Menu

Die Bayerischen Staatsregierungen

Episode 23 unseres Podcasts mit Ursula Münch

Am 8. Oktober ist Landtagswahl in Bayern. Aktuell sieht es so aus, als würde die CSU danach weiterregieren - wie durchgehend seit 1957 und mit den Freien Wählern wie seit 2018. Abwechslungsreicher als die nahe Zukunft ist deshalb die Vergangenheit Bayerischer Staatsregierungen seit dem Zweiten Weltkrieg. Denn die CSU hat im Freistaat nicht immer regiert und selbst wenn sie allein regiert hat, gab es Affären, Zerwürfnisse und Streit mit dem Bund. Akademiedirektorin Ursula Münch, gebürtige Schwäbin, findet die bayerische Landespolitik auch deshalb spannender als die baden-württembergische. In dieser Zeitreise spricht sie unter anderem über die "Viererkoalition" unter dem einzigen SPD-Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner, die bayerische Außenpolitik von Franz Josef Strauß und die Amigo-Affäre um Max Streibl. Und sie zieht Parallelen zwischen früheren Landesregierungen und den heutigen Parteien.

Tutzing / Podcast / Online seit: 12.06.2023

Von: Beate Winterer / Foto: APB Tutzing

Podcast

Beate Winterer: Am 8. Oktober ist Landtagswahl in Bayern. Aktuell sieht es so aus, als würde die CSU danach weiterregieren - wie durchgehend seit 1957. Ein Koalitionspartner wäre aber wieder nötig. Das könnten die Freien Wähler sein, die aktuell zum ersten Mal mit der CSU regieren. In Frage kämen aufgrund ihrer Umfragewerte aber auch die Grünen und die SPD. Eine gewisse Spannung bleibt also, wie die Bayerische Staatsregierung im Herbst aussieht. Spannend wird aber nicht nur die Zukunft, sondern das ist auch die Vergangenheit. In Bayern hat nämlich nicht immer die CSU regiert und selbst wenn sie allein regiert hat, gab es interne Affären, Zerwürfnisse und Streit mit dem Bund sowieso. Also Dinge, die uns gerade sehr bekannt vorkommen. Deshalb werfen wir heute einen Blick zurück, unter anderem auf Stoiber, Strauß und Seidel. Wir, das bin ich, Beate Winterer, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit und Community Management der Akademie und mein heutiger Gast, unsere Direktorin Prof. Dr. Ursula Münch. Herzlich Willkommen Frau Münch!

Ursula Münch: Vielen Dank, Frau Winterer!

Beate Winterer: Ich freue mich, dass Sie wieder bei "Akademie fürs Ohr" sind. Sie sind ja gebürtige Schwäbin, beschäftigen sich aber schon seit Jahrzehnten mit der bayerischen Landespolitik. Ist die bayerische Politik spannender als die baden-württembergische? Was fasziniert Sie daran?

Ursula Münch: Also ich muss wirklich zugeben, dass es in Bayern spannender zugeht. Das hat eben ganz viel mit der CSU zu tun und das hat ganz viel damit zu tun, dass nur der Freistaat Bayern eine Regionalpartei hat, die auch auf Bundesebene und sogar auch auf europäischer Ebene aktiv ist. Diese Doppelrolle der CSU macht die ganze bayerische Politik einfach spannend.

Wilhelm Hoegner und die "Viererkoalition"

Beate Winterer: Dann lassen sie uns die Zeitreise beginnen und zu den Anfängen der bayerischen Landespolitik nach dem Zweiten Weltkrieg gehen. Da landen wir gleich bei unserer eigenen Akademiegeschichte. Die Akademie für Politische Bildung wurde nämlich von der sogenannten "Viererkoalition" um Ministerpräsident Wilhelm Hoegner gegründet. Frau Münch, was hat es damit auf sich?

