Globaler Wettbewerb: Motor der Moral?
10. Forum Menschenwürdige Wirtschaftsordnung über das schwierige Verhältnis von Ethik und Wirtschaft
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 12.04.2016
Von: Sebastian Haas und Sibylle Kölmel
Foto: APB Tutzing
# Politische Philosophie, Ethik, Wirtschaft, Ökologie und Nachhaltigkeit
Download: 10. Forum Menschenwürdige Wirtschaftsordnung - Globaler Wettbewerb als Motor der Moral?
Der globale Wettbewerb wird für Umweltzerstörung, fragwürdige Arbeitsbedingungen, das Absinken sozialer Standards und vieles mehr verantwortlich gemacht. Zurecht? Schließlich haben sich die Lebensbedingungen vieler Menschen auf der Erde in den letzten Jahrzehnten entscheidend verbessert. Kann der Wettbewerb vielleicht doch etwas zur Verbesserung der Moral beitragen?
Um diese Fragen zu diskutieren, haben wir gemeinsam mit dem Wirtschaftsethiker Christoph Lütge von der Technischen Universität München Experten aus Philosophie, Ökonomie, Rechts- und Technikwissenschaft zum 10. Forum Menschenwürdige Wirtschaftsordnung eingeladen. Lütge eröffnete die Tagung mit einem Vortrag über das schwierige Verhältnis zwischen (persönlicher) Ethik und Wettbewerb – denn was für den Einzelnen gut ist, muss nicht für alle gut sein und kann ungewollte Nebenwirkungen haben. Regeln und Anreize für Unternehmer aber können die Kreativität und Innovationsfähigkeit einer ganzen Gesellschaft positiv beeinflussen, meint Lütge und nennt als Beispiele die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union oder die Lockerung des Ladenschlusszeiten. Nicht zuletzt ist Wettbewerb ein Kernbestandteil moderner Demokratien: eine funktionierende Opposition im Parlament ist unverzichtbar, eine Große Koalition als Dauerzustand schädigt auf Dauer den politischen Betrieb. So lautet Lütges Empfehlung: Unternehmerisch tätig sein, egal ob in Wirtschaft oder Wissenschaft, und so die Ethik des Wettbewerbs selbst mitbestimmen. Denn, so sagte es schon 1918 der Industrielle, Schriftsteller und Politiker Walther Rathenau: „Eine Klage über die Schärfe des Wettbewerbs ist in Wirklichkeit nur eine Klage über den Mangel an Einfällen.“
Wie kann man Moral in der Marktwirtschaft unterbringen?
Dass die Funktionsweise der (Welt-)Wirtschaft dem allgemeinen Moralempfinden widerspricht und es regelmäßig zu Diskussionen um „Wirtschaftsethik und Wirtschaftsordnung“ kommt, war Thema von Professor Karl Homann (ehemals Ludwig-Maximilians-Universität München). So werfen nicht zuletzt die Entdeckungen um die Panama Papers die Frage auf: wie kann man Moral in der Marktwirtschaft unterbringen? Kann Wettbewerb solidarischer sein kann als zu teilen? Auf Grundlage dieser Fragen haben schon Karl Marx und Immanuel Kant große Teile ihrer Denkgebäude aufgebaut – der eine wollte den Wettbewerb verbieten, der andere hoffte darauf, dass ein tugendhafter, ehrbarer Kaufmann die Ausbeutung der Schwachen selbst verhindere. Die realistischste Lösung hatte wohl Adam Smith zu bieten: er empfahl, individuelles moralisches Handeln durch Anreize zu befördern und (staatliche und stattliche) Sanktionen für die Egoisten anzudrohen. „Im Grunde funktioniert das noch heute so“, meint Karl Homann. „Das ist das trivial, und mich ärgert, dass diese Regel von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik so wenig beachtet wird. Im Sport funktioniert das doch auch.“ Zumindest meistens.
Regional ist nicht zwangsläufig besser
- es hängt vom Transportmittel ab (ein Containerschiff verbraucht weniger Energie pro transportiertem Kilo als ein Kleinlaster)
- von der Betriebsgröße (das Rind, das in Argentinien in einer riesigen Herde im Freien und ohne Kraftfutter aufwächst, verbraucht weniger Energie als das im deutschen Stall)
- von der Erntesaison (brauchen wir wirklich Erdbeeren an Weihnachten oder Äpfel im Frühling?)
- und nicht zuletzt davon, ob wir zu Fuß einkaufen gehen oder mit dem Auto fahren.
Wettbewerb im Gesundheitssystem – Chancen und Risiken
Professor Dirk Sauerland von der Universität Witten/Herdecke formulierte dazu drei Thesen: Ein solcher Wettbewerb
- motiviere zum verantwortungsvollen Umgang mit den knappen Mitteln. Er vermeidet Verschwendung und verbessert die Qualität
- kann insbesondere mit pauschalen Entlohnungsformen unerwünschte Wirkungen entfalten
- benötigt gute, verantwortungsvolle Spielregeln.
Ein Fokus dabei lag auf der schwer durchschaubaren Verteilung von Informationen zwischen Leistungserbringer, Patient und Versicherung. („Können Patienten überhaupt die Leistungserbringer beurteilen?“). Sauerland erläuterte die Struktur des und die Kostenexplosion im Gesundheitswesen und beschrieb Voraussetzungen einen funktionierenden „Wettbewerb der Krankenkassen“ – Letzterer sollte sich von einem um Preise zu einem um Qualität entwickeln. Sein Fazit: Wirtschaftliche Entscheidungsträger sollten Rahmenbedingungen für einen funktionsfähigen Wettbewerb schaffen, damit das medizinische Personal Patienten angemessen versorgen kann – und so von möglichen Gewissenskonflikten entlastet wird. „Das Niveau, das wir hier in Deutschland haben, sollte es möglich machen, dass wir mit der angespannten Situation angemessen umgehen.“
Was heute als optimal reguliert erscheint, kann es morgen schon nicht mehr sein
„Dynamische Regulierung als Ethik des Wettbewerbes" – Prof. Dr. Wulf Kaal von der University of St. Thomas in Minneapolis sprach in seinem Vortrag unter anderem über künstliche Intelligenz (Roboter, die in Japan pflegerische Aufgaben übernehmen; Autos, die selbst fahren), Big Data & Wettbewerb als Demokratisierung von Wissen. Kaal referierte weiterhin über exponentielle Innovation als Regulierungsproblematik: Was heute als optimal reguliert erscheint, muss es morgen schon nicht mehr sein. Und: „Je höher die Innovationsrate desto weniger Verständnis bzw. Vorhersehbarkeit ist möglich für daraus resultierende regulatorische Problematiken und ethische Notwendigkeiten“.
Weitere Informationen
„Ethik im Gesundheitswesen: Behandlungsqualität – oberste Priorität.“ / Deutsches Ärzteblatt (2006).
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