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Wirtschaftliche Folgen der Pandemie

Eine Bilanz der Corona-Auswirkungen seit Herbst 2020

Die COVID-19-Pandemie löste zum Jahresbeginn 2020 einen dramatischen Einbruch der Weltwirtschaft aus.1 Wie sieht nun die Bilanz seit dem letzten Herbst aus? Ein Beitrag von Wolfgang Quaisser aus dem Akademie-Report 2/2021.

Tutzing / Akademie-Report / Online seit: 19.05.2021

Von: Dr. Wolfgang Quaisser / Foto: iStock/Danny Schoening

Akademie-Report 2/2021

Pandemie: Wirtschaft - Medien - Bildung
Akademie-Report 2/2021

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Im Sommer 2020 keimte Hoffnung auf, als niedrige Fallzahlen in Deutschland auf ein baldiges Ende der Pandemie hoffen ließen. Wissenschaftler warnten jedoch gleich vor zu großem Optimismus und tatsächlich stieg im Herbst die Inzidenz-Kurve wieder an. Damit nahmen auch die Unsicherheiten darüber zu, welche ökonomischen Folgen eine "zweite Welle" haben würde. Die Weltwirtschaft setzte dennoch ihren Erholungskurs fort und vor dem Hintergrund der raschen Impfstoffentwicklung stieg die Zuversicht. Eine möglicherweise noch heftigere "dritte Welle" verbreitete jedoch zu Ostern 2021 weiter Unsicherheit. Trotzdem gehen die boomenden Finanzmärkte von einem weiteren Aufschwung aus.

Im Oktober letzten Jahres prognostizierte der Internationale Währungsfonds (IWF) für 2020 ein Minus von 3,9 Prozent. Das wäre der stärkste Einbruch der Weltwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Während der Finanzkrise 2009 ging die Weltwirtschaft "nur" um 0,1 Prozent zurück. Dank einer raschen Erholung in China und den USA fiel aber nach den neuesten Berechnungen des IWF vom April 2021 die ökonomische Kontraktion im letzten Jahr tatsächlich weltweit um minus 3,3 Prozent geringer aus. Die Angaben für Europa stellen sich im Vergleich zur Herbstprognose auch etwas günstiger dar (Eurozone 2020: minus 6,6 statt 8,3 Prozent). Die deutsche Wirtschaft geht demnach "nur" um 4,9 statt um 6 Prozent zurück. Auch für die besonders betroffenen EU-Südländer stellen sich die Daten positiver dar, obwohl der BIP-Rückgang noch immer dramatisch ist.

Insgesamt besteht die Hoffnung, dass die Wirtschaftskrise V-förmig verläuft, d.h. nach einem drastischen Einbruch setzt eine rasche Erholung ein. Während der "ersten Welle" der Pandemie hatte die deutsche Industrie stark unter dem Einbruch des Welthandels und dem Zerfall von Lieferketten zu leiden. Nunmehr profitierte sie deutlich von der anziehenden chinesischen und amerikanischen Konjunktur. Die bisherigen Erfahrungen und Modellberechnungen zeigen, dass ein kurzer und harter Lockdown nicht nur Menschenleben retten, sondern auch zu einer rascheren Wirtschaftsbelebung führen kann. Mit dieser Strategie ist Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern (Großbritannien, USA) in der ersten Welle zunächst gut gefahren. Doch nunmehr wird die Verfügbarkeit von Impfstoff ein entscheidender Faktor der Pandemiebekämpfung und der wirtschaftlichen Erholung. Hier sind die EU-Länder besonders im Vergleich zu den USA, Israel und Großbritannien zu langsam. Dies dürfte auch der Grund sein, warum im Vergleich zur Herbstprognose das deutsche Wirtschaftswachstum 2021 von 4,2 auf 3,6 Prozent (Eurozone von 5,2 auf 4,4 Prozent) nach unten korrigiert wurde.

