Bundestagswahl 2017

Unsere Analyse: Wahlkampf, Ergebnis und Perspektiven

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 07.10.2017

Von: Sebastian Haas und Sebastian Meyer

Foto: Jörg Siegmund

# Parlamente Parteien Partizipation

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Wahlverhalten, Votum, Positionen – die Auslese des Wahlkampfes an der Akademie für Politische Bildung folgt einer langen Tradition. Mit Vertretern von Parteien und Agenturen, die im Auftrag den Wahlkampf organisierten, werfen wir den Blick hinter die Kulissen, auf die verschiedenen Strategien und schließlich deren Wirkungen.


Bildergalerie

Flickr APB Tutzing

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing

Eingebettet in die Wahlnachlese war ein Empfang zu Ehren unseres Altdirektors Heinrich Oberreuter mit Festredner Bernhard Vogel. Der ehemalige Ministerpräsident von Thüringen und Rheinland-Pfalz widmete sich den Mühen der Gestaltung einer repräsentativen Demokratie – eine Zusammenfassung des Abends lesen Sie hier.

Wer, wen und warum – Was Meinungsforscher sagen...

Fand die Bundestagswahl am 24. September 2017 in einem Klima allgemeiner Verunsicherung und Unzufriedenheit statt? Da sind sich die Demoskopen nicht einig: Während Nico A. Siegel (infratest dimap) dies betonte, konnte Thomas Petersen (Institut für Demoskopie Allensbach) „keine überwältigende Depression feststellen". Allerdings sei das Bild der Politik(er) denkbar negativ gewesen: Die Bevölkerung spreche ihnen gemeinhin keine besonderen Fähigkeiten mehr zu, nur drei Prozent glauben noch, die Volksvertreter sagten die Wahrheit, ein Viertel glaubt den Politikerjob besser machen zu können. „Das Fundament des repräsentativen Systems ist zerbrochen", konstatiert Petersen – kann aber auch verkünden: das Vertrauen steigt wieder, und die Bürger sind politisiert wie selten, sprechen fast so oft über Politik wie über das Wetter.

Um gegen diese Trends zu arbeiten und die richtigen und wichtigen Themen zu besetzen, heuern die Parteien zur Planung ihrer Strategie vermehrt große Agenturen an. Diese haben sich in diesem Wahlkampf aber nicht gerade mit Ruhm bekleckert, gerade die Volksparteien haben im Vergleich zu 2013 4,6 Millionen Wählerstimmen verloren und erreichen junge Wähler immer schlechter. Wie Meinungsforscher Helmut Jung (GMS Dr. Jung) erläuterte, haben nur 17 Prozent der Bürger das Hauptthema der SPD – soziale Gerechtigkeit – als wichtig empfunden; Martin Schulz hatte keine Zeit, sich innenpolitisch zu profilieren; und das #fedidwgugl (Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben) der CDU hat die politische Stimmung im Land verfehlt.

...und wie die Agenturen argumentieren

Dementsprechend selbstkritisch bilanzierte Christian Gast, Head of Strategy bei Jung von Matt, die Kampagne für die Christdemokraten: Die Fixierung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner nach zwölf Jahren Angela Merkel, nämlich Angela Merkel, brachte keine Überraschungen. „Zu Endspurt-fixiert" sei der Teil der Wahlkampagne gewesen, in dem man mit personalisierter Ansprache direkt an die Bürger herantrat – so wurden bei Facebook beispielsweise die „etablierten Konservativen" zu Steuerpolitik und innerer Sicherheit angesprochen, die junge und urbane Bevölkerung zu zukunftsweisenden (Familien-)Themen. Das generelle Problem:

Das Produkt spricht eigenständig und nicht immer mit einer Stimme. Christian Gast (Jung von Matt) über den Unterschied zwischen Parteien-Werbung und für Autos, Bonbons, Zahnbürsten.

Leichter haben es da die kleineren Parteien. Ein Coup gelang der Agentur HEIMAT in der Vermarktung der FDP: Unter dem Credo „Radikal neu denken" gelang dem Team um Matthias Storath eine Komplett-Umwandlung der Marke Freie Demokraten – neuer Name, neues Logo, neue Farben, eine neue, optimistische Haltung. Der größte offensichtliche Unterschied zur CDU-Kampagne: Keine Konzentration auf die letzten Wochen des Wahlkampfs, eine durchgehende Zusammenarbeit über mehrere Jahre, flexibles Reagieren auf aktuelle Ereignisse. Oder wie Storath es ausdrückt: Agilität statt jour fixe.

