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Das Verhältnis von Staat und Kirche in der Zukunft

Deutschland will Kirchensteuer und Staatsleistungen ablösen

Die Mitgliederzahlen der katholischen Kirche und der evangelischen Kirche in Deutschland sinken seit Jahrzehnten. Inzwischen gehört weniger als die Hälfte der deutschen Bevölkerung einer der großen Kirchen an. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die religiöse Landschaft, sondern wirft auch gesellschaftspolitische Fragen auf. Das Forum Verfassungspolitik "Staat und Kirche" der Akademie für Politische Bildung hat sich mit der Ablösung der Staatsleistungen, den Grundstrukturen eines säkularen Staates und der Religionsfreiheit beschäftigt.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 20.07.2023

Von: Almagul Shamyrbekova / Foto: Almagul Shamyrbekova

Programm: Forum Verfassungspolitik: Staat und Kirche

Staat und Kirche

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.

Nur noch 48 Prozent der deutschen Bevölkerung gehören den beiden großen Kirchen an. Allein im Jahr 2020 sind jeweils etwa 220.000 Menschen aus der evangelischen Kirche und der katholischen Kirche ausgetreten. Vor knapp 100 Jahren waren hingegen noch 96 Prozent der Deutschen Mitglieder der beiden großen christlichen Kirchen. Annegret Kramp-Karrenbauer, ehemalige Bundesministerin der Verteidigung und Mitglied des Zentralrats der deutschen Katholiken, betont die Herausforderungen, vor denen die Kirchen in einer Zeit stehen, in der die Zahl der Menschen, die einer Religion oder Konfession angehören oder sich damit identifizieren, kontinuierlich abnimmt. Im Rahmen des Forums Verfassungspolitik "Staat und Kirche" der Akademie für Politische Bildung hat sie mit anderen Fachleuten über die Verhandlungen zur Ablösung der Staatsleistungen und die Weiterentwicklung der Grundstrukturen des säkularen Staates diskutiert.

Streit um Staatsleistungen an die Kirchen

Während die Kirchen kontinuierlich Mitglieder verlieren, diskutieren Politik und Gesellschaft über die jährlichen Zahlungen der Bundesländer an die Kirchen in Höhe von derzeit etwa 600 Millionen Euro und kirchliche Privilegien wie die Kirchensteuer. Diese finanziellen Leistungen dienen als Ausgleich für historische Enteignungen von Kirchengütern und basieren auf Vereinbarungen und Verfassungsbestimmungen. Um die Ablösung der Staatsleistungen auf Landesebene zu regeln, will die Ampelkoalition einen fairen gesetzlichen Rahmen schaffen. Demnach sollen die Länder die jährlichen Zahlungen noch für einen bestimmten Zeitraum fortsetzen und dann beenden. Darüber hinaus sollen sie eine einmalige Zahlung in Höhe eines Vielfachen des Jahresbetrags an die Kirchen leisten. Diese Ideen stoßen bei den Ländern auf Ablehnung.

Benjamin Strasser, Bundestagsabgeordneter der FDP und Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz, betont, dass die Kirchen naturgemäß ein starkes Interesse an angemessenen Ablösungssummen haben, während die Länder am liebsten vollständig auf Zahlungen verzichten würden. Der Bund nehme die Rolle eines "ehrlichen Maklers" ein, der selbst keine Zahlungen leistet, sondern vielmehr als eine Art Schiedsrichter agiert und das Spielfeld für die Verhandlungen festlegt, sagt Strasser. Annegret Kramp-Karrenbauer äußert jedoch Zweifel an der Rolle des Bundes als "ehrlicher Makler". Als ehemalige Ministerpräsidentin des Saarlands weiß sie aus eigener Erfahrung, dass "der Bund gerne bestelle, die dann von den Ländern bezahlt werden müssen".

Kirchensteuer und soziale Aufgaben der Kirchen

Die Kirchensteuer wird oft fälschlicherweise als Geschenk des Staates angesehen, was Annegret Kramp-Karrenbauer für ungerechtfertigt hält. Denn die Kirchensteuer wird über einen prozentualen Anteil des Einkommens der Mitglieder aufgebracht und deckt die finanziellen Bedürfnisse der Kirchen. Üblicherweise beträgt die Kirchensteuer etwa acht bis neun Prozent der Lohn- und Einkommensteuer. Allerdings erhalten die Kirchen nicht den gesamten Betrag. Den "staatlichen Anteil", behält das Finanzamt als Verwaltungskostenbeitrag ein. Diese Verwaltungskosten beinhalten beispielsweise die Personal- und Betriebskosten der Finanzämter, die bei der ordnungsgemäßen Erfassung, Verrechnung und Weiterleitung der Kirchensteuer fallen. Die Höhe dieses Anteils variiert je nach Bundesland und liegt in der Regel zwischen zwei und vier Prozent.

