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Russlands Verbrechen in der Ukraine

Gerhart Baum über die Aktualität der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte

Am 10. Dezember 1948 haben die Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. Auch nach 75 Jahren ist sie noch sehr aktuell. Das liegt unter anderem an Putins Angriff auf die Ukraine. Der stellt einen offensichtlichen Bruch mit dem Völkerrecht und den Menschenrechten dar, urteilt eine Untersuchungskommission der Vereinten Nationen. Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum sieht hinter Russlands Angriff auf die Ukraine nicht weniger als einen Angriff auf die liberale Weltordnung. Im Kampf gegen Kriegsverbrechen sieht er die Justiz als unterschätzte Waffe, die er auch durch eigenes Engagement stärken will. Beim Akademiegespräch am See der Akademie für Politische Bildung hat der FDP-Politiker und Jurist über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und dessen Bedeutung für das internationale Menschenrechtssystem gesprochen.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 28.11.2023

Von: Amelie Wimmer / Foto: Amelie Wimmer

Programm: Akademiegespräch am See: 75 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

75 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.

Olaf Scholz bezeichnet den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine als "Zeitenwende". Eine Zeitenwende für Europa, für die westliche Welt. Gerhart Baum, Rechtsanwalt, FDP-Politiker und ehemaliger Bundesinnenminister, sieht den Angriff auch als eine Zeitenwende für die Menschenrechte und das Völkerrecht. Denn Putin führt in der Ukraine einen völkerrechtswidrigen Krieg und russische Streitkräfte begehen in der Ukraine Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Angriffe auf Wohnhäuser, Krankenhäuser und Verschleppungen von Minderjährigen nach Russland zählen laut einer unabhängigen Untersuchungskommission der Vereinten Nationen dazu. Beim "Akademiegespräch am See" der Akademie für Politische Bildung hat Gerhart Baum über das 75-jährige Jubiläum der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und die Aktualität, die sie durch Putins Überfall auf die Ukraine erfährt, gesprochen.

Russland bricht mit dem Völkerrecht

Die UN-Untersuchungskommission sammelt Beweise, dass Russland in der Ukraine gegen das Völkerrecht verstößt. Dazu zählen Angriffe auf die Zivilbevölkerung, Folter, sexuelle Gewalt und Attacken auf die Energieinfrastruktur. Zu diesen Verstößen gegen das Völkerrecht hat die Untersuchungskommission nach eigenen Angaben bis zu 600 Menschen befragt, Satellitenbilder und Dokumente ausgewertet, Überreste von Waffen begutachtet und Orte der Zerstörung untersucht. Russland ist ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und damit der internationalen Sicherheit und Friedenswahrung eigentlich auf besondere Weise verschrieben. 2022 wollte der Sicherheitsrat in einer Resolution den Ukrainekrieg verurteilen. Russland hat allerdings das eigene Vetorecht genutzt und eine Verurteilung der eigenen Verbrechen verhindert. Durch Russlands Vetorecht ist der Sicherheitsrat in dieser Hinsicht blockiert.

Zusätzlich ist Russland eine Atommacht und droht seit Beginn des Krieges mit dem Einsatz dieser Waffen. Putin greift die internationale Werteordnung an, wie es seit 1945 niemand mehr gewagt hat. Die Verbrechen des NS-Regimes haben gezeigt, welche Auswirkungen die strikte Missachtung der Menschenrechte haben kann. Die Menschheit habe sich in ihrem Gewissen verletzt gefühlt, sagt Baum. Deshalb hat die Charta der Vereinten Nationen 1945 den Schutz der Menschenrechte zum ersten Mal untrennbar mit der Sicherung des Friedens verbunden. Denn Frieden ist ohne die Achtung der Rechte und der Würde der Menschen unmöglich. Drei Jahre später verabschiedeten die Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Die Abstimmung war einstimmig, nur Südafrika, Saudi-Arabien, Jugoslawien sowie die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten enthielten sich. Die politische Führung der Sowjetunion empfand die Freiheiten, die ihr System den Menschen gab, als ausreichend.

