Zur Lage der Verwaltungsgerichtsbarkeit
Aufsatz von Marion Eckertz-Höfer zur Verfassungspolitik
Der Aufsatz "Zur Lage der Verwaltungsgerichtsbarkeit" der ehemaligen Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Marion Eckertz-Höfer wurde im 2020 im Sammelband "Die dritte Gewalt in Deutschland und Europa: Symposium zur Verfassungspolitik zum 75. Geburtstag von Hans-Jürgen Papier" veröffentlicht.
Tutzing / Publikation / Online seit: 13.10.2021
Von: Marion Eckertz-Höfer / Foto: Pixabay License/Level17-Design
Ursula Münch / Gero Kellermann (Hg.)
Die dritte Gewalt in Deutschland und Europa
Symposium zur Verfassungspolitik zum 75. Geburtstag von Hans-Jürgen Papier
[Eigen- und Kooperationsveröffentlichungen], Tutzing, 2020
Im Jahr 2013 beging die deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit mit einem Festakt in Weimar ihr 150-jähriges Bestehen. Der Rechtshistoriker Michael Stolleis hielt den Festvortrag. In ihm beschrieb er die Lage der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit den Worten: "Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist der Prüfstein des Rechtsstaats. Sie garantiert gerichtsförmigen Schutz der Rechte des Bürgers und Einhaltung der Rechtsregeln durch den Staat."1 Eine treffende Charakterisierung. Historische Belege der Prüfsteinthese fallen sofort ein: Die Marginalisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im NS-Staat2 lässt sich heranziehen. Die frühe Abschaffung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der DDR im Jahr 1952 gehört ebenso dazu.
1. Verwaltungsgerichtsbarkeit im Wandel
In der Bundesrepublik ist die Funktion der Verwaltungsgerichtsbarkeit als Garantin von Bürgerfreiheiten und Bürgerteilhabe anerkannt. Sie ist dieses sicher auch deshalb, weil sie ihre Aufgabe von Anbeginn an auch als Vitalisierung des Grundgesetzes verstanden hat. Die Formel des Verwaltungsrechts als konkretisiertem Verfassungsrecht hat Fritz Werner, der dritte Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, geprägt.3 Sie gilt unverändert. Die Richterinnen und Richter der Verwaltungsgerichtsbarkeit haben diese Formel zutiefst verinnerlicht. Sie gehört zum Leitbild der heutigen Verwaltungsrichtergeneration. In der täglichen Rechtsanwendung das einfache Recht in Einklang mit höherrangigem Recht zu bringen, ist nicht immer leicht. Der verwaltungsgerichtliche Alltag ist komplexer geworden. Europarecht ist neben die deutsche Verfassung getreten und die Menschenrechtskonvention markiert ein mitunter ungewohntes Grundrechtsverständnis. Im Mehrebenensystem zwischen Bundesverfassungsgericht, Europäischem Gerichtshof und Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte sind es in erheblichem Maße die Verwaltungsgerichte, die gerade auch im Grundrechtsschutz als deren Quasi-Vorinstanzen fungieren. Sie sind es, die gewährleisten, dass die durch Bundesverfassungsgericht, Europäischen Gerichtshof und Europäischem Menschenrechtsgerichtshof verkörperten Rechtsregime falladäquat in "einfaches Recht" transformiert werden. Die heutige Richtergeneration weiß um diese ihre rechtsstaatliche Verantwortung als Mittler zwischen nationalem und internationalen ebenso wie supranationalen Rechtsregimen. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit gewinnt hieraus eine ihrer Stärken. Soweit so gut! Doch es gibt Krisenerscheinungen - die Geschichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist voll davon.
1.1 Krisenphänomene der Verwaltungsgerichtsbarkeit
Hans-Jürgen Papier ging schon vor Jahrzehnten damaligen Krisenphänomenen der Verwaltungsgerichtsbarkeit nach. In einem Vortrag im Jahr 1978 vor der Berliner Juristischen Gesellschaft mit dem Titel Die Stellung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im demokratischen Rechtsstaat4 sezierte er damalige Krisenerscheinungen. Er nannte unter anderem Prozessflut, Verfahrensdauer und Dysfunktionalität der Entscheidungs- und Kontrollmechanismen. Alles auch heute keine Unbekannten:
Prozessflut: Nach jahrelangem Eingangsrückgang in der Verwaltungsgerichtsbarkeit erreichen die Eingänge derzeit vor allem wegen der asylrechtlichen Streitigkeiten wieder ungewohnte Höhen.
Verfahrensdauer: Sie ist immer noch nicht im Idealbereich. Nach meiner persönlichen Auffassung läge dieser bei etwa einem Jahr pro Instanz als Durchschnittswert, der in der Mehrheit der Fälle deutlich unterschritten werden könnte, dies jedenfalls, soweit die Verfahrensdauer nicht mit einer Unterausstattung der Justiz zusammenhängt. Die Verwaltungsgerichte einiger Länder haben inzwischen herausragend kurze Verfahrensdauern. In den meisten Ländern ist die Durchschnittsdauer zumindest vertretbar. Soweit dies nicht nur auf kluge Personalpolitik zurückzuführen ist, sind zahlreiche Änderungen des Prozessrechts mitverantwortlich, aber auch - und dies ist eine besonders erfreuliche Entwicklung - eine intensive Qualitätsdiskussion in der Richterschaft, speziell in der Verwaltungsrichterschaft gerade in den letzten 15 Jahren.
Dysfunktionalität der Entscheidungs- und Kontrollmechanismen: Hans-Jürgen Papier bezog seine Kritik hieran auf "Genehmigungen für industrielle oder verkehrsbezogene Großvorhaben". Er kontrastierte das Missverhältnis der Komplexität der administrativen Entscheidungsfindung, gegebenenfalls unter Einschaltung von Sachverständigen und unabhängigen Kommissionen, mit den damals vielfältigen gerichtlichen, ihm als hypertroph anmutenden Überprüfungsmöglichkeiten. Wie ist heute die Lage, nach 40 Jahren? Ohne hierauf im Einzelnen eingehen zu können: Manches hat sich verändert - gerade soweit es die großen Infrastrukturvorhaben betrifft. Ich nenne nur: noch komplexere Planfeststellungsverfahren mit ergänzender Umweltverträglichkeitsprüfung auf der einen Seite und Konzentrationsmaxime, materielle5 und prozessuale6 Präklusion, enge Fristen für Öffentlichkeit und Verfahrensbeteiligte, Planerhaltung, beschränkte Fehlerfolgen, eine bis maximal zwei Gerichtsinstanzen auf der anderen Seite.7 Hans-Jürgen Papier darf sich hier also durchaus bestätigt fühlen. Jedenfalls hatte er schon 1978 für Großvorhaben die Beschränkung auf nur eine Tatsacheninstanz vorgeschlagen.8
Aber andere Dysfunktionalitäten sind seitdem entstanden. Wie könnte es anders sein. Ich komme darauf zurück.
1.2 Einfluss der Gesetzgebung
Für mich heute besonders interessant ist, dass Hans-Jürgen Papier den überwiegenden Teil seines Vortrags der Frage der verwaltungsrichterlichen Amtsanmaßung widmete, einen verbreiteten Vorwurf damals aufgreifend9 - heute ein Vorwurf, der in der Öffentlichkeit typischerweise eher gegen das Bundesverfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof laut wird als gegen die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Das vermeintliche oder tatsächliche Überschreiten richterlicher Befugnisse sah Papier, wie es heute vermutlich auch die Mehrheit in der Richterschaft sehen würde, nämlich in Korrelation zum häufigen Versagen des Gesetzgebers und mit Blick auf eine bekannte Sentenz Gustav Radbruchs: "Die Gewaltenteilungslehre, das Rechtsverweigerungsverbot und die Unvollkommenheit der Gesetze vertragen sich nicht miteinander, eines dieser drei Stücke muss weichen."10
Papiers Zustandsbeschreibung und Kritik am damaligen Gesetzgeber wäre heute wohl nicht unähnlich zu formulieren. Der Trend zur vollständigen Verrechtlichung sämtlicher Rahmenbedingungen des Lebens hält unvermindert an. Es gilt weiterhin, dass es an "gemeinsamen Grundüberzeugungen der Gesellschaft in Fragen der Sitte, Konvention, Moral und Religion" fehlt.11 Dies erscheint 40 Jahre später noch deutlicher. Der Rückgang des Einflusses der christlichen Kirchen und des Ansehens sonstiger Institutionen, nicht zweifelsfrei zu identifizierende Wertvorstellungen anderer Religionen, die Einflüsse Europas und der Globalisierung auf Wirtschaft und Gesellschaft, die immensen Entwicklungen in Technik und Medizin - man mag auch Letzteres nicht nur als Fortschrittsgeschichte beschreiben. All dies hat zunehmend an noch vorhandenen Gemeinsamkeiten gerüttelt. Hinzu kommen das Fehlen oder die gelebte Brüchigkeit anerkannter Rollenmodelle in Familien und Partnerschaften, die neue Akzeptanz einer früher unterdrückten Geschlechtervielfalt, der verbreitete Anspruch, dass der Staat vor fast allen Lebensrisiken zu schützen habe, das Verlangen nach immer einfacheren Erklärungen in einer immer komplexeren Welt. Die Möglichkeiten der Gesetzgebung, ohne gesetzessprachliche Unschärfen, ohne Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe auszukommen, sind offenkundig eingeengter denn je.
