Das ist aber jetzt kein Erdrutschsieg. Die anderen Kandidaten waren mit über 30 Prozent und über 20 Prozent auch verhältnismäßig erfolgreich. Das System in Taiwan ist so, dass der Gewinner alles mitnimmt und die anderen damit verloren haben. Wir müssen aber trotzdem klar sehen: Zwar halten sich über 60 Prozent der Taiwaner und erst recht viele junge Leute für Taiwaner und nicht mehr für Halbchinesen, aber es gibt immer noch eine einstellige niedrige Prozentzahl. Das sind viele Ältere, die sich als Chinesen identifizieren, die auch noch rege verwandtschaftliche Kontakte haben. Viele Taiwaner haben Geschäftskontakte, Wirtschaftsinteressen und Verbindungen ans Festland. Also insofern ist es nicht so, dass man 3000 Jahre Geschichte, auf die auch viele Bürger der chinesischen Welt, auch viele Überseechinesen, sehr stolz sind, vom Tisch wischen kann. Die Entwicklung Taiwans eigener Identität ist sehr beachtlich, sehr erstaunlich. Die eigene Geschichte, auch natürlich die Rolle, die Indigene auf der Insel spielen, die sehr wertgeschätzt werden heute. Das ist beachtlich, aber trotzdem ist wichtig zu sehen, Präsident Lai muss alle mitnehmen.
Mögliche chinesische Reaktionen nach der Amtsübergabe in Taiwan
Beate Winterer: Wie reagiert China denn jetzt auf seine Wahl? Welche Szenarien sind da möglich?
Saskia Hieber: Nun, wir müssen erstmal vermuten, dass sich bis zur Regierungsübergabe im Mai nicht so viel tun wird. Der Präsident in Taiwan ist relativ mit viel Macht ausgestattet. Es ist angelehnt ans amerikanische System, mit einem Unterschied. Aber der Präsident in Taiwan ist nicht gleichzeitig Regierungschef. Er ernennt den Regierungschef oder die Regierungschefin und beauftragte diesen dann mit der Bildung der Regierung, also mit der Bildung des Kabinetts. Ein Krieg ist jetzt erstmal nicht zu erwarten. Zu erwarten ist eine Fortführung der Nadelstiche, der Militärmanöver. Es werden einzelne Produkte und wirtschaftliche Erzeugnisse Taiwans sanktioniert und dürfen nicht mehr in der Volksrepublik eingeführt werden. Umgekehrt bestraft Peking Taiwan mit Exportbeschränkungen. Es werden also gewisse Rohstoffe dann entweder temporär oder auch langfristig nicht mehr nach Taiwan exportiert. Also da gibt es wirtschaftliche Instrumente. Dann wird die Informationskriegsführung leider fortgeführt. Taiwan versucht verzweifelt, mit Forschungsinstituten, mit staatlichen Stellen, mit privaten Initiativen, mit Experten, auch mit Aktivisten der Zivilgesellschaft, sich gegen diese Fake-Kampagnen zu wehren, Aufklärung zu betreiben und Fake-Profile und Trollprofile zu löschen. Es ist aber schon zu befürchten, wie beispielsweise auch Dr. Dieu, Generaldirektor und Vertreter Taipehs in München sagte, es ist zu befürchten, dass das die letzten freien, erfolgreichen, wirklich demokratischen, transparenten Wahlen in Taiwan waren, wenn diese massive Beeinflussung Pekings so weitergeht.
Der Inselstaat Nauru und die Ein-China-Politik
Beate Winterer: Eine Meldung, die nach den Wahlen auch durch die Medien ging, war, dass der Inselstaat Nauru die diplomatischen Beziehungen zu Taiwan abgebrochen hat. Nauru ist jetzt kein großes Land. Viele, die uns zuhören, und ich muss zugeben, auch ich, haben noch nicht oft davon gehört. Es ist anzunehmen, dass China dahintersteckt und dieser Zeitpunkt, zu dem das bekanntgegeben wurde, nicht zufällig ist. Was erhofft sich China denn von solchen Meldungen? Und was verspricht das Land vielleicht auch anderen Ländern dafür, dass sie Taiwan nicht oder nicht mehr anerkennen?
