Verroht unser Diskurs?
Podiumsgespräch über den Zustand von Gesellschaft und Demokratie
Social-Media-Plattformen beeinflussen zunehmend den öffentlichen Diskurs und das gesellschaftliche Klima. Der Umgangston ist online sichtbar aggressiver als offline, persönliche Angriffe und Hasskommentare sind keine Seltenheit. Wird unsere Gesellschaft immer enthemmter? Und wie wirkt sich das auf die Demokratie aus? Diese Fragen haben Winfried Bausback, Landtagsabgeordneter der CSU und ehemaliger Staatsminister der Justiz, Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag, und der Kommunikationswissenschaftler Pablo Jost im Rahmen der Tagung "Von Hate Speech bis Mord: Hasskriminalität als gesellschaftliches Phänomen" der Akademie für Politische Bildung und der Deutschen Polizeigewerkschaft, Landesverband Bayern diskutiert.
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 12.04.2024
Von: Rebecca Meyer / Foto: Rebecca Meyer
Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.
"Manche Leute interessieren sich nicht einmal mehr dafür, dass ich ihren Klarnamen sehe, wenn sie Vergewaltigungsdrohungen an mich schicken", sagt Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag. Noch vor wenigen Jahren haben sich beispielsweise Instagram-Nutzerinnen und -Nutzer hinter Pseudonymen versteckt oder Fake-Accounts genutzt, um Hassnachrichten zu verbreiten. Inzwischen scheinen sich viele für ein derartiges Verhalten nicht zu schämen. Wird unsere Gesellschaft immer enthemmter? Darüber hat Schulze mit dem CSU-Landtagsabgeordneten und ehemaligen Staatsminister der Justiz, Winfried Bausback, und dem Kommunikationswissenschaftler Pablo Jost von der Ludwig-Maximilians-Universität diskutiert. Das Podium war Teil der Tagung "Von Hate Speech bis Mord: Hasskriminalität als gesellschaftliches Phänomen" der Akademie für Politische Bildung und der Deutschen Polizeigewerkschaft, Landesverband Bayern.
Die Gesellschaft wird enthemmter
Wie Menschen Aggressivität und Gewaltbereitschaft innerhalb der Gesellschaft einschätzen, hängt von ihren persönlichen Erfahrungen ab. "Ich mache bereits seit mehr als zehn Jahren Politik und habe das Gefühl, es verschlimmert sich", sagt Katharina Schulze. Als Grünen-Politikerin erlebt sie viele hassgetriebene Angriffe auf ihre Person. Im bayerischen Landtagswahlkampf beispielsweise verteilen sie und ihr Team in Altötting Bio-Mango-Lassi mit Flyern ihrer Partei, als ein Mann beginnt, sie wüst zu beschimpfen. Zufällig begleitete die Aktion ein Drehteam des ZDF. "Ich dachte er hört auf, als er die Kamera sieht. Aber er drehte sich zu ihr hin und sagte: 'Ihr seid die Nächsten, Dreckslügenpresse.' Das war für mich dieser Aha-Moment, dass es einigen Teilen der Gesellschaft inzwischen sogar egal ist, ob sie während ihren Hasstiraden gefilmt werden", erzählt Schulze. Neben Morddrohungen auf Social Media erlebt sie auch immer wieder Ausschreitungen bei Veranstaltungen ihrer Partei. "Da wird Pyrotechnik gezündet, gegen Scheiben gedonnert und es fliegen Steine auf die Bühne. Das macht mir natürlich Sorgen", sagt Katharina Schulze.
Die Soziologie beurteilt die Lage differenzierter und sagt, dass der Großteil der Gesellschaft die Verrohung stoppen und die Demokratie weiter stärken will. Dabei muss die Politik helfen, indem sie Betroffenen ein breites Hilfsangebot und mehr Beratungsstellen bietet. Denn Hasskriminalität trifft vor allem Menschen, die sich nicht zu wehren wissen. Nicht jeder habe ein Büro, das dabei helfe, Material zu sammeln und die Täterinnen und Täter anzuzeigen, sagt Grünen-Politikerin Schulze. "Es verroht nicht die gesamte Gesellschaft, aber wir müssen aufpassen, dass der enthemmte Teil nicht noch größer wird", appelliert sie.
Social Media vervielfältigen Hass
Auch der CSU-Politiker Winfried Bausback war in seiner Karriere oft Zielscheibe von Hassattacken. "Als ich Minister war, habe ich eine E-Mail bekommen, in der stand, dass ich vor den Augen meiner Kinder hingerichtet werden muss", erzählt er. Als einen wesentlichen Treiber von Hass sieht Bausback Social Media. "Am Anfang meiner Abgeordnetentätigkeit bin ich immer wieder mit den Polizistinnen und Polizisten nachts Streife gefahren. Was dort passierte, war auch heftig, aber es konnte viel einfacher eingegriffen werden", erinnert sich der Politiker. In der analogen Welt kann der Rechtsstaat leichter intervenieren, das Ausmaß der Situation einschätzen und Strafen verhängen. Im digitalen Raum hingegen verschärfe sich das Problem durch die Algorithmen der Social-Media-Plattformen, die Hass und emotionale Inhalte gezielt pushen und verbreiten, sagt er.
