"Es ist jetzt die Stunde der Europäer."
Europäische Sicherheitspolitik im Wandel
Es herrschen unsichere Zeiten in der europäischen Außenpolitik. Russlands Krieg gegen die Ukraine, die USA drohen - ganz im Sinne der "America First" Devise - sich zunehmend aus ihrer internationalen Unterstützer- und Beschützerrolle zurückzuziehen. Die Frage nach der Selbstbehauptung und der sicherheitspolitischen Zukunft der EU drängt sich auf. Antworten suchte daher der Jahresempfang "America first - Europa unter Druck. Neue Ausrichtung der europäischen Sicherheitspolitik?" der Akademie für Politische Bildung in Kooperation mit der Europa-Union München e.V., der Griechischen Akademie e.V., der Europäischen Akademie Bayern e.V., den Jungen Europäischen Föderalisten München e.V., der Deutsch-Hellenischen Wirtschaftsvereinigung e.V. und der Giesecke+Devrient GmbH.
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 28.07.2025
Von: Anna Berchtenbreiter / Foto: Loredana La Rocca
Programm: Jahresempfang: America first - Europa unter Druck.
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"Es gilt, die europäische Idee zu verteidigen, ohne naiv zu sein. Es gilt, unsere Werte zu verteidigen, ohne weltfremd zu sein" fordert Stavros Kostantinidis, Vorsitzender der Europa-Union München. Er stellt sich die Frage, wie die Zukunft der EU aussehen wird, sollte der transatlantische Schulterschluss nicht mehr bestehen. Eines steht für ihn fest: es braucht politischen Mut. Über genau diese Zukunft sprach Generalleutnant Wolfgang Wien, Deutscher Militärischer Vertreter bei der NATO und der EU, in seinem Impulsvortrag beim Jahresempfang "America first - Europa unter Druck. Neue Ausrichtung der europäischen Sicherheitspolitik?" der Akademie für Politische Bildung in Kooperation mit der Europa-Union München e.V., der Griechischen Akademie e.V., der Europäischen Akademie Bayern e.V., den Jungen Europäischen Föderalisten München e.V., der Deutsch-Hellenische Wirtschaftsvereinigung e.V. und der Giesecke+Devrient GmbH.
Wendepunkt der Geschichte
"Ich bin überzeugt, dass wir am Wendepunkt der Geschichte sind", erklärt Generalleutnant Wien. Doch diesen Wendepunkt müsse man annehmen - und nun handeln. Eine zentrale Frage sei für ihn, wie die NATO und auch die EU sich in einer Welt behaupten können, in der Konflikte längst nicht mehr nur physisch ausgetragen werden. Der Generalleutnant warnt: "Die Welt von morgen wird nicht nur durch Panzer entschieden, sondern durch Algorithmen und Cyberangriffe." Durch neue Technik könne plötzlich alles und jeder ein Ziel werden - "auch wir heute in München." Das gängige Konzept von "Peace - Crisis - Conflict" sei ersetzt worden durch "Competition - Crisis - Conflict".
Gefahr durch Russland
Trotzdem sei die Bedrohungslage real und greifbar. Die USA seien geografisch von vielen aktuellen Krisenherden entfern, die EU durch ihre wirtschaftliche und geografische Lage jedoch nicht. "Russland hat sich in die Lage gebracht, um die NATO zu bedrohen", warnt Wien. Nun dürfe man keine Zeit verlieren. Putin werde älter, aber sicher noch einiges erreichen wollen Laut Wien könnte eine mögliche russische Strategie unter dem Motto "Who can suffer more?" stehen - also "Wer kann mehr Leid ertragen?" Das individuelle Menschenleben spiele dabei in der russischen Kriegsführung offenbar eine untergeordnete Rolle. Russland verfüge über genügend Soldaten, um diese zermürbende Taktik durchzuhalten, ein strategischer Vorteil, dem weder die EU noch die USA im gleichen Maße begegnen können oder wollen.
Die Stunde der Europäer
Wie also mit dem wachsenden Druck umgehen? Für Wien ist klar: "Es ist jetzt die Stunde der Europäer." Denn um Krisen effektiv zu bewältigen, brauche man alle Machtelemente - und die EU habe sie alle. Nun müsse die EU vorangebracht werden, und Deutschland sei bereit, in einigen Bereichen die Führung zu übernehmen.
Ein weiterer wichtiger Punkt sei die enge Zusammenarbeit von NATO und EU. Für den Generalleutnant stellt sich ein Imperativ in drei Bereichen dar:
- eine enge Kooperation von EU und NATO
- eine Neuausrichtung der EU
- und mehr Investitionen.
Hier sieht Wien besonders Deutschland in der Pflicht: "Alle erwarten, dass Deutschland vorangeht. Wir müssen Stärke zeigen und zeigen, was uns die Freiheit wert ist."
Man müsse nun Haltung zeigen, fordert Wolfgang Wien, und eventuell auch ein bisschen bösgläubiger werden. Russland bereite sich auf einen Krieg vor, China auf einen Konflikt. Und doch der Generalleutnant sieht Hoffnung als entscheidenden Antrieb. "Wir sind nicht schwach. Demokratien sind zwar etwas langsam, aber entwickeln eine andere Kraft als Autokratien.", erklärt er. Freiheit zu haben, sie zu bewahren und für sie kämpfen, das sei ein wichtiger Faktor.

