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Medienethik und Digitalisierung

Herausforderungen für Journalismus und Medienkompetenz

Die Digitalisierung fordert die Medienethik und die Digitalethik heraus. Welchen Standards sollen Journalistinnen im Internet folgen? Welche Medienkompetenz brauchen Nutzer? Und sind diese Fragen wirklich neu oder hat sich nur ihr Kontext verändert? Die Ringvorlesung "Medien- & Digitalethik" der Technischen Hochschule Nürnberg in Kooperation mit der Akademie für Politische Bildung hat das Thema unter die Lupe genommen.

Nürnberg / Tagungsbericht / Online seit: 25.06.2021

Von: Antonia Schatz / Foto: Antonia Schatz

Programm: Journalistenakademie: Ringvorlesung Medien- und Digitalethik

Ringvorlesung "Medien- & Digitalethik" auf YouTube

Neue mediale Gegebenheiten bringen neue ethische Fragestellungen mit sich. Wer ist verantwortlich für Inhalte im Netz? Welche Medienkompetenz braucht das Publikum? Und wie lässt sich diese stärken? Die Ringvorlesung Medien- & Digitalethik der Technischen Hochschule Nürnberg in Kooperation mit der Akademie für Politische Bildung hat die neuen Herausforderungen aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet.

Medienkompetenz im digitalen Zeitalter

"Das ist ein ganz zentrales Thema, weil es am Ende des Tages um unsere Glaubwürdigkeit geht", sagt Michael Husarek, Chefredakteur der Nürnberger Nachrichten, über die Ethik im Journalismus. Der Presserat soll in der Branche als verinnerlichter Handlungsrahmen bei jeder Konferenz mit am Tisch sitzen. Im Internet gibt es dahingehend keine Regelung: "Wenn man ins Netz geht, sieht man alles, was man nicht sehen sollte", sagt Husarek. "Gerade in Corona-Zeiten spricht man oft über einen Digitalisierungsrückstand in Deutschland. Den kann man gut an der Netzpolitik festmachen. Da wurde jahrelang geschlafen." Content-Ersteller ohne journalistischen Hintergrund stricken im Internet ungehindert einfache Meinungsbilder, sogenannte Fake News. Jetzt sei es an der Zeit, die grenzenlose Freiheit an Regeln zu knüpfen.

Problematische Inhalte im Netz einfach abzuschalten kann jedoch nicht die Lösung sein. Denn auch dort gilt die Meinungsfreiheit. Stattdessen muss die Medienkompetenz der Einzelnen gestärkt werden, denn jede Userin entscheidet sich selbst für ihre eigene "Bubble". Die Likes, die sie vergibt, machen Inhalte im Netz groß. Am besten sollten Schüler bereits in der sechsten oder siebten Klasse für Mediennutzung sensibilisiert werden, findet Husarek. Er plädiert für ein Schulfach Medienkunde und dafür eigens ausgebildete Lehrkräfte: "Ich finde es schwierig, wenn jemand, der noch mit der Kutsche fahren gelernt hat, als Fahrlehrer im Auto sitzt und mir beibringt, wie ich mit einem motorisierten Fahrzeug unterwegs sein soll. Dass so etwas meistens schiefgeht, sehen wir an den Schulen." Auch der Ethiker Thomas Zeilinger von der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen sieht hier Handlungsbedarf: "Gerade Jugendliche werden in ihrem Selbstwertgefühl viel über soziale Plattformen definiert." Deshalb ist es besonders wichtig, zu wissen, wie man Hassrede, Fake-News und Shitstorms begegnet und notfalls auch im Internet Zivilcourage zeigt.

Alte Standards in neuen Medien

Im Kontext der medialen Veränderungen stellt sich manch eine die Frage, ob die "alten" professionellen Standards des Journalismus noch gültig sind. Markus Behmer von der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und Till Krause vom SZ Magazin beantworten sie klar mit Ja. Qualitätsstandards haben in der Branche durchaus weiterhin Bestand, denn die Anforderungen an die journalistische Ethik sind die gleichen. Manche Herausforderungen sind aufgrund der technischen Beschleunigung, des veränderten medialen Umfelds und auch der neuen gesellschaftlichen Gegebenheiten allerdings größer als früher.

Dazu zählt der Standard, extremen Meinungen keine Plattform zu bieten. "Was ist aber, wenn es die Inhaber extremer Meinungen selbst schaffen, ihre Position in der Öffentlichkeit stark zu vertreten, zum Beispiel über Social Media?", fragt Behmer. Dadurch, dass sich heutzutage jeder seine eigene Öffentlichkeit schaffen kann, sind diese Meinungen kaum zu ignorieren. Die Hauptaufgabe der Qualitätsmedien besteht darin, diese einzuordnen und Hintergründe zu zeigen, was oft eine Gratwanderung darstellt.

"Ich sehe das so, dass man als Journalist, als Journalistin, die Aufgabe hat, jedwede Art von Leuten zu porträtieren", meint Krause. Er nennt als Beispiel die Titelgeschichte "Reihe 7 Platz 88" des SZ-Magazins, für die Journalisten den NPD-Politiker Udo Voigt über längere Zeit begleitet haben. "Da gab es natürlich auch die Diskussion, intern und vor allem extern, ob man ihm ein Forum bieten darf, indem man ihn so prominent auch aufs Titelbild setzt." Er selbst sieht darin kein Problem, "weil diese Geschichte ihm nicht einfach ein Mikrofon hingehalten hat, ohne das, was er sagt, einzuordnen und mit recherchierten Fakten zu kontrastieren." Auf diese Differenzierung komme es an.

