Politischer und Gesellschaftlicher Wandel
Wir werden weniger, älter und bunter. Welche Konsequenzen das für unsere Gesellschaft hat, erfahren Sie hier
Der Arbeitsbereich Politischer und Gesellschaftlicher Wandel der Akademie für Politische Bildung wendet sich den Herausforderungen des demokratischen Regierens unter den sich wandelnden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, weltpolitischen, aber auch ökologischen und technologischen Rahmenbedingungen zu. Im Fokus stehen die Wechselwirkungen zwischen Politik und Gesellschaft, von denen nicht zuletzt die demokratische Qualität und Legitimität der politischen Ordnung abhängen.
Während die Demokratie noch kurz vor der Jahrtausendwende einen Siegeszug zu erleben schien, steht sie heute vor vielfältigen Herausforderungen: als faktische Herrschaftsform, aber auch als theoretisches und normatives Konzept. Mehr noch: Sie scheint in einer Krise. Ihr wesensbestimmendes Fundament - die Legitimationskraft des Volkes - erodiert zusehends.
Umfragen und Medienberichte offenbaren ebenso wie Feeds und Kommentare in Social Media eine klaffende Distanz zwischen politischen Eliten und Parteien einerseits und Bürgerinnen und Bürgern andererseits bei aktuellen politischen Themen und gesellschaftlichen Themen. Populistische Argumentationen untergraben das öffentliche Vertrauen in politische Führung und demokratische Institutionen. Ungewissheiten und Verlustängste angesichts der sogenannten großen Transformationen und Umbrüche in der Weltordnung vertiefen den gesellschaftlichen Zwiespalt zwischen individuellem Freiheitsbedürfnis und allgemeinen Sicherheitserwartungen. Egal ob demografischer Wandel und sozialer Wandel, ob Digitalisierung, Migration, Corona-Pandemie, Klimakrise, Energiewende oder russischer Angriffskrieg gegen die Ukraine: Für viele Bürgerinnen und Bürger versagt der liberaldemokratische Staat bei der erhofften Problemlösung und Krisenmanagement wie bei der eingeforderten Orientierungsleistung.
Leitideen, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Liberalität und Medienfreiheit als unbestreitbare Prinzipen verankerten, verlieren zusehends an Bindekraft. Stattdessen scheinen sich Nationalismus und Nationalegoismus, illiberale Politik- und Gesellschaftsentwürfe, aber auch Populismus, Extremismus sowie verschiedenste Verschwörungsmythen zu aktuellen politischen Themen in Teilen unserer Gesellschaften zunehmender Attraktivität zu erfreuen. Die allgemeine Zustimmungsfähigkeit zur Demokratie sinkt: in Transformationsländern, die nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation dieses Ideal aus Überzeugung angesteuert haben, ebenso wie in den etablierten demokratischen Ordnungen der westlichen Welt.
Supranationalisierung und Europäisierung führen obendrein dazu, dass national organisierte Politik an Entscheidungssubstanz verliert: Kompetenzen werden zunehmend dem staatlichen Rahmen mit eingeübten und gesellschaftlich verankerten demokratischen Prozessen entzogen. Stattdessen avancieren sie zum Entscheidungsgegenstand einer transnationalen Arena, die ihre Rückbindung an die Bürgerinnen und Bürger - und damit ihre Legitimationskraft - in einem noch andauernden und langatmigen Prozess erst entwickeln muss. Zugleich lässt im politischen Alltag der Entscheidungsdruck eingeübte parlamentarische Verfahren auf nationaler wie europäischer Ebene bisweilen zur Makulatur werden - und entwertet dadurch noch einmal die demokratische Idee. So wähnen sich einige Beobachterinnen und Beobachter längst in einer Ära der Postdemokratie oder zumindest in einer Zeit postparlamentarischer Governance.
Vor diesem Hintergrund setzt sich der Themenbereich Politischer und Gesellschaftlicher Wandel an der Akademie für Politische Bildung mit den grundsätzlichen Entwicklungen und Herausforderungen an der Schnittstelle von Politik und Gesellschaft auseinander. Dazu gehört die Identifizierung aktueller politischer und gesellschaftlicher Themen und dazu gehört ebenso die Analyse von Wurzeln und Ursachen dieser Wandlungsphänomene. Dabei schwingt stets die Frage mit, wie die großen Transformationen und mit ihnen der soziale Wandel die politische Ordnung einerseits herausfordern; andererseits aber auch die Frage, wie Politik und politische Ordnung diese Veränderungsprozesse und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen steuern bzw. managen können.
- Welcher Reformbedarf folgt daraus für das politische System: für die Länder, für den Bund und für die Europäische Union? Welche konkreten Reformen sind unabdingbar, welche perspektivisch sinnvoll? Inwieweit sind der deutsche Föderalismus und das europäische Mehrebenensystem in ihrer heutigen Gestalt geeignet, langfristig der Herausforderungen des politischen und gesellschaftlichen Wandels Herr zu werden?
- Wie lässt sich die Souveränität des Einzelnen in der global vernetzten Welt gewährleisten? Welchen Beitrag können hierzu Nationalstaaten und Europäische Union leisten?
- Weshalb ist der gegenwärtige Populismus für Demokratien so brandgefährlich? Inwiefern kollidiert der populistisch verkündete Alleinvertretungsanspruch des Volkes mit dem Pluralismus als einem der zentralen Kriterien demokratischer Herrschaft? Wie kann man Populismus und populistisch agierenden Politikerinnen und Politikern den Nährboden entziehen und umgekehrt die freiheitliche Demokratie des Grundgesetzes stabilisieren?
- Welche Rolle spielen Emotionen und Emotionalisierung in der Demokratie? Wie bringt man sie mit Rationalität in Einklang, die für Politik ebenso grundlegend ist?
- Wie sehen die Perspektiven für demokratisches Regieren in Deutschland, Europa sowie anderen Weltregionen aus? Inwieweit und wie lässt sich die allgemeine Zustimmungsfähigkeit zu Demokratie wiederherstellen?
- Wie kann, wie soll Politik dem gesellschaftlichen Wandel begegnen? Ist die Entwicklung hin zu einer Gesellschaft der Singularitäten eine Einbahnstraße? Lassen sich überzeugende Antworten auf den wachsenden gesellschaftlichen Bedarf an Orientierung und Sinnstiftung entwickeln? Wie können Unsicherheiten und Statusverlustängste, die sich zunehmend in allen sozialen Schichten beobachten lassen, aufgefangen werden? Wie bringt man die heutigen offenen Gesellschaften mit dem sozialen Bedürfnis nach Einhegung und Orientierung in Einklang? Wie kann dem Gleichheitsideal entsprochen und gleichzeitig Freiheiten gewahrt werden? Wie gelingt gesellschaftliche Integration in Zeiten der Polarisierung und grenzüberschreitender Flucht und Migration?
- Welche Rolle kann und soll politische Bildung bei all diesen Prozessen spielen? Welche Herausforderungen für die politische Bildung bringen die großen Transformationen einschließlich der Digitalisierung mit sich? Inwieweit sollte sich eine moderne politische Bildung fortentwickeln bzw. neuerfinden, damit sie trotz aller Wandlungsphänomene breite Gesellschaftsschichten zum demokratischen Bürgerleben befähigt und begeistert?
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Prof. Dr. Ursula Münch
Tel: 08158 / 256-47
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