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Die Simpsons: Politische Bildung in Gelb?

Akademie-Kurzanalyse 1/2015 von Moritz Fink

Der Aufsatz "Politische Bildung in Gelb? 25 Jahre 'Die Simpsons' und die gesellschaftspolitische Relevanz der Satire" von Moritz Fink wurde im März 2015 als Akademie-Kurzanalyse veröffentlicht.

Tutzing / Publikation / Online seit: 06.07.2021

Von: Dr. Moritz Fink / Foto: iStock/mrpluck

Moritz Fink
Politische Bildung in Gelb?
25 Jahre »Die Simpsons« und die gesellschaftspolitische Relevanz der Satire
Akademie-Kurzanalysen, Tutzing, 2015

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Nirgends tritt das Verhältnis zwischen politischer Diskussion und Populärkultur deutlicher zutage als im Genre der Satire. Steht jede Form der Fiktion notwendigerweise in Bezug zur Realität, definiert sich die Satire seit jeher durch eine humoristische und kritische Auseinandersetzung - und damit explizite Bezugnahme - auf gegebene politische bzw. gesellschaftspolitische Realitäten.

Den schmalen Grat zwischen (manchmal rabenschwarzem) Humor und bitterem Ernst, auf dem der Satiriker bisweilen wandelt, führte uns jüngst der schockierende Terroranschlag auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo vor Augen. Versucht man diesem schrecklichen Ereignis irgendetwas Positives abzugewinnen, wäre dies zumindest die Erinnerung an die gesellschaftspolitische Relevanz der Satire als wichtiges Instrument der politischen Diskussion in Demokratien. Das Symbol des Buntstifts auf den zahlreichen Solidaritätsdemonstrationen sowie die langen Schlangen vor den Kiosken, an denen Charlie Hebdo in der Woche nach dem Anschlag in hundertfach erhöhter Auflage angeboten wurde, waren ebenso spontane wie niedrigschwellige Formen des Zuspruchs. Für einige Zeit waren wir plötzlich alle "Charlie".

Teil dieser Solidaritätswelle waren, neben zahlreichen Politikern und Prominenten, auch "Die Simpsons". Die US-Fernsehserie mit ihren gelben Zeichentrickfiguren feierte unlängst das 25. Jubiläum ihres Debüts am 17. Dezember 1989. Folge 563, ausgestrahlt nur wenige Tage nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo, endete mit der Bekundung "Je suis Charlie".

Mit mittlerweile weit über 500 Folgen sind "Die Simpsons" die am längsten laufende fiktionale Serie im amerikanischen Primetime-Fernsehen. Das ist schon insofern bemerkenswert, als im hochkommerziellen System des US-Fernsehens die Halbwertszeit einzelner Programme für gewöhnlich nicht von großer Dauer ist. Freilich waren die Bleistifte der Simpsons-Macher selten so gespitzt wie die der Karikaturisten von Charlie Hebdo; provokative Abbildungen, wie die des Propheten Mohammed, wird man bei den Simpsons vergeblich suchen. Im Unterschied zu Satirezeitschriften wie Charlie Hebdo - normalerweise Nischenmedien mit einer relativ kleinen Leserschaft - präsentierten sich "Die Simpsons" stets in Mainstream-tauglichem Gewand. Nur so konnte das Format auf dem hart umkämpften Fernsehmarkt bestehen, nur so wurden "Die Simpsons" zu einer popkulturellen Institution und ihre Macher zu millionenschweren Geschäftsleuten im internationalen Kulturbetrieb.

Die Entstehung der Simpsons

Die steile Karriere der Simpsons beruht auf einer Reihe von Umständen, wie sie im Fernsehgeschäft nur sehr selten zusammentreffen. Die Entstehung der Serie fällt in eine Zeit des Umbruchs - nicht nur in weltpolitischer, sondern auch in medienhistorischer Hinsicht. Bis in die späten 1980er-Jahre scheint die Fernsehlandschaft in Amerika relativ überschaubar. Kabel- und Satellitentechnik stecken noch in den Kinderschuhen; das amerikanische TV-Programm dominieren die landesweit ausgestrahlten, alteingesessenen Networks CBS, NBC und ABC. Die vorherrschende Philosophie der Fernsehmacher ist das sogenannte "Broadcasting": Es geht darum, ein möglichst breites Publikum über den vielzitierten "kleinsten gemeinsamen Nenner" zu bedienen.