Laut Andreas Püttmann, der als Journalist auch Kirchenthemen bearbeitet, sind ausreichende Ressourcen von großer Bedeutung, um die vielfältigen Aufgaben und Aktivitäten der Kirchen zu finanzieren. Diese umfassen unter anderem die Durchführung sozialer Projekte, die Förderung von Bildung und Kultur sowie die angemessene Vergütung kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Püttmann betont, dass es notwendig sei, der Kirche die erforderlichen finanziellen Mittel zuzuweisen, um ihr einen weltweit positiven Einfluss zu ermöglichen, sowohl durch die Kirchensteuer als auch durch staatliche Unterstützung. Des Weiteren spiele die Verfügbarkeit solcher finanziellen Mittel eine wichtige Rolle, um auch jene Menschen zu erreichen, die aus eigenem Antrieb keinen Kontakt zur Gemeinde suchen. Sie ermögliche zumindest, ihnen eine Vorstellung von einer liebevollen christlichen Kultur zu vermitteln. Püttmann betont, dass eine finanziell geschwächte und reduzierte Kirche nicht in der Lage sei, arme, orientierungslose und moralisch herausgeforderte Menschen zu erreichen und zu unterstützen. Diese Aufgaben fielen dann auf den Staat zurück, der ohnehin um den gesellschaftlichen Zusammenhalt kämpft. Daher sei es von großer Bedeutung, dass die Kirchen angemessen finanziert werden, um ihre wichtige Rolle in der Gesellschaft wahrnehmen zu können.

FDP-Politiker Strasser setzt sich hingegen für die Unabhängigkeit der Kirche und ihre Autonomie gegenüber staatlichen Strukturen ein. "Nur so kann die Kirche ihren Auftrag in der Gesellschaft wahrnehmen", sagt der Abgeordnete. Eine unabhängige Kirche kann frei über ihre Gottesdienste, Sakramente und geistlichen Dienste entscheiden, um den Bedürfnissen ihrer Mitglieder gerecht zu werden. Darüber hinaus kann sie karitative und soziale Projekte initiieren, Bildungseinrichtungen betreiben, Krankenhäuser führen und sich für benachteiligte Gruppen einsetzen. Außerdem kann sie ihre eigenen Werte und Prinzipien in ihrem diakonischen Wirken zum Ausdruck bringen. Dabei spielt die Subsidiarität eine Rolle, die eine Vielfalt an Akteurinnen und Akteuren neben staatlichen Institutionen ermöglicht. Kramp-Karrenbauer bezeichnet dies als "freundliche Säkularität".

Die Trennung von Staat und Kirche

Historisch betrachtet ist die Trennung von Kirche und Staat ein Friedensprojekt, das auf die verheerenden Glaubenskriege im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts zurückgeht. Der Staat bestimmt nicht, welche Religion richtig oder wahr ist. Stattdessen obliegt diese Entscheidung den einzelnen Bürgerinnen und Bürger. Dieser Prozess wird als Säkularisierung bezeichnet, erklärt Gero Kellermann, Dozent für Verfassungsrecht der Akademie für Politische Bildung. Das Grundgesetz schützt die Religionsfreiheit und garantiert die Trennung von Staat und Kirche (Art 4, Art 140). Dieser Grundsatz ist ein Eckpfeiler der kirchenrechtlichen Ordnung in Deutschland. Weitere Eckpfeiler sind die individuelle Religionsfreiheit und die Autonomie der Kirche.

Das Bundesverfassungsgericht betont in seiner ständigen Rechtsprechung die Bedeutung der staatlichen Neutralität in kirchlichen und religiösen Angelegenheiten. Es gibt sowohl das Gebot der Trennung von Staat und Kirche als auch das Gebot der religiös-weltanschaulichen Neutralität. Neutralität steht dabei für eine offene Haltung, die die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördert. Zum einen bedeutet dies, dass der neutrale Staat bestimmte Einflussnahmen durch spezifische Glaubensrichtungen oder Weltanschauungen vermeidet. Zum anderen kann der Staat sich jedoch auch kritisch mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung auseinandersetzen. Ein Beispiel hierfür ist der Fall der sogenannten "Osho-Sekte", die die Bundesregierung im Jahr 2002 als Jugend- und Psychosekte bezeichnete. Die Osho-Bewegung hat dagegen geklagt. Das Bundesverfassungsgericht sah in dieser Bezeichnung jedoch keine Verzerrung oder Verfälschung, sondern bewertete sie als sachliche Information.

Säkularer Staat heißt nicht Religionslosigkeit

Ein säkularer Staat lehnt Religion jedoch keinesfalls ab, er bekämpft sie auch nicht und erklärt sie nicht für irrational. Er bewertet sie nicht einmal. Stattdessen bietet er einen Raum für den Glauben und ermöglicht dessen Ausübung und Praktizierung, sagt Horst Dreier, Staatsrechtler an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Die Säkularisierung des Staates im verfassungsrechtlichen Sinne sollte als Chance für Religion und nicht als Bedrohung betrachtet werden. Ein säkularer Staat ist keinesfalls der erste Schritt in Richtung Religionslosigkeit. Ein Staat ohne Gott bedeutet nicht, dass Religion in die Privatsphäre gedrängt wird, dass die Gesellschaft säkular wird, dass religiöse Argumente in politischen Auseinandersetzungen keine Rolle spielen dürfen oder in säkulare Sprache übersetzt werden müssen. "Staat ohne Gott heißt nicht Welt ohne Gott, auch nicht Gesellschaft ohne Gott, und schon gar nicht Mensch ohne Gott", sagt Dreier. Der säkulare Staat versteht sich nicht als Wächter eines bestimmten Glaubens, sondern bietet allen Glaubensrichtungen eine Plattform. Er stützt sich auf zwei Säulen: die Religionsfreiheit, die allen Bürgerinnen und Bürger zusteht, und die religiös-weltanschauliche Neutralität, die der Staat selbst wahren muss. Dreier macht mit Bezug auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts darauf aufmerksam, dass in einem Staat, in dem Menschen mit verschiedenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen zusammenleben, die friedliche Koexistenz nur möglich ist, wenn der Staat neutral in Glaubens- und Weltanschauungsfragen bleibt.

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