1.3 Verwaltungsrichterliches Berufsbild
Die Kritik von Hans-Jürgen Papier an den Richtern des Jahres 1978 fällt durchaus milder aus, als es der bei ihm mit Fragezeichen versehene Obertitel "Amtsanmaßung" vermuten lässt. Ich könnte mir vorstellen, dass er die heutigen Richter - inzwischen erfahrungsgesättigt durch eigene langjährige richterliche Tätigkeit - auch nicht härter beurteilen wird. Ich selbst habe in meinen mehr als 20 Jahren in der Verwaltungsgerichtsbarkeit - zuzüglich meiner Lehrjahre beim Bundesverfassungsgericht - großen Respekt vor der verwaltungsrichterlichen Arbeit gewonnen. Angesichts eines Gesetzgebers, der seine kaum vermeidbaren Qualitätsprobleme durch politische Kompromisse und Symbolgesetzgebung noch verstärkt hat, ist der Richterberuf seitdem noch anspruchsvoller geworden - dies auch angesichts eines teilweise nur unzureichend aufeinander abgestimmten Nebeneinanders unterschiedlicher Rechtsregime. Ein konkretes Beispiel entnehme ich dem Asyl- und Ausländerrecht. Hier warteten die Richter jahrzehntelang darauf, dass endlich das europäisch-türkische Assoziationsrecht im nationalen Recht kodifiziert wird. Der Gesetzgeber reagierte erst vor wenigen Jahren. Immerhin. Aber ergänzend gilt es für die Richterschaft die komplexe Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, teilweise auch der Fachausschüsse der Vereinten Nationen zu verarbeiten - wobei längst nicht alle Texte auch in deutscher Sprache vorliegen.
Das Berufsbild des Verwaltungsrichters beziehungsweise der Verwaltungsrichterin hat sich auch deshalb seit 1978 durchaus deutlich gewandelt: Gesucht wird heute, wer neben einer guten juristischen Ausbildung und Allgemeinbildung über solide Fremdsprachenkenntnisse, nicht unerheblichen naturwissenschaftlichen Verstand und eine hohe Einarbeitungskompetenz verfügt. Eine starke Identifikation mit dem grundgesetzlichen sozialen Rechtsstaat und den europäischen Verträgen darf als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Erfreulicherweise gibt es nicht wenige, die dieses Anforderungsprofil erfüllen. Allerdings: Die Justiz, gerade auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit, hat derzeit durchaus Probleme, die erforderlichen hochqualifizierte Richterinnen und Richter zu finden. Die Überalterung in der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist beträchtlich. Über ein Jahrzehnt lang wurden frei werdende Stellen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht nachbesetzt, sondern in andere Gerichtsbarkeiten verlagert. Es werden also gute bis sehr gute Öffentlichrechtler gesucht, möglichst solche, die Verständnis für die Belange der Verwaltung ebenso mitbringen wie für die Rechtsansprüche der Bürger. Die Krux ist: Gute Öffentlichrechtler verdienen in großen Anwaltskanzleien ein Vielfaches des Richtergehalts - mit exorbitanten Steigerungsmöglichkeiten, die völlig außerhalb der Reichweite des öffentlichen Dienstes liegen. Man kann nur hoffen, dass die spezifischen richterlichen Arbeitsmöglichkeiten in einer spezialisierten Fachgerichtsbarkeit doch noch genügend Anreize bieten!
1.4 Eigenständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit
Im Folgenden möchte ich mich auf Probleme konzentrieren, die weniger im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Es geht mir um die Eigenständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit, ihre institutionelle und funktionelle Existenz. Das betrifft zum einen politische Initiativen zur Zusammenlegung aller drei öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten oder zumindest von Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit: eine heikle Debatte, die nie völlig an Aktualität verlieren wird. Die letzten politischen Aktivitäten dazu hatten eng mit den Besonderheiten der über die Jahrzehnte wechselnden Belastungssituation bei den Verwaltungsgerichten zu tun. Auf diese möchte ich deshalb noch gesondert zu sprechen kommen.
Darüber hinaus geht es mir um das Problem der Zuweisung eigentlich öffentlich-rechtlicher Zuständigkeiten an andere Gerichtszweige, vornehmlich an die Zivilgerichtsbarkeit. Die Ziviljustiz wird vom Gesetzgeber verstärkt zur Kontrolle des Verwaltungshandelns eingesetzt. Dabei handelt es sich um eine Praxis des Gesetzgebers, die nach meinem Eindruck in den letzten Jahren immer mehr überhandgenommen hat. Sie höhlt systemwidrig die funktionale Bedeutung einer eigenständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit aus und das aus meiner Sicht mit durchaus nachhaltigen Folgen für das gesamte Justizsystem. Die sogenannte große Lösung "Zusammenlegung" der Gerichtsbarkeiten findet ihren Helfer - oder Vorläufer? - in dieser kleinen Lösung, der sukzessiven Verwischung von Funktionsgrenzen der Gerichtszweige untereinander. Die Folgen sind durchaus nicht nur rein organisatorisch.
2. Zusammenlegungsdebatte und Belastung
Das deutsche Justizsystem mit seinen fünf verschiedenen Gerichtszweigen ist weltweit in der Tat eine Besonderheit. Üblicherweise sind Gerichtsbarkeiten tendenziell entweder monistisch als Einheitsgerichtsbarkeit oder dualistisch organisiert. Im dualistischen Konzept umfasst einer der beiden Gerichtszweige häufig die Materien des allgemeinen Verwaltungsrechts und des Steuer- und Abgabenrechts sowie des Sozialrechts, der andere dann Zivil- Arbeits- und Strafrecht. Andere Abgrenzungen sind indes nicht selten. In wenigen Staaten der Welt ist der Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt allerdings vergleichbar differenziert gewährleistet wie in Deutschland.
Unser komplexes System erfährt im Ausland viel Bewunderung, bei dortigen Richterkollegen gelegentlich auch Neid. Im Inland scheint es rechtfertigungsbedürftig. Fragen dazu haben eine unterschiedliche Konjunktur - meist im Sinne von: Wären weniger Gerichtszweige nicht "mehr" - also kostengünstiger, effektiver, besser? Die Gerichtssysteme in anderen demokratischen Staaten erfüllen regelmäßig auch ihren rechtsstaatlichen Zweck - heißt es. Natürlich ist die Organisation von Rechtsschutz auf vielfältige Weise möglich. Aber warum in Deutschland ein System ändern, das für Rechtssuchende mehr Vor- als Nachteile hat? Wer Änderungen einer bewährten gerichtlichen Gesamtstruktur will, sollte zumindest sehr überzeugende Gründe aufbieten können und gleichzeitig belegen, dass sich die mit einer Zusammenlegung verbundenen Ziele im geltenden System nicht verwirklichen lassen. All dies fehlt in bisherigen Zusammenlegungsdebatten in Deutschland. Diese finden seit Ende der 1950er-Jahre immer wieder statt. Die Akteure finden sich in Wissenschaft und Politik, in der Richterschaft eher selten. Diese Debatte wird wohl immer wieder aufflackern, zumindest solange der Schutz richterlicher Spezialisierung durch institutionelle Differenzierung nicht als eigenständiger rechtsstaatlicher Wert wahrgenommen wird. Für die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit ist die Frage von existenzieller Bedeutung. Allein fiskalische Überlegungen greifen auf diesem Gebiet ebenso zu kurz wie richterliches "Revierverhalten".
2.1 Zusammenlegungsbestrebungen und Verfahrensstand
Das Thema Zusammenlegung von Gerichtszweigen war in den Jahren zwischen 2003 und 2009 nicht nur Teil einer abstrakten Debatte, sondern es stand ganz konkret im Bund und in den Ländern auf der politischen Agenda. Die "Zusammenlegung von Gerichtszweigen" war Teil einer Koalitionsvereinbarung, sie mündete in mehreren Gesetzesentwürfen. Für ihre Befürworter stand ein Erfolg also eigentlich zum Greifen nahe. Warum sie damals scheiterte? Das bleibt unklar. Gleichwohl: Die damalige Debatte zeigt uns, wie der politisch agierende Gesetzgeber seine fünf Gerichtsbarkeiten und eben vor allem auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit wahrnimmt. Sie ist ein Indiz für ihren Bedeutungs- und Funktionsverlust.
Anlass für die jüngsten Zusammenlegungsideen bot vor allem die ab 2003 immer weiter auseinander gehende Belastung der Verwaltungsgerichte und der Sozialgerichte der Länder. Eine Belastungsschere, die längst wieder geschlossen ist beziehungsweise sich in ihr Gegenteil verkehrt hat. Damals aber stiegen bei den Sozialgerichten die Eingänge infolge der sogenannten Hartz-Gesetzgebung.12 Im Zuge dieser Gesetzgebung hatten die Verwaltungsgerichte ihre Zuständigkeit für steuerfinanzierte Sozialleistungen in Form der früheren Sozialhilfe an die Sozialgerichte abtreten müssen.13
Auf der Ebene der Justizministerkonferenz ging man in den Jahren 2003 und 2004 das Thema Zusammenlegung durchaus grundlegend an.14 Es wurden sämtliche Varianten einer Zusammenlegung diskutiert. Selbst die Radikallösung - Zusammenlegung von Zivil- und Arbeitsgerichtsbarkeit auf der einen Seite und der drei öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten auf der anderen Seite - wurde angedacht. Sie schaffte es aber dann doch nicht in die offiziellen Papiere. Im Vordergrund stand damals nicht die Effektuierung der rechtsstaatlichen Funktionen der Rechtsprechung, sondern ein administrativ-fiskalisches Ziel. Der Schutz der Richter vor Versetzung erschwerte den Personalausgleich zwischen den Gerichtszweigen bei Belastungsunterschieden: Hierauf wollte man flexibler reagieren können und das Problem weitgehend der Verantwortung der Gerichte zuweisen. Angesichts der bescheidenen Ausstattung sowohl der Verwaltungsgerichtsbarkeit als auch der Sozialgerichtsbarkeit hätte dies allerdings kaum die beabsichtigte Ersparnis neuer Richterstellen sichern können. In Richterkreisen wurde dazu gerne der Satz aus dem Libretto des Fidelio zitiert: Wenn sich Nichts mit Nichts verbindet, ist und bleibt die Summe klein!
