Frieden in ungewisser Zeit
Wie stärken wir unsere Demokratie von innen und wie verteidigen wir sie nach außen?
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und das Wiedererstarken autoritärer Kräfte stellen die westlichen Demokratien vor eine Zerreißprobe. Zugleich schwindet in vielen Ländern das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz demokratischer Institutionen. Wie kann sich Europa innen- wie außenpolitisch behaupten? Über die Herausforderungen einer neuen Weltlage sprach Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr München gemeinsam mit dem ehemaligen außenpolitischen Berater Horst Teltschik, Martin Schulze Wessel von der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem Politikwissenschaftler Jackson Janes beim 26. Passauer Tetralog unter dem Titel "Am Abgrund einer alten Welt - Demokratie und Frieden in ungewisser Zeit". Die Diskussion wurde von dem Politikwissenschaftler und ehemaligen Akademiedirektor Heinrich Oberreuter moderiert. Der Tetralog der Akademie für Politische Bildung fand in Kooperation mit der Universität Passau und den Europäischen Wochen Passau statt.
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 30.07.2025
Von: Rebecca Meyer / Foto: Rebecca Meyer
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"Die meisten Menschen begreifen nicht, dass das, was passiert, ein Krieg gegen unsere Demokratie ist.", warnt Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr München. Russland führe nämlich nicht nur seit 2022 einen militärischen Angriffskrieg gegen die Ukraine führe, sondern seit Jahren auch einen zweiten Krieg auf hybrider Ebene gegen die Gesellschaften Europas. Damit meint Masala gezielte Desinformationskampagnen, Propaganda und Einflussversuche, die Misstrauen säen und das Vertrauen der Bevölkerung in demokratische Institutionen untergraben sollen. Über diese und weitere Situationen sprach der Politikwissenschaftler mit dem ehemaligen außenpolitischen Berater Horst Teltschik, Martin Schulze Wessel von der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem Politikwissenschaftler Jackson Janes beim 26. Passauer Tetralog der Akademie für Politische Bildung, der Universität Passau und den Europäischen Wochen Passau. Die Veranstaltung "Am Abgrund einer alten Welt - Demokratie und Frieden in ungewisser Zeit" moderierte der Politikwissenschaftler und ehemaligen Akademiedirektor Heinrich Oberreuter.
Hybrider Krieg gegen Europa
In den russischen Militärdoktrinen werde der hybride Krieg mittlerweile als eigenständiger Operationsstrang behandelt und stehe aus Moskauer Sicht auf einer Ebene mit dem Einsatz von Panzern und Raketen in der Ukraine, erklärt der Politikwissenschaftler Masala. Ziel sei es, westliche Gesellschaften zu spalten. So würden etwa Behauptungen verbreitet, die NATO habe Russland einst zugesichert, sich nicht nach Osten zu erweitern. Oder es werde von Biowaffenlaboren in der Ukraine gesprochen. Diese Narrative würden seit Jahren gezielt befeuert und hätten sich in politischen Debatten bereits verfestigt - obwohl sie längst widerlegt seien. Der hybride Krieg habe mittlerweile auch in Deutschland Spuren hinterlassen: Es gebe Parteien, die offen prorussische Positionen vertreten und aktiv durch die Bevölkerung gewählt werden, so Masala. Bei den letzten Bundestagswahlen haben z.B. 25 Prozent der Wählerinnen und Wähler für Parteien wie die AfD oder das Bündnis Sahra Wagenknecht gestimmt. In Ostdeutschland liegt dieser Anteil sogar über 50 Prozent. Diese Stimmen seien zwar nicht primär wegen der prorussischen Ausrichtung dieser Parteien abgegeben worden, doch viele nähmen diese Haltung bewusst in Kauf. Der Politikwissenschaftler erklärt, dass dieser hybride Krieg langfristig auf dasselbe Ziel hinarbeite wie der militärische Krieg in der Ukraine: die europäische Demokratie zu schwächen. Wenn Europa diese Angriffe nicht erkenne und der Selbstbehauptungswille der Gesellschaften nicht geweckt werde, könne Europa in den kommenden Auseinandersetzungen kaum bestehen, warnt Masala.
Zweifel an der Demokratie nehmen zu
Allgemein schwindet in vielen westlichen Gesellschaften das Vertrauen in Politik und Institutionen. Dieser Trend zeigt sich inzwischen auch in den Grundhaltungen zur Demokratie, erklärt Heinrich Oberreuter, Politikwissenschaftler und ehemaliger Direktor der Akademie für Politische Bildung. Die Zustimmung zur Demokratie liege in Deutschland derzeit nur noch bei ungefähr 23 Prozent und damit so niedrig wie zuletzt 1950. In den 1980er-Jahren hätten sich noch rund 85 Prozent der Bevölkerung klar zur Demokratie bekannt. Martin Schulze Wessel, Osteuropahistoriker an der LMU München, kennt eine Ursache für diese Entwicklung. Er erklärt, dass sogenannte "Kulturkampfthemen" - etwa Debatten über Abtreibung, Gender oder Ernährung - immer stärker würden. Solche Fragen ließen kaum Kompromisse zu: Man stimme zu oder lehne ab. Diese Polarisierung emotionalisiere die Politik und erschwere Verständigung über Parteigrenzen hinweg. Beide Wissenschaftler warnen, dass diese innere Erosion der Demokratie die Handlungsfähigkeit westlicher Staaten zusätzlich schwäche – und das gerade in einer Zeit, in der ihre Stabilität von außen bereits angegriffen werde.