Regionale Disparitäten wachsen

Verglichen mit den Wachstumsprognosen vor der Krise rechnet der Währungsfonds bis zum Jahr 2024 mit einem Verlust der weltweiten Wirtschaftsleistung von drei Prozent. Der Schaden wäre demnach geringer als nach der großen Finanzkrise 2008/2009. Die Prognose für die reale Wirtschaftsleistung pro Einwohner zeigt jedoch, dass die Einkommensunterschiede zwischen den Weltregionen wachsen werden. Verglichen zu den Vorhersagen vor der Corona-Krise wird bis zum Jahr 2024 das BIP pro Kopf in den Industrieländern dank milliardenschwerer Rettungspakete nur um 2,3 Prozent geringer sein, in den Schwellen- und Entwicklungsländern jedoch um 4,7 Prozent. In den ärmsten Ländern fällt der Rückgang nochmals stärker aus (minus 5,7 Prozent). Damit nimmt die Einkommenskluft zwischen ärmeren und reicheren Ländern zu. China ist mit einem prognostizierten Wirtschaftswachstum schon in 2021 von 8,3 Prozent eine bemerkenswerte Ausnahme. Die Vorhersagen sind jedoch mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. So bleiben die möglichen Auswirkungen einer "dritten Welle" unberücksichtigt. Zudem geht man optimistisch davon aus, dass die Pandemie bis Ende 2022 weltweit überwunden sein wird.

Mehr Staat oder mehr Markt?

Die Erholung erfolgt dank massiver staatlicher Interventionen. Es gilt Unternehmen zu retten, das gesunde Produktionspotential zu schützen, soziale Härten zu vermeiden, durch Kurzarbeitergeld hohe Arbeitslosigkeit zu verhindern, die Nachfrage zu stimulieren und das Gesundheitssystem zu stützen. Ansonsten droht eine Negativspirale, die in einer anhaltenden Depression enden kann. Hierfür haben Deutschland fast 35 Prozent und die USA etwa 20 Prozent des Sozialprodukts aufgewendet. Über die Notwendigkeit der Rettungsprogramme sind sich die meisten Ökonomen einig. Gestritten wird allenfalls über das Ausmaß und die Dauer der Interventionen und darüber, ob sie mit struktur- und klimapolitischen Zielen verknüpft werden sollten. So forderte die Ökonomin Mariana Mazzucato den "unternehmerischen Staat", der investiert, koordiniert und privatwirtschaftliche Kräfte mit dem Gemeinwohl in Verbindung bringt. Liberale Ökonomen wollen dagegen nur in Ausnahmen bei massiven Krisen und bei Marktversagen intervenieren. Es wird spannend, wie sich diese Debatte nach dem Ende der Pandemie weiterentwickelt.

EU ist gefordert

Die EU hat als wichtiger Akteur in der Krise bei der Impfstoffbeschaffung und der Förderung entsprechender Produktionskapazitäten die Erwartungen nicht erfüllt. Die damit verbundenen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schäden haben viel Vertrauen gekostet. Dagegen hat die EU mit einem Wiederaufbauprogramm von fast 1,5 Billionen Euro (ca. 14 Prozent des EU-Sozialprodukts) recht beherzt agiert. Manche kritisieren das Programm als überdimensioniert und vermissen eine Konditionalität von "Geld gegen Reformen". Zudem wird bemängelt, dass nur ein Teil durch Kredite, ein beachtlicher Teil jedoch über Zuschüsse finanziert wird. Gänzlich neu ist auch die Finanzierung, denn die EU gibt erstmals eigenständig Anleihen aus, die letztlich durch die Nationalstaaten garantiert werden. Die alten Debatten über "Eurobonds" - jetzt "Corona-Bonds" - kommen wieder hoch und werden nicht so schnell verstummen, zumal das Bundesverfassungsgericht zunächst Einspruch gegen die Zustimmung des entsprechenden Gesetzes erhoben hat.

Stabiler Arbeitsmarkt in Deutschland

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie treffen einige Sektoren besonders stark (Tourismus, Gaststätten, Einzelhandel, Musik- und Kulturbranche), andere machen dagegen große Gewinne (Online-Versandunternehmen). In Deutschland verhindern die ausgebauten Sozialsysteme extreme Härten, aber nicht alles kann kompensiert werden. Die Arbeitslosenquote ist jedoch im Januarvergleich 2020 zu 2021 von 3,6 auf ca. 5 Prozent nur moderat gestiegen. Die Quote lag Ende 2020 beispielsweise in Italien bei 9, in Spanien bei 16 Prozent. Als wichtiges Kriseninstrument dient in Deutschland das Kurzarbeitergeld, das teilweise EU-finanziert auch in anderen Ländern mit deutlich geringeren Summen eingeführt wurde. Trotz der tiefen Krise weisen 80 Prozent der deutschen Beschäftigten ein normales Arbeitsverhältnis aus. Künftig wird es im Zuge der Digitalisierung darum gehen, die auseinanderfallenden Qualifikationsprofile zwischen "alten und neuen" Arbeitsplätzen durch eine aktive Arbeitsmarktpolitik (Um- und Weiterqualifizierungen) zu überbrücken, um Langzeitarbeitslosigkeit zu vermeiden.

