Wie gerecht ist die Welt?

Soziale Ungleichheit und Wirtschaftswachstum

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 13.07.2018

Von: Sebastian Haas und Nicolai Harnisch

Foto: APB Tutzing

# Sozialstaat, Wirtschaft, Globalisierung

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Seit einigen Jahren treten Fragen der Ungleichheit und Armut verstärkt in das Zentrum des Interesses der Wirtschaftswissenschaften. Thomas Piketty, Anthony Atkinson, Angus Deaton und Joseph Stiglitz analysierten die Auswirkungen von Verteilungsfragen auf Wohlstand und Unterentwicklung ausführlich. Sie diagnostizieren: Die Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen hat zugenommen, was nicht nur abträglich für den sozialen Zusammenhalt ist, sondern auch das Wirtschaftswachstum von Ländern und Regionen behindert. Selbst der Internationale Währungsfonds hat sich zuletzt dieser Einschätzung angeschlossen.


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Zudem wird die These vertreten, dass die Globalisierung in vielen Ländern Verlierer hervorbringt, die besonders stark dem rechten, aber auch linken Populismus zuneigen. Grund genug, um zu fragen, "Wie gerecht ist die Welt?", und um über soziale Ungleichheit und Wirtschaftswachstum in Deutschland und der Welt zu diskutieren.

Die Kluft zwischen Arm und Reich

Judith Niehues ist Leiterin der Forschungsgruppe Mikrodaten und Methodenentwicklung am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln. Mit ihren Studien widerspricht sie (und ebenso in der Akademie Florian Dorn vom ifo-Institut) zum Teil großen Organisationen wie dem IWF oder der OECD, die proklamieren, dass die Kluft zwischen Arm und Reich dem Wirtschaftswachstum schadet. "In Zeiten positiver Wirtschaftsentwicklung im vergangenen Jahrzehnt haben untere Einkommensgruppen relativ in gleichem Maß wie mittlere und obere Einkommensgruppen am Wohlstand partizipiert", sagt Niehuss. Überhaupt gibt es weltweit kaum Länder, die ein kleineres Wohlstands-Ungleichgewicht vorweisen können als Deutschland; wenn, dann sind sie deutlich kleiner. Für das Wirtschaftswachstum ebenso wichtig sind stabile Institutionen sowie eine glaubwürdige und als gerecht empfundene (sozialstaatliche) Politik.

Von Chancengerechtigkeit und Grundeinkommen

Andreas Peichl (ifo-Institut) stellte fest, dass das Thema soziale Ungleichheit eine zunehmend bedeutende Rolle im medialen Diskurs in Deutschland einnimmt. Tatsächlich schätze die deutsche Bevölkerung das Ausmaß der Ungleichheit als dramatischer ein, als es die Forschungsergebnisse nahelegen. Zwar nahm die Einkommensungleichheit zuletzt zu, im internationalen Vergleich stehe Deutschland allerdings gut dar. Dies sei besonders auch auf die Umverteilung durch den Sozialstaat zurückzuführen, der in Deutschland mehr zur Reduktion von Ungleichheit beiträgt als in anderen Ländern. Peichl empfahl zur Bekämpfung von Ungleichheit zum einen Reformen des Steuer- und Transfersystems und Anreize zum Vermögensaufbau, zum anderen mehr Investitionen in frühkindliche Bildung, um Chancengerechtigkeit für alle zu gewährleisten.

Holger Bonin (IZA-Institut zur Zukunft der Arbeit) widmete sich der Möglichkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens. Zu dessen Vorteilen zählt er unter anderem die soziale Sicherung vor dem Hintergrund der Automatisierung, die Vermeidung von Stigmatisierung von NettoempfängerInnen, sowie die mögliche Stärkung von Investitionen in das Humankapital. Zweifel äußerte Bonin hinsichtlich der Finanzierbarkeit. Zudem stelle das bedingungslose Grundeinkommen ein sehr ineffizientes Instrument zur Reduktion von Ungleichheit und Armutsrisiken dar und könnte eine Schwächung der Arbeitsanreize zur Folge haben.

China - die Globalisierung durchgespielt

Markus Taube ist Professor für Ostasienwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen und erläuterte die Rolle Chinas in der globalisierten Welt - in der die Volksrepublik seit 40 Jahren Investitionen anzieht, die Armut in der Bevölkerung drastisch gesenkt hat und die Ungleichheit der Einkommen dennoch stark gestiegen ist. Und das hat Gründe: Der Staat betreibt keinerlei Umverteilung in Sozialsysteme; trotz enormer Förderprogramme floss das Geld (und damit Arbeitskräfte und Unternehmen) über Jahrzehnte aus den ärmeren Regionen weiter in die reichen, Rendite versprechenden Gebiete und Sonderwirtschaftszonen. Erst seit der Wirtschafts- und Finanzkrise fließen die Invesitionen auch zurück, regionale Einkommensdifferenzen werden abgebaut. Trotz aus unserer Sicht politischer und sozialer Schieflagen bleibe das chinesische Wirtschaftsmodell eine Erfolgsgeschichte, meint Taube: "Wer in China Mitte 40 ist, hat kein Jahr erlebt, in dem es nicht besser gegangen wäre als zuvor."

 

 


Weitere Informationen

ifo-Schnelldienst (u.a. von Andreas Peichl): Ungleichheit und Umverteilung in Deutschland

Einkommensentwicklung, Ungleichheit und Armut / Die IW-Studie von Judith Niehues als PDF-Download

Arm und Reich - eine Themenseite der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Ungleichheit - schlecht für die Wirtschaft? Die Deutsche Welle zur Frühjahrstagung 2018 des IWF

Verteilungskampf - Deutschlandfunk Kultur bespricht das Buch des DIW-Präsidenten Marcel Fratzscher


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