Das Ende der Einbahnstraße

#apbdigital - Wie sich das Verhältnis von Journalisten und ihrem Publikum verändert hat und weiter verändern wird

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 28.10.2016

Von: Tobias Sluzalek und Steffen Schurr

Foto: APB Tutzing

# Medien

Download: Tutzinger Journalistenakademie Das Ende der Einbahnstraße - zum neuen Verhältnis zwischen Journalist und Publikum

Der digitale Wandel hat das Verhältnis zwischen Journalisten und Rezipienten maßgeblich verändert. Die Einbahnstraße, in der Informationen hauptsächlich von Seiten der Redaktion zum Leser, Hörer oder Zuschauer flossen, ist erweitert worden, sodass nun ein ständiger Austausch möglich ist. Hinter dieser Entwicklung verbirgt sich nicht nur ein Mehraufwand für die Journalisten, sondern auch Chancen zur Qualitätsverbesserung des Journalismus.


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Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing

Darin waren sich die Gäste des ersten Panels einig: Stellvertretende Chefredakteure und -redakteurinnen von Spiegel Online (Dr. Barbara Hans), Tagesschau.de (Rike Woelk), Die Welt (Oliver Michalsky) und Zeit Online (Martin Kotynek) offenbarten, wie Sie in ihren Onlineredaktionen mit Leserkommentaren umgehen. Besonders schwer sei dies bei Artikeln, die ein hohes Maß an Emotionen implizieren, konstatierte Barbara Hans: „Aus Erfahrung sperren wir die Kommentarfunktion für einige Artikel von vornherein.“ In Spitzenzeiten seien auf den Diskussionsplattformen bis zu fünfzigtausend Benutzer täglich aktiv, wodurch die Menge an Leserkommentaren nicht zu bewerkstelligen sei.

Das Interesse: die Qualität verbessern

Um die Freigabe der Leserkommentare für die Moderatoren zu erleichtern und ein Sperren der Kommentarfunktion zu vermeiden, entwickelt die WELT-Redaktion in Kooperation mit anderen Unternehmen einen sogenannten Kommentar-Bot. Dieser entfernt unqualifizierte Kommentare entweder direkt oder legt sie den Moderatoren zur Überprüfung vor. Kritik aus dem Publikum, dass derartige mit Algorithmen gesteuerten Bots interessengeleitet seien und damit die objektive Berichterstattung gefährdeten, bejahte Oliver Michalsky: „Natürlich ist die Funktion interessengeleitet. Schließlich liegt es in unserem beidseitigen Interesse, die Qualität der Beiträge zu verbessern.“

Neben zusätzlichen Kosten für die Moderation (der stetig wachsenden Zahl von Leserkommentaren auf den Homepages und Social-Media Kanälen) spielen weitere Faktoren eine Rolle, wie die psychische Belastung. In einzelnen Fällen sei die Beschwernis so groß, dass Mitarbeiter psychologisch betreut werden müssen, erklärte Martin Kotynek. Die stark gesunkene Hemmschwelle bei der Veröffentlichung von beleidigendem Gedankengut begründen die Redakteure vor allem mit dem geringen Aufwand, der für die Erstellung von Leserkommentare erforderlich ist. Im Gegensatz zu früher müsse man sie nicht mehr mit der Post versenden, sondern könne sie anonym und teilweise im Affekt verfassen, so Rike Woelk. Doch egal wie man die Entwicklung auf den öffentlichen Plattformen auch bewerte: „Die Tür zu sozialen Medien ist jetzt offen und lässt sich nicht mehr schließen.“

(Wie) mit der Crowd zusammenarbeiten?

Bei den ausführlich diskutierten Problemen sollte man jedoch nicht vergessen, dass der Großteil des Feedbacks von Seiten der Rezipienten grundsätzlich sachlich und konstruktiv ist – wovon die Onlineredaktionen profitieren. So ergeben sich aus dem Dialog neue Ideen für Folgeartikel, Verbesserungsvorschläge und darüber hinaus die Möglichkeit, auf Basis von crowdsourcing Recherche zu betreiben. Um den digitalen Auftritt weiter zu verbessern, arbeiten die Redaktionen daran, die Leser auf immer neuen Kanälen zu erreichen. So bergen Apps wie Snapchat oder Whatsapp ein hohes Potential, um speziell ein junges Publikum anzusprechen. Gänzlich neu ist das Konzept des conversational journalism, bei dem die Journalisten im direkten Kontakt zu den Rezipienten stehen. Ob auf diesem Weg das Verhältnis zwischen Journalist und Publikum noch erweitert werden kann, testen die Redaktionen  vereinzelt in Pilotprojekten.

