Keine einfachen Lösungen für die Staatsfinanzen in Sicht
Der steinige Weg hin zur "Schwarzen Null"
Die Herausforderungen der Bundesrepublik häufen sich. Die großen Baustellen heißen Rentenreform, Steuerreform und Bürokratieabbau. Es besteht also dringender Handlungsbedarf - doch was tun? Auf der Tagung "Zukunft der Schuldenbremse: Nachhaltige und resiliente Finanzpolitik?" der Akademie für Politische Bildung in Kooperation mit der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit haben sich Expertinnen und Experten mit den Schwierigkeiten der finanziellen Situation Deutschlands beschäftigt und Lösungsansätze für eine nachhaltige Finanzpolitik diskutiert.
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 05.11.2025
Von: Yannick Hadré / Foto: Yannick Hadré
Programm: Zukunft der Schuldenbremse: Nachhaltige und resiliente Finanzpolitik?
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Der Druck auf die Politik steigt: Nicht nur den Investitionsstau sollte sie im besten Fall abarbeiten, auch muss der Bundeshaushalt ausbalanciert, die Rente langfristig gesichert und das Wirtschaftswachstum angekurbelt werden. All das kostet Geld, eine ganze Menge noch dazu. Doch woher soll das kommen? Auch wenn Deutschland im internationalen Vergleich nicht durch eine hohe Staatsverschuldung auffällt, droht beim Ausbleiben einer zeitnahen Kurskorrektur ein Wachstum des Schuldenbergs auf 80 bis 90% des Bruttoinlandsproduktes. Sollte dieser gefährliche Schwellenwert erreicht werden, könnte eine Zinsspirale drohen, aus der sich Deutschland nur schwer wieder befreien könnte. Was jedoch auf der Tagung "Zukunft der Schuldenbremse: Nachhaltige und resiliente Finanzpolitik" der Akademie für Politische Bildung in Kooperation mit der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit schnell klar wird: Kurzfristige Steueranpassungen können das Loch in der Tasche des Staates nicht allein stopfen, massive Reformen sind nötig. Und je früher sie umgesetzt werden, desto besser.
Moralische Implikationen von Schulden
In der Bibel wird jedes 7. Jahr zum Jubeljahr erklärt, in dem allen Schuldnern ihre Schuld erlassen wird, erklärt Bernd Villhauer vom Weltethos-Institut an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen. Mit der Realität von Schuldsklaverei noch unmittelbar konfrontiert, sollte so für viele Menschen damals die Möglichkeit bestehen, einen Ausweg aus der Sklaverei und Verschuldung zu haben. Denn Schuld sei weit mehr als eine Verpflichtung über den Tausch von Ressourcen, vielmehr definieren sie eine vielseitige Beziehung zwischen zwei Parteien. Ebenso verhalte sich die Beziehung von Staat und Volk, in dem der Staat mit Ressourcen des Volkes allgemeine Güter zur Verfügung stellt.
Es besteht Handlungsbedarf
Darf der deutsche Staat also hoffen, dass seine Gläubiger 2032 alle Ansprüche fallen lassen? Man kann sicher sagen: Nein. Doch wie soll er sich dann retten aus einer fiskalen Schieflage, die, wenn sie nicht bald überwunden wird, massive negative Konsequenzen für alle Beteiligten haben würde? Zwar bleibt bis zu einer Schuldenspirale noch einige Zeit, Ausruhen dürfe man sich darauf jedoch nicht. "Ein Schuldenstand von 60% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Deutschland ist noch absolut tragbar", erklärt Jan Schnellenbach von der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. Historisch und im internationalen Vergleich sei der deutsche Haushalt noch stabil. Doch auch Schnellenbach attestiert der Regierung Handlungsbedarf. "Sollten die Staatsschulden konstant auf dem aktuellen Niveau steigen, haben wir spätestens Ende der 2030er ein Problem."
