Transplantation, Migration, Gerechtigkeit
Medizinisch-ethische Diskurse in Fragen von Leben und Tod
München / Tagungsbericht / Online seit: 03.04.2018
Von: Miriam Günther
Foto: APB Tutzing
# Verfassungsfragen, Sozialstaat, Ethik, Migration
Im Januar 2018 hat das Bundesamt für Migration 12.907 Erstanträge für Asyl entgegengenommen . Über die Hälfte dieser Menschen flüchten vor Krieg und Hunger. Mit ihrem anderem epidemiologischen, kulturellen und sprachlichen Hintergrund stellen sie auch für das deutsche Gesundheitssystem eine enorme Herausforderung dar. Davon ist auch die Transplantationsmedizin betroffen. Unser Symposium hatte zum einen zum Ziel, mögliche Verteilungsentscheidungen in der Transplantationsmedizin aus ethischer, medizinischer, juristischer und philosophischer Perspektive zu untersuchen. Zum anderen sollten Vorschläge für künftige rechtliche Regelungen des Zugangs zu Wartelisten für nicht ansässige Patienten entwickelt werden.
Andreas Umgelter, Chefarzt der Notfallversorgung im Vivantes Humboldt-Klinikum Berlin, und Markus Guba, Leiter des Bereichs Transplantation und Hepatobiliäre Chirurgie in München, stellten zunächst einige ihrer Patienten und ihre damit verbundene Entscheidungsnot vor. Viele Flüchtende kommen aus Regionen mit einer Neigung für Lebererkrankungen und zusammenbrechenden Gesundheitssystemen. Mit ihrem Schicksal sind elementare Fragen verknüpft: Sind aktueller Aufenthaltsstatus und Finanzen relevant für eine Transplantation? Haben abgelehnte Asylbewerber einen Anspruch?
Stefan Huster (Ruhr-Universität Bochum) befasste sich mit der Aufnahme von Flüchtlingen auf die Warteliste zur Organtransplantation aus juristischer Sicht. Zunächst beleuchtete er die medizinischen Sach- und Dienstleistungen; speziell die Finanzierung im Allgemeinen. Das Asylbewerberleistungsgesetz, kurz AsylbLG, schränkt die medizinische Versorgung klar ein: „Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche (...) Behandlung (...) zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren" (§ 4 Absatz 1 AsylbLG). Die Menschenwürde im Grundgesetz verspricht außerdem ein Existenzminimum und die Genfer Flüchtlingskonvention die Gleichbehandlung aller. Ist das AsylbLG also eine Einschränkung? Diese Frage bleibt unbeantwortet.
Der zweite wichtige Aspekt dieser Thematik ist die Verfügbarkeit und Verteilung der Spenderorgane. Zugang zur Warteliste einer Organtransplantation bekommen Flüchtlinge und Asylbewerber nur bei „akuter Erkrankung oder Schmerzzustand". Es gibt allerdings keine gesetzliche Regelung dafür, wenn ein nicht ansässiger Patient als Selbstzahler eine Transplantation verlangt. Rein rechtlich gesehen dürfen Ärzte hier keine Leistungen verweigern. Bei Non-ET-Residents, also Menschen, die weder in der EU ansässig sind noch Angehöre mit Aufenthaltsrecht in Deutschland haben, ist die Lage allerdings anders: Leistungen dürfen abgelehnt werden, wenn die Finanzierung nicht gesichert ist und § 4 und 6 des AsylbLG nicht zutreffen. Bisher haben sich die transplantationsmedizinischen Zentren mit Eurotransplant darauf verständigt, dass der Anteil von Non-ET-Residents auf der Warteliste für Lebern und thorakale Organe auf fünf Prozent beschränkt sein soll. Die gesicherte Finanzierung entscheidet über den Wartelistenzugang für Spenderorgane.
Der Moraltheologe Jochen Sautermeister (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn) sprach über das soziale Menschenrecht auf Gesundheit. Die Patienten sind Rechtssubjekte mit persönlichen Geschichten und haben soziale Anspruchsrechte, sowie Diskriminierungsschutz. Müsste man den Zugang zu Spenderorganen vom Beitrag zur Solidargemeinschaft und den Willen zur Partizipation abhängig machen oder sollte es im Sinne der Gleichheit eine rein medizinische Verteilung der Organe geben?
Im Rahmen der Tagung hielten Gertrud Greif-Higer und Arne Manzeschke zwei Workshops ab. Greif-Higer beleuchtete als Vorsitzende der Ethikkommission der Deutschen Transplantationsgesellschaft e.V. zusammen mit den Tagungsgästen die schwierigen Entscheidungskonflikte im Rahmen von Fallbeispielen. Manzeschke, Anthropologe und Moralethiker an der Evangelischen Hochschule Nürnberg, diskutierte mit den Teilnehmern über Verteilungsgerechtigkeit und kam zu dem Schluss, dass man die Typen und Klassen der Zuwanderer differenzieren müsse. Spezifische Regeln für den Einzelfall seien besser als pauschale Gruppenregeln. Außerdem sei eine ausführliche rechtliche Regelung nötig für die bessere Diskussionsgrundlage. (Auf dem Foto sehen Sie einige der Vortragenden und Tagungsorganisatoren.)
Weitere Informationen
Zum Nachlesen: Das Asylbewerberleistungsgesetz
NON ET-Residents im Transplantationswesen (Fachartikel zu Medizinrecht / kostenpflichtig)
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