Ökonomie vs. Ökologie?
Wie Unternehmen zum Klimaschutz und Umweltschutz beitragen können
Die Klimakrise ist eine Mammutaufgabe, die von der Weltbevölkerung gemeinsam bewältigt werden muss. Es braucht die Expertise von Wissenschaft, Wirtschaft sowie Aktivismus und vor allem auch die Partizipation aller Bürgerinnen und Bürger. Doch die unterschiedlichen Interessenslagen führen zu Konflikten und Kompromissen. Lassen sich Ökologie und Ökonomie vereinbaren? Wie gestaltet sich der öffentliche Diskurs? Welcher gesellschaftlicher Wandel ist nötig? Diese Fragen hat die Abendveranstaltung "Klima- und Umweltpolitik: Internationale, nationale und regionale Herausforderungen" der Akademie für Politische Bildung und der gwt Starnberg GmbH gestellt.
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 17.07.2021
Von: Paula Ammer / Foto: Beate Winterer
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"Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht des Staates umfasst auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels, etwa vor klimabedingten Extremwetterereignissen wie Hitzewellen, Wald- und Flächenbränden, Wirbelstürmen, Starkregen, Überschwemmungen, Lawineabgängen oder Erdrutschen zu schützen", schreibt das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 23. März 2021. Es erklärt das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung nach einer Klage von Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten in Teilen für verfassungswidrig. Ein historisches Urteil. Das Bundesverfassungsgericht fordert die Regierung auf, mehr zu unternehmen, um den zukünftigen Generationen ein lebenswertes Leben zu gewährleisten. Aber was genau heißt das? Was sind die richtigen Strategien und Instrumente, um CO2-Emissionen zu vermindern - international, national sowie regional? Darüber haben Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung auf der Abendveranstaltung "Klima- und Umweltpolitik" der Akademie für Politische Bildung und der gwt Starnberg GmbH diskutiert.
Wie kann jeder einzelne das Klima schützen?
Akademiedirektorin Ursula Münch beschreibt den gesellschaftlichen Diskurs über Energiepolitik und Klimapolitik als paternalistisch. Aussagen wie "Ach wie schön, dass sich die Jugend für die Umwelt einsetzt" wirken auf sie irritierend und befremdlich. Im Hinblick auf Klimaschutz spricht Münch von zwei Welten, die es zu vereinen gilt: Klimaforschung und Umweltforschung auf der einen und die Politik auf der anderen Seite. Beide Systeme folgen jedoch einer jeweils unterschiedlichen Logik, was die Zusammenarbeit vor enorme Herausforderungen stellt. Die Politik muss eine Vielzahl an Interessen bündeln, Kompromisse zwischen konkurrierenden Lösungsansätzen finden und diese in Entscheidungen überführen. Dazu kommt, dass viele Abgeordnete heute Berufspolitikerinnen sind. Bei jeder politischen Entscheidung haben sie auch die Sicherung ihres Arbeitsplatzes im Blick. Das führt zu weiteren Kompromissen, während Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten in einer Apokalypsenrhethorik vor der bevorstehenden Klimakatastrophe warnen.
Bei vielen Menschen entsteht ein Ermüdungseffekt, denn die Auswirkungen des Klimawandels lassen sich oft nur schwer mit ihrer eigenen Lebensrealität in Verbindung bringen. Was bedeutet es für mich persönlich, wenn die Meeresspiegel steigen und es bald weder Eisbären noch Bienen gibt? Hinzu kommt die postpandemische Aufbruchsstimmung, die eine Reise- und Konsumeuphorie weckt und eine Verhaltensänderung in Richtung Ressourcenschonung verhindert. Die Apokalypsenrhetorik der Aktivistinnen und Aktivisten wirkt in dieser Situation eher kontraproduktiv als zielführend, da sich ein Gefühl der Lähmung breit macht.
Im öffentlichen Diskurs um Ressourcenschonung erkennt Ursula Münch ein Konglomerat aus allgemeinen Interessen und Sonderinteressen. Das Verhalten der Menschen folgt der Logik des kollektiven Handelns nach Mancur Olson. Der Einzelne betrachtet seinen Kooperationsbeitrag als so unbedeutend, dass er sein Handeln aus Bequemlichkeit nicht ändert. Vor allem, wenn es bereits eine Gruppe gibt, die sich explizit für dieses Sonderinteresse einsetzt, wird das Feld nicht nur vorschnell, sondern auch guten Gewissens diesen Menschen überlassen. Ein Beispiel: Die Bekämpfung des Klimawandels erscheint wie eine überdimensionale Aufgabe für die gesamte Weltbevölkerung. Um Treibhausgase zu reduzieren, wäre es sinnvoll, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Für viele Menschen stellt sich jedoch die Frage, welchen Einfluss ihr eigener Arbeitsweg auf die Bewältigung solch einer Mammutaufgabe wirklich hat. Sie sehen, dass andere Menschen bereits mit dem Fahrrad fahren und haben das Gefühl, dass es schon ausreiche, wenn es die anderen täten. Wird der Klimawandel tatsächlich gestoppt, profitieren ohnehin alle davon - nicht nur die Radfahrer.
