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05.12.2022 - 08.12.2022 / Tagung Nr. 49-2-22*

Tutzinger Schülerforum: Nahost-Region

Leitung: Michael Ingber / Manfred Schwarzmeier

Sekretariat: Viktoria Aratsch, Tel.: 08158 / 256-47

* Fester Teilnehmerkreis. Zusätzliche Anmeldungen nur nach Rücksprache mit dem Tagungssekretariat.

Wir leben jetzt im Schatten eines schlimmen Krieges hier in Europa. Ist jetzt die Zeit, uns mit einer ganz anderen Region zu beschäftigen? Werfen wir einen (Teil-)Blick auf die Situation im Nahen Osten: Der Krieg im Jemen: „eine der schwersten humanitären Katastrophen der Welt“ (UNO): Im jemenitischen Bürgerkrieg hat die Gewalt zuletzt wieder zugenommen: immer heftigere Gefechte und Bombenangriffe. Und doch findet der Jemenkrieg in der westlichen Öffentlichkeit kaum Beachtung. Am schlimmsten ist die Zivilbevölkerung betroffen. Vier von fünf Jemeniten sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, davon elf Millionen Kinder. Fünf Millionen Menschen stehen am Rande einer Hungersnot … davon starben schon über 100.000. Seit 2014 wurden mehr als 200.000 Menschen getötet. Im Februar 2022 meldete die UNO angesichts der wieder aufflammenden Kämpfe einen neuen Höchststand bei den zivilen Opfern. Doch trotz der humanitären Krise gilt der Jemen-Konflikt weithin als „vergessener Krieg“. Die Zahlen über das menschliche Leid in dem Land bleiben meist nur das: Zahlen. Warum? Weil das Land aus geografischen und politischen Gründen abgeschottet ist. Es gibt kaum Flüchtlinge, die es bis nach Europa oder überhaupt aus dem Land herausschaffen; so bleibt das Leid im bitterarmen Jemen oft unter der Wahrnehmungsschwelle in Europa. Die Isolation des Landes ist auch für die humanitäre Hilfe ein Problem: Hilfslieferungen erreichen das Land nur schwer; friedliche Lösungen scheinen in weiter Ferne … mit keinem Ende in Sicht. (Vgl. www.deutschlandfunk.de/jemen-krieg-huthi-katastrophe-100.html, Stand: März 2022) Flüchtlingskrise Syrien – die größte Flüchtlingskrise weltweit (Stand: März 2022) März 2011 bis März 2022: mehr als eine Dekade der Gewalt: Am 15. März 2011 wurden Proteste in Syrien gewaltsam beendet: es folgten – bis heute – über elf Jahre gewaltsame Auseinandersetzungen: 11 Jahre Krieg; Über die Hälfte der Bevölkerung Syriens (Stand 2010: ca. 21 Millionen) musste ihr Zuhause seit Beginn der Krise in ihrem Land verlassen; Anfang 2022 gibt es weltweit rund 6,8 Millionen Flüchtlinge und Asylsuchende aus Syrien; 5,6 Millionen Flüchtlinge in den Nachbarländern; 6,9 Millionen Binnenvertriebene; 12,4 Millionen Menschen in Syrien sind nicht ausreichend mit Lebensmitteln versorgt und auf humanitäre Hilfe angewiesen; Die Zukunft einer ganzen Generation von Syrern sowie Syriens und der Region steht auf dem Spiel: 45 Prozent der syrischen Flüchtlinge sind unter 18 Jahre alt. Und obwohl die Situation der Flüchtlinge aus Syrien immer weniger mediale Aufmerksamkeit erhält, ist die Krise noch lange nicht überwunden. Die Situation der syrischen Flüchtlinge ist schwieriger als je zuvor, zuletzt noch verschärft durch die Corona-Pandemie. Ist ein Ende der Krise in Sicht? Zurzeit weiß niemand, wie lange diese Krise noch andauern wird. Täglich müssen weitere Menschen fliehen. (Quelle: https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/syrien ) „Erzählen Sie uns nichts über die (angeblichen) Gräueltaten Russlands in der Ukraine – bis Sie sich mit mehr als 70 Jahren israelischer Gräueltaten in Palästina befasst haben!