Doch in den Jahren 1985/86 geht mit Fox ein neuer Stern am Fernsehmarkt auf: Fox TV, als Ableger des Rupert Murdoch'schen Medienimperiums News Corporation gegründet, wird zum vierten landesweit empfangbaren TV-Kanal in den USA. Im Schatten von CBS, NBC und ABC - der sogenannten "Big Three" - setzt Fox vor allem auf Distinktionsstrategien, um sich vom konventionellen TV-Programm abzusetzen. Es scheint klar, dass man in absehbarer Zeit unmöglich dazu imstande sein wird, mit der Massenwirkung der drei großen Networks mitzuhalten. Die Programmgestalter bei Fox zielen daher auf kulturelle Nischen, in der Hoffnung, einen kleinen, aber wertvollen Marktanteil abgreifen zu können. Die Strategie lautet "Narrowcasting" statt "Broadcasting". Mit der Drama-Serie "21 Jump Street", der Sitcom "Married ... with Children" (dt. "Eine schrecklich nette Familie"), der Sketch-Comedy "The Tracey Ullman Show" und eben der animierten Gesellschaftssatire "Die Simpsons" wirbt Fox um ein spezifisches Publikumssegment: jung, urban, multikulturell, liberal.

Ein Schachzug, der sich als effektiv erweisen sollte. Das von Fox anvisierte Publikum entspricht einem Modell, das Medienwissenschaftler seit den 1970er-Jahren als qualitative audiences bezeichnen. Der Fernsehmarkt stellt sich demnach nicht in einem mehr oder weniger homogenen Massenpublikum dar, sondern vielmehr in einem Ensemble von multiplen, sich überlappenden "Publika". Als "Qualitätspublikum" werden die potenziellen Fox-Konsumenten als besonders medienerfahren charakterisiert. Sie sind jung und konsumorientiert und somit lukrativ für Sponsoren, deren Interesse in Amerika letztlich über das Aus oder Fortbestehen eines Fernsehprogramms entscheidet. Und nicht zuletzt handelt es sich hierbei um ein besonders loyales Publikum, eine Qualität, die sich insbesondere in den Fankulturen ausdrückt, die um die Inhalte von Fox - allen voran um die Simpsons - entstehen.

Das Credo bei Fox in den Anfangsjahren lautet: 'Seid bereit Experimente und Risiken einzugehen!' So fungieren die gelben Zeichentrickfiguren rund um die chaotische Familie Simpson ursprünglich als eine Art Mainzelmännchen in kurzen, animierten Zwischensequenzen vor und nach den Werbepausen der "Tracey Ullman Show". Die Vorlage für die Simpsons-Clips liefert dabei ein gewisser Matt Groening, der sich in der alternativen Cartoon-Szene von Los Angeles bereits einen Namen mit seinem Comic-Strip "Life in Hell" gemacht hatte. Die Clips selbst werden unter extremen Low-Budget-Bedingungen realisiert. Ein kleines Animationsstudio in Los Angeles erweckt die groben Skizzen Groenings zum Leben; die Sprecher werden kurzerhand aus dem Cast von "Tracey Ullman" rekrutiert, die Tonaufnahmen zwischen den Drehpausen abseits der Bühne abgewickelt.

Zunächst führt der mäßige Erfolg von "Tracey Ullman" aber beinahe zum Aus für die Simpsons, noch ehe sich die gelben Figuren bewähren können. Mit einem Kostenaufwand von circa 15.000 US-Dollar pro Clip liegt bei manchem Fox-Offiziellen der Gedanken nahe, die Simpsons-Shorts abzusetzen, um "Tracey Ullman" weiterhin produzieren zu können.1 Dass ausgerechnet die Simpsons zum Retter des finanziell angeschlagenen Senders werden sollten, ist dann wohl so etwas wie die sprichwörtliche Ironie der Geschichte.

