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Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Episode 26 unseres Podcasts mit Gero Kellermann

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte feiert ihren 75. Geburtstag. 1948 haben sich die Vereinten Nationen damit zum ersten Mal auf einen Katalog von Menschenrechten verständigt, der für die gesamte Menschheit gelten soll. Von einem der bedeutendsten Rechtsdokumente der Menschheitsgeschichte spricht Gero Kellermann, Dozent für Staats- und Verfassungsrecht sowie Rechtspolitik der Akademie für Politische Bildung. Er erklärt, welche Aspekte die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte enthält, wie sie entstanden ist und welche Rolle sie heute noch spielt, zum Beispiel mit Blick auf den russischen Angriff auf die Ukraine.

Tutzing / Podcast / Online seit: 18.12.2023

Von: Beate Winterer / Foto: APB Tutzing

Podcast

Beate Winterer: Es gibt was zu feiern. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wird in diesen Tagen 75 Jahre alt. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Das klingt erst einmal technisch und trocken. Tatsächlich ist das Dokument von 1948 aber gerade wieder sehr aktuell. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und der Krieg zwischen Israel und der Hamas fordern die Menschenrechte täglich heraus. Was ist die Erklärung also wert? Wie hat sie die Menschenrechtssituation in den vergangenen 75 Jahren beeinflusst? Und wo hat sie ihre Schwachstellen? Das wollen wir uns in dieser Episode von "Akademie fürs Ohr" anschauen. Wir, das bin zum einen ich, Beate Winterer, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit und Community Management der Akademie für Politische Bildung. Und das ist mein Kollege Dr. Gero Kellermann. Er ist Jurist und Politikwissenschaftler und leitet bei uns in der Akademie den Arbeitsbereich Staats- und Verfassungsrecht sowie Rechtspolitik. Hallo Gero, schön dass du da bist.

Gero Kellermann: Hallo Bea, ich freue mich mit dir über das Jubiläum der Menschenrechtserklärung zu sprechen.

Die Bedeutung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte

Beate Winterer: Gero, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hört sich erst mal nach einem Stück Papier an. Gar nicht so bedeutend. Warum ist dieses Dokument von 1948 aber so wichtig?

Gero Kellermann: Wenn man eine Liste machen würde mit den bedeutendsten Rechtsdokumenten der Menschheitsgeschichte, dann gehörte die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 sicherlich dazu. Warum eigentlich? Man muss das hier auch gleich am Anfang vielleicht sagen, es handelt sich hier eine Resolution. Also es ist nicht als bindendes Völkerrecht auf den Weg gebracht worden. Aber hier wurden zum ersten Mal die Menschenrechte auf internationaler Ebene formuliert, mit einem Universalanspruch, der auch so ein Ideal bedeutet, worauf die gesamte Menschheit hinsteuern sollte. Die Menschenrechte gab es ja vorher schon, das war ja nichts Neues, aber sie waren meist verankert an bestimmte oder sind verankert an einzelne Verfassungen. Bei der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen ist auch hervorzuheben, dass es hier zum ersten Mal diese Kombination zwischen Friedenssicherung und Menschenrechten gab und die Menschenrechtserklärung dann auch eine erhebliche moralische Autorität hatte und weitere Verfassungsentwicklungen beeinflusst hat. Allein zum Beispiel die Verrechtlichung der Menschenwürde oder die Schaffung der Menschenwürde würde als Rechtsbegriff nahm damit ihren Anfang.

Inhalt der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte

Beate Winterer: Die Erklärung besteht aus insgesamt 30 Artikeln. Was steht denn da drin?

Gero Kellermann: Jetzt könnte ich dir die natürlich im Einzelnen vorlesen. Ich habe die Menschenrechtserklärung hier vor mir liegen. Der erste Satz des ersten Artikels, der fasst das eigentlich schon fast komplett zusammen: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren." Und wenn man das jetzt weiter unterteilt, was da im Anschluss dann kommt, kann man unterteilen oder unterscheiden zwischen Freiheitsrechten und sozialen Rechten. Freiheitsrechte sind die bürgerlichen und politischen Rechte, die wir auch zum Beispiel aus der Bill of Rights kennen. Da geht es Religionsfreiheit, Recht der Meinungsäußerung, Recht auf Leben und Gesundheit. Die sozialen Rechte sind Rechte aus dem Bereich Wirtschaft, Soziales, Kultur. Da geht es darum, dass man festgestellt hat, was nützen mir die ganzen Freiheitsrechte, wenn die materielle Grundlage fehlt, die überhaupt ausüben zu können. Dazu gehört zum Beispiel das Recht auf Bildung, Recht auf Arbeit, Recht auf faire Arbeitsbedingungen und auch Recht auf soziale Sicherung.

Beate Winterer: Gibt es einzelne Artikel, die besonders wichtig sind oder würdest du sagen, die sind alle gleich gewichtet?