Soziale Ungleichheit wächst

Es ist zu befürchten, dass die soziale Ungleichheit im Verlauf der Pandemie wächst und ungleiche Bildungschancen zementiert werden. Teile der Gesellschaft werden durch den Wertzuwachs von Immobilien- und Aktienvermögen noch reicher. Einkommensschwache Schichten und besonders betroffene Branchen kämpfen dagegen ums Überleben. Mit Sicherheit wird die "soziale Frage" an politischer Brisanz gewinnen, vor allem dann, wenn es um die Bewältigung der mittel- und langfristigen Kollateralschäden geht. Die Forderung nach mehr Umverteilung, einer gerechteren Lastenverteilung oder sogar einer Vermögensabgabe wird insbesondere von der Linken erhoben. Letzteres ist mit Sicherheit keine gute Idee und würde langfristig das Vertrauen in die Marktwirtschaft untergraben und durch Kapitalflucht mehr Schaden als Nutzen bringen. Ein großer Fortschritt wäre es schon, wenn die großen Gewinner in der Pandemie - u.a. die Digitalkonzerne - stärker zur Besteuerung herangezogen würden. Dies ist jedoch nur im Rahmen einer internationalen Koordinierung möglich. Hier zeichnet sich mit der neuen US-Administration eine Chance ab, denn die Finanzministerin Janet Yellen hat im April 2021 eine Mindestbesteuerung für Digitalkonzerne vorgeschlagen.

Staatsverschuldung steigt

Die Hilfsprogramme lassen die Staatsverschuldung dramatisch ansteigen. Weltweit wird sie bald das Niveau vom Ende des Zweiten Weltkriegs erreicht haben (ca. 120 Prozent des weltweiten BIP). In den meisten südeuropäischen Ländern sieht es noch dramatischer aus (Italien 2020: ca. 160 Prozent des BIP). Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz hat im März diesen Jahres den Nachtragshaushalt für 2021 von 35 Mrd. Euro auf 60 Mrd. Euro und für 2022 von 10 auf 85 Mrd. Euro aufgestockt. Die Nettoneuverschuldung wird in diesem Jahr 240 Mrd. Euro betragen. Für 2020 und 2021 zusammen erreicht sie 370 Mrd. Euro, was etwa dem Bundeshaushalt eines ganzen Jahres entspricht. Die Staatsverschuldung wird demnach in Deutschland 2021 auf ca. 70 Prozent des BIP, in den USA auf 130 Prozent und in Japan auf 260 Prozent des BIP steigen. Nur zur Erinnerung: Die Maastricht-Grenze beträgt 60 Prozent. Selbst wenn in Deutschland wieder die Marke von 80 Prozent des BIP erreicht würde, wäre dies verkraftbar, erfordert jedoch bei solider Rückführung der Schulden künftig erhöhte Sparanstrengungen. Spannende Diskussionen sind zu erwarten, denn der erhebliche Investitionsbedarf in den Bereichen Klimawandel, Digitalisierung und Bildung wird Forderungen nach einer "Flexibilisierung" des europäischen Stabilitätspaktes und in Deutschland nach einer Aussetzung oder Abschaffung der Schuldenbremse befeuern.

Mittelfristige Inflationsgefahr

Die Zentralbanken unterstützen die Rettungspolitik mit einer fast unbegrenzten Ausdehnung der Geldmenge. Inzwischen hat die Europäische Zentralbank im Rahmen des PEPP (Pandemic Emergency Purchase Program) fast zwei Billionen Euro in die Märkte gepumpt. Ähnlich agieren die amerikanische Zentralbank FED sowie weitere Notenbanken. Damit werden, mit einem kurzen Umweg über die privaten Kapitalmärkte, Staatsanleihen aufgekauft. Mit der Geldschwemme steigt die Inflationsgefahr nicht kurzfristig, aber die Gefahren wachsen mittelfristig. Den US-Demokraten zugeneigte Ökonomen wie Larry Summers und Oliver Blanchard sehen das sehr üppige Konjunkturprogramm von Joe Biden mit 1,9 Billionen US-Dollar kritisch. Es berge das Risiko, die aufkommende Nachfrage nicht decken zu können und eine Preis- und Lohnspirale in Gang zu setzen.