Entgegen den Erwägungen des Senders, die animierten Clips aus dem Programm zu nehmen, verfolgen die Schöpfer der Trickfilmsequenzen grundlegend andere Pläne: Neben Matt Groening ist es vor allem der altgediente Fernsehproduzent James L. Brooks, der sich gegenüber den Fox-Exekutiven für die Simpsons als Hauptfiguren einer eigenen Serie stark macht. Er plädiert für eine animierte Sitcom im Prime-Time-Segment wie einst die Flintstones (dt. "Familie Feuerstein") in den 1960er-Jahren - eine Art Flintstones für die Neunziger. So unorthodox diese Idee gut 20 Jahre nach der finalen Staffel der Flintstones im Jahre 1966 wirkt, so verführerisch scheint der Gedanke, ein Comedy-Format anzubieten, das sich grundsätzlich von allem unterscheidet, was seinerzeit im Fernsehen zu sehen ist.

Schließlich gelingt es, insbesondere dank der intensiven Überzeugungsarbeit von Brooks, die größten Zweifel auszuräumen. Bei der Konzeption der Serie geht der TV-Veteran keinerlei Kompromisse ein. Brooks' Forderung: Weder werde es einen Pilotfilm geben, wie er üblicherweise bei neuen Fernsehserien als eine Art Testballon der ersten Staffel vorausgeschickt wird, noch dürfe es sich bei den "Simpsons" um eine bloße Reihung von Special-Folgen handeln. Vielmehr sollen die Simpsons neben den Bundys von "Married ... with Children" zum Aushängeschild für das Comedy-Programm von Fox werden, indem sie das satirische Bild des alltäglichen Wahnsinns im Familienleben der weißen amerikanischen Vorstadtidylle vorführen.

Die Politisierung der Simpsons

"Die Simpsons" bieten eine Bühne für Anti-Helden. In der unteren Mittelschicht beheimatet, sind Homer & Co gesellschaftliche Underdogs und gewinnen durch ihre rebellische Attitüde an Sympathie. Bart Simpson beispielsweise symbolisiert und proklamiert den Typus des sogenannten "Underachiever", also jemand, der gerade nicht (!) alles dafür tut, der Beste zu sein; jemand, dem dieser Status nicht nur nichts bedeutet, sondern der dieses Gefühl der nihilistischen Gleichgültigkeit auch noch stolz nach außen trägt. Bart Simpson ist somit prädestiniert als Gallionsfigur der sogenannten Generation X und deren Ablehnung der westlichen Fleißkultur im Allgemeinen und des amerikanischen Wertesystems im Speziellen.

Nach ihrem Debüt werden "Die Simpsons" zu einem landesweiten Superhit. Alsbald sind Bart-Simpson-T-Shirts mit der Aufschrift "Underachiever and proud of it" allgegenwärtig auf amerikanischen Schulhöfen. Eltern und Lehrer reagieren vielerorts besorgt. Am Ende könnte Bart Simpsons rebellischer Gestus das Wohl der Kinder gefährden. An einige Schulen ist das Tragen der T-Shirts sogar untersagt.

Konservative Reflexe dieser Art tragen schnell ihr Übriges zum Kultstatus der Serie bei. Von einem Tag auf den anderen geraten "Die Simpsons" zwischen die kulturellen Fronten. Dabei ist es kurioserweise der damals amtierende Präsident George Bush Senior höchstpersönlich, der die Simpsons publikumswirksam in Szene setzt: In einer Wahlkampfrede im Jahre 1992 spricht er davon, dass die Serie für den Werteverfall in Amerika stehe. Amerika müsse wieder mehr werden wie die Waltons (der gleichnamigen Serie aus den 1970er-Jahren) und weniger wie die Simpsons, wettert Bush.

Eine Steilvorlage, die die selbstironischen Simpsons-Macher natürlich gerne annehmen. Bereits der nächsten Sendung wird ein kurzer Clip vorangestellt, der die Familie beim Abendessen und gemeinsamen Fernsehen zeigt.2 Im animierten Fernseher ist die Originalrede Bushs zu sehen. Nach Bushs Simpsons-Kommentar entgegnet Bart neckisch: "Hey! Wir sind wie die Waltons. Wir beten auch für ein Ende der Krise!"3 (Eine Krise, für die natürlich niemand anders als der damalige Präsident, das heißt Bush selbst, die Verantwortung tragen würde.) "Die Simpsons" zu schauen, das bedeutete plötzlich auch, sich oppositionell zur neokonservativen Politik der Bush-Regierung zu positionieren.4