Saskia Hieber: China versucht massiv seit vielen Jahren, die letzten Verbündeten Taiwans, die letzten Freunde Taiwans zu erpressen, politisch unter Druck zu setzen, diplomatisch Anreize zu schaffen, die Verbindungen, die offiziellen Kontakte zu Taiwan, zur Republik China, abzubrechen und stattdessen Peking, also die Volksrepublik China, als offizielles China anzuerkennen. China droht ständig mit der Ein-China-Politik und dem Ein-China-Prinzip, wonach es nur ein China gibt, nämlich die Volksrepublik mit der Hauptstadt Peking. Also hier wird eine Reihe von Maßnahmen gefahren. Und natürlich gehören auch wirtschaftliche und Investitionsanreize dazu, im Kontext der Seidenstraßeninitiative, der Belt and Road Initiative. Es kommt noch ein strategisches Moment hier hinzu. Peking weiß ganz genau, wie wichtig der Südpazifik in seiner strategischen Lage ist. Die direkte Verbindung zwischen den Vereinigten Staaten, zwischen der Westküste der Vereinigten Staaten, und Australien und Neuseeland, wichtigen Verbündeten der USA, geht natürlich durch die südpazifischen Inseln. Deswegen wird hier nicht nur aus Wirtschaftsinteresse, sondern auch aus sicherheitspolitischen und strategischen Gründen versucht, sprichwörtlich einen Fuß in die Tür zu bekommen und auch Militärbasen zu begründen.
Die Rolle der USA im Konflikt zwischen China und Taiwan
Beate Winterer: Wenn wir schon bei den USA und der Sicherheit im Pazifik sind: Du meintest, ein Krieg ist dort aktuell unwahrscheinlich. Aber welche Rolle spielen denn die USA bei Chinas Überlegungen? Joe Biden hat ja zum Beispiel 2022 gesagt, er würde Taiwan militärisch verteidigen. Wie siehst du das?
Saskia Hieber: Die USA sind in der Tat der entscheidende Faktor im Pazifik. Die anstehenden amerikanischen Präsidentschaftswahlen werden in Peking genau beobachtet, allerdings auch in Taipeh. Ein Präsident Trump wäre für China günstiger. Es ist zu erwarten, jedenfalls erwartet Peking es, dass er Taiwan weniger unterstützen wird als es ein demokratischer Präsident tun wird, der die Demokratien in Ostasien bewusst unterstützt und auch ständig betont, wie wichtig die militärischen Verbündeten Japan, Südkorea, zunehmend auch die Philippinen sind. Präsident Biden hat richtig erwähnt, dass die USA Taiwan unterstützen werden. Das ist aber auch gesetzlich abgesichert seit dem Taiwan Relations Act, seit dem Taiwan Travel Act und seit dem Taipei Act 2022. Also gibt es auch gesetzliche Grundlagen, die der amerikanischen Regierung erlauben, direkt tätig zu werden. Ob Peking, ob China, ob die USA dann wirklich in einen full-fledged warfare gegeneinander eskalieren, ist sehr fraglich. Glücklicherweise gibt es wieder direkte Kommunikation zwischen der obersten Militärführung in Peking und in Washington. Das stimmt hoffnungsvoll, nachdem diese Kommunikation jahrelang nicht existierte. Und die amerikanischen Militärexperten werden auch nicht müde zu betonen, wie wichtig es ist, die Regeln für sichere Begegnung auf See und in der Luft einzuhalten. Dennoch müssen wir feststellen, dass auch Militärs in Washington intensiv vor einem Krieg mit China warnen. Vielleicht nicht gerade herbei beschwören oder herbeireden, aber das ist schon eine relativ hoch eskalierte militärische Sprache und Rhetorik, die wir aus Washington hören, die der friedlichen Entwicklung nicht förderlich ist. Ich möchte das betonen. Das ist potenziell gefährlich. Einen Krieg mit China 2025 herbeizureden oder auch eine militärische Auseinandersetzung 2027, das ist ein wichtiges Datum für die Volksrepublik China in Bezug auf die Gründung der Volksbefreiungsarmee. Ich warne vor diesen Aussagen: „Wir werden einen Krieg mit China 2025 oder bis 2027 haben." Ein wichtiger Punkt natürlich in der chinesischen Geschichte ist 2049, das ist der hundertste Gründungstag der Volksrepublik China. Und bis dahin muss Xi Jinpings chinesischer Traum einer starken Nation mit einem starken Militär und einer glorreichen Zukunft erfüllt sein.
Taiwan als zweite Ukraine?
Beate Winterer: Es heißt auch, China schaut sehr genau hin jetzt, wie sich die USA, aber auch andere westliche Staaten gegenüber der Ukraine und Russland verhalten. Welche Waffen liefern sie? Zu welchen Sanktionsmittel greifen sie? Kann man also sagen, je stärker der Westen die Ukraine unterstützt, desto unwahrscheinlicher wird ein chinesischer Angriff auf Taiwan? Oder ist das zu kurz gedacht?