Ursula Münch: Das war schon eine bunte Geschichte, diese "Viererkoalition". Wenn ich dies immer erzähle - und ich erzähle oft von der Gründungsgeschichte der Akademie -, dann merke ich, dass das die wenigsten Leute wissen. Klar, die älteren Herrschaften schon, aber mittleres und gar jüngeres Alter, da sind die meisten völlig verblüfft, dass es tatsächlich mal eine Zeit gegeben hat, zwischen 1954 und 1957, als die CSU auf der Oppositionsbank im Bayerischen Landtag saß. Aber es hat eben vier Fraktionen gebraucht, um das zu erreichen, und das war eben SPD geführt und man hat gemeinsam mit der FDP regiert, mit der bayerischen damals. Das kann man sich noch einigermaßen vorstellen, mit unseren Erfahrungen aus dem Bund. Aber dazu kamen eben die Bayernpartei, die also nochmal konservativer war als die CSU und eben sehr bayerntreu und durchaus zum Teil sogar fast schon sezessionistisch argumentiert hat. Dann kam noch dazu der Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten, das hat man damals schlicht und ergreifend als Flüchtlingspartei bezeichnet. Da waren viele, die tatsächlich durchaus noch - kann man schon sagen - nationalsozialistisches Gedankengut zum Teil gepflegt haben.

Die Bayerischen Staatsregierungen direkt nach dem Zweiten Weltkrieg

Beate Winterer: Wilhelm Hoegner war von 1954 bis 1957 nicht zum ersten Mal Bayerischer Ministerpräsident. Er wurde schon 1945 von den amerikanischen Besatzern eingesetzt und war später in einer Koalition mit der CSU der Vize von Hans Erhard, dem ersten Ministerpräsidenten, der aus freien Wahlen hervorgegangen ist. Können Sie vielleicht kurz zusammenfassen, was dieses erste Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt hat in Bayern?

Ursula Münch: Wilhelm Hoegner ist deshalb wichtig anzusprechen - Sie haben es gesagt - eingesetzter Ministerpräsident. Warum eingesetzt? Weil es damals noch keine freien Wahlen in Bayern gegeben hat auf Landesebene und weil er eben ein aufrechter Demokrat war, ein aufrechter Sozialdemokrat. Weil er die Zeit des Nationalsozialismus im Schweizer Exil verbracht hat und in diesem von ihm sehr beschwerlichen Schweizer Exil, aus dieser Zeit ganz viele Gedanken mit hinübergebracht hat dann in diese neue Zeit, in diese neue Demokratie und ganz maßgeblich die Verfassungsgebung auch im Freistaat Bayern geprägt hat. Unsere vielen direktdemokratischen Elemente in der Bayerischen Verfassung verdanken wir unter anderem Wilhelm Hoegner und dann aber auch Herrn Nawiasky, der ebenfalls im Schweizer Exil gewesen war. Das war eine Zeit des staatsrechtlichen Aufbaus, wobei Bayern dieses große Glück hatte, worauf man bis heute stolz ist, dass man weitgehend, also territorial weitgehend, unbeschadet den Zweiten Weltkrieg überstanden hatte. Im Unterschied zu all den Bindestrichländern - ich komme nun, wie Sie gesagt haben, aus Baden-Württemberg, auch so einem Bindestrichland - mit durchaus unterschiedlichen Identitäten, einer wechselvollen Geschichte, die nicht immer zusammengepasst haben. Klar, der Freistaat Bayern ist auch groß. Es gibt unterschiedliche Landsmannschaften. Aber dieser Stolz auf diese Staatstradition Bayern - mehr als 1000 Jahre weitgehend territorial unversehrt - das zieht sich doch bis heute ganz stark durch.

Bundestagswahl 1957 und Beginn der CSU-Ära in Bayern

Beate Winterer: Mit der Regierung von Wilhelm Hoegner war es 1957, nur ein halbes Jahr nachdem das Akademiegesetz verabschiedet wurde, dann auch vorbei. Hanns Seidel von der CSU hat ein neues Kabinett gebildet. Auslöser war damals die Bundestagswahl. Was ist passiert?