Doch der politische Druck wurde erhöht: Vorbereitet durch eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe15 brachte der Bundesrat 2004 einen Gesetzesentwurf zur Änderung des Grundgesetzes16 und zu einem sogenannten Zusammenlegungsgesetz17 ein. Beide sollten es den Ländern optional ermöglichen, alle drei öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten oder auch nur zwei davon zusammen durch ein neues zu gründendes Fachgericht auszuüben - Stichwort "Optionslösung". Auf die Zusammenführung der obersten Gerichtshöfe des Bundes und der drei unterschiedlichen Prozessordnungen wurde ausdrücklich verzichtet. Dies obwohl in die Vereinheitlichung der Prozessordnungen, wie schon Ende der 1960er- und Mitte der 1980er-Jahre, bereits viel Arbeitskraft investiert worden war.
Von allen denkbaren Lösungen war eine besonders problematische gewählt worden. Am Ende fehlte es glücklicherweise am "Abschluss". Die Gesetzesentwürfe fielen zweimal der Diskontinuität zum Opfer. Mehrheiten ließen sich nicht gewinnen. Ein vorläufig letztes Aufflammen: Im Herbst 2009 bekundete der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP18 noch die Absicht, Verwaltungs- und Sozialgerichte auf Länderebene zusammenzufassen - also wieder ohne die Finanzgerichte19 und wieder ohne auch die Struktur der Bundesgerichte zu verändern. Auch dazu kam es nicht. Welche Widerstände am Ende für das Scheitern maßgeblich waren, drang nicht an die Öffentlichkeit.
2.2 Gründe für und gegen eine Zusammenlegung
Aus Sicht der Justizministerinnen und -minister sprachen für eine Zusammenlegung damals vor allem: die Flexibilisierung des Einsatzes von Lebenszeitrichtern, Personal- und Sachkosteneinsparung sowie die Angleichung an europäische Gerichtsstrukturen.20 Keines dieser Argumente war meines Erachtens zwingend oder auch nur überzeugend genug, die bewährte Gerichtsstruktur zu ändern. Auch wurden funktionale Äquivalente zur Zusammenlegung nicht ernsthaft erwogen. Als solche wären beispielsweise in Betracht gekommen:
- eine verfassungsgeleitete Reform des Richterdienstrechts, die in Ausnahmesituationen wie der damaligen eine leichtere Versetzung von Richtern hätte ermöglichen können. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat hier zu Unrecht behauptet, dass dieser Weg von Verfassungs wegen gänzlich versperrt sei – sogar die grundgesetzliche Ewigkeitsgarantie wurde hierfür bemüht.21
- andere organisatorische Maßnahmen, um die intendierte Personal- und Sachkosteneinsparung zu erreichen. Heute lassen sich dazu Erfolgsmodelle verkünden. In vielen Ländern entstanden Justizzentren – Gerichte unterschiedlicher Gerichtszweige wurden im gleichen Gebäudekomplex versammelt. Hiermit ließen sich über gemeinsame Bibliotheken und Technik und Teilen der Verwaltung durchaus beachtliche Synergieeffekte erreichen. Wiederum andere Möglichkeiten zur Erzielung von Synergieeffekten erwuchsen aus länderübergreifender Zusammenarbeit: So bildeten die Länder Berlin und Brandenburg per Staatsvertrag in zumindest vier Gerichtszweigen gemeinsame Fachobergerichte. Bremen und Niedersachsen gründeten auf diese Weise ein gemeinsames Landessozialgericht.
- Versetzungen oder Abordnungen mit Zustimmung der betroffenen Richterinnen und Richter. Diese Möglichkeit kann nicht von vornherein als fruchtlos und vergeblich abgetan werden. Es gibt das Beispiel Hessen: Hier konnten 2010 (und später) angesichts der akuten Notlage in ausreichendem Maße Verwaltungsrichter und -richterinnen gewonnen werden, um die Sozialgerichte bedarfsentsprechend zu verstärken.22
Aber auch das wohl wichtigste Kontra-Argument fand damals leider nur wenig Resonanz: Eine Zusammenlegung hätte die ganz spezifische verwaltungsrechtliche Spezialisierung - und natürlich auch die in den anderen Gerichtsbarkeiten - erheblich erschwert. Spezialisierung ist für die Qualität der Rechtsprechung von großem Gewicht, auch wenn sie stets nur begrenzt möglich ist. Auch im eigenen Gericht hat niemand die Gewähr, vom Präsidium stets für dieselben Rechtsgebiete eingesetzt zu werden. Und dies wäre auch nicht einmal wünschbar. Aber Richter müssen im Verfahren den aus hochspezialisierten Anwaltskanzleien kommenden Fachanwälten auf Augenhöhe begegnen können. Dies verlangt ein erhebliches Maß an Spezialisierung. Dagegen wird eingewandt, dass vergleichbare Spezialisierungsgrade über die Binnendifferenzierung innerhalb der neuen Gerichtseinheiten genauso möglich wären.23 Das mag im Einzelfall zutreffen. Es käme dabei aber auf den Goodwill vieler Beteiligter an. Denn das Ziel eines flexiblen Richtereinsatzes ist es ja gerade, trotz Binnendifferenzierung auf vorhandene Spezialisierungen keine Rücksicht nehmen zu müssen.
Hinzu kommt, dass eine Zusammenlegung auch für die Nachwuchsgewinnung nachteilig gewesen wäre. Die besonderen Spezialisierungsmöglichkeiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit waren schon immer gerade für intrinsisch motivierte Kandidatinnen und Kandidaten von Gewicht. Darüber hinaus lockt sie auch Personen, die schon Lehrjahre in der Verwaltung hinter sich haben. Solche Erfahrungen vermögen einen richterlichen Spruchkörper wirksam zu ergänzen. Denn die Verwaltungsrechtsprechung darf Probleme ihrer Umsetzung durch Behörden nicht aus dem Blick verlieren.
2.3 Belastungsschwankungen und Gesetzgebung
Der Ruf nach flexiblerem Richtereinsatz knüpft an periodisch wechselnde Unterschiede in der Arbeitsbelastung in den Gerichtszweigen an. Belastungsfragen sind in der Verwaltungsgerichtsbarkeit ein Dauerthema, ein rechtsstaatlich relevantes noch dazu. Werden sie nicht befriedigend gelöst, hat dies Auswirkungen auf Dauer und Qualität des Rechtschutzes - wobei beides nicht voneinander zu trennen ist. Bürgerinnen und Bürger spüren die Auswirkungen. Die zivilgesellschaftliche Unterstützung unseres Rechtsstaates hängt davon ab. Auch wenn Umfragewerte dazu immer zwiespältig zu bewerten sind - eine indizielle Funktion lässt sich ihnen nicht absprechen. Im Herbst 2019 ergaben Umfragen ein grundsätzliches Vertrauen in die Justiz von immerhin 69 Prozent.24 Allerdings sind auch 83 Prozent davon überzeugt, dass die Gerichte überlastet sind, in den östlichen Bundesländern ist der Prozentsatz noch höher.25 Jedenfalls lassen solche Zahlen eine größere Krise für die Akzeptanz der Justiz nicht vermuten. Aber auf die Belastung der Gerichte - die ja nicht nur eine gefühlte ist - muss reagiert werden. Es gilt Dauer und Rechtsstaatlichkeit jedes einzelnen Verfahrens unter Kontrolle zu halten.
Auf die Frage nach den Ursachen von Belastungsschwankungen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit lässt sich allgemein feststellen: Es gibt keine Gerichtsbarkeit, die von aktuellen Entwicklungen und Paradigmenwechseln in Politik und Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vergleichbar unmittelbar beeinflusst ist wie die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Ich klammere das Bundesverfassungsgericht wegen seiner Sonderstellung einmal aus. Die Mehrzahl der in Bund und Ländern jährlich verkündeten Rechtnormen betrifft Materien des Verwaltungsrechts. Es geht um gestaltende Politik, in Rechtsformen gegossen. Den später folgenden Bedarf nach gerichtlicher Klärung und Streitentscheidung inbegriffen. Die Arbeitssituation der Gerichte ist Teil der Kostenbilanz dieser normativ umzusetzenden Gesellschaftspolitik. Eine verbesserungsbedürftige Gesetzgebungskultur tut ein Übriges.
2.3.1 Ursachen der Belastungsschwankungen
Die Belastungsschwankungen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit haben unterschiedliche Ursachen. Rechtsgebiete, die zeitweilig zu einem Massenphänomen werden, sind einer der Gründe. Oder Fälle mit außergewöhnlicher Komplexität - in manchen Rechtsgebieten vermehrt zu finden, aber letztlich in allen möglich - erfordern eine ganz überdurchschnittliche Bearbeitungsdauer. Beispiel hierfür sind Großverfahren im Fachplanungs- und Umweltrecht. Aber wie gesagt: Umfangreiche und schwierige Tatsachenermittlungen und ungeklärte und hochkomplexe Rechtsfragen sind eine Frage des Einzelfalls und nicht allein der Rechtsmaterie.
Als Massenphänomen erwies sich beispielsweise bis Anfang der 1980er-Jahre das Kriegsdienstverweigerungsrecht. Ab den 1970er-Jahren auch das Hochschulzugangsrecht, Stichwort: Numerus Clausus. Auch das Recht zur Bereinigung von SED-Unrecht wie das der Regelung offener Vermögensfragen (Stichwort: Rückgabe vor Entschädigung) war über viele Jahre hin ein Mengenproblem. Und seine vergleichsweise schnelle Bewältigung war eine der großen Leistungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit!
Die Zahlen der Verfahren im Asyl- und Flüchtlingsrecht toppten allerdings schon in den 1970er- bis 1990er-Jahren alles andere. Heute fast vergessen: Auch in den Jahren 1991 bis 1993 waren über eine Million Asylbewerber gekommen. Die Eingangszahlen bei den Gerichten 2018 überflügeln die damaligen vermutlich nur kurzfristig: Gegenmittel im Jahr 1993 war eine Grundgesetzänderung, die zu dem neuen Artikel 16 a GG führte - vor allem aber das 1997 in Kraft getretene (erste) Dubliner Übereinkommen,26 dessen Brüchigkeit wir seit einer Weile erleben. Die Gerichte mussten eigene Strategien entwickeln: Als Massenphänomene erlebte Verfahren können selten im Schnelldurchlauf erledigt werden. Aber über Fallgruppenbildung, geschickte Gerichtsorganisation und dank elektronischer Hilfsmittel heute sind vergleichsweise hohe Erledigungszahlen pro erfahrenen Einzelrichter oder pro Kammer möglich.