“ (Stuart Littlewood, Übersetzung: Michael Ingber) Im Moment ist die Luft voll von Anschuldigungen gegen Russland wegen Gräueltaten in der Ukraine, insbesondere wegen der Massaker an Zivilisten. US-Präsident Joe Biden verlangt, dass der Internationale Strafgerichtshof untersucht. Gleichzeitig weigert sich Israel kategorisch – mit Zustimmung der USA --, bei den Ermittlungen des IStGH zu seinen Aktionen seit 2014 in Gaza und im Westjordanland zu kooperieren. Aber die israelischen Ausschreitungen gegen die Palästinenser reichen viel weiter zurück, noch bis vor die Mitte des 20. Jahrhunderts. (Stuart Littlewood, britischer Schriftsteller, Autor des Buches „Radio Free Palestine“ über die Notlage der Palästinenser unter israelischer Besatzung) (Quelle: https://www.redressonline.com/2022/04/dont-tell-us-about-russias-alleged-atrocities-in-ukraine-until-youve-dealt-with-70-plus-years-of-israeli-atrocities-in-palestine/ ) Die Sicherheit der Anderen Die Verwüstung der Ukraine durch Russland wird zu Recht wegen ihrer Verstöße gegen das Völkerrecht verurteilt. Aber wenn das Völkerrecht in der Ukraine gelten soll, warum dann nicht auch in Palästina? Wenn es moralisch und legal ist, gegen den russischen Angriff zu protestieren, warum wird es dann als antisemitisch betrachtet, gegen die israelischen Angriffe zu protestieren? Wenn Ukrainer, die Widerstand leisten und sich selbst verteidigen, Helden genannt werden, warum werden dann Palästinenser, die Widerstand leisten und sich gegen Besatzung und Landraub verteidigen, Terroristen genannt? Bei dieser Forderung geht es nicht darum, die Solidarität mit den Ukrainern zu verringern, sondern diese Solidarität auf die Palästinenser auszudehnen, deren Unterdrückung der Westen subventioniert. (Prof. Sara M. Roy, (jüdische) US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin am Center for Middle Eastern Studies der Harvard University) (Quelle: https://www.lrb.co.uk/blog/2022/april/the-safety-of-others ) Ja, auch die Nahost-Region ist seit Langem in Aufruhr. Auch dort führen Kriege, oft im Namen der Religion geführt, aber hauptsächlich durch Unterdrückung und Einmischung von Kräften und Mächten innerhalb wie außerhalb der Region verursacht, zu Zusammenbrüchen von Staaten und Gesellschaften. Unzählige Opfer, Flucht und Entwurzelung sowie massive Zerstörungen waren und sind immer wieder die Folge (vgl. Jemen, Syrien, Gaza). Insbesondere ungelöst bleibt der längste Konflikt der Region: Israel-Palästina, mit Streit um Jerusalem und Gaza, Besatzung und Unterdrückung, Siedlungspolitik, Mauerbau, Widerstand, Terror von beiden Seiten und gescheiterten Friedensgesprächen. Und hier in Europa: Ängste vor der (angeblichen) Gefahr durch weitere Aufnahme von (nicht-weißen, nicht-christlichen und aus anderen Kulturen stammenden) Flüchtlingen aus dem Nahen Osten ergreifen die Bevölkerungen und beeinflussen die politische Landkarte (siehe u.a. „Brexit“, Aufstieg der AfD; die konservativen bzw. rechts-orientierten Regierungen in Österreich, Ungarn, Italien etc.); Regierungen reagieren weiter mit nicht unproblematischen Maßnahmen (Bsp.: Frontex sowie die „closed door“-Politik mehrerer europäischer Länder), ohne tatsächliche Lösungen zu haben. Im Schülerforum behandeln wir die Entwicklungsgeschichten der wichtigsten Konflikte der Nahost-Region, die Rolle von Boden und Ressourcen, die gesellschaftlich-kulturell-religiösen, politischen und psychologischen Faktoren, die Lage der Menschenrechte, die Rolle der Medien sowie die heutigen Auswirkungen und Aussichten für Lösungen. Durch dieses tiefgreifende und mit unterschiedlichen Methoden (Expertenvorträge, selbstständiges Forschen, Planspiel, Diskussionen) ausgeführte Schulprojekt sollen junge Menschen in die Lage versetzt werden, komplexe Situationen zu durchschauen. Ziel ist es auch, sie zu ermutigen, sich mit politischen und ethischen Fragen in ihrer eigenen und auch in anderen Kulturen auseinanderzusetzen sowie die Haltung der jeweiligen Akteure zu verstehen und kritisch zu beurteilen.