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Unsere Väter, unsere Mütter

Neue Publikation zu deutschen Generationen nach 1945

68er, Wendegeneration oder Fridays for Future: Unsere Generation ist Teil unserer Identität. Konstruieren sich Generationen durch Selbstthematisierung oder durch Zuschreibungen von außen, also von älteren Generationen? Der neue Band "Unsere Väter, unsere Mütter", herausgegeben von der Akademie für Politische Bildung und dem Zeithistoriker Volker Benkert, beschäftigt sich mit den deutschen Generationen seit 1945. 

Tutzing / Publikation / Online seit: 16.12.2020

Von: Franziska Pohlmann / Foto: Bundesarchiv (Bildnummer: Bild 194-0097-02), Fotograf: Hans Lachmann

Buchbestellung beim Verlag: Unsere Väter, unsere Mütter

Volker Benkert (Hrsg.)
Unsere Väter, unsere Mütter
Deutsche Generationen seit 1945
[Einzelwerke – Campus Verlag], Frankfurt / New York, 2020


Der Klimawandel hat die junge Generation alarmiert. Jeden Freitag demonstrierten Schüler und Schülerinnen für eine bessere Klimapolitik. Das Einstehen für mehr Umweltschutz ist Teil ihrer Identität. Ob Fridays for Future, 68er oder Wendekinder: Die Zugehörigkeit zu einer Generation ist Teil unserer Identität. Prägen die jeweiligen Zeitumstände eine Generation? Oder werden Generationen und ihre Besonderheiten erst im Nachhinein konstruiert? Der Zeithistoriker Volker Benkert hat sich mit den Generationen in Deutschland nach 1945 beschäftigt und zusammen mit der Akademie für Politische Bildung den Sammelband "Unsere Väter, unsere Mütter" herausgegeben.

Benkert schreibt, Teil einer Generation zu sein, präge die individuelle Identität, aber auch die Zugehörigkeit zu einer Altersgruppe. Die Gruppengemeinschaft bildet sich durch das gemeinsame Erleben eines historischen Moments. Oft wird die Altersgruppe dabei auf ein bestimmtes Merkmal reduziert. Beispielsweise erleben Jugendliche gerade die Auswirkungen des Klimawandels. Ihnen wird deshalb ein besonders großes Interesse an Umweltthemen zugeschrieben. Die Heterogenität der Gruppe wird nicht abgebildet.

Wendekinder als Interessenvertretung einer Generation

Entstehen Generationsgruppen also als Prägung eines historischen Momentes oder ist die Gemeinschaft konstruiert? Der Sozialwissenschaftler Thomas Ahbe beschreibt die Wendekinder als eine Generationeneinheit, auf die beides zutrifft. Als Wendekinder definiert er Menschen, die in den 70er und Anfang der 80er Jahre geboren sind und ihre Kindheit in der DDR verbrachten. Ihr erwachsenes Leben begann jedoch im vereinten Deutschland. Die Wendekinder teilen zwar gemeinsame Erfahrungen, aber erst durch ihre mediale Öffnung und der damit verbundenen Selbstthematisierung konstruierten sie die Generation. Beispielsweise schrieben sie Artikel in Zeitungen über sich und machten ihre Generation zum Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung.

Der Historiker Wulf Kansteiner argumentiert in seinem Beitrag, dass die Wendekinder durch ihr Generationennarrativ eigene Interessen durchsetzen wollten und zwar, dass sich 1989 als ein wichtiger Erinnerungsort in der deutschen Kultur etabliert.

Die Nachkriegsgeneration und die Erinnerungskultur

Benkert zeigt am Beispiel des Umgangs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in Ost- und Westdeutschland, wie eine Generation sich Vergangenheit unterschiedlich aneignet. In Westdeutschland gab es Gedenkverstanstaltungen für die Opfer des Nationalsozialismus. In der DDR wurde die Erinnerung an den kommunistischen Widerstand zum Sinnbild dafür, dass die Nationalsozialisten den Durchschnittsdeutschen unterdrückten. Einigen Ostdeutschen widerstrebte bei der Wiedervereinigung die westdeutsche Gedenkkultur. Benkert schreibt, dass diese Ablehnung der AfD Raum ließ, um für ihre "erinnerungspolitische Wende" zu werben.

Am Beispiel der Nachkriegsgeneration thematisiert die Geschichtsprofessorin Lu Seegers die Vaterlosigkeit der Kinder, deren Väter im Krieg umgekommen sind. Verbunden damit war oft eine engere Bindung an die Großeltern. Der Historiker Benjamin Möckel beschäftigt sich mit der Nachkriegsgeneration aus politischer Sicht. Sie war die einzige Altersgruppe, die im vollen Maße von der NS-Ideologie vereinnahmt wurde. Aufgrund ihres Alters war sie jedoch politisch und moralisch nicht schuldfähig und damit vermeintlich Opfer des nationalsozialistischen Regimes. Möckel sieht in der Debatte um die Schuldfähigkeit der Jugendlichen in der Nachkriegszeit eine Stellvertreterdebatte der deutschen Opferstilsierung.

Konstruktion durch ältere Generationen

Der dritte Teil des Bandes greift die Jugendgenerationen auf. Jugendgenerationen konstruieren sich nicht nur selbst, wie die Wendekinder, sondern sie werden auch durch ältere Generationen konstruiert. Wie eine Jugendgeneration durch eine ältere Generation geschaffen wurde, zeigt Benkert anhand des Umgangs mit dem Video "Zerstörung der CDU" des YouTubers und Kolumnisten Rezo. Rezo kritisierte die Politik der CDU. Statt sich inhaltlich mit seinen Argumenten auseinanderzusetzen, wirft ihm die ältere Generation, unter anderem vertreten durch die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, vor, er betreibe "Meinungsmache" und plädiert für Richtlinien im Umgang mit Online-Medien. Benkert sieht das als Versuch, einen Kritiker aufgrund seiner Jugend und dem vom ihn gewählten Medium herabzuwürdigen. Rezo sei damit zum Gesicht der jungen Generation geworden, deren Sprache und Medien die ältere Generation nicht verstehe.

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