2.3.2 Entlastungsversuche und ihre Probleme
Die Belastung der Gerichte wird unter anderem gemessen an der Pro-Kopf-Belastung des richterlichen Personals. Die Politik in den Ländern und im Bund hat immer wieder unterschiedliche Anläufe unternommen, diese zu senken. Einige Beispiele:
Die Länder haben dazu meist auf eine Erhöhung oder Verminderung der Richterzahlen gesetzt. Hierzu ein paar Größenordnungen: Während die Zahl der Verwaltungsrichterinnen und -richter bis Mitte der 1970er-Jahre weniger als 1 000 betrug, wuchs sie in den 1980er-Jahren auf über 1 500 und in den 1990er Jahren auf über 2 000 Richterinnen und Richter an - mit einem kurzeitigen Spitzenwert von über 2 500 in der Mitte der 1990er-Jahre.27 Derzeit sind es wieder über 2 300 Richterinnen und Richter - der Ausbau war dringend erforderlich!28
Eher kontraproduktiv wirkte ein Abbau des verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens in unterschiedlichen Rechtsgebieten, dies vor allem in den Flächenländern.29 In den Jahren um 200730 hatte sich die Zahl der verwaltungsgerichtlichen Klagen dadurch zunächst sprunghaft erhöht.31 Das blieb nicht so. Aber die Langfristfolgen bleiben undeutlich, da neueres Datenmaterial und begleitende Evaluationen offenbar nicht vorliegen. Um die Probleme abzufedern, schufen manche Behörden als funktionales Äquivalent ein "informales Beschwerdemanagement".32 Der Eindruck insgesamt bleibt zwiespältig: Das Widerspruchsverfahren - zumal mit ehrenamtlich besetzten Widerspruchsausschüssen - bot die bürgerfreundliche Möglichkeit einer konsensualen und kostengünstigen Konfliktlösung. Es dürfte - soweit es von der Verwaltung professionell gehandhabt wurde - viele Klagerhebungen vermieden haben.
Dem Bundesgesetzgeber stehen zu Bewältigung von Belastungsproblemen bei den Gerichten andere Mittel zur Verfügung. Die Ausgestaltung des Prozessrechts ist seit Anbeginn ein probates Mittel. Die Verwaltungsgerichtsordnung wurde von 1960 bis heute über 90-mal geändert. Wegen besonders einschneidender Wirkungen seien hieraus genannt:
- der im Dezember 1990 eingeführte Gerichtsbescheid: Dieser bietet die Möglichkeit der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und ohne ehrenamtliche Richter. Zulässig ist er nur, wenn der Rechtsstreit keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Überlastete Richter nahmen diese Voraussetzungen großzügiger an als andere.
- der 1993 eingeführte streitentscheidende Einzelrichter: Dieser ist nur für den Fall erlaubt, dass die Sache aus Sicht der Kammer keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und die Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung hat. Auch hier eine teilweise bedenkliche Praxis: Hohe Belastung der Kammern und sicher gelegentlich auch Wunsch nach richterlicher Tätigkeit ohne in die Kompromissstruktur einer Kammer eingebunden zu sein, führten dazu, dass die Übertragung auf den Einzelrichter bei vielen erstinstanzlichen Gerichten zum Regelfall wurde.33 So gab es Verwaltungsrichter, die einen Fall selbst dann als nicht besonders schwierig und deshalb einzelrichtertauglich bewerteten, wenn sie ihn dem Europäischen Gerichtshof vorlegen wollten.
Den tiefsten strukturellen Einschnitt setzte die Sechste Verwaltungsgerichtsordnungsnovelle des Jahres 1996.34 Mit einer Reihe von Maßnahmen zielte sie auf die Entlastung der Rechtmittelinstanzen und stärkte so die Bedeutung der Eingangsinstanz. Zentrale Maßnahmen waren die Zulassungsberufung im Klagverfahren und die Zulassungsbeschwerde im Eilverfahren, ebenso der Anwaltszwang für die zweite Gerichtsinstanz in den Ländern. Das missglückte Zulassungsverfahren für Beschwerden wurde zwar im Jahr 2002 wieder abgeschafft.35 Die Zulassungsberufung blieb jedoch, mit durchaus weitreichenden Folgen: Nur noch der weitaus kleinere Teil der verwaltungsgerichtlichen Verfahren hat heute Chancen, die zweite Instanz als Berufungsverfahren zu erreichen. Die Zulassungsquote bei den Oberverwaltungsgerichten hat sich auf einem niedrigen Stand - in der Regel zwischen 20 und 40 Prozent - eingependelt. Solche Zahlen sagen für sich genommen noch nicht viel. Doch es scheitern nicht ganz wenige Zulassungsanträge nicht etwa daran, dass es an klärungsbedürftigen Tatsachen- oder Rechtsfragen gefehlt hätte, sondern daran, dass die von der Rechtsprechung mitunter kleinteilig formulierten Anforderungen an die Darlegungslasten nicht erfüllt sind. Was meist - wenn auch noch zu häufig - nicht so weit geht, dass die vom Bundesverfassungsgericht formulierten Grenzen einer unzulässigen Erschwerung des Zugangs zur Rechtsmittelinstanz nicht eingehalten würden.36 Allerdings lassen sich nachteilige Folgen für die Akzeptanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit vermuten. Jedenfalls wurde das politisch erwünschte Ergebnis der Entlastung der Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe und auch des Bundesverwaltungsgerichts im Ergebnis erreicht. Wer das Rechtsmittelrecht unter eine Zulassungslösung stellt, nimmt in Kauf: Die Richter selbst entscheiden, und zwar mit beträchtlichem Beurteilungsspielraum, ob und wie der Fall die nächste Instanz erreicht - vom Judex a quo zum Judex ad quem. Und bedeutsamer noch: Die Zulassungsanträge erfordern den sorgfältig arbeitenden und auch kundigen Rechtsanwalt - dies auch in Rechtsgebieten mit einem aus Anwaltssicht negativen Kosten-Nutzenverhältnis.
Zudem führt - für Insider unverkennbar - die Zulassungslösung zu gravierenden Auswirkungen in der dritten Instanz, beim Bundesverwaltungsgericht. Die Leitfunktion des Bundesverwaltungsgerichts für die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung wird durch das berufungsgerichtliche Zulassungssystem spürbar beeinträchtigt. Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichts ist es, in allen wichtigen Rechtsgebieten für Rechtseinheit und in einem nicht zu unterschätzendem Maße für die stets notwendige Rechtsfortbildung zu sorgen - mag man das so nun nennen oder von notwendiger Gesetzesinterpretation sprechen. Jedenfalls: Diese Funktion kann erfolgreich nur erfüllt werden, wenn das Bundesverwaltungsgericht hinreichende Fallzahlen in den wichtigsten Rechtsgebieten erhält. Daran mangelt es seit vielen Jahren. Nur 1 bis 2 Prozent aller verwaltungsgerichtlichen Fälle erreichen das Bundesverwaltungsgericht als oberste Instanz, sei es über die Zulassung der Revision durch die Vorinstanzen oder auf dem Weg der Nichtzulassungsbeschwerde. In absoluten Zahlen: Von den circa 90 000 Verfahren, die bei den Verwaltungsgerichten erstinstanzlich eingehen - Asylverfahren sind hier abgezogen -, erreichen das Bundesverwaltungsgericht im Jahr noch durchschnittlich circa 1 100 - diese Zahl wiederum bereinigt um Asylverfahren.37 Dies ist eine verschwindend geringe Zahl, zudem höchst ungleichmäßig auf die einzelnen Rechtgebiete verteilt.38 Rechtspolitisch gesehen ergibt sich daraus eine Schieflage.
2.3.3 Bundesverwaltungsgericht als alleinige Instanz
Noch eine weitere Schieflage zentriert sich beim Bundesverwaltungsgericht. Es ist seine allein-instanzliche Zuständigkeit bei Klagen zu allen großen Infrastrukturvorhaben in der Bundesrepublik. Im Zuge der Wiedervereinigung war die Schaffung von Verkehrsinfrastruktur in und zu den neuen Bundesländern das Gebot der Stunde. Der Rechtsschutz sollte der Schnelligkeit wegen ausnahmsweise auf ein Minimum reduziert werden. So erhielt das Bundesverwaltungsgericht über das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz39 die erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit im Bereich von Fernstraßen, Schienenwegen und Flughäfen. Es blieb nicht bei der wegen des historischen Anlasses verständlichen Ausnahmeregelung. Der Gesetzgeber beurteilte das ein-instanzliche Verfahren als Erfolgsmodell. Denn nach und nach erhielt das Bundesverwaltungsgericht die erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit für alle wichtigen Planungsvorhaben in der Bundesrepublik,40 einschließlich der Planung von Energieleitungen.41 Dabei geht es um über 100 Planungsvorhaben,42 jedes einzelne in den Gesetzen konkret bezeichnet und aufgelistet. Am Ende - und dieses ist längst nicht absehbar - dürften daraus weit mehr als 1 000 Einzelklagen entstehen. Das sind große Herausforderungen für ein Gericht, das im Kern ein Revisionsgericht ist: Die verfahrensrechtlichen Anforderungen sind erheblich, der materiell-rechtliche Gehalt einerseits dicht, andererseits in einem Abwägungsmodell eher unbestimmt, kaum determiniert. Die Überlagerung durch EU-Recht in erheblichem Umfang kommt hinzu.