Die regionale Energiewende
Der regionale Bezug spielt bei den Kooperationsveranstaltungen von Akademie und gwt Starnberg immer eine wichtige Rolle. Zuletzt ging es darum, wie Politik und Unternehmen den Wohlstand in der Region fördern können. Auch der Klimawandel lässt sich nur dann bekämpfen, wenn im Kleinen an Lösungsstrategien gearbeitet wird. Markus Zimmer von der Allianz stellt ein regionales Energiekonzept vor, das sein Arbeitgeber erarbeitet hat. Unter anderem könnten 185 Windräder dazu beitragen, den bayerischen Strombedarf zu decken. Die Zahl erscheint hoch, entspricht aber einer Windkraftanlagendichte, die in anderen Bundesländern bereits zu finden ist. Einen ähnlichen Effekt hätten mehr Solaranlagen und Photovoltaikanlagen. Hier sollte eine Dachflächennutzung von 54,3 Prozent angestrebt werden. Darüber hinaus ist die Sanierung von Gebäuden ein zentraler Faktor für die wirtschaftliche Bewertung erneuerbarer Stromerzeugung und Effizienz.
Spannend für den Teilnehmendenkreis der Veranstaltung, der sich zu einem großen Teil aus Unternehmerinnen und Unternehmern aus der Region zusammensetzte, war vor allem die Frage nach den Kosten. Markus Zimmer geht davon aus, dass die Unterschiede zum Status quo durch den technischen Fortschritt auf dem Gebiet der Erneuerbaren Energien geringer sein werden als erwartet. Er rechnet mit 30 bis 90 Euro pro Person und Jahr - bazahlbare Dimensionen für die Region. Finanziell schwache Haushalte sollten seiner Auffassung nach entlastet werden.
Ökologie und Ökonomie - ein Widerspruch?
Martin Stuchtey, Gründer der SYSTENIQ GmbH, bezeichnet die Annahme, dass Ökologie und Ökonomie ein Widerspruch wären als "das Missverständnis unserer Zeit". Durch bewusstes Framing werde dieses Phänomen etwa mit Begriffen wie "Öko-Diktatur" von Politik und Medien verstärkt. Als Voraussetzung für einen gesellschaftlichen Wandel sieht Stuchtey die Schaffung einer neuen gedanklichen Architektur. Er stellt den "System Change Compass" seines Unternehmens vor, ein Navigationsinstrument aus insgesamt zehn Faktoren. Diese befassen sich unter anderem mit der Neudefinition von Wohlstand, Ressourcennutzung, Fortschritt, Wettbewerbsfähigkeit, Konsum und Finanzierung. Die zentralen Rollen nehmen die Dematerialisierung und die Hinwendung zu einem zirkulären Ressourcensystem ein. Das Prinzip "weniger Besitz mehr Nutzung" wird am Beispiel des Autos deutlich: Eigentlich brauchen Menschen kein Auto, sondern Mobilität. Das Geschäftsmodell des Carsharings verringert die Anzahl der Autos und erhöht gleichzeitig die Personenkilometeranzahl pro Auto. Das Resultat: Es müssen weniger Autos produziert, gewartet und geparkt werden. Gleichzeitig werden die vorhandenen Fahrzeuge intensiver genutzt. Durch Dematerialisierung entsteht ein neudefinierter Wohlstand, der nicht an Ressourcen gebunden ist und sich an die sich immer schneller drehende Marktwirtschaft anpasst.
Nachholbedarf bei der Ernährungswende
Martin Stuchtey registriert bereits sehr viele Innovationen und neue Geschäftsideen. Nachholbedarf sieht er jedoch vor allem in der Ernährung, die im Hinblick auf die wachsende Weltbevölkerung zwangsläufig mit weniger tierischen Produkten auskommen muss. Zwar nicht pflanzenbasiert, aber innovativ, agiert die Andechser Molkerei Scheitz. Die Geschäftsphilosophie baut auf dem Konzept der Klimabauern auf. Der Fokus liegt nicht mehr nur auf dem Endprodukt, sondern auf der gesamten Produktionskette, wie Geschäftsführerin Barbara Scheitz erklärt: gentechnikfreie Landwirtschaft, CO2-Bindung im Boden, Humus-Aufbau, Artenvielfalt, Tiergesundheit und eine möglichst sparsame Molkereiproduktion. In der anschließenden Diskussionsrunde wirft die Tutzinger Bürgermeisterin Marlene Greinwald die Forderung in den Raum, Landwirte nicht nur pro Liter Milch zu entlohnen, sondern ebenso nach der Gesundheit des Bodens. Dieser Vorschlag trifft auf großen Beifall.
Gesellschaftlicher Wandel aus der Mitte
Als zentral sehen alle Rednerinnen und Redner die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Veränderung. Es brauche eine Offenheit gegenüber Innovationen, die vor allem durch die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger in frühe Stadien der Planung erreicht werden kann. Monika Kratzer, Leiterin der Abteilung Klimaschutz, technischer Umweltschutz und Kreislaufwirtschaft im Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz, sieht Deutschland auf einem guten Weg. Während es von außen scheint, als ob sich lediglich ein paar junge Menschen für die Thematik einsetzen, sei es in Wirklichkeit der Großteil der Gesellschaft. Die verzerrte Wahrnehmung entsteht durch die ungleiche mediale Präsenz beider Seiten, da vor allem im Netz die kritischen Stimmen um einiges lauter als die Bestätigungen sind. Dabei sind die Auswirkungen des Klimawandels bereits in unserem Alltag angekommen, was an Extremwetterereignissen wie Hochwasser und Hagelstürmen deutlich wird. Kratzer ruft dazu auf, laut und mutig zu sein, die Herausforderungen als Chancen zu begreifen und den Weg gemeinsam mit allen Kräften der Wissenschaft, Wirtschaft, dem Aktivismus und allen Bürgerinnen und Bürgern gemeinsam zu bestreiten.