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Spannungsfeld Naher Osten

Revolutionen und Konflikte vom Arabischen Frühling bis heute

Der Arabische Frühling war ein Umbruch im Nahen Osten. Dass die Bevölkerung sich länderübergreifend derartig mobilisiert und so laut nach demokratischer Teilhabe und einer offenen Gesellschaft gerufen hat, war bis 2010 in der Region nicht vorgekommen. Gut zehn Jahre nach den Revolutionen stellt sich die Frage, wo der Nahe Osten heute steht. Hierzu müssen reiche Ölmonarchien, autokratische Länder mit Bürgerkriegen und Militärregimen und der Israel-Palästina-Konflikt betrachtet werden. Aber auch externe Akteure wie Russland, die USA und die Türkei kämpfen in der Region um Macht. Der Sammelband "Umbruch Zerfall und Restauration - Der Nahe Osten im Spannungsfeld regionaler Akteure und externer Mächte" der Akademie für Politische Bildung gibt einen Überblick über die Entwicklungen der vergangenen Jahre.

Tutzing / Publikation / Online seit: 03.04.2022

Von: Sophia Maier / Foto: iStock/Siraj Albasha

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Hakan Akbulut / Steffen Hagemann / Anja Opitz (Hrsg.)
Umbruch, Zerfall und Restauration
Der Nahe Osten im Spannungsfeld regionaler Akteure und externer Mächte
[Eigen- und Kooperationsveröffentlichungen], Baden-Baden, 2022


Schutzmächte, Bündnisse, Feindschaften und Stellvertreterkriege. Demokratien zwischen Autokraten und Monarchen. Militärische Gewalt und friedliche Proteste. Religiöse, ökonomische, historische und territoriale Konflikte. Der Nahen Osten ist komplex, eine von brutalen Kriegen, außergewöhnlichen Bündnissen und internationalen Akteure geprägte Region. Die neue Publikation der Akademie für Politische Bildung "Umbruch Zerfall und Restauration - Der Nahe Osten im Spannungsfeld regionaler Akteure und externer Mächte" bietet einen Überblick und eine Einordnung der wichtigsten Ereignisse, der gravierendsten Konflikte und der einflussreichsten Akteure in der Nahost-Region vom Arabischen Frühling bis heute. Die Autorinnen und Autoren werfen einen Blick auf regionale Player wie den Iran, die Türkei, Saudi-Arabien und Israel, aber auch auf die Rolle internationaler Großmächte, wie die USA, die EU und Russland. Die Publikation beleuchtet verschiedenste Konflikte in der Region, vom Jemen-Krieg über die komplexen Kooperationen und Konflikte Israels bis hin zum Syrienkrieg und der russischen Beteiligung darin. Angesichts des Angriffs Russlands auf die Ukraine lassen sich Motive, Parallelen und Strategien, aber auch Unterschiede wahrnehmen, die bei Einordnung der aktuellen Situation helfen.

Russland als strategischer Akteur im Nahen Osten

Der jüngste Versuch Russlands, das eigene Territorium und die Macht in Europa auszubauen, folgt auf Einsätze im Nahen Osten. Das aktuellste Beispiel ist der Krieg in Syrien, bei dem Russland aktiv mitwirkte, sich immer wieder mit den USA zerwarf, sich als Schutzmacht des syrischen Regimes unter Diktator Baschar al-Assad verstand und nicht davor zurückschreckte, an der Seite des Irans und der Hisbollah zu kämpfen. Ziel war es, eine Führung an der Macht zu halten, die Russlands Interessen in der Region vertritt. Das schwierge Verhältnis der verschiedenen Akteure im Syrienkrieg, geprägt von strategischen Bündnissen, Misstrauen und Vertragsbrüchen, beschreibt in der Publikation Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck. Putin begründete die Beiteiligung am Syrienkrieg mit der Wiederherstellung von Sicherheit für russische und christliche Bürgerinnen und Bürger in der Region und mit dem Vorwand, dass durch den Sturz der Regierung in Syrien die islamistische Szene im Nordkaukasus Aufwind bekommen würde. Das Narrativ bedrohter russischer Bürgerinnen und Bürger, das Abwenden regionaler Konfliktherde, die Kontrolle über ein fremdes Territorium: In den Narrativen Russlands während des Syrienkriegs finden sich einige Parallelen zum heutigen Krieg in der Ukraine.

Der Arabische Frühling: Was haben die Revolutionen bewirkt?

Der Krieg in Syrien ist Resultat des Arabischen Frühlings, einer Protestwelle für politische Reformen, die 2010 und 2011 ausgehend von Tunesien unter anderem auch Libyen und Ägypten ergriff. Die Entwicklung in Syrien ist beispielhaft für die Verläufe des Arabischen Frühling in den verschiedenen Ländern. Was zunächst wie der Anfang eines historischen Transformationsprozesses zu demokratischen Gesellschaften wirkte, entpuppte sich als deutlich komplizierter: Die Revolutionen waren geprägt von Rückschlägen, Niederlagen, Repressionen und Militarisierung. Sie führten zu heftigen Konflikten und Unterdrückung bis hin zu ausartenden Bürgerkriegen. Helmut Krieger vom Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien widmet sich in der Publikation dem Weg zum Arabischen Frühling und der Dialektik von Revolution und Konterrevoution im Nahen Osten seit 2011. Dabei geht er der Frage nach, wie die Aufstände entstanden, ob und warum sie scheiterten und welches Potenzial für die Zukunft besteht. Sherin Gharib von der Universität Wien beschreibt die Veränderungen nach dem Sturz Mubaraks in Ägypten. Hier sind militärische Eliten eine politisch und auch wirtschaftlich einflussreiche Gruppe, die durch Modernisierungsprojekte und Rüstungsverträge mit externen Akteurinnen und Akteuren ihre Macht nach Innen wie nach Außen ausbauen und festigen. Das Militärregime inszeniert sich als Treiber wirtschaftlichen Wachstums und Modernisierung, wobei es selbst der größte Profiteur ist. Proteste werden gewaltsam unterdrückt. 