Dem Gesetzgeber ging es mit solchen Änderungen vor allem um Beschleunigung der Gerichtsverfahren. Sicher wollte er auch bestmögliche richterliche Arbeit. Beides erhält er, soweit dies eben in nur einer Instanz möglich ist. Doch derartige Zuständigkeiten sind und bleiben ein Fremdkörper im Gefüge der obersten Gerichtshöfe des Bundes. Das Bundesverwaltungsgericht dürfte das einzige oberste Bundesgericht sein, das mit mehr als circa 30 Prozent seiner Auslastung43 erstinstanzlich tätig ist. Dies ist kein guter Zustand, aber er kennzeichnet die gegenwärtige Lage der Verwaltungsgerichtsbarkeit in besonderem Maße: Der alleinige Rechtsschutz durch das Bundesverwaltungsgericht findet unter Ausschluss einer föderalen Verankerung bei den Gerichten der Länder statt. Der Gesetzgeber hält augenscheinlich die bei den Gerichten der Länder vorhandene Ortskunde und Expertise im Landesrecht gerade in diesen besonders wichtigen Fällen nicht für erforderlich. Darüber hinaus verzichtet ein solches Rechtsschutzmodell ohne Not auf einen wichtigen Vorteil eines zumindest zwei-instanzlichen Verfahrens. Es verzichtet auf den kritischen Dialog zwischen den Instanzen. Dieser verbessert nicht nur die Rechtsprechung, sondern hilft auch den Prozessbeteiligten bei der Rechtsverfolgung und fördert die Akzeptanz. Der volkstümliche Ausdruck vom kurzen Prozess symbolisiert solch allfällige Akzeptanzprobleme. Immerhin hat der Gesetzgeber für die Planung von Flughäfen den zwei-instanzlichen Rechtsweg inzwischen wieder hergestellt. Leider steckt dahinter wohl keine Einsicht. Denn der Koalitionsvertrag von Februar 2018 will dem ein-instanzlichen Gerichtsverfahren weitere Anwendungsfälle zuführen.44
Die Gesamtdauer der Ausführung von Infrastrukturvorhaben profitiert übrigens herzlich wenig von der Verkürzung des Rechtsschutzes. Betrachtet man die durchschnittliche Zeitspanne vom Beginn des Verwaltungsverfahrens bis zur Planverwirklichung und Inbetriebnahme, so zeigen sich die wahren Zeitfresser: Es sind komplexe Verwaltungsverfahren und technische Probleme, die das Zeitkonto belasten. Die Dauer der Gerichtsverfahren spielt daneben nur eine untergeordnete Rolle. Beispiele, wie Berliner Flughafen, Stuttgart 21 und andere mehr kennt jeder von uns.
3. Abdrängende Verweisung - Rechtwegebereinigung
Bei meinem weiteren "Rechtswegethema" geht es um eine Neujustierung der traditionellen fünf Gerichtszweige von innen heraus. Sie betrifft den "Markenkern" der Verwaltungsgerichtsbarkeit, es geht um ihre funktionale Integrität. Zu beobachten ist das Phänomen, dass es zwar eine verwaltungsgerichtliche Generalklausel gibt, dass aber deren systematisierende Funktion, vor allem hinsichtlich der Abgrenzung von Verwaltungs- und Ziviljustiz, durch den Gesetzgeber nur wenig beachtet wird. Es handelt sich um ein Thema, das insbesondere seit 2004 verstärkt im justizpolitischen Fokus steht.45
Die Generalklausel verweist alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art auf den (allgemeinen) Verwaltungsrechtsweg, soweit sie nicht durch Gesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Das ist für die Sozialgerichtsbarkeit und die Finanzgerichtsgerichtsbarkeit enumerativ geschehen.46 Dem entsprechen bestimmte Leitbilder der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit und ihrer öffentlich-rechtlichen Schwestergerichtsbarkeiten. Die Leitbilder der Zivilgerichtsbarkeit und ihrer Schwestergerichtsbarkeit im Arbeitsrecht unterscheiden sich davon. Dass solche Leitbilder verfassungsrechtlichen Schutz genießen, mag man bestreiten. Die Bestandsgarantie des Artikel 95 Absatz 1 GG für die fünf Bundesgerichte schließt aber einen korrelierenden Schutz der ihnen jeweils zugeordneten Rechtswege zumindest nicht aus.47
Dem einfachen Gesetzgeber steht bei der Zuweisung von Zuständigkeiten an die Gerichtsbarkeiten sicherlich ein nicht unbeträchtlicher rechtspolitischer Spielraum zur Seite - schon mangels völlig eindeutiger Zuordnungskriterien. Indessen wird man den verfassungsrechtlichen Schutz eines typenprägenden Kernbereichs noch unterstellen dürfen.48 Auch das Gebot der Rechtswegeklarheit hätte hier einen Anwendungsbereich49 - auch wenn im Einzelfall die notwendige Rechtsmittelbelehrung für Klarheit sorgen könnte. Eine leitbildgerechte Zuweisung von Zuständigkeiten an die einzelnen Gerichtszweige mag also verfassungsrechtlich nicht erzwingbar sein.50 Rechtspolitisch überaus wünschenswert ist sie allemal.
3.1 Rechtswegszuordnung ohne Leitbild
Ureigene Aufgabe öffentlich-rechtlicher Gerichtsbarkeiten ist die Kontrolle hoheitlichen Handelns. Sie haben die Rechte Betroffener gegenüber dem Staat zu wahren und diese - unter Beachtung des den Behörden und Trägern öffentlicher Verwaltung eingeräumten Gestaltungsspielraums - sicherzustellen. Ziviljustiz ist hingegen klassisch durch Privatautonomie und Handlungsfreiheit zur Verfolgung individueller Interessen in den Grenzen der Rechtsordnung gekennzeichnet.51 Verwaltungsgerichtsbarkeit und Zivilgerichtsbarkeit enthalten in ihrem jeweiligen Prozessrecht auf die unterschiedlichen Ausgangssituationen zugeschnittene Regelungen. In der Verwaltungsgerichtsordnung ließen sich dazu beispielsweise nennen: Regelungen über die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen behördliche Entscheidungen, über die Möglichkeit der Anordnung des Sofortvollzugs durch die Behörde und den vorläufigen Rechtsschutz gegen solche Anordnungen oder den Untersuchungsgrundsatz.
Der heutige Gesetzgeber kann mit solchen Leitbildern erkennbar wenig anfangen. Er weist Streitigkeiten - nicht immer, aber doch zu häufig - einer Gerichtsbarkeit nicht auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Einordnung des Rechtsgebiets zu, sondern wählt mit einem gewissen Automatismus auch für originär öffentlich-rechtliche Problembereiche immer wieder den Zivilrechtsweg aus. Ein jüngeres Beispiel ist das Zahlungskontengesetz52 (§ 50 ZKG), in dem es um Rechtsschutz gegen öffentlich-rechtliche Entscheidungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) geht.53 Ein anderes Beispiel ist das Vergaberecht.54 Hier hing die Gerichtszuständigkeit zunächst von der Erreichung eines (sektorspezifischen) Schwellenwertes ab, war also gespalten. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind inzwischen einheitlich die Zivilgerichte zuständig - sodass zumindest die zuvorige unsinnige Aufspaltung entfällt.55
Verwirrend auch der Rechtsschutz gegen Regulierungsentscheidungen des Bundes. Die Verwaltungsgerichte sind hier zwar auf der Grundlage von Telekommunikationsgesetz, Postgesetz und allgemeinem Eisenbahngesetz zuständig.56 Überraschend anders aber ist die Regelung im Energiewirtschaftsgesetz und Kohlendioxid-Speicherungsgesetz: Hier ist gegen Entscheidungen der Regulierungsbehörde der Rechtsweg zu den Oberlandesgerichten eröffnet. Für nicht regulierungsrechtliche Entscheidungen wie technische Aufsicht und Planfeststellung bleiben indessen auch nach diesen Gesetzen die Verwaltungsgerichte zuständig. Dies wird in der Literatur zutreffend als "inkonsequent, unsystematisch und verworren" kritisiert.57 Selbst der Deutsche Juristentag hat diese Inkongruenzen kritisch gesehen und im Jahr 2006 vorgeschlagen, doch das gesamte Regulierungsrecht in der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu konzentrieren.58 Weitere Beispiele wären zahlreich. Von einer allein durch rationale Kriterien bestimmten Gesetzgebung lässt sich da nicht sprechen.
3.2 Gleichwertiger, aber nicht identischer Rechtsschutz
Dass die Hemmschwelle des Gesetzgebers bei der Rechtswegzuordnung so niedrig ist, mag daran liegen, dass sich wesentliche Fallgruppen solch inkonsistenter Rechtswegzuordnungen schon im Grundgesetz finden. Sie verweisen Streitigkeiten über Schadensersatz im Bereich der Amtshaftung und die (Sekundär-)Rechtstreitigkeiten über Enteignungsentschädigungen an die ordentlichen Gerichte (siehe Artikel 34 Satz 3 GG, 14 Absatz 3, 15 Satz 2 GG). Hinzu kommt die zivilrechtliche Auffangzuständigkeit des Artikel 19 Absatz 4 Satz 2 GG. All dies bezeugt die Vorstellung des Verfassungsgebers des Jahres 1949, der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten sichere die Rechte des Bürgers am besten.59 Das war damals mehr als verständlich. Die Fachgerichtsbarkeiten einschließlich der Verwaltungsgerichtsbarkeit hatten ihre rechtsstaatliche Leistungsfähigkeit noch nicht beweisen können. Heute hat sich solches Misstrauen gegen die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die anderen Fachgerichtsbarkeiten fraglos vollständig überholt. Der Rechtsschutz in allen fünf Gerichtszweigen ist gleichwertig. Er ist allerdings nicht identisch. Um es sehr verkürzend zu sagen: Der Kontrollimpetus des Zivil- und Strafrichters ist ein anderer als der Kontrollimpetus des Verwaltungsrichters. Der Kontrollimpetus des Verwaltungsgerichtes wird geprägt durch die Konstellation eines Rechtsschutzsuchenden, der von staatlichen Maßnahmen betroffen ist, und der Reflektion und Gewichtung der maßgeblichen öffentlichen Interessen. Der alltägliche Umgang mit der Offizialmaxime und der stete Seitenblick auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen sind Kernkompetenzen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dies prägt die Sozialisation der Richterschaft der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Abweichend der Kontrollimpetus des Zivilrichters. Der Zivilrichter ist - etwas verkürzt gesagt - gleichsam mediatisiert durch die Parteimaxime. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen. Da ich selbst an die zehn Jahre auch in der ordentlichen Gerichtsbarkeit tätig war, weiß ich um die - teils unbewussten und kaum vermeidbaren - Unterschiede in der Herangehensweise. Es ist nicht klug, dies zu vernachlässigen. Probleme der Entlastung und Belastung durch Verlagerungen der Gerichtszuständigkeiten lösen zu wollen, ist jedenfalls sachfremd. Ebenso sachfremd sind Begründungen wie: der Zivilrechtsweg sei einfacher, schneller und billiger. Unabhängig davon, dass solche Begründungen objektiv falsch sind.