In der Tat können "Die Simpsons" mit ihrer für Fernsehverhältnisse außerordentlich langen Karriere als eine Art kultureller Seismograf verstanden werden. Viele der vor allem jungen Zuschauer sehen in der Serie eine kluge und selbstironische Entzauberung des Mythos vom American Dream. Schauplatz ist das Haus der Familie Simpson - eine Antithese zur klassischen, perfekten Fernsehfamilie - mit einem trinkfreudigen, fluchenden Vater, einer notorisch besorgten Mutter und drei Kindern, deren Spiele und Streiche stets eine antiautoritäre Attitüde proklamieren. Die Simpsons stehen damit im krassen Gegensatz zur Familienidylle, wie sie das amerikanische Fernsehen in Gestalt der Cosbys oder Tanners samt ihres außerirdischen Untermieters ALF in den 1980er-Jahren überwiegend bot.

Nicht zuletzt erweitert sich das Zuhause der Simpsons um einen ganzen Mikrokosmos: Die Kleinstadt Springfield als satirischer Spiegel der Gesellschaft ist geprägt von einem korrupten Bürgermeister, einer vertrottelten Polizeitruppe, einem dysfunktionalen Schulwesen, einem zynisch-versnobten Entertainment-Business und skrupellosen Großkapitalisten. "Die Simpsons" erweisen sich als kritisch gegenüber Obrigkeiten und respektlos gegenüber Autoritäten: Politikbetrieb, Medien, Lobbyverbände, Schule, Kirche und Ehe als institutionelle Formen einer eindimensionalen Gesellschaft - das Simpson'sche Universum ist eine Arena, in der das gesamte gesellschaftliche Establishment schonungslos provoziert und aufs Korn genommen wird. In diesem Sinne handelt es sich bei den Simpsons um ein Echo der gegenkulturellen Bewegung der 1960er- und 1970er-Jahre. "Subversion und Unterhaltung", das wird Simpsons-Erfinder Groening nicht müde zu betonen, sei seit jeher das zentrale Motto der Serie gewesen.

Von diesem Outlaw-Image kann heute natürlich kaum noch die Rede sein. 25 Jahre nach ihrem Debüt sind "Die Simpsons" längst in der Medienlandschaft etabliert. Mit Emmys überhäuft, vom Feuilleton gefeiert, vom Time Magazine zur besten Fernsehserie des 20. Jahrhunderts gekürt, mit einem eigenen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame geehrt und mit Homer Simpsons berühmter Catchphrase "D'oh!" (in der deutschen Fassung: "Nein!") als offiziellen Eintrag im Oxford English Dictionary haben "Die Simpsons" Einzug in die millenniale Popkultur gehalten wie kaum ein zweites TV-Phänomen der 1990er-Jahre.

Und dennoch: Seit ihren ersten Auftritten bei "Tracey Ullman" wurden "Die Simpsons" stets kontrovers diskutiert. Von einigen Leuten nach wie vor als reine Kindersendung unterschätzt, wird die Serie ebenso oft als obszön oder politisch inkorrekt verurteilt. In vielen konservativen amerikanischen Haushalten gelten "Die Simpsons" bis heute als mediale No-Go-Area. In der Schweiz wird die Serie mit dem Hinweis, das Programm sei für Kinder unter zwölf Jahren nicht geeignet, ausgestrahlt. In der arabischen Version "Al Shamshoon" wurden einige, vermeintlich sittenwidrige Szenen kurzerhand herausgeschnitten. In Russland dürfen die gelben Trickfiguren erst nach 23:00 Uhr und teilweise nur in editierter Form gezeigt werden. In der Türkei verurteilte ein Gericht den Sender, auf dem "Die Simpsons" laufen, zu einer Geldstrafe; Grund war die satirische Darstellung von religiösen Motiven, welche als Beleidigung aufgefasst werden könnten.5

Der politische Humor der Simpsons

Dass "Die Simpsons" eine Hausmarke des Senders Fox TV sind, wirkt angesichts ihrer oppositionellen Aura zunächst irritierend. Diese merkwürdige Symbiose muss aber vor dem Hintergrund der Gründungsphase von Fox gesehen werden. "Die Simpsons" spielten eine ökonomische Schlüsselrolle bei der Etablierung des Murdoch-Senders und fungierten als Zugpferd bei der Vermarktung von Fox als neuen, jugendlich-hippen Sender. Dafür wurde dem Produzententeam rund um Matt Groening ein Maß an kreativer Freiheit eingeräumt, das es im Network-TV in dieser Ausprägung wahrscheinlich kein zweites Mal gibt.6 Diese Konstellation macht "Die Simpsons" zum Unikat: Sozialkritik zur besten Fernsehzeit, verpackt in einer Form der Comedy, deren Strahlkraft kaum zu übertreffen ist.

