Mammutaufgaben für die Kommunen
Kommunalpolitisches Forum zu Bildungs- und Seniorenpolitik
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 13.11.2010
Von: Sebastian Haas
# Kommunalpolitik, Sozialstaat
An der Akademie für Politische Bildung ging es um die Zukunft der Städte und Gemeinden: 50 Bürgermeister, Abgeordnete und Kommunalpolitiker trafen sich in Tutzing, um über Bildungs- und Seniorenpolitik zu diskutieren.
Zur Diskussion über den Einfluss der Kommunen auf die Gestaltung der Schulpolitik kam auf dem Podium eine kompetente Runde zusammen: Unter der Leitung von Reiner Knäusl (Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Städtetags, im Foto v.l.) debattierten Kultusminister Ludwig Spaenle, Christine Strobl (Münchens 2. Bürgermeisterin und Vorsitzende des Schulausschusses im Städtetag), Liane Sedlmeier (Bürgermeisterin von Osterhofen) und Gerd Lohwasser (Schul- und Sportreferent sowie 2. Bürgermeister von Erlangen). Schnell entwickelte sich eine intensive Diskussion über Kompetenzen von Bund, Land und Gemeinden, über Gesetzeslagen und Finanzierung, über die Rolle von Pädagogen und Sozialarbeit – sie sei hier nur in ihren Grundzügen zusammengefasst:
Die Gemeinden beschäftigt vor allem eine Frage: Wie weit reichen ihre Kompetenzen? Schließlich bürde man ihnen die Hauptlast auf – sowohl finanziell als auch organisatorisch – wenn es um die Bildung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen geht. „Wir müssen die Übergänge gestalten: vom Kindergarten in die Grundschule, von der Grundschule in die weiterführenden Schulen, von dort in den Beruf oder an die Universität. Wir richten die Ganztagsschulen ein, wir organisieren die Jugendhilfe. Wo bleibt also die Mitsprache auf höherer Ebene?“, wollte Christine Strobl, Schulausschuss-Vorsitzende im Städtetag, wissen.
Liane Sedlmeier aus dem niederbayerischen Osterhofen sorgte sich um die Situation der kleinen Grundschulen auf dem Land; nicht minder besorgt äußerte sich der Erlanger Gerd Lohwasser um die Finanzierung von (Ganztages-)Schulen, Horten und Pausenbetreuung – vor dem Hintergrund, dass die Kommunen freiwillige Leistungen in diesem Bereich so weit es geht zurückfahren sollen.
Kultusminister Ludwig Spaenle hat diese Fragen schon oft gehört und gab seine Antworten in einem regelrechten Staccato. Kommunikation ist alles, das war wohl seine Kernaussage. Da Veränderungen im Schulsystem nur von Parlament und Regierung beschlossen werden können, will er in ständigem Dialog und mit ständiger Evaluation das Beste für das System Schule herausholen. Einzelne Modellprojekte der Kommunen hält er durchaus für sinnvoll, sie dürften aber nicht überhand nehmen. „Wir müssen die Bildungspolitik nicht neu erfinden“, sagte Spaenle.
Was die Finanzierung der Bildung angeht, so war dem Kulturminister diese Aussage zu entlocken: „Ich hoffe, dass ich in Zeiten von Sparhaushalten weiterhin so viel Geld zur Verfügung stellen kann.“ In diesem Zusammenhang sieht er auch die Bundesregierung in der Pflicht: Wenn der Bund seine Kompetenzen in der Bildungspolitik voll ausschöpfen wolle, müsse er dies auch selbst finanzieren. So kommt noch ein Spieler mehr in das Gerangel um Kompetenzen und die Finanzierung der Bildung. Für die Grundschulen in ländlichen Regionen sprach Spaenle zwar keine Bestandsgarantie aus, machte aber deutlich: „Die Schule muss im Dorf bleiben, so lange es geht. Grundschultourismus auf dem Land möchte ich vermeiden.“ Durch jahrgangskombinierte Schulklassen und die Erlaubnis, die Mindestgröße von zwölf Schülern auch mal unterschreiten zu dürfen, habe man viele Standorte sichern – und nebenbei Lehrer anderswo einsetzen – können.
Mit Mentoren zum Erfolg
Nicht nur Lehrer, sondern auch Mentoren übernehmen die Verantwortung für die umfassende Bildung im Stipendienprogramm der Roland Berger Stiftung. Vorstandsmitglied Regina Pötke stellte den anwesenden Kommunalpolitikern ein Programm vor, mit dem im Moment gut 350 Schüler gefördert werden. Sie sind hochbegabt, kommen aber aus sozial benachteiligten Familien: zwei Drittel der Eltern beziehen Hartz IV, sind arbeitslos oder alleinerziehend. „Den Kindern fehlt der soziokulturelle Rucksack“, erklärte Pötke. Dieser Rucksack werde gefüllt – sei es bei regelmäßigen Seminaren zum Beispiel zum Thema Etikette oder eben im Umgang mit den jeweiligen Mentoren. Die Kommunen könnten in diesem Modell vielfältig tätig werden: durch die Vermittlung interessierter Mentoren, förderungswürdiger Schüler oder einfach durch die Bereitstellung von Räumlichkeiten für Seminare.
Thema: Seniorenpolitik
Der zweite Tag des Kommunalpolitischen Forums hatte Politik für ältere Menschen zum Thema. Josef Deimer gehört dabei eindeutig zu den „aktiven Alten“. 35 Jahre war er Bürgermeister von Landshut, heute ist er Ehrenvorsitzender des Bayerischen Städtetages und betätigt sich gleichsam als Kommunal-Philosoph. Keinen Besseren hätte es geben können, um einleitend über das „Älterwerden in der Stadt“ zu referieren.
Deimer betonte den Wert der Alten für den Beruf, die Kultur und das bürgerschaftliche Engagement – gerade in Zeiten „in denen uns die jungen Leute ausgehen“. Doch ist man im Alter nicht nur auf das Geben, sondern auch auf das Nehmen angewiesen. Er erinnerte an das Wort Ludwig Spaenles vom Vortag: „Keiner darf uns im Bildungssystem verloren gehen.“ Das gelte nicht zuletzt für die Senioren. Auch die Stadtplanung müsse sich auf deren Bedürfnisse einstellen – mit „Heimat, Vertrauen und Nähe“ als Leitprinzipien.
Der Vortrag von Josef Deimer leitete eine Reihe von Vorträgen zur Seniorenpolitik ein. Beate Bröcker, Staatssekretärin im Sozialministerium von Sachsen-Anhalt, sprach über „Soziale Infrastruktur für eine älter werdende Gesellschaft“; Praxisbeispiele und Zukunftsperspektiven zum Thema „Wohnen im Alter“ lieferte Sabine Wenng von der Koordinationsstelle Wohnen zu Hause in München; Gertrud Simon, die an der Universität Graz den Lehrgang Interdisziplinäre Gerontologie leitet, erklärte Strategien zur Bildung für und mit älteren Menschen.
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