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Was bleibt von der Idee der sozialökologischen Wirtschaft?

Akademiegespräch über Reformdruck, Zielkonflikte und gesellschaftliche Teilhabe

Energiewende, Klimakrise, Wohnungsnot - die gebaute Umwelt steht enorm unter Druck. Was es heute bedeutet, sozial, ökologisch und marktwirtschaftlich zu denken, diskutierte der bayerische Staatsminister für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie Hubert Aiwanger gemeinsam mit der Beauftragten für Kooperationen und Networking der Bauingenieur-Fachschaften-Konferenz (BauFaK) Lena Weigl und dem Bauunternehmer Dr. Ernst Böhm. Das Akademiegespräch am See war Teil der Tagung "Transformationen - Trägheitskräfte - Veränderungserschöpfung: Die Gesellschaft in der gebauten Umwelt" der Akademie für Politischen Bildung und der Bayerischen Ingenieurkammer-Bau.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 05.06.2025

Von: Rebecca Meyer / Foto: Rebecca Meyer

Programm: Transformationen - Trägheitskräfte - Veränderungserschöpfung: Die Gesellschaft in der gebauten Umwelt

Transformationen – Trägheitskräfte – Veränderungserschöpfung: Die Gesellschaft in der gebauten Umwelt

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.

"Sozial, ökologisch, marktwirtschaftlich - das ist ein Zieldreieck. Oder auch ein Zielkonflikt." Mit dieser Formel skizziert Hubert Aiwanger, Bayerischer Staatsminister für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie, zu Beginn des Akademiegesprächs am See ein Spannungsfeld, das aktuelle politische Diskussionen prägt. Wie lässt sich der Anspruch ökologischer Nachhaltigkeit mit sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Tragfähigkeit verbinden? Und was bedeutet das konkret - etwa im Wohnungsbau oder bei der Energieversorgung? Das Gespräch war Teil der Tagung "Transformationen - Trägheitskräfte - Veränderungserschöpfung", der Akademie für Politische Bildung und der Bayerischen Ingenieurkammer-Bau, die sich mit der Frage beschäftigte, wie sich gesellschaftlicher Wandel in der gebauten Umwelt gestalten lässt. Gemeinsam mit der Bauingenieurswesen-Studentin Lena Weigl und dem Bauunternehmer Dr. Ernst Böhm diskutierte Aiwanger über die Frage, ob die Idee einer sozialökologischen Marktwirtschaft noch tragfähig oder eine längst gescheiterte Utopie sei.

Zwischen Anspruch und Realität: Politik im Balanceakt

Aiwanger richtet dabei den Blick weniger auf die Prinzipien der sozialökologischen Marktwirtschaft als auf die Herausforderungen ihrer politischen Umsetzung. Ambitionierte ökologische und soziale Ziele stießen in einer globalisierten Wirtschaft schnell an Grenzen. Das macht der Wirtschaftsminister am Beispiel der Energiepolitik deutlich: "Wenn ein amerikanischer Präsident auf fossile Energie setzt, dann können wir uns in Deutschland weniger Ökologie leisten, weil wir sonst unter die Räder kommen." Die Frage, was unter den gegebenen Bedingungen realisierbar ist, bleibe deshalb immer auch abhängig von internationalen Entwicklungen und wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit. Entscheidend sei letztlich auch, ob Maßnahmen gesellschaftlich getragen würden: "Wir dürfen die Menschen nicht überfordern - sonst verlieren wir die Mehrheit, die wir für Veränderungen brauchen."

Bildung als Fundament der Transformation

Auch Lena Weigl, Beauftragte für Kooperationen und Networking der Bauingenieur-Fachschaften-Konferenz (BauFaK), sieht in der gesellschaftlichen Akzeptanz eine zentrale Voraussetzung für eine gelingende Transformation - und rückt dabei das Bildungssystem in den Mittelpunkt. Die sozialökologische Marktwirtschaft sei nur dann tragfähig, wenn sie von möglichst vielen mitgestaltet werden könne. Dafür brauche es Bildung, und zwar gerecht verteilt. Denn nach wie vor hänge der Zugang zu Hochschulbildung stark vom Elternhaus und Wohnort ab, sagt Weigl. Ohne Bildungsgerechtigkeit blieben viele ausgeschlossen - nicht nur vom Arbeitsmarkt, sondern auch von gesellschaftlicher Mitverantwortung. Gleichzeitig fehlten vielerorts die strukturellen Grundlagen: marode Gebäude, fehlende Barrierefreiheit, ineffiziente Energietechnik. Auch das BAföG-System hält sie für reformbedürftig. Für die Bauingenieurswesen-Studentin ist klar: "Modernisierung ist kein Luxus, sondern Voraussetzung für gute Lehre".

