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Es geht nicht ums Gewinnen

Angehende Lehrer trainieren Argumentationen gegen Stammtischparolen

Das Gesamtkonzept für Politische Bildung an bayerischen Schulen fordert von Lehrerinnen und Lehrern, fächerübergreifend an der Demokratiebildung mitzuarbeiten. Um dieses Ziel in der Praxis umzusetzen, brauchen die Pädagogen Kenntnisse der politischen Bildung. In einer Tagung zu "Gefährdungen der Demokratie" haben rund 50 Referendarinnen und Referendare gelernt, wie sie gegen Stammtischparolen argumentieren können.

Gefährdungen der Demokratie

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.

"Ich bring euch schon mal das Bier. Das Essen dauert heute ein bisserl. Man findet einfach keine Leute mehr, die Arbeiten wollen. Die kommen hierher, bleiben ein paar Wochen und dann sind die wieder weg", sagt Marion Wisinger und schubst die sechs Referendare am Tisch mitten in eine Stammtisch-Situation. Eine junge Frau nimmt den Ball auf: "Das einzige, was noch läuft, sind doch die Dönerbuden. Versuch mal, einen gescheiten Leberkäs zu bekommen. Den gibt's nicht mehr." Andere steigen ein. Die Dönerbuden stehen jetzt für Gammelfleisch, Steuerhinterziehung und kinderreiche Familien.

Die Parolen fliegen über den Tisch, als Wisinger eingreift. "Was ist gerade passiert?", fragt sie die rund 40 Teilnehmer, die im Stuhlkreis um den Stammtisch sitzen. "Flapsige Bemerkungen", "ein aggressiver Unterton", "es ging nicht um den Döner", lauten die Antworten. Wisinger nickt. "Es war schwer hinterher zu kommen. Ich war richtig unter Druck, Argumente zu finden", gibt eine junge Frau am Stammtisch in der Mitte zu. Sie ist angehende Lehrerin wie die meisten im Raum und trainiert gerade Argumentationstechniken gegen extremistische Parolen.

Kommunikationsstrategien für Schule und Alltag

Die Tagung "Gefährdungen der Demokratie" an der Akademie für Politische Bildung ist ein Beitrag zum Gesamtkonzept für Politische Bildung an bayerischen Schulen und soll Lehrkräfte aller Fächer befähigen, aktiv an der Demokratiebildung mitzuarbeiten. Das heißt auch, sich extremistischen Parolen entgegenzustellen - im Unterricht wie im Alltag. Doch ohne Strategie enden solche Gespräche oft in lautstarken Wortgefechten, Vorwürfen und noch mehr Unverständnis für die andere Seite. Hier kommt Marion Wisinger ins Spiel, die keine Bedienung ist, sondern als Kommunikationstrainerin Polizisten, Sozialarbeiter und eben Lehrer schult. Ein Geheimrezept hat sie nicht für die Referendarinnen und Referendare des Leibniz-Gymnasiums in Altdorf und des Erasmus-Grasser-Gymnasiums in München, aber eine ganze Tafel voller Tipps, um "ein Gespräch zu bauen", wie sie sagt.

"Das Wichtigste ist, erstmal ruhig zu bleiben", empfiehlt sie den Demokraten am Tisch. In der ersten Runde waren sie chancenlos gegen ihre Kolleginnen und Kollegen, die in die Rolle der Provokateure geschlüpft sind. Statt "gleich loszuballern" sollten sie aufmerksam zuhören und nachfragen. "Erzähl mir mehr. Wie meinst du das? So gewinnen wir Zeit und bringen den anderen aus dem Konzept", erklärt sie. "Die inhaltliche Vertiefung ist der natürliche Feind der Populisten."

Wer zuhört, wird selbst gehört

Die Gruppe am Stammtisch diskutiert weiter. Die Unterhaltung kreist um das gestohlene Fahrrad einer Bekannten, das vor einer Flüchtlingsunterkunft wiedergefunden wurde. "War es abgesperrt?", fragt die Referendarin, die eben noch ratlos war, was sie den Parolen ihrer Tischnachbarn entgegensetzen kann. "Ähm, ja. Sie sperrt es immer ab", antwortet ihr Gegenüber. "Was war das denn für ein Fahrrad", bohrt sie weiter. Die Parolen sind erstmal vom Tisch. Ihr Kollege ist mit Antworten beschäftigt. Wisinger lobt den Versuch: "Man muss das Gespräch in angenehmeres Wasser überleiten. Das kann schief gehen, aber lospretschen geht sicher schief." Wer Interesse zeige und Gesprächspartner annehme, obwohl er nicht ihrer Meinung ist, schaffe es vielleicht, auch selbst gehört zu werden. "Es geht nicht ums Gewinnen, sondern darum, einen Fuß in die Tür zu kriegen", fasst die Trainerin zusammen.

Das Tischgespräch ist abgedriftet. "Inzwischen kriegt doch jeder einen deutschen Pass", behauptet einer der Provokateure. Diese Vorlage nutzt seine Kollegin und hakt nach: "Kennst du jemanden, der einen bekommen hat?" Wie erwartet fällt ihm niemand ein. Nun erzählt sie von einem Freund, der schon lange in Deutschland lebt und vor Kurzem für den Einbürgerungstest gebüffelt hat. "Die Fragen sind richtig schwierig - und der Deutschtest erst... Und er ist sogar hier aufgewachsen", betont sie.

Geschichten statt Belehrungen

Geschichten sind laut Wisinger eine Möglichkeit, um zu punkten. "Man muss sein Argument gut verpacken, etwas Neues bringen. Belehrungen und Moralappelle kennen Provokateure schon", erklärt sie. Vielleicht hört oder liest der Gesprächspartner in den kommenden Wochen etwas, das ihn weiter über das Thema nachdenken lässt. Natürlich könne auch das Gegenteil passieren. "Aber dann hab ich es wenigstens versucht. Ich sage mir immer: Mit solchen Parolen kann man mich zwar ärgern, aber meine Einstellung ändern sie nicht", gibt die Trainerin den Referendaren mit auf den Weg.

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