Wie weit Meinungsfreiheit im Netz gehen kann und wo sich Grenzen befinden, erläuterte Johanna Haberer, Professorin für Medienethik an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Für  brisant hält Haberer den immer häufigeren Einsatz von Social Bots, mit denen beispielsweise Regierungen die öffentliche Meinung beeinflussen können, ohne die Meinungsfreiheit zu verletzen. Dabei handelt es sich um Programme, die auf sozialen Netzwerken selbstständig Kommentare verfassen, andere Nutzer direkt anschreiben und Meinungen generieren, die in der Bevölkerung nicht vertreten sind. Zudem forderte Haberer dazu auf, im Netz „solange es keine nationalen und internationalen Gesetze gibt, Anzeige zu erstatten, wenn zu Hass oder Mord aufgerufen wird“.

Qualität, Transparenz, Diskussion - alte Tugenden zählen

Leseranwältin Kerstin Dolde und Blogger Christian Simon erörterten, wie sich das Verhältnis zwischen Journalisten und dem Publikum langfristig verbessern lässt – indem man bewusst Debatten initiiert und so den Diskurs fördert. „Es ist besser, wenn die Menschen mit uns sprechen, als über uns“, sagt Dolde, die Lesern der Frankenpost die Möglichkeit bietet, sie zu kontaktieren und über Beiträge zu reden, die für Erregung sorgen. Durch das immer vielfältigere Angebot „müssen die Redaktionen transparenter werden“, erklärte Christian Simon – um die Entscheidungsprozesse für das Publikum nachvollziehbar zu machen und verloren gegangenes Vertrauen wiederzugewinnen. 

Ist noch mehr (als) Dialog mit den Rezipienten möglich? Christian von Rechenberg, Chef vom Dienst und Reporter bei heute+, stellte das Konzept der Nachrichtensendung vor. Uwe Renners (Ressortleiter Online/Digitales beim Nordbayerischen Kurier) erklärte, dass die Beiträge zuerst für Online aufbereitet werden, bevor sie gedruckt werden. Auch Leserfragen werden beim Nordbayerischen Kurier über WhatsApp beantwortet. „Wir müssen da sein, wo unsere Leser sind“, hält Renners fest. Hassmails oder -kommentare werden konsequent zur Anzeige gebracht. Mit Hassmails hat die Redaktion um Christian von Rechenberg weniger zu tun. Hier ist die Kritik eher inhaltlicher Natur. Aber auch sie bieten dort Inhalte, wo die junge Zielgruppe konsumiert – via Facebook, Twitter und Live Streaming. Zwar sähen bei Periscope teilweise nur 100 Abonnenten einen Beitrag, dafür könne die Redaktion mit den Zuschauern interagieren, weil Kommentare live im Video eingeblendet werden. Ein Grundproblem bleibe in den sozialen Medien jedoch bestehen: Marken würden immer weniger wahrgenommen. Die wenigsten Leser in den sozialen Kanälen können sich erinnern, woher die Information stamme, erläuterte Renners. Snapchat oder Instagram seien zudem abgeschlossene Systeme – was ein Vermarktungsproblem für die Verlage bedeutet.

Eine von vielen Szenarien: die moderierte Plattform

Tobias Böhnke, Blog-Editor der Huffington Post, entwarf Szenarien für die Zukunft des Journalismus. Sein Appell: „Medien sollen sich öffnen und zu Plattformen werden.“ Facebook, Amazon oder Instagram würden selbst keinen Inhalt produzieren, auch Google böte nur fremden Content an. Zwischen diesen Such-, Austausch-, Verkaufs- und Kunstplattformen fehle eine journalistische. Ist die Huffington Post eine solche Alternative? Zumindest gibt es dort neben klassischen redaktionellen Inhalten auch Meinungsäußerungen in Form von Blogs oder Gastbeiträgen. Böhnke hat dabei die Rolle eines Schiedsrichters, der Gastbeiträge einordnet, kontrolliert, ob es sich tatsächlich um Meinungen handelt, und dann online stellt. Für die Zukunft sollte der Journalismus  um emotionale Geschichten erweitert werden, appellierte Böhnke – weil insbesondere das junge Publikum über soziale Plattformen kommuniziere. Letztlich sei die Arbeit von Journalisten nur erfolgreich, wenn sie „alle Menschen erreichen“.

Wir haben die Tutzinger Journalistenakademie zusammen mit dem Institut für Medienentwicklung und –analyse (IMEA) der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg veranstaltet. Den dortigen Studiengang Technikjournalismus studieren die Autoren dieses Beitrags, Tobias Sluzalek und Steffen Schurr.

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