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Was hat Esoterik mit Radikalisierung zu tun?

Episode 28 unseres Podcasts mit Gero Kellermann

Esoterik wird in der öffentlichen Wahrnehmung oft nur mit spirituellen Praktiken in Verbindung gebracht, die sich auf persönliche Erleuchtung, Heilung und das Streben nach innerer Balance konzentrieren. Doch immer wieder ist die Esoterik ein Einfallstor für Verschwörungsideologien und rechte Weltbilder. Wo also endet harmlose Sinnsuche und wo beginnt die Gefahr für unsere Demokratie?

Tutzing / Podcast / Online seit: 06.05.2025

Von: Anna Berchtenbreiter / Foto: APB Tutzing/ Mungujakisa Edmond via Canva.com

Programm: Esoterik im Netz: Harmlose Lebenshilfe oder Treiber der Radikalisierung?

Podcast

In dieser Podcast-Folge blicken Gero Kellermann und Anna Berchtenbreiter auf die Tagung "Esoterik im Netz: Harmlose Lebenshilfe oder Treiber der Radikalisierung?" zurück. Mithilfe ausgewählter Vortragsmitschnitte gehen sie der Frage nach: Was hat Esoterik mit Radikalisierung zu tun? Im Fokus steht dabei insbesondere die Rolle sozialer Medien - und wie sie als Katalysator für Radikalisierungsprozesse wirken können.

Gero Kellermann: Ich denke, man muss darauf achten, dass man diese Mechanismen kennt, wenn man diese esoterischen Angebote nutzt oder möglichst kennt, dass man zumindest darüber aufklärt, wie diese Prozesse verlaufen. Das heißt hier nicht "Hände weg von Esoterik" oder dergleichen, aber dass man einen reflektierten Umgang hat, was da vielleicht gerade passiert und welche schleichenden Entwicklungen das haben kann, dieser Konsum von dem esoterischen Angebot, dass das überführbar ist auf andere Inhalte.

Anna Berchtenbreiter: Hallo und herzlich willkommen bei unserem Podcast "Akademie fürs Ohr". Mein Name ist Anna Berchtenbreiter und ich bin die Pressereferentin der Akademie und mir gegenüber sitzt heute Gero Kellermann. Der ist unser Dozent für Staats- und Verfassungsrecht und Rechtspolitik. Gero, vor kurzem hatten wir ja die Tagung "Esoterik im Netz: Harmlose Lebenshilfe oder Treiber der Radikalisierung" bei uns. Bevor wir jetzt tiefer einsteigen: Was war denn dein Bezug zur Esoterik davor? Also was hast du dir vor der Tagung dazu gedacht?

Gero Kellermann: Ich selbst hatte zuvor keine großen Berührungspunkte mit Esoterik. Das war für mich eigentlich fast ein ganz neues Thema. Wir hatten das in der Akademie einmal angesprochen im Zuge der Corona Pandemie, als sich gezeigt hat, dass viele Verschwörungstheorien auch aus dem Bereich der Esoterikszene kamen, gerade auch im Zusammenhang mit den Querdenkern. Aber das war es dann eigentlich schon. Und die erste intensive Beschäftigung mit Esoterik und die Bedeutung, die sie für die Radikalisierung zum Beispiel haben kann, war tatsächlich diese Tagung.

Anna Berchtenbreiter: Ich persönlich hatte vorher eher mit diesen kleinen Esoterikläden, zu tun, wo es immer ein bisschen nach Räucherstäbchen riecht. Und ich habe ja auch TikTok, das heißt, ich muss auch sagen, Videos über Kristalle und dieses WitchTok, also dieses Hexen-TikTok, da habe ich auch Videos gesehen, die waren auch auf meiner For You Page. So harmlos das jetzt auch alles erstmal wirkt, wenn man sich das so anschaut und oft auch ist - das ist jetzt hier ein Disclaimer - also es ist auch oft ganz harmlos, aber das ist es nicht immer. Und Esoterik kann ein Einfallstor zu einer Welt der Desinformation sein, Verschwörungsmythen, Antisemitismus und eben auch Rechtsextremismus. Du hast es schon so ein bisschen angedeutet, da gibt es bestimmte Pipelines und auch Radikalisierungsgefahren und über genau die reden wir heute. Vielleicht magst du noch kurz erklären, Gero: Was war denn das Ziel der Tagung? Also worum ging es genau bzw. wie seid ihr denn da überhaupt draufgekommen?