"Die Simpsons" definieren sich seit jeher als politisches Fernsehen. "Springfield ist ein Hohlspiegel gesellschaftlicher Realitäten, ein gelber Mikrokosmos, in dem politische Mythen auf die Probe gestellt und gesellschaftliche Phänomene diskutiert werden", so beschreiben N. Devrim Tuncel und Andreas Rauscher die politische Dimension der Serie.7 Der Bürgermeister, Mayor Quimby, kümmert sich beispielsweise mehr um seine Bettgeschichten und Wiederwahlinteressen, als um das Wohl der Stadt. Mayor Quimby verkörpert den Typus des eigennützigen, korrupten und moralisch-korrumpierten Politikers. Ein weiteres Beispiel ist der indisch-stämmige Apu, Leiter des lokalen Supermarkts, der viele Stereotype des US-Einwanderers in sich vereinigt: Rund um die Uhr steht er hinter der Theke seines Ladens, spricht mit starkem Akzent und hat eine Großfamilie mit acht Kindern.

Zu diesen fiktiven Karikaturen gesellen sich auch immer wieder realexistierende Persönlichkeiten aus dem politischen Leben. Neben dem klassischen Feindbild der 1968er-Generation, dem ehemaligen Präsidenten Richard Nixon, hatten unter anderem Gerald Ford, Fidel Castro, der eingangs erwähnte Bush Senior sowie der ehemalige sowjetische Präsident Michael Gorbatschow, Bill Clinton und nicht zuletzt Barack Obama ihre (unfreiwilligen) Gastauftritte bei den Simpsons. Zudem ist da noch Springfields Rainer Wolfcastle, eine Figur, die stark an den Actionstar und Wahl-Amerikaner Arnold Schwarzenegger und dessen politisches Engagement für die Republikanische Partei erinnert. Im Simpsons Kino-Film von 2007 mausert sich der Arnold-Schwarzenegger-Verschnitt sogar zum Präsidenten. Auffallend ist, dass sich "Die Simpsons" nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und in der Bush-Junior-Ära weitgehend zurückhielten.8 Anderen Kommentatoren, TV-Sendungen und Filmen wurde hier scheinbar bereitwillig das Feld überlassen.9

"Die Simpsons" präsentieren keine Sozialutopie. Vielmehr spielen sie auf postmoderne Art und Weise mit politischen und historischen Realitäten, indem sie Faktisches in ihr fiktives Universum integrieren. So begleiten die Zuschauer Grandpa Simpson zurück in seine Zeit als Soldat im Zweiten Weltkrieg, als er nur knapp daran scheiterte, Hitler zu töten; Krusty den Clown im Wahlkampf um ein Mandat als Kongressabgeordneter; Apu als Leidtragender der Anti-Einwanderinitiative "Antrag 24"; oder Homer bei der Gründung einer Bürgerwehr oder als Mitglied der amerikanischen Waffenlobby-Gruppe NRA.