Ursula Münch: Diese Bundestagswahl ist für einen Teil der Koalitionspartner in der "Viererkoalition" ein Desaster gewesen. Vor allem für die Bayernpartei und für diesen Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten, also die Flüchtlingspartei. Dann haben sie sich gedacht, wenn es uns doch so schlecht bei den Wahlen geht, dann orientieren wir uns lieber an denjenigen, die uns politisch, ideologisch nahestehen, nämlich der CSU. Mit der SPD und dieser FDP, das wird von den Wählern nicht anerkannt. Das war im Grunde ein wichtiger Grund, dass man gesagt hat: "Wir finden mehr Heimat und mehr Zukunft bei der CSU." Die Rechnung ist aber nicht aufgegangen.

Alleinregierung der CSU in Bayern und Konflikte mit dem Bund

Beate Winterer: Für die CSU ist die Rechnung aber aufgegangen. Ab 1966 hat sie dann allein regiert. Ministerpräsident war Alfons Goppel, ein Kompromisskandidat eigentlich, der sich aber zum Landesvater entwickelt hat und solange regiert hat wie kein anderer Bayerischer Ministerpräsident, nämlich 16 Jahre lang. In seiner Zeit wird Bayern beim Länderfinanzausgleich vom Empfängerland zum Geberland. Sind in dieser Zeit die Machtkämpfe mit dem Bund entstanden, die wir heute noch kennen? Oder sind die älter?

Ursula Münch: Tatsächlich so eine Hochphase dieser Machtkämpfe zwischen dem Freistaat Bayern und der Bundesrepublik, der Bundesregierung, das war tatsächlich während der sozialliberalen Koalition auf Bundesebene. Da war man sich in vielerlei Hinsicht besonders uneinig. Aber Sie deuten es schon an, das gab es natürlich schon vorher. Es fing schon an mit der Entstehung des Grundgesetzes, wo Bayern - meines Erachtens durchaus zu Recht - moniert hat oder die CSU moniert hat, dass das Grundgesetz nicht föderal genug sei, dass es im Grunde den Kern der Aushöhlung schon in sich berge. Deshalb hat Bayern, im Landtag dann die CSU, mehrheitlich gesagt hat: "Wir lehnen das Grundgesetz ab, aber wir werden uns daranhalten, wenn die erforderliche Anzahl der anderen Landtage, nämlich zwei Drittel, dem zustimmen." Insofern fing schon damals bei der Gründung der Bundesrepublik, des Weststaates, so eine gewisse Rivalität an. Das Thema Föderalismus hat tatsächlich bereits in den 1950 und 60er Jahren immer wieder zu Verstimmungen geführt, obwohl damals die CSU auch in der Bundesregierung beteiligt war. Die Bundespolitik war stark sozialpolitisch aktiv. Der Bund, der Bundesgesetzgeber benötigt, aber um seine ganzen Wohltaten unter den Leuten zu bringen, die Verwaltungen der Länder. Da war zum Beispiel so ein bayerischer Vorwurf, dass zum Beispiel der sogenannte Lastenausgleich die bayerische Landesverwaltung so stark in Anspruch genommen hätte, dass man im Grunde nur noch so ein verlängerter Arm des Bundes gewesen wäre. Eine Kritik war die Gründung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. All das waren die Sorge - und zwar die berechtigte Sorge - des Freistaats und der CSU, dass da der Bund sich immer mehr einmischen würde in die Belange der Länder.

Franz Josef Strauss und seine bayerische Aussenpolitik

Beate Winterer: Einer, der die Kompetenzen eines Bayerischen Ministerpräsidenten besonders breit ausgelegt hat, war Goppels Nachfolger, Franz Josef Strauß. Er ist immer wieder in Opposition zu den Regierungen Schmidt und Kohl in Bonn getreten und hat sogar seine eigene Außenpolitik betrieben. Was war das denn für eine Zeit von 1978 bis 1988?