Der Angriff auf die Ukraine als Angriff auf die Weltordnung

Seit der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vor 75 Jahren ist das Völkerrecht immer wieder auf die Probe gestellt worden, aber nie so gezielt wie aktuell. Gerhart Baum sieht hinter Putins Überfall auf die Ukraine mehr als einen Angriff auf die Menschenrechte. Es sei ein Angriff auf die liberale internationale Ordnung, die in der Welt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs herrscht. Putin will Europa und die amerikanisch geprägte Ordnung destabilisieren. Vorerst ist jedoch das Gegenteil eingetreten: Die NATO und Europa sind enger zusammengerückt. Die westliche Welt straft Russland mit strikten Sanktionen, spricht sich öffentlich gegen den Krieg aus und unterstützt die Ukraine humanitär und mit Waffenlieferungen. Auf der anderen Seite gibt es Länder wie Belarus, die Russland im Krieg zumindest indirekt unterstützen. Russische Luftangriffe auf die Ukraine starten aus Belarus und russische Soldaten sind in Belarus stationiert. Bedrohlich findet Baum die Haltung einer ganzen Reihe von Ländern, die den Krieg zwar nicht offen unterstützen, ihn aber auch nicht verurteilen. Zu dieser Gruppe zählen China und einige Staaten des Globalen Südens, darunter Südafrika, Indien und Bangladesch.

Sie haben sich bei der UN-Resolution zur Ukraine Anfang März 2022 enthalten. In dieser Resolution missbilligte die Generalversammlung der Vereinten Nationen Russlands Angriffskrieg aufs Schärfste. Unter den Ländern des Globalen Südens hat sich jedoch eine antiamerikanische Einstellung verbreitet. Sie lehnen die Autorität Amerikas und Europas an der Spitze der internationalen Ordnung ab. An dieser Ordnung zweifeln sie grundsätzlich und fordern Reformen. Hier stößt Putin auf offene Ohren, denn auch er kämpft für eine systemische Veränderung der Weltordnung.

Baum plädiert deshalb für mehr Zusammenarbeit zwischen Europa und Ländern wie Indien, Südafrika und Brasilien, um deren weitere Annäherung an Russland zu verhindern. Die liberale Weltordnung müsse erhalten bleiben und ein Gleichgewicht zu Putins Imperialismus bilden. In Zeiten der Globalisierung sind Regeln wie die Menschenrechte elementar wichtig für ein friedliches Zusammenleben.

Die Macht des Rechts im Ukrainekrieg

Gerhart Baum hat viele Teile Russlands bereist und die immer stärkeren Einschränkungen der Bürger- und Freiheitsrechte beobachtet. Die Gewalt gegen Menschen, die auf die Straße gingen und demonstrierten hat beispielsweise über die Jahre stark zugenommen. Baum erzählt von einer jungen Frau, die auf einer Demonstration gegen Putins Wiederwahl von Polizisten schwer verletzt und von keinem Krankenhaus aufgenommen wurde - aus Angst vor Konsequenzen. Ähnlich ergeht es Anwältinnen und Anwälten, die Freiheitskämpfer und die Menschenrechte verteidigen. Einige der Anwälte von Alexei Nawalny sind inzwischen, wie er selbst, inhaftiert oder in Straflagern interniert. Trotzdem demonstrieren die Oppositionellen in Russland gegen den Krieg und Anwältinnen und Anwälte setzen sich weiter für diese Menschen vor Gericht ein. Der Kampf für die Demokratie geht in Russland weiter, betont Baum, aber er sei nicht leicht.

Für Gerhart Baum ist das Recht die am meisten unterschätzte Waffe im Krieg. Zusammen mit seiner Parteikollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ebenfalls ehemalige Bundesinnenministerin, hat er ein umfangreiches Dossier beim Generalbundesanwalt eingereicht. Denn in Deutschland gilt seit 2002 das Völkerstrafgesetzbuch. Nach diesem können Kriegsverbrecher vor deutschen Gerichten angeklagt werden - auch wenn die Verbrechen nicht in Deutschland begangen wurden und keine Deutschen beteiligt waren. Sobald sich Kriegsverbrecher in Deutschland befinden, müssen sie mit einer Anklage rechnen. So mussten sich beispielsweise syrische Staatsangehörige für ihre Kriegsverbrechen vor deutschen Gerichten verantworten. Gerhart Baum und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger benennen in ihrem Dossier konkrete Kriegsverbrechen und Tätergruppen, vor allem in Mariupol und Butscha. Sie wollen damit die bereits laufende Untersuchung des Generalbundesanwalts unterstützen, ein Signal an die Kriegsverbrecher senden und potenzielle Täter abschrecken. Den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshof gegen Putin wegen Kriegsverbrechen sieht Gerhart Baum deshalb ebenfalls als wichtiges Signal.

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