Wie bereits angedeutet, reflektieren die Simpsons gelegentlich auch tagespolitische Ereignisse. Nur zwei Tage vor dem Wahltag am 4. November 2008 - der bis zuletzt offenen Wahl zwischen Barack Obama (Demokraten) und seinem Kontrahenten John McCain (Republikaner) - wird eine Simpsons Halloween Special-Folge ausgestrahlt, in der Homer ebenfalls zur Wahl geht. Mittels eines elektronischen Wahlautomaten kann er sich dabei - wie in der "echten" Wahl 2008 - zwischen Obama und McCain entscheiden. Homer drückt den Knopf, um für Obama abzustimmen; er lässt uns wissen, es sei an der Zeit für einen politischen Wechsel. Die Maschine gibt zur Antwort: "Eine Stimme für McCain - Danke!" Homer kichert und denkt, die Maschine sei falsch programmiert. Er stimmt erneut ab, mit demselben Ergebnis. Wütend drückt er einige Male, doch jede Stimme wird für McCain gezählt, bis die Maschine sagt: "Sechs Stimmen für Präsident McCain!" Als Homer realisiert, dass der Wahlautomat manipuliert wurde, öffnet sich der Apparat und saugt Homer ein. "Das muss ich Präsident McCain sagen", schreit Homer, während er verzweifelt versucht, sich am Vorhang der Wahlkabine festzuhalten. "So etwas passiert nicht in Amerika! Vielleicht in Ohio, aber nicht in Amerika!" Dann wird er von der Maschine verschlungen. In der nächsten Einstellung sieht der Zuschauer die Wahlkabine von außen. Blut läuft unter dem Vorhang hervor; kurz darauf wird die Leiche Homers aus der Wahlkabine geworfen.10

Man kann diese Szene witzig finden oder nicht, entscheidend ist, dass es sich um eine bitterböse Anspielung auf die Präsidentschaftswahl von 2004 handelt, aus der George W. Bush als umstrittener Sieger hervorging. Nicht richtig funktionierende Wahlautomaten hinderten damals viele Wähler, ihre Stimme abzugeben. Insbesondere in Ohio, einem für diese Wahl entscheidenden Bundesstaat, wurde von zahlreichen Unregelmäßigkeiten berichtet, die letztlich dazu führten, dass Ohio an Bush ging.11

Eine Art Sequel dieser Sequenz strahlte Fox übrigens als animierten Programmhinweis auf die Simpsons im Vorfeld der Wahlen 2012 aus. Wieder ist Homer zu sehen, wie er in die Wahlkabine geht. Diesmal hat er die Auswahl zwischen dem nun amtierenden Präsidenten Obama und Mitt Romney. Für Zuschauer, die sich noch an die eben beschriebene Sequenz erinnerten, mag es überraschend gewesen sein, dass Homer diesmal für Obamas Herausforderer Romney stimmt. "Immerhin ist er nicht der Erfinder von Obamacare", begründet Homer seine Entscheidung.12 Damit ist offenkundig: Homer hat keine klare politische Zugehörigkeit. Anders als seine Tochter Lisa, die in der Serie den Glauben an die liberalen Werte und Fundamente der politischen Kultur in Amerika verkörpert, ist er politisch naiv und bereit, allen möglichen (leeren) Versprechungen Folge zu leisten. Wie die meisten Karikaturen der Simpsons überidentifiziert sich die Figur Homers mit gesellschaftspolitischen Stereotypen und kann sie so als solche entlarven.

Das Ausbleiben eines klaren Bekenntnisses zu einer bestimmter politischen Orientierung oder Ideologie wurde der Serie oft angekreidet.13 Doch spricht diese Verweigerung auch für eine prinzipielle Eigenheit der Satire, nämlich alles und jeden aufs Korn zu nehmen, die eigene Rolle miteingeschlossen. Nichtsdestotrotz positionieren sich die Simpsons mit ihrer Agenda, insbesondere den zahlreichen Seitenhieben auf die Republikanische Partei, dezidiert linksliberal.

Selbst vor ihrem eigenen, Republikaner-nahen Sender Fox machen sie dabei nicht Halt. Ein gutes Beispiel liefert die Folge, in der Krusty der Clown als Kongressabgeordneter für die Republikanische Partei kandidiert. Die Folge enthält einen fiktiven Report von Fox News, der sich als gnadenlose Parodie des Nachrichtensenders entpuppt: Man sieht zunächst Krusty mit einem illustrierten Heiligenschein vor der amerikanischen Fahne, ehe die Kamera auf seinen Kontrahenten aus dem Lager der Demokraten schwenkt. Dieser steht vor der Fahne der ehemaligen Sowjetunion. Analog zum Heiligenschein Krustys wurden seinem Kopf Teufelshörner mit roter Farbe hinzugefügt. Parallel dazu läuft der Fox-typische news crawl unentwegt quer über den unteren Bildschirmrand. Darauf sind Slogans zu lesen wie "Verursachen Demokraten Krebs? Finden Sie es heraus unter foxnews.com" oder "Studie belegt: 92 Prozent der Demokraten sind schwul".14 Die Sequenz entlarvt nicht nur den boulevardesken Stil von Fox News, sondern auch die offensichtlich populistische, pro-republikanische Berichterstattung mitsamt der reaktionär anmutenden Rhetorik, die die Demokratische Partei als ideologische Gefahr dämonisiert.15