Ursula Münch: Diese Zeit von Strauß als Ministerpräsident war tatsächlich etwas, wo er im Grunde den Freistaat Bayern sehr stark ganz bewusst nach außen vertreten hat. Strauß war vermutlich noch wirkmächtiger als CSU-Vorsitzender, weil er da in diese Rivalität noch stärker zu den Bundesparteien gegangen ist, sogar zur eigenen Schwesterpartei, der CDU, der er dann auch mal so einen Trennungsbeschluss quasi vor die Haustür gelegt hat, den man dann auch wieder zurückgenommen hat. Das mit der eigenen Außenpolitik war etwas, was Strauß ganz intensiv betrieben hat. Stoiber hat es dann auch nochmal versucht, auch durchaus erfolgreich. Aber man muss sich mal vorstellen: Strauß war noch, bevor er Ministerpräsident geworden ist, als CSU-Vorsitzender, zum Beispiel in der Volksrepublik China und wurde von Mao Zedong empfangen. Das muss man sich vorstellen. Das ist etwas, da hat er auf der allerobersten Liga gespielt. Er ist ständig in den USA gewesen, er hat den ein oder anderen Spezl in einem afrikanischen Staat gehabt, in Togo. Er hat das damalige Apartheidsregime in Südafrika noch verteidigt. Und dann hat er irgendwann mal gesagt: "Ich werde mir nicht die Erlaubnis von der Bundesregierung abholen, wenn ich den Freistaat Bayern und vielleicht sogar die Republik im Ausland vertrete." Er war unheimlich selbstbewusst und dem hat es, glaube ich, unheimlich Spaß gemacht, wenn dann die Leute sich aufgeregt haben, wenn sich die Medien mitsamt der Bundesregierung, die zum Teil die gleichgesinnte Bundesregierung war, egal ob die sich aufgeregt haben oder nicht. Er hat dann gesagt: "Nein! Das gehört zum Freistaat Bayern - nicht nur Außenwirtschaftspolitik", wie später zum Beispiel Seehofer zu mir persönlich gesagt hat: "Frau Münch, wir machen keine Außenpolitik. Wir machen höchstens Außenwirtschaftspolitik", als ich ihn einmal zu einer entsprechenden Tagung in die Akademie eingeladen hatte. Da hatte Strauß sicherlich nochmal ein größeres Verständnis dafür, also ein umfassenderes Verständnis.

Max Streibl und die Amigo-Affäre

Beate Winterer: Stoiber und Seehofer haben Sie jetzt schon erwähnt. Es gab aber noch einen Ministerpräsidenten dazwischen, direkt nach Strauß, Max Streibl. Der hat sich allerdings keine fünf Jahre im Amt gehalten, bevor er über die sogenannte Amigo-Affäre gestolpert ist. Ein Begriff, den wir heute auch manchmal hören, wenn es um Vetternwirtschaft in der CSU geht. Wer waren die Amigos 1993?

Ursula Münch: Streibl ging in die Geschichte ein wegen dieser Amigo-Affäre, wo man ihm eigentlich ein bisschen unrecht tut. Er ist nun nicht der allererfolgreichste Ministerpräsident gewesen, aber man muss zu seiner Ehrenrettung sagen, er war erfolgreicher Umweltminister und er war erfolgreicher bayerischer Finanzminister gewesen. Aber tatsächlich diese Amigo-Affäre, da hatte er das ein oder andere Geschäft versucht, jemandem zu erleichtern und der jemand war aus dem eigenen Bekanntenkreis, ein erfolgreicher Unternehmer, den er zum noch erfolgreicheren Unternehmer hat machen wollen, aus der Flugzeugindustrie. Und das ist ihm deshalb nicht gut bekommen, weil sich dieser erfolgreichere Unternehmer für diese Gefälligkeit bei Max Streibl bedankt hat. Und zwar dadurch bedankt hat, dass er ihn zu ein oder mehreren Urlaubsreisen zum Beispiel nach Brasilien eingeladen hat. Aus Brasilien wurden dann Amigos. Max Streibl fand das damals lustig und das war eine komplettere Fehleinschätzung. Er trat nämlich bei einem Aschermittwoch vor die eigene CSU in Passau und begrüßte die mit "Saludos Amigos!". Das kam eventuell in dem Bierzelt noch gut an, aber in der Öffentlichkeit gar nicht. Wenige Monate später musste er dann seinen Rücktritt bekannt geben.