3.3 Notwendige Konsequenzen
Rechtswegzuweisungen sollten also in jedem Einzelfall die Stärkung der Gerichtsbarkeit insgesamt im Auge haben. Zwar fehlen die ausnahmslos zwingenden Zuordnungskriterien. Aber es ist doch meist möglich, die den Leitbildern entsprechenden materiell-rechtlichen Zuständigkeiten hinreichend genau zu bestimmen.60 Im Interesse des rechtssuchenden Publikums kann dabei durchaus vermieden werden, dass es zur Aufspaltung des Rechtsweges bei der Beurteilung ein- und desselben Lebenssachverhaltes kommt. Die notwendigen Konsequenzen wären aus meiner Sicht die Aufhebung der den ordentlichen Rechtsweg anordnenden Verfassungsbestimmungen, die dort ohnehin inzwischen eher ein Fremdkörper sind. Hinzu käme die Forderung nach einer künftig achtsameren Umgangsweise des einfachen Gesetzgebers mit der Zuweisung von Gerichtszuständigkeiten. Die daraus resultierende Konzentration von primärem und sekundärem Rechtsschutz würde zur wünschenswerten Sichtbarkeit des "Markenkerns" der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht unerheblich beitragen.
Da es bei Amtshaftungsfragen und öffentlich-rechtlichen Entschädigungen letztlich um Fragen des Staatshaftungsrechts geht, dessen Reform seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 198262 auf Eis liegt, dürften Änderungen in diesem Bereich allerdings schwer zu erreichen sein - trotz der erheblichen und überaus anerkennenswerten Grundlagenarbeit, die die Justizministerkonferenz in Form einer umfangreichen Untersuchung im Jahr 2016 auf diesem Gebiet geleistet hat. Auf der Grundlage des Berichts der Länderoffenen Arbeitsgruppe Rechtswegbereinigung hat die Justizministerkonferenz das Bundesjustizministerium inzwischen aufgefordert, das Anliegen einer systemgerechten Rechtswegzuweisung bei zukünftigen Gesetzgebungsvorhaben wieder verstärkt zu berücksichtigen. Außerdem arbeitet sie hinsichtlich der hier genannten Problemfälle selbst an Lösungen.63 Es gilt, die fünf Gerichtszweige auch dadurch zu stärken, dass sie auf der Grundlage nachvollziehbarer Funktionskriterien voneinander unterschieden werden können.
4. Ausblick
Was steht uns in den kommenden Jahren ins Haus? Die Europäisierung von Teilen des allgemeinen Verwaltungsrechts, auch des Verwaltungsprozessrechtes mit seinen Auswirkungen auf die nationale Gerichtsbarkeit schreitet voran. Der Umsetzungsbedarf ist groß. Für die Richter allerdings auch horizonterweiternd. Längst wissen die Verwaltungsgerichte mit Europäisierung umzugehen. Sie wissen, dass die einst beschworene europäische Garantie der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten löchrig ist, soweit unionsrechtliche Gefilde berührt sind. Gegenwärtig lassen sich mit einiger Zuspitzung zwei Grundpositionen feststellen. Die eine Position verweist auf die eigene Tradition und betont dazu die Verfahrensautonomie des Mitgliedstaates. Man lässt sich gegebenenfalls durch den Europäischen Gerichtshof "belehren" - aber nicht so gerne. Nennen wir sie die Traditionalisten. Die andere Position plädiert dafür, von sich aus eine Fortentwicklung des nationalen Rechts im Sinne einer bewussten und "freiwilligen" Angleichung an das Unionsrechts zu erreichen - sie ließen sich als Integrationalisten bezeichnen.
Die vom Europäischen Gerichtshof immer wieder betonten Grundsätze von Loyalität und Kohärenz, von Effektivität und effektivem Vollzug des Unionsrechtes machen die integrative Entwicklung jedenfalls möglich - oder auch zwingend. Denn der Europäische Gerichtshof hat sich inzwischen ein Instrumentarium geschaffen, das auch vor Verfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht nicht Halt macht. Hier lässt sich eine eher verdeckte Europäisierung beobachten. Veränderungen finden ohne Zugriff des deutschen Gesetzgebers statt, allein durch die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs. Das muss man nicht beklagen. Wenn man Europa will, ist dies nicht der schlechteste Weg, den man gehen kann. Er kann aber für die Verwaltungsgerichte in der näheren Zeit durchaus konfliktbeladen sein. Das ist etwa der Fall, wenn der deutsche Gesetzgeber die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht umsetzt, sondern gegen sie arbeitet. Derartige Zeichen gibt es: so derzeit auf dem Gebiet des Umweltrechts, wo der Europäische Gerichtshof den Rechtsschutz in Umweltsachen deutlich erweitert hat, deutsches Gesetzesrecht dabei als europarechtswidrig markierend.64 Die To-do-Liste des derzeitigen Koalitionsvertrages zeigt, dass die Bundesregierung dies wohl nicht wirklich akzeptieren will65 - mit allen Unsicherheiten, die dies für Verwaltungs- und Gerichtsverfahren mit sich bringt.
Aktuell wichtiger dürfte für die Verwaltungsgerichtsbarkeit der am 10. Juli 2018 veröffentlichte "Masterplan Migration" des Bundesinnenministers werden.66 Dieser Plan lässt verfassungsrechtlich und verfahrenspolitisch aufhorchen. Die Verwaltungsgerichte sollen in Asylverfahren "schnellstmöglich entscheiden". Das mag angehen, wenn die personelle und sächliche Ausstattung stimmt und komplexe Fälle die Zeit bekommen, die sie eben benötigen. Allerdings sollen explizit auch mehr Richter beteiligt werden, "die noch nicht auf Lebenszeit angestellt sind". Dies spricht eigentlich gegen ein wirkliches Beschleunigungsmodell auf breiter Front, schon weil die rechtlich und in tatsächlicher Ermittlung komplexe Materie Asylrecht meist eine längere Einarbeitungszeit verlangt als die meisten anderen Rechtsgebiete. Zudem sollen die Ankerzentren offenbar auch selbst Ort von Gerichtsverfahren werden. Und es verwundert nicht, dass die Kürzung von Rechtsmitteln weiter vorangetrieben werden soll. Das hat alles den Akzent von Aktionismus. In jedem Fall dürfte viel Arbeit auf die Verwaltungsgerichte zukommen.
Dies und andere Entwicklungen zeigen: Die Verwaltungsgerichte sind und bleiben unverzichtbarer Prüfstein des Rechtsstaates - auch in Zukunft.
1 Vgl. Michael Stolleis, Hundertfünfzig Jahre Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Deutsches Verwaltungsblatt 128 (20/2013), S. 1274 - 1280, hier S. 1274; siehe auch ders., Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 4, München 2012, S. 186 f.
2 Vgl. Stolleis, Verwaltungsgerichtsbarkeit (wie Anm. 1), hier S. 1277 f.
3 Vgl. Fritz Werner, Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht (1959), in: Karl A. Bettermann / Carl H. Ule (Hg.), Recht und Gericht in unserer Zeit, Köln 1971, S. 212 – 226.
4 Hans-Jürgen Papier, Die Stellung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im demokratischen Rechtsstaat, Vortrag gehalten vor der Berliner Juristischen Gesellschaft am 29. November 1978, Berlin 1978.
5 Zum Beispiel §§ 46, 73 Absatz 4 Satz 3 VwVfG; § 10 Absatz 4 LuftVG, § 215 BauGB. Vgl. BVerwGE 104, 337.
6 §§ 3 Absatz 2 Satz 4 VwGO in Verbindung mit § 47 Absatz 2 a VwGO.
7 § 50 VwGO, insbesondere Absatz 1 Nr. 6.
8 Vgl. Papier, Verwaltungsgerichtsbarkeit (wie Anm. 4), S. 14.
9 Vgl. Papier, Verwaltungsgerichtsbarkeit (wie Anm. 4), S. 15 ff.
10 Gustav Radbruch, Rechtswissenschaft als Rechtsschöpfung: ein Beitrag zum juristischen Methodenstreit, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 22 (1906), S. 355 - 370, hier S. 359, zitiert nach: Papier, Verwaltungsgerichtsbarkeit (wie Anm. 4), S. 18.
11 Papier, Verwaltungsgerichtsbarkeit (wie Anm. 4), S. 24.
12 Vgl. Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. 2003, Teil I, S. 2954).
13 Auf der Grundlage einer - dem Vernehmen nach wohl durchaus dramatischen - Nachtsitzung des Vermittlungsausschusses am 16. Dezember 2003, deren Ergebnis hinsichtlich der Kompetenzverlagerung für Sozialhilfeangelegenheiten einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung (zu der es nie kam) wohl kaum Stand gehalten hätte; vgl. BVerfGE 101, 297 (306); 120, 56 (73 f.); 125, 104 (122).