Gero Kellermann: Die Frage setzt ja so eine Hierarchisierung der Grundrechte voraus. Manche sind wichtiger als andere. Ich würde dahingehend gar nicht so antworten. Ich denke, man muss die Menschenrechte auf einer Stufe sehen. Die Menschenwürde spielt vielleicht noch eine Sonderrolle. Was ein Punkt ist, ist, dass die genannten sozialen Rechte etwas schwierig einzuklagen sind. Das ist bei den individuellen Rechten etwas anderes. Aber ich würde die Menschenrechte auf einer Stufe insgesamt sehen.

Eleanor Roosevelt als Vorsitzende der UN-Menschenrechtskommission

Beate Winterer: Wenn wir nochmal zur Entstehungsgeschichte zurückkehren. Geleitet hat die UN-Menschenrechtskommission, die den internationalen Menschenrechtskodex entwickelt hat, damals Eleanor Roosevelt. Sie war die Witwe des früheren US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt. Wie kam sie denn in diese Position?

Gero Kellermann: Also die Vereinten Nationen befanden sich ja zu diesem Zeitpunkt noch im Gründungsprozess. Sie fußen auf der UN-Charta aus dem Jahr 1945. Die enthält Ächtung von Krieg, Ächtung von Gewalt und sieht als Fundament der Vereinten Nationen auch die Sicherung, den Erhalt der Menschenrechte. Und die umfassende Erklärung gab es noch nicht. Es musste entwickelt werden. Und da hat es sich so gefügt, dass der damalige US-Präsident Truman als US-Botschafterin an die Vereinten Nationen die Eleanor Roosevelt entsandt hat, die dann auch gewählt wurde an die Spitze der 18-köpfigen Menschenrechtskommission. Und ich denke, dass hier auch das politische Auftreten von Eleanor Roosevelt im Vorfeld eine Rolle gespielt hat. Sie hatte sich da schon sehr stark eingesetzt für Frauenrechte und es wurde ihr sicherlich dann auch sehr zugetraut, diese unterschiedlichen Kulturen, letztlich die unterschiedlichen Staaten, Religionen, die sich dort zusammengefunden hatten, ein gemeinsames Dokument zu schaffen, diesen Prozess zu moderieren. Und das hat sie auch, das liest man allenthalben, wenn man sich damit beschäftigt, sehr gut hinbekommen.

Enthaltungen bei der Abstimmung über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Beate Winterer: In der UN-Generalversammlung haben dann ja auch fast alle Mitglieder die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte angenommen. Es gab nur ganz wenige Enthaltungen. Woran lagen die denn?

Gero Kellermann: Es gab insgesamt acht Enthaltungen, 48 Ja-Stimmen, und ich habe hier die Liste der Staaten, die sich enthalten haben. Es war die UdSSR, die Ukraine, Weißrussland, Polen und die Tschechoslowakei, also schon so Satellitenstaaten des Sowjetimperiums, Jugoslawien, Südafrika und auch Saudi-Arabien. Vielleicht an dieser Stelle muss man sehen, dass der Kalte Krieg zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht so ausgebrochen war, aber sich hier schon angedeutet hat. Dass überhaupt alle an einem Tisch saßen und über dieses Dokument sprachen, ist schon eine, ja ein kleines historisches Zeitfenster gewesen. Es ging ja dann weiter mit Berlin-Blockade und Koreakrieg. Die sozialistischen Staaten, die sich so verstanden, haben auch schon im Verlauf der Verhandlungen oft kritisiert, dieses individuelle oder Individualbild, was in den Freiheitsrechten zum Ausdruck kommt, auch durchaus als Grundlage des Kapitalismus, wurde dort kritisiert. Südafrika, zu der Zeit Apartheitsstaat. Darf man auch nicht vergessen, dass man da irgendwie skeptisch blickte auf eine Rechtsordnung außerhalb der eigenen. Saudi-Arabien, dieses Beispiel bringt Angelika Nußberger in ihrem lesenswerten Buch über Menschenrechte, stand dem skeptisch gegenüber. Religionsfreiheit in dem Sinne bedeutet auch, dass man seine Religion wechseln kann ohne Strafe. Und das entsprach dann halt dieser Religionsauffassung nicht. Dass es dann zu diesen Enthaltungen gekommen ist.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte heute

Beate Winterer: Welche Rolle spielt denn das Dokument heute noch, 75 Jahre nach seiner Entstehung?

Gero Kellermann: In jedem Fall hat es immer noch hohe moralische Autorität, Appell- und Leitlinienfunktion. Und es ist ja auch Grundlage des Menschenrechtssystems der Vereinten Nationen. Es gibt ja zum Beispiel den Menschenrechtsrat oder den Menschenrechtsausschuss, die dann Monitoring machen können, Empfehlungen aussprechen können. Eine durchschlagende rechtliche Wirkung hat sich dann eher so indirekt entwickelt über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Aber ist wie gesagt heute noch wichtiger Maßstab, um Staaten zu beurteilen und politische Prozesse in Gang zu leiten.