Saskia Hieber: Eine direkte Ableitung wäre vielleicht etwas kurz, aber da gibt es natürlich wichtige Zusammenhänge. Peking und auch Taiwan beobachten sehr genau amerikanisches und westliches Engagement und natürlich auch amerikanische Interventionen. Die Frage, wann und wie die USA intervenieren, ist für China extrem wichtig. Also insofern wird genau festgestellt und analysiert, wie viel Geldmittel fließen, welche Waffensysteme geliefert werden und welche nicht. Auch wird analysiert, welche Ermüdungserscheinungen es in der Medienlandschaft gibt, in den Geber- und Unterstützerländern im Westen. Und auch hier wird natürlich versucht, dann durch Informationskriegsführung, durch Kampagnen, durch Beeinflussung in den sozialen Medien durchaus auch die französische, deutsche, verschiedene europäische Bevölkerungen nicht gerade einzuschüchtern, aber zu beeinflussen und Kriegsmüdigkeit in Europa zu schüren. Offiziell folgt Peking der russischen Propaganda, wonach die NATO am Krieg schuld ist und wonach es Russlands Verteidigungsinteressen sind, sich im näheren Umfeld zu schützen. Gleichzeitig ist China offiziell sehr bemüht, Sanktionen nicht zu brechen. Und offiziell, zumindest auf nationalstaatlicher Ebene, halten sich alle Akteure in China auf politischer Seite, aber auch große Wirtschaftsunternehmen unbedingt an die Sanktionen, die beklagt und kritisiert werden. China hat kein Interesse wegen Russland in wirtschaftliche Probleme zu kommen.
Der chinesische Traum einer geeinten Nation
Beate Winterer: Das heißt, wir stellen fest, dass aktuell ein Krieg im Pazifik eher unwahrscheinlich ist. Gleichzeitig bleibt China ja dabei, dass Taiwan Bestandteil der Volksrepublik ist. Glaubst du dann, dass China die Wiedervereinigung, die ja das erklärte Ziel ist, nicht militärisch herbeiführen will?
Saskia Hieber: Das ist in der Tat das große Problem. Auch vor Xi Jinping haben die meisten führenden chinesischen Politiker darauf hingewiesen, dass China nicht auf die Anwendung von Gewalt verzichten wird, um die Wiedervereinigung mit Taiwan zu erreichen. Es war allerdings auch schon mal zu hören vor Xi Jinping und insbesondere vor Xi Jinpings zweiter Amtszeit, das Taiwan-Thema der Zukunft zu überlassen beziehungsweise zukünftigen Generationen. Das ist jetzt ganz anders unter Jinping. Er hat das zu einem persönlichen politischen Ziel erklärt und sagt wiederholt, die nationale Einheit muss hergestellt werden. Der chinesische Traum einer geeinten Nation muss verwirklicht werden. Das Militär ist seit 2019 angewiesen, in Kampfbereitschaft zu sein. Combat readiness heißt es wortwörtlich, und er betont wiederholt das chinesische Militär, die Volksbefreiungsarmee, ist eine große Mauer aus Stahl, die auch die Vereinigung der Nationen mit allen Mitteln erreichen wird. Also insofern sind ein Krieg und auch eine militärische Auseinandersetzung mit den Vereinigten Staaten nicht vollkommen auszuschließen. China setzt aber nicht nur auf eine gewaltsame Wiedervereinigung, sondern versucht parallel auch durch politische Einflussnahme und durch Mediennutzung, durch diplomatischen Druck und auch wirtschaftliche Sanktionen, die Taiwaner, die Bevölkerung zu überzeugen, die Regierung sprichwörtlich abzuschaffen und freiwillig vor lauter Unsicherheit zum - aus Pekinger Sicht - besseren System der Volksrepublik China als Provinz zurückzukehren und nicht auf der Eigenständigkeit und den Status quo zu bestehen. Diese Haltung mag aus unserer Sicht etwas abstrus sein, aber das gibt es durchaus, dass Peking versucht, Taiwaner zu beeinflussen, nähere und bessere Verbindungen zum Mutterland, zur Volksrepublik China, durchzusetzen.
Beate Winterer: Das klingt so, als würde das Verhältnis zwischen China und Taiwan leider spannend bleiben. Vielen Dank Saskia, dass du dir Zeit genommen hast, um uns den Konflikt zu erklären. Und vielen Dank auch an euch, die uns wieder zugehört haben. In dieser Episode von "Akademie fürs Ohr" haben wir nicht zum ersten Mal über China gesprochen. In der Vergangenheit waren hier schon Chinas Außenpolitik und China in der Corona-Pandemie Thema. Wir verlinken euch die Folgen natürlich in den Shownotes. Hört gerne mal rein. Bis bald!
Saskia Hieber: Vielen Dank für die Einladung.
Shownotes
Weitere Episoden mit China Bezug
Das Verhältnis von China und Russland
Transkript des Podcasts