Edmund Stoiber und das Hightech-Land Bayern

Beate Winterer: Anders als Streibl hat Edmund Stoiber so manchen Skandal heil überstanden. Den um die BayernLB zum Beispiel und die Wohnungsbaugesellschaft LWS. Am Ende haben ihn Beckstein und Erwin Huber dann wegen schlechter Umfragewerte gestürzt. Was haben Sie denn von den vier Kabinetten, die Stoiber in 15 Jahren geführt hat, besonders in Erinnerung behalten?

Ursula Münch: Ich habe am meisten in Erinnerung behalten, dass er jemand war, der erkannt hat, Bayern ist Hightech-Land und das macht Investitionen erforderlich, um forschungsmäßig tatsächlich weiterhin in der obersten Liga zu spielen. Herr Stoiber ist dafür unter anderem berühmt und bekannt geworden, dass er relativ viele Anteile des Freistaates an Unternehmen verkauft hat. Und quasi - das hat ihm die Opposition vorgeworfen - dieses Tafelsilber versilbert habe und in diese Hightech Agenda hat einfließen lassen, was insgesamt schon meines Erachtens die richtige Entscheidung war. Allen Eltern ist Stoiber dadurch in Erinnerung - und nicht in guter Erinnerung - dass er völlig überstürzt das achtjährige Gymnasium eingeführt hat. Als er den bayerischen Schülerinnen und Schülern von wenigen Monaten zum nächsten Schuljahr ein Schuljahr gestrichen hat und das Kultusministerium in große Nöte gestürzt hat und die Lehrerschaft in große Nöte gestürzt hat. Das hat man nie ordentlich geplant und es ist nie ordentlich umgesetzt worden und nicht zuletzt ist es dann auch rückgängig gemacht worden von Seehofer. Und aus Sicht der Akademie ist in ganz verheerender Erinnerung - damals war ich noch nicht im Amt, aber ich weiß es natürlich -, dass damals die Ministerin, die Kultusministerin unter Stoiber, Frau Monika Hohlmeier, ihres Zeichens Tochter von Franz Josef Strauß, als Kultusministerin dem Landesvater, der sehr auf Sparkurs bedacht war und überall Arbeitsstunden der Beamten einsparen wollte, dass sie ihm ein besonderes Geschenk machen wollte und gesagt hat: "Die gesamte Erwachsenenbildung braucht 30 Prozent weniger Geld." Das hätte fast auch die Akademie ruiniert. Es ging dann einigermaßen glimpflich aus. Aber an all das erinnert man sich, wenn man über Stoiber spricht. Aber man darf eins nicht vergessen, also natürlich auch vieles, was er im Sinne dieser Wettbewerbsfähigkeit des Freistaats und seiner Wirtschaft und seiner Forschung geleistet hat.

CSU und FDP: Die erste bayerische Koalitionsregierung nach über 40 Jahren

Beate Winterer: Was Stoiber für die CSU geleistet hat, war auch das Wahlergebnis 2003. Da hat die CSU als erste und einzige Partei in einem deutschen Landesparlament eine Zweidrittelmehrheit erreicht. Fünf Jahre später, 2008 dann die Kehrwende. Da hat die CSU zum ersten Mal nach über 40 Jahren die absolute Mehrheit in Bayern verloren und musste mit der FDP in einer Koalition regieren. Die FDP ist nach diesen fünf Jahren direkt aus dem Landtag geflogen, eine Situation, die uns jetzt vielleicht auch wieder bekannt vorkommt. Wovon war denn diese erste Koalitionsregierung nach so langer Zeit, die Seehofer dann auch geführt hat, geprägt?