"Wut und Hass werden mehr geklickt als ein Video, das erklärt, wie der Bayerische Landtag arbeitet", stimmt Schulze zu. Diese Dynamik nutzen auch sogenannte Polarisierungsunternehmer. Sie nehmen Inhalte und laden sie mit negativen Emotionen auf, um die Gesellschaft zu polarisieren. Diese Strategie verfolgen unter anderem Querdenker, Corona-Leugner und rechtspopulistische Akteure. Auf Social Media finden sie Gleichgesinnte und einen Ort, um ihre Thesen auszutauschen. "Deshalb ist es wichtig, dass die demokratischen Akteure diese Plattformen besser bespielen und ein Gegengewicht dazu schaffen", sagt Schulze.
Bausback stellt sich vor allem die Frage nach einem funktionierenden Rechtssystem im digitalen Raum. Inhalte verbreiten sich im Netz viel schneller und gewinnen so eine Relevanz, die sie in einer Präsenzveranstaltung nicht bekämen. Die Anonymität der Nutzerinnen und Nutzer erschwert zusätzlich die Strafverfolgung. "Dafür müssen Lösungen gefunden werden", mahnt Bausback.
Hass als Geschäftsmodell
Was bei dieser Betrachtung nicht vergessen werden dürfe ist, dass Menschen innerhalb dieser Strukturen Geld verdienen, sagt der Kommunikationswissenschaftler Pablo Jost. "Die Leute verbreiten über Social-Media-Kanäle Angst vor dem Untergang Deutschlands und verkaufen drei Posts später den Wasserfilter und die entsprechenden Tabletten, die sich die geneigten Followerinnen und Follower am Ende im Online-Shop kaufen. Es gibt Telegram-Kanäle, die bis zu 200.000 Followerinnen und Follower haben", erklärt er. Es heißt also nicht, dass alle, die enthemmt oder hasserfüllt wirken, es auch sind. Bei einigen steckt ein Geschäftsmodell dahinter, erinnert der Jost.
Politischer Diskurs muss zivilisiert sein
Die Enthemmung der Gesellschaft finde aber nicht nur in der digitalen Welt statt. Er beobachtet eine Verrohung auch innerhalb des politischen Diskurses und der medialen Öffentlichkeit. Sowohl Journalistinnen und Journalisten als auch Politikerinnen und Politiker fokussieren sich ihm zufolge zu sehr auf polarisierende Themen, bauschen diese auf und heizen damit den Diskurs in der Gesellschaft oft überflüssig an. Ihm sei nicht klar, ob die Menschen bereits enthemmt sind, wenn sie Social Media nutzen, oder ob sie der Diskurs dort enthemmt, betont Jost. Die Frage nach der Henne und dem Ei: Was war zuerst da? Deshalb sei es wichtig, den Fokus nicht nur auf den digitalen Raum zu richten, sondern auch darauf, dass mediale und politische Akteure ihre Sprache und Verhaltensweisen in der analogen Welt reflektieren.
Politikerinnen und Politiker haben eine Vorbildfunktion. Sie sollen keine Polarisierungsunternehmer sein, sondern eine gute Streitkultur in Deutschland etablieren. "Also gerne in der hart in der Sache kämpfen, aber bitte mit Anstand und Respekt", sagt Schulze. Für Bausback gehört Polarisierung hingegen zum politischen Geschäft. Politische Positionen könnten nur deutlich gemacht werden, indem Politikerinnen und Politiker sie zusammenbinden und zuspitzen. "Es muss auf die Sprache der Politik geachtet werden, aber man muss nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen", sagt er. "Natürlich sind früher Beleidigungen geflogen, aber diese persönlichen Angriffe haben nicht den Grundkonsens der demokratischen Akteure in Frage gestellt", entgegnet Jost.
Innerhalb des politischen Diskurses gebe es aber Tabuthemen, darüber sind sich alle drei einig. Mit diesen Themen polarisieren vor allem rechtspopulistische Parteien. "Dagegen müssen die demokratischen Parteien natürlich zusammenhalten", sagt Bausback. Schulze stimmt dem klar zu: "In den Farben getrennt, in der Sache hoffentlich vereint." Der demokratische Grundkonsens innerhalb der Gesellschaft könne primär durch Bildungsmaßnahmen gestärkt werden, sagen Bausback und Schulze. Dazu zählt auch generationsübergreifende Medienkompetenz, um Social-Media-Kanälen bei der Verbreitung von Fake-News und Hass den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Die Verantwortung der Tech-Konzerne
Der Staat könne viele Probleme jedoch nicht alleine lösen, betont Bausback. Plattformen wie Facebook und Instagram sind zu intransparent, um von außen auf die Diskurse dort Einfluss zu nehmen. "Wir müssen die Tech-Konzerne in die Verantwortung nehmen. Das kann weder der Bayerische Landtag noch die Staatsregierung oder die Bundesrepublik Deutschland alleine", pflichtet Schulze bei. Gemeinsam mit der EU, bestenfalls auch mit den USA sollen Lösungen gefunden werden. "An diesem Punkt bin ich überzeugter Europäer. Wir brauchen zumindest bei der Regulierung im Netz alle europäischen Staaten", sagt Bausback.