Gerhart Baum über die Menschenrechtssituation in der Ukraine nach dem Angriff

Beate Winterer: Du hattest vor Kurzem selbst eine Veranstaltung zum 75. Geburtstag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte organisiert. Bei uns an der Akademie war der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum zu Gast. Er hat sich ausführlich mit dem russischen Angriff auf die Ukraine und der Menschenrechtssituation vor Ort beschäftigt. Wie sieht er denn die Lage?

Gero Kellermann: Also Gerhart Baum ist in seinem Vortrag auch stark von dem Begriff der Zeitenwende ausgegangen und sieht in dem Angriff Putins auf die Ukraine den Versuch, diese regelbasierte Ordnung, die unter anderem die Menschenrechtserklärung geschaffen hat, außer Kraft zu setzen und diese abzubauen. Also die Herrschaft des Rechts, diesen Grundsatz, den aus der Welt zu schaffen. Und jetzt muss man hervorheben, das hat Gerhart Baum auch gemacht: Russland ist ja ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat und hat auch durchaus Wohlwollen von einigen Staaten empfangen, wenn nicht gar Unterstützung. Und da sieht er die Zeitenwende oder die Gefahr, dass dieses Regelsystem umkippt.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Bestrafung von Kriegsverbrechen

Beate Winterer: Kann die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte trotzdem helfen, Kriegsverbrechen aufzuklären und zu bestrafen? Oder würdest du oder auch Gerhart Baum jetzt sagen, dass es gegen das Regime von Wladimir Putin - gerade auch mit dem ständigen Sitz im Sicherheitsrat - eher ein zahnloser Tiger ist?

Gero Kellermann: Es gibt ja zum Beispiel bei den Vereinten Nationen die Untersuchungskommission, die Beweise sammelt, um eine Klage vorzubereiten, um die maßgeblichen Leute dort als Kriegsverbrecher zu verurteilen. Dieser Internationale Strafgerichtshof in Den Haag gehört nicht zum System der Vereinten Nationen, ist allerdings maßgeblich in diesem Teil. So hat auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte jetzt, für diese Maßnahmen, die es da gibt, bedeutet sie auch eine Fundierung. Wenn sich auch hier wieder zeigt, dass so eine direkte Klage aufgrund dieser Allgemeinen Menschenrechtserklärung vor einem bestimmten Gerichtshof, dass das also schwach ausgeprägt ist, im Gegensatz zum Beispiel zum europäischen Menschenrechtsystem mit der Europäischen Menschenrechtserklärung und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.

Entwicklungspotenziale für die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Beate Winterer: Wo siehst du denn vielleicht noch Entwicklungspotenziale für die Erklärung der Menschenrechte? Was wäre denn vielleicht so ein nächster Schritt, um sie noch vielleicht tiefer zu institutionalisieren?

Gero Kellermann: Man muss erst mal sehen, dass bei den Menschenrechten, dass es sich da durchaus um ein offenes Prinzip handelt. Man spricht auch teilweise von Generationen von Rechten, also den Freiheitsrechten, den klassischen, dann den sozialen Rechten, die ja auch die Menschenrechtserklärung enthält. Dann hat sich das weiterentwickelt zu Menschenrechten von Kollektiven, also zum Beispiel Recht auf Entwicklung, Recht auf eine saubere Umwelt. Es wird jetzt sogar diskutiert, im Zusammenhang mit dem Klimaschutz, so ein Menschenrecht der Menschheit zu konstituieren, zu schaffen, zu diskutieren. Was man daran beachten muss, ist vielleicht, dass dieser Menschenrechtsbegriff nicht in zu verschiedene und auch durchaus unterschiedliche Richtungen gehen könnte. Gerhart Baum hat das so formuliert: Man muss auch in so turbulenten historischen Situation auch mal die Menschenrechtserklärung so als Besinnungsmöglichkeit sehen, dass man sieht "Aha, da hat die Menschheit doch schon diese Erfahrung gehabt, dieses Erbe, diese Antwort gegeben auf Barbarei" und dass man das anwendet auf die jetzige Situation. Vielleicht noch stärker als die Menschenrechte zu sehr weiterzuentwickeln. Dass es vielleicht auch für viele dann zu unübersichtlich wird, wie sieht denn eigentlich das Menschenrechtssystem aus.

Beate Winterer: Vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast für dieses wichtige Thema. Und vielen Dank auch euch, die ihr uns zuhört. Wenn ihr mehr über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Sicht von Gerhart Baum auf den Krieg in der Ukraine erfahren wollt, haben wir dazu einen Tagungsbericht auf unserer Website veröffentlicht. Den verlinken wir euch natürlich wieder in den Shownotes. 2024 geht es mit "Akademie fürs Ohr" weiter und wir freuen uns, wenn ihr wieder zuhört und unseren Podcast bei Spotify oder Apple Podcasts bewertet. Schöne Feiertage und bis bald!

Gero Kellermann: Auf bald, vielen Dank!

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