Ursula Münch: An diesen Veränderungen, die Sie gerade nennen, merkt man, wie schnell sich alles ändern kann. Von einer Wahl 2003 auf 2008 ein Stimmenverlust von 17,3 Prozent. Das ist schon viel. Wobei diese absolute Mehrheit an Mandaten für Stoiber tatsächlich kein Geschenk war, sondern wirklich eine Last, weil er im Grunde damit diese ganzen Reformen durchbringen wollte. Aber Sie haben nach der Koalitionsregierung mit der FDP gefragt. Das war die erste Koalitionsregierung, die dann Seehofer als Ministerpräsident angeführt hat. Da hatte die FDP nur zwei Ministerposten, nämlich den Wirtschaftsminister und den Wissenschaftsminister und noch eine Staatssekretärin. Was das Interessante aber ist, dass nach dieser langen Alleinregierung der CSU dann auf einmal alles in Koalitionsarithmetik gedacht wurde. Dann haben sich zum Beispiel die Koalitionspartner gemeinsam angeschaut "der ist von dir, der ist von dir". Und dann kam dieses ganz starke Denken in Parteibüchern, hat im Grunde in den bayerischen Ministerien Einzug gehalten, was bis dahin nie eine große Rolle gespielt hat. Man hat in Bayern immer diejenigen befördert, die die besten Staatsexamina hatten. Auf das Parteibuch hat man erst in den obersten Rängen geachtet. Das finde ich eigentlich das Interessante, dass durch diese Koalitionsregierung, dieses Koalitionsdenken und dieses parteipolitische Denken, Denken in Parteibüchern, was die Leute überhaupt nicht mögen, eher mehr Einzug gehalten hat als unter einer Alleinregierung. Wobei ich jetzt daraus kein Plädoyer für eine Alleinregierung ableite.

Horst Seehofer und der Wechsel ins Bundesinnenministerium

Beate Winterer: Einmal hat die CSU dann noch allein regiert unter Horst Seehofer. Er hat dem jetzt amtierenden Ministerpräsidenten Markus Söder die Staatskanzlei dann aber quasi überlassen, als er 2018 als Innenminister nach Berlin gewechselt ist. Heißt das, man kann das ganz große politische Lebenswerk nur im Bund vollenden? Oder gab es für den Seehofer-Wechsel dann doch andere Gründe?

Ursula Münch: Da gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Die meisten Bayerischen Ministerpräsidenten, die bisherigen, sind immer dafür bekannt, dass sie sagen, das sei das schönste Amt der Welt. Dass sie dann trotzdem immer Kanzlerkandidat werden - nicht alle, aber werden wollen-, ist ja nochmal eine andere Frage. Seehofer hatte im Grunde ganz lange versucht, Markus Söder zu verhindern, hat ihm das eine oder andere Attribut gegeben, das über Söder bis heute gesagt wird, wenig Schmeichelhaftes. Dass dann aber Horst Seehofer sich entschieden hat, zum Bund zu wechseln, hatte vielleicht auch damit zu tun, dass er dann die Migrationspolitik tatsächlich auch gestalten wollte, was ihm dann auch nur bedingt gelungen ist. Wo im Grunde dann CDU und CSU in den Jahren 2015 und 2016 sich viele Schlammschlachten geliefert hatten, die beide sogenannten Schwesterpartei. Der Hauptgrund aber war eigentlich der, dass tatsächlich Söder ihn auf diese Weise entsorgt – ist es ein böses Wort –, aber ihn aus dem eigenen Dunstkreis, vor allem aus dem Freistaat Bayern, hinausgedrängt hat. Da haben zwei miteinander gerungen und Seehofer hat nicht gewonnen.