Schwierige Exit-Strategie

In einem solchen Fall müsste die FED mit steigenden Zinsen reagieren. Ein zu abrupter Anstieg würde einen Crash auf den Aktienmärkten provozieren und auch die Staatsfinanzierung gefährden. Aus der extrem lockeren Geldpolitik ohne größere Schäden wieder herauszukommen, wird schwierig sein. Die Frage ist jedoch, ob man das wirklich will, oder ob man sich durch eine, das nominelle BIP-Wachstum übersteigende Inflation der Schulden entledigen möchte. Erhöht die FED die Zinsen, so würde sich das unmittelbar auch auf Europa auswirken. Die Folgen der monetären Expansion sind schon in Deutschland im März 2021 insofern spürbar, als die Deutsche Bundesbank ihre Risikovorsorge wegen des Aufkaufprogramms von Staatsanleihen erhöhte und damit für 2020 keine Überweisung von Bundesbankgewinnen an den stark defizitären Bundeshaushalt mehr erfolgte.

Finanzmärkte im Boom

Trotz der Krise reißen die Börsen ein Allzeithoch nach dem anderen. Getrieben werden die Märkte durch die lockere Geldpolitik und die Hoffnung auf ein baldiges Ende der Pandemie infolge der Impfkampagnen. Zudem ist aufgrund der Beschränkungen im Konsum die Sparquote gestiegen und viel Geld fließt vor allem in den USA in die Aktienmärkte. Nicht nur reiche Haushalte, sondern auch Kleinanleger engagieren sich verstärkt in den Märkten. Dies ist einerseits bedenklich ("Dienstmädchenhausse"), andererseits sind die Käufe nicht kreditfinanziert, d.h. für Finanzmarktblasen nicht so anfällig. Auch der Bankensektor blieb bisher erstaunlich stabil, doch drohen Kreditausfälle im Zuge vermehrter Insolvenzen. Das kann gefährlich werden, zumal immer wieder Unheil von unbekannter Seite droht. So hat sich jüngst ein wenig bekannter Hedgefonds aus New York im großen Stil verspekuliert und mehrere internationale Großbanken mussten hohe Verluste hinnehmen. Trotz Regulierungen bleiben offensichtlich blinde Flecken im Finanzsystem.

Ein Ende der Globalisierung wie während der großen Depression wäre die größte Gefahr für die Weltwirtschaft. Ein solches Szenario ist trotz internationaler Spannungen eher unwahrscheinlich. Mittel- und langfristig kann die Pandemie jedoch dazu führen, dass bestehende Wertschöpfungsketten und Produktionsprozesse überdacht werden, um eine größere Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten. Die Blockade des Suezkanals durch das Containerschiff Ever Given im März 2021 verdeutlicht die Anfälligkeit der globalen Lieferketten, von denen vor allem die deutsche Industrie abhängig ist. Größere Puffer und Sicherungen sowie eine Diversifizierung von Zulieferfirmen und Importregionen wären sicherlich sinnvoll. Dadurch entstehen zwar höhere Kosten, die aber auch den technologischen Wandel in den Firmen fördern könnten.

Entscheidend für den Ausgang der Krise wird sein, welche direkten und indirekten ökonomischen Effekte die Pandemie auf die Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und das Humankapital sowie das technologische Wissen haben werden. Negative Effekte sind dann zu erwarten, wenn die Pandemie protektionistische Tendenzen stärkt und einen Teil des Produktionspotentials dauerhaft schädigt bzw. strukturelle Arbeitslosigkeit erhöht. Im Moment scheint die Weltwirtschaft recht rasch auf den Wachstumspfad zurückzukehren. Es werden auch gute Geschäftsideen freigesetzt und neue Trends verstärkt (Home-Office, Online-Handel). Dies kann auch langfristig die Produktivität erhöhen und der Weltwirtschaft erneuten Schwung geben.

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