Gero Kellermann: Also Hintergrund für diese Tagung ist die gemeinsame Kooperation der Akademie mit der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit und dem Bayerischen Volkshochschulverband, die unter der Überschrift steht "Demokratie im Gespräch". Wir machen normalerweise circa acht-neun Mal im Jahr eine Onlineveranstaltung und suchen uns verschiedene Themen aus, die im Zusammenhang mit Digitalisierung stehen. Das können ganz verschiedene sein: Meinungsfreiheit im Internet, Datenschutz, die gesellschaftliche Macht von Tech-Unternehmen. Und einmal im Jahr machen wir hier in Tutzing in der Akademie für Politische Bildung eine Präsenztagung. Und da haben wir uns natürlich überlegt, was nehmen wir denn als aktuelles Thema dieses Mal? Und genau diese Entwicklung, die du eben gezeigt, diese immer stärker werdende Präsenz von esoterischen Inhalten auf TikTok zum Beispiel und insgesamt, das hat uns dann doch aufhorchen lassen, dass wir uns dieses Thema einfach mal näher anschauen. Es ging uns jetzt nicht darum, alternative Lehren zu diskriminieren, die man für irrational hält. Aber wir haben doch gesehen, da passiert gerade was in diesem Bereich, gerade auch im Zusammenhang mit der Digitalisierung und das war dann ausschlaggebend dafür, dass wir uns das als Tagungsthema gewählt haben.

Esoterik und Radikalisierung im Netz

Anna Berchtenbreiter: Das klingt auf jeden Fall super spannend und wir schauen uns das jetzt mal genauer an, vor allem diese Radikalisierung in Bezug auf Social Media. Darüber hat auch Anna Sophie Kümpel vom Institut für Kommunikationswissenschaften und Medienforschung der LMU München gesprochen. Und in den Vortrag hören wir jetzt kurz mal rein.

Anna Sophie Kümpel: Zunächst noch mal zur Bedeutung oder zum Zusammenhang zwischen esoterisch und spirituellen Inhalten und Social Media Plattformen. Wir sehen in aktuellen Daten, dass spirituelle und esoterische Inhalte auf Social Media Plattformen eine zunehmende Präsenz erfahren. Insbesondere unter jungen Menschen sind Angebote wie Meditation, Yoga oder Selbstfürsorge Tipps sehr gefragt. Häufig werden solche Inhalte von sogenannten Sinnfluencer:innen bereitgestellt, die eben über Plattformen wie TikTok oder Instagram mittlerweile eine breite Anhängerschaft erreichen. Das ist an sich jetzt erst mal unproblematisch und in vielen Fällen sicherlich sogar positiv für die Nutzer:innen. Wir denken daran ja, Yoga, mehr Bewegung, Meditation, mehr Achtsamkeit, vielleicht auch mehr Introspektion. Allerdings, und das haben wir gerade auch schon gehört, ist der Weg dann eben auch nicht weit zum Legen von Tarotkarten, zur Nutzung vermeintlicher Heilkristalle oder auch zur Selbstoptimierung mithilfe von Zauberkraft. Was wir eben auch an der Popularität von Hashtags wie CrystalTok, was sich mit Kristallen beschäftigt oder auch WitchTok, was ja gerade auch schon erwähnt wurde, zeigt, wo eben vermeintliche Zauberkraft thematisiert wird. Hier zeigt sich dann auch sehr schön die große Nähe zwischen Spiritualität auf der einen Seite und Verschwörungsglauben auf der anderen. Und diese Nähe wird in der Forschung auch der Begriff häufig als "Conspirituality" bezeichnet, Kofferwort aus "Conspiracy" für Verschwörung und "Spirituality" für Spiritualität. Übergeordnete Merkmale dieses Phänomens sind unter anderen ein Misstrauen gegenüber Autoritäten, der Glaube an verborgene Wahrheiten, die es aufzudecken gilt, und Kritik an Technologie, an moderner Medizin und eben auch Wissenschaft, was sehr gut die Nähe und auch die ideologischen Anknüpfungspunkte an rechte Ideen aufzeigt. Eine solche rechte Esoterik ist bei weitem kein neues Phänomen. Es gab auch historisch betrachtet immer wieder Verflechtungen zwischen esoterischen und rechten Bewegungen. Allerdings lässt sich eben feststellen, dass entsprechende Bewegungen und auch das dazugehörige Gedankengut, insbesondere eben seit der Corona Pandemie wieder im Aufwind sind und sich nicht zuletzt auf Social Media Plattformen verbreitet werden und dort eben eine besondere Präsenz erfahren.

Anna Berchtenbreiter: Also zur genaueren Wirkungsweise von Social Media kommen wir ja noch mal gleich. Warum glaubst du, ist Esoterik eigentlich überhaupt so beliebt im Moment?

Gero Kellermann: Wir sind von vielen Krisen umgeben. Viele Menschen suchen Halt, suchen Orientierung. Man denkt da vielleicht an die Institution Kirche, die da auch Angebote bereitstellt oder Anlaufstelle ist. Da sehen wir, die Mitgliederzahlen gehen zurück. Da ist irgendwie ein Markt frei geworden, da stoßen dann andere rein und das mit auch Unterstützung von Social Media. Die Logik dieser Systeme kann man in dem Bereich eben auch sehr gut nutzen, gerade auch mit Blick auf den gesellschaftlichen Megatrend der Individualisierung. Man kann für sich zugeschnittene, auf sich zugeschnittene Angebote dort finden, sich zusammenstellen in diesem sehr großen und immer größer werdenden Esoterikmarkt. Das sind sicherlich Vorteile, Strukturvorteile, die dazu führen, dass dieser Zugang eine immer größere Verbreitung findet.