Yellow Politics

Der Einfluss, den "Die Simpsons" auf nachfolgende Satire-Formate hatten und haben, kann nicht überschätzt werden. Satire-Sendungen wie sie Ende der 1990er-Jahre aufkommen - "South Park", "The Daily Show with Jon Steward" (die amerikanische Vorlage der deutschen "heute-show" mit Oliver Welke) oder "Colbert Report" -, bezeichnen die Herausgeber des Bandes Satire TV konsequenterweise nicht nur als Produkte der Post-Network-Ära, sondern auch als Produkte einer "post-Simpsons"-Fernsehgeneration.16

Als mediales Ensemble sind Satire-Sendungen wie "Die Simpsons", "Daily Show" oder "Colbert" in hohem Maße beteiligt an der politischen Meinungsbildung der Bürger. Trotz ihrer mehr oder weniger ausgeprägten fiktiven Komponente fungieren diese Programme als zusätzliche Informationsquellen (in den USA interessanterweise oft sogar als tiefschürfendere politische Berichterstattung im Vergleich zu traditionellen Medien).17 Umfragen in den USA lassen darauf schließen, dass Bürger, die Satire-Nachrichten wie die "Daily Show" regelmäßig konsumieren, außerordentlich informiert und kompetent in Bezug auf tagespolitische Diskussionen sind.18

Inwieweit sich fiktive Programme tatsächlich auf die politische Meinungsbildung auswirken, hat Carsten Wünsch von der Universität Bamberg am Beispiel der Simpsons analysiert.19 In seinem sogenannten "Simpsons-Experiment" legte der Kommunikationswissenschaftler ausdrücklich einen breiten Politikbegriff zugrunde. Wenn bei den Simpsons Themenkomplexe wie Geschlechterrollen, Umweltschutz, Atomenergie oder Immigrationspolitik verhandelt werden, so Wünschs These, erstellen wir Bezüge auf realexistierende gesellschaftspolitische Diskussionen und politische Akteure.

Das erstaunliche Ergebnis des Experiments: Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität sind bei Weitem nicht so klar, wie anzunehmen wäre. Nicht nur journalistische Inhalte prägen unsere politische Meinung, sondern eben auch fiktionale. Beispielsweise fand Wünsch heraus, dass Probanden bestimmte Themengebiete, die sie zuvor in einer Simpsons-Folge verhandelt sahen, zentral bei der Bewertung der Bundesregierung erachten. Als Referenz diente eine Vergleichsgruppe, die mit diesen Themen nicht konfrontiert wurde. Serien wie "Die Simpsons", so Wünsch, verändern die Maßstäbe, nach denen Konsumenten (gesellschafts-)politische Fragen beurteilen. Fiktionale Darstellungen von politischen Akteuren werden zur Folie für die Bewertung realer Politiker und aufgegriffene Themen präsenter.

Ebenfalls interessant ist in diesem Zusammenhang eine Studie der Universität Erfurt mit Rezipienten der "heute-show". Demnach führt die satirische Darstellung von Politikern (die zugegebenermaßen oft an Politikerhäme grenzt) zwar zu einer negativeren Bewertung der Politiker und des Politikbetriebs, jedoch nicht zu genereller Politikverdrossenheit. Im Gegenteil: Konsumenten von politischer Satire sind in den meisten Fällen gerade jene Bürger, die sich für Tagespolitik und politische Sachverhalte interessieren. Politische Satire im Stile der "heute-show", so die Studie, bewirkt kein grundsätzliches Misstrauen in das politische System.20