Neben der Frage nach gerechter Bildung verweist Weigl auch auf die inhaltliche Ausrichtung der Lehre. Nachhaltigkeit müsse systematisch in den Studienalltag integriert werden - nicht nur als fachlicher Inhalt, sondern als Querschnittsthema. Gefordert seien interdisziplinäre Zusammenarbeit, Transformationskompetenz und Kommunikationsfähigkeit. "Ich muss jemandem Fachfremden erklären können, warum meine technische Lösung notwendig ist", sagt Weigl. Denn: Wer die ökologische Transformation nicht nur umsetzen, sondern auch erklären könne, finde eher gesellschaftliche Unterstützung.

Ohne moderne Lernorte und bezahlbares Wohnen, so ihr Fazit, bleibe Bildungsgerechtigkeit eine Illusion - und mit ihr die Grundlage dafür, dass ökologische Transformation gesellschaftlich mitgetragen werden kann. Optional sei dieser Wandel jedoch nicht: "Wenn wir heute nicht konsequent ökologisch umbauen, gefährden wir die Lebensgrundlagen meiner und kommender Generationen."

Blick aus der Baupraxis: Wo das Zieldreieck kippt

Wer über soziale Gerechtigkeit spricht, müsse auch über Mieten reden, sagt der Bauunternehmer Dr. Ernst Böhm. Bezahlbarer Wohnraum sei eine Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe, auch im Alter. "Wohlstand ist nicht, wenn man von 1.800 Euro Rente 1.500 für Miete zahlt und aufs Sozialamt muss", stellt er mit Blick auf die Realität vieler Rentnerinnen und Rentner fest.

Am Beispiel des Wohnungsbaus wird für Böhm besonders deutlich, wie schwer es ist, soziale, ökologische und wirtschaftliche Anforderungen gleichzeitig zu erfüllen.  Das Zieldreieck aus sozialer Gerechtigkeit, ökologischer Nachhaltigkeit und wirtschaftlicher Tragfähigkeit sei in der Praxis kaum realisierbar: "Wir erleben Zielkonflikte auf jeder Ebene" - etwa beim Versuch, nachhaltige Standards umzusetzen und gleichzeitig bezahlbar zu bauen. Ein zentraler Kostentreiber seien dabei staatlich bedingte Preisbestandteile. "In München kostet der Quadratmeter Wohnraum rund 10.000 Euro - davon entfallen etwa 6.000 Euro auf staatlich verursachte Kosten", rechnet Böhm vor. Gemeint sind unter anderem Grunderwerbsteuer, Mehrwertsteuer, hohe Grundstückspreise infolge politischer Flächenvergabe sowie Mehraufwand durch Normen und langwierige Genehmigungsverfahren. Die eigentlichen Baukosten machen am Ende nur einen Teil der hohen Preise aus.

Gleichzeitig zeigt Böhm, dass es auch anders gehen kann: In Bad Aibling hat seine Baugruppe ein klimapositives Modellquartier entwickelt. Möglich sei das nur durch eine integrale Herangehensweise, die alle Phasen des Bauens - von der Planung über die Ausführung bis hin zu Betrieb und Rückbau - von Anfang an berücksichtigt, verbunden mit praxisnahen Entscheidungen und vereinfachten Genehmigungswegen. Er plädiert für eine Rückbesinnung auf ganzheitliches Bauen und fordert mehr Handlungsspielraum für die Ausführenden.

Auch Hubert Aiwanger bekräftigt diese Forderung nach mehr Flexibilität im Bauwesen und verweist auf bestehende Reformansätze wie den Gebäudetyp E. Dieser reduziert technische und bürokratische Anforderungen und stärkt die Rechtssicherheit für Planende. Zusätzlich könne mehr Holzbau dabei helfen, die ökologische Bilanz zu verbessern, ohne die Baukosten weiter steigen zu lassen.

Ob BAföG-Reform, nachhaltige Hochschullehre oder bauliche Reformen - es mangelt nicht an Ideen, wie sich ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele besser miteinander verbinden lassen. Klar wird: Die sozialökologische Marktwirtschaft ist weder abgeschlossen noch gescheitert. Sie bleibt ein offener Prozess - zwischen ökologischen Grenzen, ökonomischen Rahmenbedingungen und gesellschaftlicher Verantwortung.

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