Saudi-Arabien: Die Kluft zwischen Vision und Realität

Auch Saudi-Arabien inszeniert sich als Land der Modernisierung und Veränderung. Während der neue Monarch Mohammed Bin Salman im Westen oftmals für seine Reformen gelobt wird, wirft Iris Wurm von der Goethe Universität Frankfurt einen Blick hinter die Kulissen und auf die Abgründe eines autokratischen Staates. Mohammed Bin Salman will sein Land dem Westen öffnen und es zukunftssicher machen. Frauen dürfen Autofahren, arbeiten und wurden ein Stück weit emanzipiert. Bin Salman regiert aber auch mit eiserner Faust: Kritiker und Oppositionelle aus der eigenen Familie ließ er verhaften, öffentliche Auspeitschungen, Folter, Hinrichtungen und die Repression von Bürgerrechtlern stehen auf Tagesordnung. Er pocht weiter auf den teuren, mittlerweile aussichtslos erscheinenden Stellvertreterkrieg gegen den Iran im Jemen und nutzt die Manipulation der Ölpreise als internationales Druckmittel. Iris Wurm untersucht, ob er seine Ziele mit seinem bisherigen Kurs erreichen kann und wie er seine ambivalenten Richtungen in seiner Führung vereint.

Israel: Sonderbeziehungen und Narrative

Eine große Rolle im Sammelband "Umbruch Zerfall und Restauration - Der Nahe Osten im Spannungsfeld regionaler Akteure und externer Mächte" nimmt Israel ein. Das Land, das seit seiner Gründung in unsicheren Verhältnissen lebt, geht als Sieger aus den Entwicklungen in den Nachbarländern hervor. Während die Revolutionen ein Land nach dem anderen ergriffen, stellte die israelische Regierung unter Benjamin Netanjahu die Ereignisse nach Innen wie nach Außen als Gefahr für Israel, die Region und die internationale Ordnung dar. Durch diesen Deutungsrahmen wurde nicht zuletzt die anhaltende Besatzung palästinensischer Gebiete legitimiert, sondern auch neue, zuvor undenkbare Bündnisse mit Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten geschlossen. Dem Framing der israelischen Regierung und den Gewinnen, die sie wider Erwarten aus dem Arabischen Frühling ziehen konnte, widmet sich in seinem Aufsatz Steffen Hagemann, Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv.

Eine ganz besondere Beziehung verbindet Israel mit seiner Schutzmacht, den USA. Vor allem die Trump-Administration hat hierzu entschieden beigetragen, durch die Anerkennung der Golanhöhen als israelisches Territorium, die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem und die Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran. Die USA hegen zwar seit der Gründung Israels eine enge Partnerschaft zu dem Land. Einen solchen gewichtigen Schritt hat allerdings bisher kein Präsident gewagt. Wolfgang Tönnesmann, bis 2014 Direktor der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz, nimmt diese besondere Beziehung unter die Lupe und erklärt, welche Rolle sie in der amerikanischen Innenpolitik spielt: In den Vereingten Staaten gibt es verschiedenste Lobbyisten-Gruppen, darunter in den USA lebende Jüdinnen und Juden. Sie setzen sich für die Sonderbeziehungen zwischen den beiden Staaten ein. Eine zweite wichtige Gruppe, die diese Beziehungen beeinflusst, sind religiös motivierten Evangelikale, die es als ihre biblische Pflicht sehen, Israel als gottgeschaffenen Staat zu unterstützen. So ergibt sich ein breites Spektrum Israel zugewandter Wählergruppen sowie Spenderinnen und Spendern für Wahlkampagnen, welche die Beziehung zwischen den USA und Israel außen- wie innenpolitisch beeinflussen.

Die Israelpolitik Trumps und seine "Strategie des maximalen Drucks" auf den Iran, haben auch die liberale Weltordnung durcheinandergebracht und vor allem die EU auf die Probe gestellt. Elena Dück von der Universität Passau beschäftigt sich in der Publikation mit den abweichenden Ordnungsvorstellungen und Strategien innerhalb der EU und zwischen Europa und den USA. Nachdem Donald Trump das Atomabkommen mit dem Iran aufgekündigt hatte, war es an der EU, den Iran zu besänftigen und die Durchführung der Vertragskonditionen aufrechtzuerhalten. Gespaltenheit unter den Mitgliedsstaaten in Bezug auf die Beziehung zu Israel haben es erschwert, eine eindeutige Haltung einzunehmen und sich im Hinblick auf die USA zu positionieren. Auch wenn Joe Biden als eine seiner ersten Amtshandlungen den erneuten Beitritt der USA in das Abkommen beschlossen hat, bleibt die Frage offen, wie die EU in Zukunft mit den internen Spannungen und Koordinationsproblemen umgeht und ihre Beziehung zu Israel gestaltet.

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