Tablet-Journalismus als Herausforderung für die Ausbildung

Die Digitalisierung hat auch den Tablet-Journalismus mit sich gebracht. Der Begriff meint die Medienproduktion mit einfachen Mitteln, Journalismus mit mobilen Endgeräten für mobile Endgeräte. "Der Tablet-Journalismus bietet neue Perspektiven auf Handlungsmaxime professioneller Kommunikatoren", meint Malte Burdekat von der TH Nürnberg. Er beschäftigt sich mit den Herausforderungen, die es mit sich bringt, wenn Produzentinnen und Rezipienten medialer Inhalte die gleichen Endgeräte nutzen - eine Besonderheit, die es im Journalismus zuvor nicht gab. "Der Blick auf die aktuellen Anforderungen in der Ausbildung von Journalisten und Journalistinnen ist ein guter Ausgangspunkt für den Diskurs", meint er.

Tablet-Journalismus bedeutet vor allem eine viel größere Nähe der Produzenten zu den Rezipienten. Fragestellungen, die sich daraus ergeben und die in die journalistische Ausbildung einfließen müssen, sind unter anderem: Wie können Journalisten sich heute als solche erkennbar machen, wenn sie mit ihrem Handy statt mit einer erkennbaren Fernsehkamera drehen? Wie verändert die simplere Technik die Kommunikationssituation? Wie lässt sich der richtige Grad von Distanz wahren? Auch die Medienethik muss sich mit diesen Fragen beschäftigen.

Strukturierte Verantwortungslosigkeit der Medienbranche

Egal, ob analog oder digital: Im Journalismus unterlaufen Fehler. Wie sieht es mit der Verantwortung dafür aus? "Nicht so rosig", findet Klaus-Dieter Altmeppen von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Er nennt den Fall Relotius als Beispiel, bei dem ein Spiegel-Reporter falsche Fakten wider besseren Wissens veröffentlicht hat. Obwohl der Spiegel offiziell Verantwortung dafür übernahm, wurde die Faktencheck-Abteilung des Magazins, die Dokumentation, in der Debatte außen vorgelassen. Stattdessen habe die Redaktion die Verantwortung für den Skandal alleine auf Claas Relotius abgewälzt, obwohl die Kolleginnen und Kollegen die Unwahrheiten hätten bemerken müssen. "Verantwortung wird hier nicht für das übernommen, was passiert ist, sondern lediglich dafür, dass das Image des Magazins nicht beschädigt wird", sagt Altmeppen.

Auch die Plattform Facebook nimmt kaum Verantwortung wahr. Ihr Gründer Mark Zuckerberg wurde bereits mehrfach im Zuge der Diskussion um Hate Speech und Verschwörungstheorien vor den US-Senat gebeten. Der Konzern, zu dem auch Instagram gehört, gibt an, sich lediglich dafür verantwortlich zu fühlen, wie die bereitgestellte Technologie genutzt wird. Eine Verantwortung für die geposteten Inhalte weist er von sich. Im ökonomisch getriebenen Gesellschaftswandel hätten Medien und Plattformen ihre Unschuld als Korrektoren gesellschaftlicher Fehlentwicklungen verloren, meint Altmeppen. Er diagnostiziert in der Medien- und Plattformbranche eine "strukturierte Verantwortungslosigkeit". Das bedeutet, dass die wenigen Normen und Regeln selten beachtet werden und Akteure gar nicht zur Verantwortung gezogen werden." Und je länger die Wertschöpfungskette in Medien- und Plattformunternehmen wird, desto schwieriger wird es, Verantwortliche überhaupt auszumachen.

Angst vor Neuem: Gaming als ewiges Streitthema

Bei neuen Medien dauert es in der Regel nicht lange bis Warnungen vor Suchtpotenzial, gesundheitlichen Gefahren oder Auswirkungen auf das Sozialverhalten laut werden. In Bezug auf Online-Gaming hält die Debatte seit Jahren an. Eltern machen sich Sorgen, wie sich Computerspiele auf ihre Kinder auswirken. Lesen die Kinder aber ein Buch, sind sie hocherfreut. Claudia Paganini von der Hochschule für Philosophie München treibt die Frage um, warum die Gesellschaft so unterschiedlich auf die Freizeitbeschäftigungen von Jugendlichen reagiert, obwohl die beiden Medien gar nicht so unterschiedlich seien. Beim Lesen bewegen sich Kinder genauso wenig an der frischen Luft wie beim Gaming, beide Medien sind nicht sehr kommunikativ - hier schneidet das Online-Gaming mit Freunden sogar besser ab - und auch den Suchtcharakter schätzt Paganini ähnlich ein.

Die Medienethikerin kennt die Gründe für die Ablehnung des Computers: Neues verunsichert. Je älter das Medium, desto positiver die Rezeption. "Viele Sorgen, die sich Eltern heute machen, sind mit Bildschirmaktivitäten und Digitalisierung verbunden. Die Sorgen, die ohnehin schon da waren, werden an Digitalisierungsprozesse geknüpft." Eine Pathologisierung oder Stigmatisierung der Jugendkultur sei moralphilosophisch aber bedenklich. Aus der Entwicklungspsychologie ist bekannt, dass es problematisch ist, wenn die Grundbedürfnisse von Kindern nach Bestätigung und Sicherheit nicht erfüllt werden. Genau das ist aber bei stets negativem Feedback zu ihren Interessen der Fall. Es ist daher wichtig, dass Eltern ihre eigene Medienkompetenz soweit ausbauen, dass sie normalen Medienkonsum ihrer Kinder von potenziell problematischem Konsum unterscheiden können.

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