Katerstimmung in den Volksparteien

Dass sich alle drei als (vermeintliche) Verlierer auf dem Podium der Akademie für Politische Bildung treffen würden, hätten sie vor der Wahl kaum geglaubt: Joachim Koschnicke, Leiter der Politischen Planung der CDU, SPD-Wahlkampforganisator Stefan Engels und Markus Blume, stellvertretender Generalsekretär der CSU. Als positives Fazit aus dem Wahlkampf hebt Koschnicke hervor, dass die Bürger wieder mehr Interesse an (Europa-)Politik zeigen. Als unabdingbare Voraussetzung für einen Erfolg der CDU sieht er „die Geschlossenheit der Union. Wir haben keinen Grund, einer blauen Fahne hinterherzurennen". Stattdessen müsse man sich um eine stabile Koalitionsregierung bemühen, deren Grundlage der Zusammenhalt und die Zukunftsfähigkeit der Republik sein soll, statt in einer weiteren Großen Koalition wieder um – durchaus wichtige – Einzellösungen zu ringen.

„Wir brauchen eine bürgerlich-konservative Erneuerung, die Neuaufstellung der Union als strukturelle Mehrheitspartei rechts der Mitte", betont Markus Blume. Mit den CSU-Themen Stabilität und Sicherheit habe man zu Beginn des Wahlkampfs gepunktet, aber kaum Chancen erhalten, mit der SPD über politische Unterschiede zu streiten. Stattdessen hätten sich die unions-internen Meinungsverschiedenheiten in der Migrationsdebatte zu einem Aspekt einer „Neuen Sozialen Frage" entwickelt: die nach der Versorgung der eigenen Bevölkerung (Miete, Pflege, Rente etc.) in der vermeintlichen Konkurrenz mit den Hunderttausenden Neuankömmlingen. Die SPD wiederum schöpft nach ihrem desaströsen Ergebnis neue Hoffnung aus dem Gang in die Opposition. Die Partei an ihrem neuen Vorsitzenden Martin Schulz aufzurichten und zum Wahlsieg zu führen, ist fehlgeschlagen. Stefan Engels sieht sich und seine Partei als Opfer einer Entpolitisierungs-Kampagne: „Gegen eine Kanzlerin, die Panda-Bären streichelt, haben wir keine Chance."

Die einzig feste Konstante: Wandel

Der Disput innerhalb der Union ist übrigens nichts Neues: Tim Geiger (Institut für Zeitgeschichte) beschreibt ein ständiges Spannungsverhältnis der Schwesterparteien - prominentestes Beispiel bleibt der Trennungsbeschluss vom November 1976, der als "Geist von Kreuth" weiter durch die politische Landschaft spukt. Daniela Münkel, Projektleiterin beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, betont: „Der Neuanfang der SPD hat beinahe schon Tradition." Im Jahr 1969 fielen die Sozialdemokraten mit neuem Logo und einem schnittigen Wahlwerbespot auf (der das heutige Auftreten der FDP erahnen lässt) auf und dem Motto "Wir schaffen das moderne Deutschland". Heute aber versteht das Gros der Wähler unter Modernität unbequeme Themen: Reformen, die Agenda 2010, Globalisierung und Migration.

Und die anderen Parteien? Politikwissenschaftler Gero Neugebauer wähnt die Linke in der Bredouille einer selbstauferlegten Daueropposition. Die AfD kennzeichnet eine fehlende einheitliche Milieustruktur – als einzige Partei kann sie ihre Wähler und Mitglieder aus äußerst unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft rekrutieren. Besorgniserregend sei die Überspielung personeller Strukturen, das Auftreten charismatischer Einzelgänger, die innerparteiliche Normen über Bord werfen (ähnlich wie Macron in Frankreich oder Kurz in Österreich). Nicht nur die Gesellschaften wandeln sich, sondern auch die Parteien und ihr Personal.

Die Tagung „Bundestagswahl 2017 – Wahlkampf, Ergebnis, Perspektiven" haben wir vom 6. bis 8. Oktober 2017 in Kooperation mit der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen e.V. veranstaltet. Weitere Schwerpunkte waren die Analyse des Wahlkampfes aus Sicht der Wissenschaft sowie die Entwicklung der Volksparteien seit 1949.


Weitere Informationen

Was mit Wahlen: Der YouTube-Kanal des Mainer Zentrums für empirische Demokratieforschung

Wahlen, Wahlkämpfe, Wahlforschung, Wahlstudien auf der Homepage von Thorsten Faas (Freie Universität Berlin)

Das Wahlergebnis in allen Facetten - eine interaktive Karte der Morgenpost

"Wir sind gescheitert" - Der Vorstand der Agentur Jung-von-Matt zum Ausgang der Bundestagswahl

Mangel an Respekt als Hauptursache für den AfD-Erfolg - ein Gastbeitrag von Karlspreisträger Timothy Garton Ash in der Süddeutschen Zeitung


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