Keine einfachen Lösungen
Doch ohne weitreichende Veränderungen in Staat und Wirtschaft werden diese Krisen nicht überwunden werden können, rechnet Johannes Becker von der Universität Münster vor. Zwar gäbe es noch einiges an Steuerpotential, vor allem beim reichsten Perzentil der Gesellschaft, aber selbst optimistische Rechnungen mit massiven Steuererhöhungen für diese Gruppe würden im Anbetracht der Haushaltslücke lediglich einen Tropfen auf den heißen Stein bedeuten. Auch wenn Steuerschlupflöcher für international agierende Konzerne gestopft und Gewinne aus Deutschland auch in Deutschland zu gängigen Steuersätzen geltend gemacht werden würden, reiche das nicht. "Damit kann weder eine Bundeswehr ausgestattet noch ein Rentenloch gestopft werden", erklärt Becker. Ähnlich sieht es Julia Jirmann von Netzwerk Steuergerechtigkeit aus Berlin. Immer wieder tauchen in den Medien Forderungen nach einer Vermögenssteuer auf, auch eine höhere Erbschaftssteuer soll kommen. Allein könnten solche Reformen jedoch keinen Haushalt retten. Trotzdem hätten sie eine Berechtigung: "Diese Ungleichheit stellt ein massives Gerechtigkeitsdefizit in unserer Gesellschaft dar und besagte Steuererhöhungen können zumindest kurzfristig wichtige Investitionen in Infrastruktur und Bildung ermöglichen", so Jirmann.
Zukunftspläne für die deutsche Finanzpolitik
Denn die Zeit drängt. Überall gibt es einen Rückstau an Investitionen und die Wirtschaft schrumpft oder stagniert. Wie also damit umgehen? Matilda Gettins von FiscalFuture e.V. erklärt, wie schuldenfinanzierte Investitionen auch generationengerecht möglich sind. Wichtig sei dabei, Investitionen anders zu betrachten. So würden aktuelle Projekte im Haushalt als Minus betrachtet. Das durch die Investition aber ein Gegenwert entsteht, falle in diesen Statistiken unter den Tisch. Außerdem sollten alle Investitionen mit jungen Menschen eingehend abgeklärt werden und nicht nur eine politische Entscheidung sein, fordert Gettins. Denn die nächsten Generationen tragen diese Fiskalentscheidungen deutlich länger als ältere Teile der Gesellschaft, so die Wirtschaftsexpertin.
Jörg Tremmel von der Eberhard-Karls-Universität Tübingen hingegen vertritt eine klimaorientierte Austeritätspolitik. Das bedeutet, die Investitionsquote in Infrastruktur und nachhaltige Projekte so hoch wie möglich zu halten. Doch im Gegensatz zu Gettins Entwurf sind bei Tremmel keine neuen Schulden geplant. Denn je mehr die Schulden und die damit assoziierten Zinszahlungen wachsen würden, desto mehr schrumpften die Spielräume für politische Akzente. Solche Nettoinvestitionen, also Investitionen über die Instandhaltungskosten hinaus, amortisieren sich durch ein höheres Wirtschaftswachstum und erhöhen so im nächsten Haushaltsjahr die zur Verfügung stehende Summe für wieder neue Investitionen, erklärt Tremmel.
Welche Reformen sind nötig?
Als ein weiteres Hindernis für eine sinnvolle Neuverschuldung können unter anderem die deutschen und europäischen Schuldenregelungen genannt werden. So gibt es auf den verschiedenen Ebenen und von verschiedenen Instanzen jeweils unabhängig voneinander gesetzte Vorgaben und Verpflichtungen, die nicht immer miteinander vereinbar sind. Außerdem wurden die Begrenzungen zur Neuverschuldung nicht immer an logische Zahlen gebunden. So erklärt Saskia Gottschalk vom Dezernat Zukunft e.V., dass die Maximalverschuldung von 60% des BIPs, die von der EU festgesetzt wurde, eine aus politischen Gründen gewählte Schwelle sei, die wirtschaftswissenschaftlich keine Bedeutung habe. Um einen Überblick über die bestehenden Möglichkeiten und Grenzen einer Neuverschuldung zu bekommen, müsse ein undurchsichtiges Dickicht von Vorschriften durchstiegen werden, ein bürokratisches Labyrinth. "Hier sind Reformen unvermeidbar und dringend von Nöten", erklärt Gottschalk.
Politische Verpflichtungen
Das sehen die Vertreter der Politik ähnlich. In der abschließenden Debatte mit Vertretern von CSU, Grünen, FDP und SPD wird schnell klar: Der Teufel steckt im Detail. Auch wenn sich alle einig sind was getan werden muss, ist die Ausarbeitung genauer Regelungen komplexer. Was sind Investitionen genau? Ist der Bau eines versprochenen Krankenhauses, das dann wegen fehlender Mittel auf Eis gelegt wurde, immer noch eine zusätzliche Investition, oder lediglich das Erfüllen alter Versprechen? Eins wird bei der Tagung klar: es wird höchste Zeit das Thema anzugehen.