14 Vgl. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 6. November 2003 in Berlin und die auf der Herbstkonferenz der Justizministerinnen und -minister am 25. November 2004 in Berlin beschlossenen Eckpunkte für eine "Große Justizreform" - Beschluss zu Punkt 1.1 des Eckpunktepapiers zur Großen Justizreform: "Die Justizministerinnen und Justizminister sprechen sich für eine möglichst weit gehende Vereinheitlichung der Gerichtsverfassungen und der Prozessordnungen für alle Gerichtsbarkeiten aus."
15 Siehe den Schlussbericht "Errichtung einer öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeit zum Auftrag der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister" am 6. November 2003 (TOP C.II.3 des Protokolls), S. 10, 31 f. - Siehe zum Ganzen beispielsweise auch Heinz Georg Bamberger, Zur Vereinheitlichung der Fachgerichtsbarkeiten, in: Detlef Merten (Hg.), Justizreform und Rechtsstaatlichkeit. Forschungssymposium anläßlich des 100. Geburtstages von Carl Hermann Ule (26.2.1907 - 16.5.1999), Berlin 2009, S. 9 - 20; Uwe Berlit, Zusammenlegung von Gerichtsbarkeiten, in: Betrifft Justiz 20 (77/2004), S. 226 - 237; Michael Bertrams, Die Erneuerung und Sicherung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Deutsches Verwaltungsblatt 121 (16/2006), S. 997 - 1007; Thomas Flint, Für eine Zusammenlegung von Sozialgerichten und Verwaltungsgerichten, in: Deutsche Richterzeitung 82 (7 - 8/2004), S. 217 - 221; Klaus F. Gärditz, Die Rechtswegspaltung in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungs-rechtlicher Art, in: Die Verwaltung 43 (3/2010), S. 309 - 347; Sibylle von Heimburg, Effizientere Rechtsprechung durch Zusammenlegung der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten?, in: Rainer Pitschas / Arnd Uhle / Josef Aulehner (Hg.), Wege gelebter Verfassung in Recht und Politik. Festschrift für Rupert Scholz zum 70. Geburtstag, Berlin 2007, S. 483 - 498; Elisabeth Heister-Neumann, "Große Justizreform2 - Der Weg zu einer zukunftsfähigen Justiz, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 38 (1/2005), S. 12 - 15; Eckart Hien, Vom Verwaltungsgericht zum Fachgericht?, in: Deutsches Verwaltungsblatt 120 (6/2005), S. 348 – 350; Friedhelm Hufen, Ist das Nebeneinander von Sozialgerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichtsbarkeit funktional und materiell begründbar?, in: Die Verwaltung 42 (3/2009), S. 405 - 437; Ulrich Ramsauer, Die Zusammenlegung von Verwaltungs- und Sozialgerichten, in: Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland 7 (4/2004), S. 147 - 150; Konrad Redeker, Vereinheitlichung der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten, in: Neue Juristische Wochenschrift 57 (8/2004), S. 496 -498; Wolfgang Schild / Stephan Weth, Aus fünf mach zwei - einige Gedanken zur geplanten Zusammenlegung der Gerichtsbarkeiten, in: Jürgen Bröhmer et al. (Hg.), Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte. Festschrift für Georg Ress, Köln 2005, S. 1555 - 1568; Fabian Wittreck, Auftakt zu einer neuen Runde - die Vereinheitlichung der öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeiten, in: Deutsches Verwaltungsblatt 120 (4/2005), S. 211 - 220.
16 Bundesrat, Drucksache 543/04; Bundestag, Drucksache 15/4108; neu Bundesrat, Drucksache 46/06; Bundestag, Drucksache 16/1034. Zu Verfassungsfragen siehe Bernhard Stüer / Caspar D. Hermanns, Der verfassungsrechtliche Rahmen einer Vereinheitlichung der öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeiten, in: Die Öffentliche Verwaltung 54 (12/2001), S. 505 – 511 mit weiteren Nachweisen; Berlit, Zusammenlegung (wie Anm. 15), hier S. 228 f., der die fünf Bundesgerichte, nicht aber die entsprechende Gliederung der Gerichte auf Länderebene durch die Verfassung garantiert sieht.
17 Bundestag, Drucksache 15/4109: Entwurf eines Gesetzes zur Öffnung des Bundesrechts für die Zusammenführung von Gerichten der Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit in den Ländern (Zusammenführungsgesetz); neu eingebracht als Bundesrat, Drucksache 47/06 (= Bundestag, Drucksache 16/1040).
18 CDU/CSU und FDP, Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP. 17. Legislaturperiode, Berlin, 26. Oktober 2009, S. 111 (letzter Zugriff: 20.04.2020).
19 Eine Zusammenlegung von Finanzgerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichtsbarkeit wäre vermutlich mit weniger internen Kosten möglich gewesen als die Zusammenlegung mit der Sozialgerichtsbarkeit - aber dies wurde nicht ernsthaft geprüft.
20 Vgl. Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Errichtung einer einheitlichen öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeit" zum Auftrag der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 6. November 2003, Stand: Mai 2004, S. 2, 10 ff.
21 Für die Möglichkeit von Änderungen des Richterdienstrechts spricht: Der von der Verfassung intendierte Schutz der persönlichen Unabhängigkeit der Richter besteht allein im Interesse des Rechtsstaates und der Rechtspflege und soll vor allem Einflussnahmen und Manipulationsmöglichkeiten hinsichtlich der Richterbank ausschließen, also das Prinzip des gesetzlichen Richters und der Gewaltenteilung institutionell absichern. Das erschwert Versetzungen - zu Recht. Wird aber ein Versetzungstatbestand gesetzlich hinreichend genau für den Ausnahmefall starker Belastungsunterschiede von zwei Gerichtsbarkeiten umschrieben und beispielsweise dem Präsidium des betroffenen Gerichtes zusätzlich ein Vetorecht für den Fall zugestanden, in dem Einflussnahmen auf den gesetzlichen Richter konkret zu befürchten sein könnten, dürfte dies verfassungsrechtliche Bedenken hinreichend ausräumen.
22 Vgl. Frankfurter Anwaltsverein, Mitteilung, 29. Juli 2010 (letzter Zugriff: 20.04.2020).
23 Berlit, Zusammenlegung (wie Anm. 15), hier S. 229 f.
24 Vgl. Statista, Umfrage in Deutschland zum Vertrauen in Justiz und Rechtssystem 2019, 9. März 2020 (letzter Zugriff: 27.04.2020); in einer anderen Umfrage liegen Zustimmungswerte ähnlich hoch (vgl. Roland-Rechtsreport, Köln 2020, S. 10 ff.).
25 Vgl. Roland-Rechtsreport (wie Anm. 24), S. 17, 19.
26 Gesetz zu dem Übereinkommen vom 15. Juni 1990 über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags (Dubliner Übereinkommen) vom 27. Juni 1994 (BGBl. 1997, Teil II, S. 1452).
27 Vgl. Ulrich Ramsauer, Die Wahrung des Verwaltungsrechtsschutzes aus gerichtlicher Sicht. Aktuelle Probleme der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Wilfried Erbguth (Hg.), Verwaltungsrechtsschutz in der Krise: vom Rechtsschutz zum Schutz der Verwaltung?, Baden-Baden 2010, S. 71 - 86, hier S. 75: Tabelle zur Entwicklung der Richterzahlen zwischen 1961 und 2006.
28 Bundesamt für Justiz, Richterstatistik 2018, Stand 15. November 2019 (letzter Zugriff: 20.04.2020). Der Ausbau der Justiz war Gegenstand des Koalitionsvertrage zwischen den Unionsparteien und der SPD vom 7. Februar 2018: Der dort intendierte Pakt für den Rechtsstaat sieht 2 000 neue Richterstellen in Bund und Ländern und eine entsprechende Erhöhung des Hilfspersonals vor. Ende Januar 2019 hat sich der Bund mit den Ländern geeinigt, ihnen für die Schaffung - rückwirkend ab 2017 - von 2 000 Stellen in Richter- und Staatsanwaltschaft 220 Millionen Euro in zwei Tranchen zu bezahlen. Die darüber hinausgehenden Kosten haben die Länder zu tragen; vgl. Zeit Online, Bund und Länder stellen 2000 Richter und Staatsanwälte ein, 31. Januar 2019 (letzter Zugriff: 27.04.2020).
29 Auch in Form einer Optionslösung, siehe Bayern.
30 Vgl. Carsten Zander, Übersicht über den Stand der Einschränkungen des Widerspruchsverfahrens in den Ländern, in: BDVR-Rundschreiben 43 (1/2011), S. 26 - 28; Herwig van Nieuwland, Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in Niedersachen. Bilanz nach knapp zwei Jahren, in: Niedersächsische Verwaltungsblätter 14 (2/2007), S. 38 - 41.
31 Vgl. Evaluationsbericht Bayern (zum Pilotprojekt Mittelfranken); siehe auch Zander (wie Anm. 30); Van Nieuwland (wie Anm. 30).
32 Pascale Cancic, Vom Widerspruch zum informalen Beschwerdemanagement. Siegt der "Verhandlungsstaat" über den "hoheitlichen Anordnungsstaat"?, in: Die Verwaltung 43 (4/2010), S. 467 - 499. Die Praxis kam in Niedersachsen auf: Behörden reagierten auch außerhalb von Klagverfahren konstruktiv auf begründete Einwände.
33 Mit sichtbaren Erfolgen hinsichtlich der Zahl der Erledigungen: Jürgen Kipp berichtet davon, dass die Erledigungsleistung des Verwaltungsgerichts Berlin von circa 15 000 im Jahre 1992 über circa 19 000 im Jahre 1993 auf circa 22 000 im Jahre 1994 anstieg. Vgl. Jürgen Kipp, 50 Jahre Verwaltungsgerichtsordnung - Versuch einer Innenansicht, in: Landes- und Kommunalverwaltung 21 (10/2011), S. 433 – 439, hier S. 437.