Was muss die Bundesregierung tun?
Dass die Demokratien unter Druck geraten, liege jedoch nicht nur an inneren Konflikten oder an Desinformationskampagnen aus dem Ausland. Auch der militärische Krieg in der Ukraine bedrohe die Stabilität Europas, erklärt Schulze Wessel. Sollte die Ukraine ihre Souveränität verlieren, sei auch die europäische Sicherheitsstruktur und damit die Freiheit des Kontinents in Gefahr. Europa und die Ukraine stünden in einer Schicksalsgemeinschaft und diese Erkenntnis müsse politische Konsequenzen haben. Schulze Wessel betont, dass die Unterstützung für die Ukraine deshalb eine Aufgabe von höchster politischer Priorität sein müsse. Er beobachte aber auch, dass die Bundesregierung unter Friedrich Merz der Ukraine-Politik inzwischen mehr Gewicht beimesse.
Carlo Masala sieht ebenfalls mehr Verantwortung auf Deutschland und die Europäer zukommen, auch militärische. Technische Voraussetzungen wie die Reform der Schuldenbremse und das europäische "Rearm-Europe"-Paket seien geschaffen. Was jedoch fehle, sei die mentale Bereitschaft, diese Verantwortung auch zu übernehmen. Masala spricht in diesem Zusammenhang von der Notwendigkeit eines "pragmatischeren Westens" und schlägt vor, Verteidigungsfragen auch jenseits der Europäischen Union zu denken. Manche Staaten blockierten innerhalb der EU Entscheidungen. Es brauche also eine "Koalition der Willigen", also eine enge Zusammenarbeit von möglichst vielen EU-Staaten mit Nicht-EU-Partnern wie Großbritannien oder den skandinavischen Ländern. Auch die Türkei dürfe nicht aus dem Blick geraten, betont er. Deutschland komme dabei eine besondere Rolle zu, nicht nur wegen seiner wirtschaftlichen Stärke, sondern auch, weil es als einziger großer EU-Staat derzeit eine stabile Regierung habe.
Das Verhältnis zu Washington
Dass Deutschland diese Verantwortung übernehmen muss, liege auch daran, dass die USA als Partner nicht mehr so verlässlich seien wie früher, erklärt der Politikwissenschaftler und US-Amerikaner Jackson Janes. In Teilen der US-Politik dominiere ein Nullsummen-Denken, also die Vorstellung, Amerika könne nur gewinnen, wenn andere verlieren. Diese Haltung belaste die transatlantischen Beziehungen und setze ganz Europa zusätzlich unter Druck, sich stärker selbst zu behaupten. Solche Spannungen seien aber nicht neu, erinnert Janes. Schon früher hätten die USA Europa vorgeworfen, sich zu sehr auf amerikanische Sicherheitsgarantien zu verlassen. Unter Donald Trump habe sich diese Haltung jedoch deutlich verfestigt, vor allem getragen von seiner "Make America Great Again"-Bewegung.
Janes vergleicht die amerikanische Europapolitik in den vergangenen Jahrzehnten mit einem Ping-Pong-Spiel: Präsidenten mit starkem transatlantischem Engagement seien regelmäßig von Nachfolgern abgelöst worden, die sich aus Europa zurückziehen wollten. Unter Trump sei dieses Wechselspiel besonders deutlich geworden. Für den europäischen Kontinent bedeute das, dass man sich nicht mehr auf eine stabile Linie aus Washington verlassen könne. Stattdessen müsse Europa lernen, sich als eigenes politisches Subjekt zu begreifen, nicht nur als Objekt amerikanischer Politik, erklärt der US-Amerikaner.
Wie ein solcher Umgang aussehen kann, schildert der ehemalige außenpolitische Berater des Bundeskanzlers Helmut Kohls, Horst Teltschik. Er erzählt, dass Helmut Kohl die USA nicht um Erlaubnis bat, sondern sie lediglich darüber informierte, welche Schritte Deutschland plante. Oft suchte der Kanzler dann auch die Unterstützung der USA und erhielt sie. Diese Haltung habe funktioniert und zeige, dass eine Partnerschaft auf Augenhöhe möglich sei. Heute brauche es dafür aber wieder politische Klarheit, betont Teltschik: Deutschland müsse eigene Initiativen ergreifen, die USA zwar mit einbinden, aber nicht auf Signale aus Washington warten.