Markus Söder und die erste Koalition mit den Freien Wählern

Beate Winterer: Markus Söder hat damals bei seiner ersten eigenen Landtagswahl auch gleich 2018 mehr als zehn Prozentpunkte verloren und regiert deshalb aktuell nicht mehr allein, sondern mit Hubert Aiwangers Freien Wähler. Es heißt oft, die Freien Wähler wären "Fleisch, vom Fleische der CSU". Aber ganz so harmonisch ist die Koalition dann doch nicht immer...

Ursula Münch: Gebe ich Ihnen Recht. Die ist inhaltlich in den meisten Sachen einigermaßen harmonisch. Es sind beide eher konservative, sogenannte bürgerliche Parteien. Unterschiede gibt's zum Beispiel mit Blick auf Energiepolitik, wo die Freien Wähler wesentlich mehr Windkraft zum Beispiel befürworten, als es bislang die CSU getan hat. Aber natürlich ist da auch viel Rivalität, weil natürlich, es nützt dem einzelnen CSU-Abgeordneten oder dem einzelnen Freien-Wähler-Abgeordneten nichts, wenn man sagt: "Naja, das sind alles konservativen Parteien." Die jeweilige Partei, der jeweilige Abgeordnete will, dass seine Fraktion möglichst stark ist. Insofern ist natürlich Rivalität. Gleichzeitig kann die CSU im Grunde dann auch den Freien Wähler dafür dankbar sein, dass in einzelnen Regionen die AfD sicherlich stärker wäre, wenn dort nicht die Freien Wähler die Leute dann doch eher gewinnen würden.

Ursula Münchs Tipp für die Bayerische Landtagswahl

Beate Winterer: Zum Schluss, Frau Münch, Ihr persönlicher Tipp: Welche Staatsregierung bekommen wir nach dem 8. Oktober?

Ursula Münch: Ich gehe davon aus, dass die künftige Staatsregierung keine Farben, politische Farben, der jetzigen Ampelregierung in Berlin haben wird. Dann läuft es automatisch entweder auf eine CSU-Alleinregierung hinaus, wonach es im nicht ausschaut. Wir hören ja auch vom CSU-Vorsitzenden, dass das angeblich die Leute die gar nicht mehr mögen - ein Schelm, der Böses dabei denkt. Dass es voraussichtlich tatsächlich auf eine Fortsetzung der Zusammenarbeit von CSU und Freien Wählern hinauslaufen wird. Interessant wird sein, mit welchen Stärken die beiden dann zusammenarbeiten.

Beate Winterer: Vielen Dank, Frau Münch. Wir schauen in den kommenden Monaten natürlich weiterhin auf die Landtagswahl und haben dazu weitere Podcast-Episoden geplant. Mehr verrate ich noch nicht. Am besten abonniert ihr "Akademie fürs Ohr" einfach, dann verpasst ihr nichts. Einen ganz offiziellen Termin gibt's aber schon: Vom 1. bis 3. Dezember heißt es bei uns in Tutzing "Bayern hat gewählt". Dann arbeiten Ursula Münch und unser Wahlforscher Jörg Siegmund die Landtagswahl zusammen mit anderen Fachleuten auf. Ihr könnt natürlich dabei sein. Die Veranstaltung findet ihr in den Shownotes. Bis zum nächsten Mal!

Ursula Münch: Ich bedanke mich, Frau Winterer.

Kontakt
Weitere News

Osteuropa, EU und NATO
Tagung zur geopolitischen Bedeutung der Region


Psychische Belastungen nach Auslandseinsätzen der Bundeswehr
Ausstellung "Gesichter des Lebens" porträtiert Soldatinnen und Soldaten


Die kritischen Infrastrukturen Wasser und Verkehr
Tagung zu Zukunft und Sicherheit


Die kritischen Infrastrukturen Wasser und Verkehr
Tagung zu Zukunft und Sicherheit


Bodenschutz und Landwirtschaft
Der scheinbare Konflikt zwischen Klimapolitik und Ernährungssicherheit


Verroht unser Diskurs?
Podiumsgespräch über den Zustand von Gesellschaft und Demokratie