34 Vgl. Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 1. November 1996 (BGBl. 1996, Teil I, S. 1626).
35 Vgl. Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts vom 20. Dezember 2001, Geltung ab 1. Januar 2002 (BGBl. 2001, Teil I, S. 3987).
36 BVerfGE 125, 104 (137); BVerfGK 5, 369 (375 f.); 10, 208 (213); 15, 37 (46).
37 Das sind nur ungefähre Durchschnittszahlen, siehe im Einzelnen: Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 - Rechtspflege 2018. Reihe 2.4, Wiesbaden 2019, S. 12 f.
38 Dies ist auch in den zwölf eingangsstärksten Rechtsgebieten so, nämlich im Recht betr. Asyl, Öffentlicher Dienst, Abgaben, Polizei, Ordnungswesen, Wohnen, Umweltschutz, Ausländer, Raumordnung, Landesplanung, Bau-, Boden- und Städtebauförderung einschließlich Enteignungen, Soziales (ohne Sozialhilfe), Jugendschutz, Kindergarten, Kriegsfolgen, Bildung, Sport, Wirtschaft, Landwirtschaft, Jagd, Forst, Fischerei, freie Berufe, Umwelt, Numerus-clausus-Verfahren, Parlamente, Wahl, Kommunen, juristische Personen des öffentlichen Rechts, Staatsaufsicht. Vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 (wie Anm. 37), S. 11.
39 Vgl. Gesetz zur Beschleunigung der Planungen für Verkehrswege in den neuen Ländern sowie im Land Berlin (Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz) vom 16. Dezember 1991 (BGBl. 1991, Teil I, S. 2174).
40 Vgl. Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben (Infrastrukturvorhabenplanungsbeschleunigungsgesetz) vom 9. Dezember 2006 (BGBl. 2006, Teil I, S. 2833, berichtigt BGBl. 2007, Teil I, S. 691).
41 Vgl. Gesetz zur Beschleunigung des Ausbaus der Höchstspannungsnetze vom 21. August 2009 (BGBl. 2009, Teil I, S. 2870) in Verbindung mit Gesetz über Maßnahmen zur Beschleunigung des Netzausbaus Elektrizitätsnetze vom 28. Juli 2011 ( BGBl. 2011, Teil I, S. 1690). Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2013, 7 A 4.12 - BVerwGE 147, 184, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 32 (24/2013), S. 1605, Rn. 20.
42 Vgl. Infrastrukturvorhabenplanungsbeschleunigungsgesetz (wie Anm. 40).
43 Einbezogen sind die wenigen erstinstanzlichen Zuständigkeiten, die es schon vorher gegeben hatte - vor allem bei Streitigkeiten der Länder untereinander (§ 50 Absatz 1 Nr. 1 VwGO) oder im Sicherheitsbereich (§ 50 Absatz 1 Nr. 2 - 4 VwGO).
44 CDU/CSU und SPD, Ein neuer Aufbruch für Europa - Eine neue Dynamik für Deutschland - Ein neuer Zusammenhalt für unser Land. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 19. Legislaturperiode, 7. Februar 2018, Zeilen 3431 f.
45 Seitdem äußerte sich der Bundesrat anlässlich konkreter Gesetzesvorhaben häufiger kritisch zu beabsichtigten Zuweisungen von gerichtlichen Zuständigkeiten an die ordentlichen Gerichte. Die 76. Justizministerkonferenz (Juni 2005) und die 79. Justizministerkonferenz (Juni 2008) empfahlen mehrheitlich (auf der Grundlage umfangreicher Vorarbeiten), die vornehmlich historisch begründeten Rechtswegzuweisungen durch Regelungen zu ersetzen, die an die materiell-rechtliche Einordnung der Streitigkeit anknüpfen. Das Bundesministerium der Justiz führte im Oktober 2012 auf gemeinsame Anregung der Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts und des Präsidenten des Bundesgerichtshofs eine Länderumfrage "Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten" durch, bei der sich eine klare Mehrheit für eine Aufhebung dieser speziellen abdrängenden Sonderzuweisungen aussprach. Nachweise siehe: Länderoffene Arbeitsgruppe Rechtswegbereinigung, Bericht vom 18. Oktober 2016 für die 87. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 17. November 2016 in Berlin, S. 70 f. (letzter Zugriff: 21.04.2020).
46 § 51 Sozialgerichtsgesetz, § 33 Finanzgerichtsordnung.
47 Monika Jachmann, Kommentierung Artikel 95, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, Stand Oktober 2011, Rn. 74, 110; Steffen Detterbeck, Kommentierung Artikel 95 GG, in: Michael Sachs (Hg.), Grundgesetz: GG. Kommentar, 8. Aufl., München 2018, Rn. 4; Norbert Achterberg, Kommentierung Artikel 95 GG, in: Wolfgang Kahl / Christian Waldhoff / Christian Walter (Hg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, München, Zweitbearb. Juli 1985, Rn. 130; Andreas Heusch, Kommentierung Artikel 95 GG, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu / Hans Hofmann / Hans-Günter Henneke (Hg.), GG Kommentar zum Grundgesetz, 14. Aufl., Köln 2018, Rn. 11; siehe auch einerseits Peter M. Huber, Kommentierung Artikel 19 Absatz 4 GG, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 7. Aufl., München 2018, Rn. 455 und andererseits Christoph Degenhart, § 114 Gerichtsorganisation, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 5, 3. Aufl., Heidelberg 2007, Rn. 23 ff.
48 Jachmann, Kommentierung Artikel 95 GG (wie Anm. 47), Rn. 87; Andreas Voßkuhle, Kommentierung Artikel 95 GG, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 7. Aufl., München 2018, Rn. 22; Wolfgang Meyer, Kommentierung Artikel 95 GG, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz: GG. Kommentar, 6. Aufl., München 2012, Rn. 9, 17; Achterberg, Kommentierung Artikel 95 GG (wie Anm. 47), Rn. 129 f.
49 Dirk Ehlers / Jens-Peter Schneider, Kommentierung § 40 VwGO, in: Friedrich Schoch / Jens-Peter Schneider / Wolfgang Bier (Hg.), Verwaltungsgerichtsordnung. Loseblatt-Kommentar, München (Stand 2015), Rn. 481.
50 Vgl. BVerfGE 4, 387 Leitsatz 1.
51 Vgl. auch Länderoffene Arbeitsgruppe, Bericht (wie Anm. 45), S. 70 f.
52 Gesetz über die Vergleichbarkeit von Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von Zahlungskonten sowie den Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen (ZKG) vom 11. April 2016 (BGBl. 2016, Teil I, S. 720).
53 Vgl. Länderoffene Arbeitsgruppe, Bericht (wie Anm. 45), S. 64 ff.
54 Vgl. Länderoffene Arbeitsgruppe, Bericht (wie Anm. 45), S. 59 ff.
55 BVerwG, Beschluss vom 2. Mai 2007 - BVerwG 6 B 10.07, BVerwGE 129, 9.
56 Vgl. Länderoffene Arbeitsgruppe, Bericht (wie Anm. 45), S. 80 ff.
57 Klaus Rennert, Kommentierung § 40 VwGO, in: Erich Eyermann / Ludwig Fröhler (Hg.), Verwaltungsgerichtsordnung. Kommentar, 15. Aufl., München 2019, Rn. 124.
58 Siehe 66. Deutscher Juristentag Stuttgart 2006, Beschlüsse, Bonn 2007, S. 19 f. (letzter Zugriff: 21.04.2020).
59 Vgl. Enquete-Kommission Verfassungsreform, Schlussbericht (Bundestag, Drucksache 7/5924), S. 242; Länderoffene Arbeitsgruppe, Bericht (wie Anm. 45), S. 14.
60 Klaus Rennert, Wo steht die Verwaltungsgerichtsbarkeit?, in: Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter 29 (2/2015), S. 41 - 45, hier S. 43 f.
61 BVerfGE 61, 149.
62 Vgl. Länderoffene Arbeitsgruppe, Bericht (wie Anm. 45).
63 Siehe den Beschluss zu TOP I.10 der Justizministerkonferenz am 17. November 2016 in Berlin.
64 EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 - Rs. C-137/14, in: Deutsches Verwaltungsblatt 130 (23/2015), S. 1514 und EuGH, Urteil vom 20. Dezember 2017 - Rs. C-664/15, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 37 (4/2018), S. 225.
65 CDU/CSU und SPD, Koalitionsvertrag (wie Anm. 44), Zeilen 3434 ff.
66 Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat, Masterplan Migration. Maßnahmen zur Ordnung, Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung, 4. Juli 2018, S. 14 ff. (letzter Zugriff: 07.04.2020):
"32. Optimierung des Asylverfahrens [...]
- In AnkER-Zentren: Präsenz und Zusammenarbeit aller am Asylverfahren beteiligten Behörden auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene, d. h. insbesondere BAMF, BA, Aufnahmeeinrichtungen der Länder, Ausländerbehörden und Jugendämter. Möglichst auch Präsenz des zuständigen Verwaltungsgerichts vor Ort, um die verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren weiter zu beschleunigen,
- Durchführung des gesamten Asylverfahrens in AnkER-Zentren von Antragstellung bis zur Asylentscheidung [...]
- Aufenthaltszeiten für Menschen in den Einrichtungen so kurz wie möglich. Neben Verfahren im BAMF sind die Zeiträume bis zum Vorliegen verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen in Eil- und Hauptsacheverfahren zu verkürzen. Verwaltungsgerichte müssen schnellstmöglich entscheiden. [...]
40. Optimierung asylgerichtlicher Verfahren:
- Erarbeitung eines Gesetzentwurfs zur Entlastung der Verwaltungsgerichte und Beschleunigung der Verfahren,
- Erhöhung der personellen Ausstattung der Gerichte und Beteiligung von mehr Richtern, die noch nicht auf Lebenszeit angestellt sind, bei Gerichtsentscheidungen,
- Einführung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim Bundesverwaltungsgericht zur Klärung von Grundsatzfragen,
- Überprüfung der Rechtsmittel im Asylverfahren und Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht trotz Rechtsmittelverfahren".