Populärkulturellen Phänomenen wie den Simpsons kann man natürlich vorwerfen, dass ihre kritische Stimme nur bei ohnehin Gleichgesinnten Gehör findet. Klar ist auch, dass Satire, wie sie die Simpsons zeigen, oft oberflächlich und plakativ, vielleicht sogar naiv in Bezug auf real existierende Probleme wirkt. Der Passauer Politikwissenschaftler Michael Oswald bezeichnet daher die Serie in einem so betitelten Seminar als "Yellow Politics", in Anspielung auf den seichten Charakter der Boulevardblätter, die im angelsächsischen Sprachraum yellow press genannt werden. Und dennoch: Fernsehunterhaltung ist und bleibt ein bedeutendes Konsumgut unserer Zeit. Wie das Simpsons-Experiment zeigt, sind fiktive Serien wie "Die Simpsons" ein vitaler Bestandteil der politischen Meinungsbildung. Dass sich "Die Simpsons" dabei stets auch in einem Spannungsverhältnis zwischen der (politischen) Kultur der USA und einer internationalen Rezeption befinden, birgt zusätzliche Potenziale der politischen Wirkung von Populärkultur.21

Simpsons $ells

Im Zuge ihres Aufstiegs entwickeln sich "Die Simpsons" aber nicht nur zu einer popkulturellen Größe. Gleichzeitig stellen sie ein Produkt dar, das in der Werbesprache oft als cross-promotional tie-in bezeichnet wird, das heißt einer medialen Marke, die durch Lizensierungsverfahren zu einem attraktiven Werbepartner für andere Unternehmen wird. So fungieren "Die Simpsons" über die Jahre als Werbeträger für eine Palette von Firmen: Apple, Burger King, Mastercard, Nestlé, Nike - um nur eine kleine Auswahl derer zu nennen, die die Symbiose mit den erfolgreichen gelben Zeichentrickfiguren eingingen. Auch die Merchandise-Maschine rund um die Serie ist gigantisch. Neben "klassischen" Produkten wie Computerspielen, Spielzeugfiguren, T-Shirts, Handtüchern oder Kaffeetassen ergänzen "Spaß-Produkte" vom Monopoly-Brettspiel bis zum rülpsenden Homer-Simpson-Flaschenöffner das Sortiment.

Gleichermaßen verkümmern die zahlreichen Gastauftritte von Stars, Politikern und anderen Personen der Öffentlichkeit, die anfänglich eine starke karikaturistische und damit satirische Komponente aufweisen, zunehmend zu Promotion-Gags. Ein Cameo-Auftritt bei den "Simpsons", das war immer auch eine parodistische Anspielung auf die Eigentümlichkeiten und Unzulänglichkeiten eines Alfred Hitchcock oder Mel Gibson. Mittlerweile hat diese subtile Art der Satire eher den Anstrich eines merkwürdigen Bundes zwischen den Machern der "Simpsons" und anderen Personen des Kulturbetriebs wie Thomas Pynchon oder dem Street-Art-Künstler Banksy.

"Die Simpsons" sind zu einem bedeutsamen roten Teppich Hollywoods geworden, getreu dem Motto "Wer einen Auftritt in der Serie sein Eigen nennen kann, hat es geschafft." Mark Zuckerberg, Julian Assange, J. K. Rowling, Justin Bieber - alle hatten mittlerweile ihren Gastauftritt bei den "Simpsons". Völlig zu Recht spricht in diesem Zusammenhang der Spiegel von einem "popkulturellen Ritterschlag", den der virtuelle Auftritt in der Serie bedeutet.22

Es darf bezweifelt werden, ob sich die Mitarbeiter von Charlie Hebdo über ihre Auszeichnung durch die Simpsons freuen konnten. Doch spricht es für das politische Bewusstsein der Simpsons, dass sie sich jenen anschlossen, die ihre Verurteilung des Anschlags öffentlich zum Ausdruck brachten und sich symbolisch solidarisierten. Bereits die erste Simpsons-Folge nach dem Anschlag endet mit einem kurzen Standbild, das der regulären Episode nachträglich angehängt wurde.23 Darauf ist die Jüngste der Simpsons zu sehen, Baby Maggie, deren primäre Funktion in der Serie in einem Running Gag besteht: Obwohl sie (noch) nicht sprechen kann, scheint sie dennoch mündig in Bezug auf ihre Handlungen zu sein; auf diese Weise wird Maggie oft zu einem entscheidenden Handlungsträger. Passenderweise ist sie es, die im Moment der Sprachlosigkeit vor der Trikolore steht, in beiden Händen eine Fahne haltend, mit der Aufschrift "Je suis Charlie".

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