Anna Berchtenbreiter: Glaubst du, dass das die Radikalisierung dann auf der anderen Seite auch noch leichter macht? Dieses: man sucht sich das so ein bisschen zusammen, man hat ganz viele Angebote, es ist sehr individuell. Glaubst du, das macht es irgendwie noch einfacher?

Gero Kellermann: Sicherlich sind die Social Media nicht der alleinige Auslöser für Radikalisierung. Aber es finden sich doch auch, das hat ja die Frau Professorin Kümpel eben hervorgehoben, Anknüpfungspunkte. Gerade wenn man sich anschaut, dass die Esoterik oft so antiinstitutionell ausgerichtet ist, also skeptisch ist gegenüber der Wissenschaft, den Medien oder eben auch organisierten Formen von Religion. Man hat da eigene Konzepte, die man dem entgegenstellt und einen Erkenntnisinhalt hat, der jetzt nicht von diesen Institutionen kommt, sondern die man mit einer Art Überwissen hervorbringt. Und wenn man das über Videoportale, Hashtags usw. verbreiten kann, dann ist das so ein Anknüpfungspunkt tatsächlich auch für radikale Ideen.

Verschwörungstheorien und Radikalisierung

Anna Berchtenbreiter: Du hast es jetzt schon so ein bisschen angedeutet, diese Nähe zu Verschwörungstheorien, oder dass das halt schnell auch mit rein gewoben wird. Kannst du noch mal erklären, wie das zusammenhängt?

Gero Kellermann: Man hat das ja gesehen während der Corona Zeit, als das entstand. Auch diese Verschwörungstheorien mit Blick auf eine globale Elite oder böse Drahtzieher, die das Virus in die Welt gesetzt haben. Da ist man dann auch schnell beim Antisemitismus. Insgesamt wird da auf der einen Seite das korrupte Mainstreamwissen gesehen und auf der anderen Seite ein Gegenwissen entgegengestellt. Das hat auf der Tagung auch eine Rolle gespielt, der Professor Strube hat das auch näher bearbeitet. Und wenn das mit Social Media in Kontakt kommt, dann steigert das die Wirkkraft.

Radikalisierung auf Social Media

Anna Berchtenbreiter: Es ist gut, dass du jetzt Social Media noch mal ansprichst. Es ist ja so, dass die Forschung zeigt, dass so wie Social Media Plattformen funktionieren, ihre Funktionslogiken, ihre Merkmale tatsächlich politische Radikalisierungsprozesse beeinflussen können. Und da gibt es vier verschiedene Faktoren, die auch Anna Sophie Kümpel vorgestellt hat, wie sozusagen Social Media diese Radikalisierungstendenzen auch nochmal verstärkt bzw. wie das funktioniert. Ich werde jetzt mal die ersten zwei Punkte zusammenfassen. Also das erste ist die Anonymität, die erlebte Anonymität, die immer wieder als Faktor mit reingebracht wird. Es ist tatsächlich so, dass es Zusammenhänge gibt zwischen Anonymität und verstärkten Äußerungen von extremistischen Ansichten. Die Forschung zeigt nämlich, dass dieses Gefühl von Anonymität, das man im Internet ja schnell hat, die Hemmschwelle für ein sogenanntes normabweichendes Verhalten senkt. Das heißt kurz gesagt: Menschen zeigen online Verhaltensweisen, die sie im echten Leben nie so zeigen würden, weil sie denken "Na ja, ich bin ja auch anonym. Das wird hier jetzt niemand mitbekommen." Das gibt ihnen so ein bisschen die Möglichkeit auszuprobieren, diese radikalen Ideologien, ohne dass die Angst haben, dass es irgendwelche sozialen oder rechtlichen Konsequenzen geben wird. Auf der anderen Seite gibt es dann den Faktor Sichtbarkeit, der ist da ganz eng mit verbunden. Das hört sich jetzt erst mal komisch an - wir reden erst von Anonymität, dann reden wir von Sichtbarkeit. Aber Sichtbarkeit ist auf zwei sehr unterschiedlichen Ebenen relevant. Also einerseits ist es so, dass radikale Akteure Social Media Plattformen ganz gezielt nutzen um externe Sichtbarkeit herzustellen, um für ihre eigenen Inhalte Reichweite zu bekommen, und dass sie öffentlich wahrgenommen werden können. Und da ist das primäre Ziel, dass man das verbreitet und populär macht, diese eigenen Ideen, aber eben auch auf lustige Art manchmal rüberbringt. Memes oder kurze TikTok Videos, wo eher gelacht wird, Songs genutzt werden. Da geht es ja nicht nur um Informationsvermittlung, sondern auch, dass man relatable ist. Und andererseits geht es im Internet auch viel um interne Sichtbarkeit. Man sieht, wer es noch Mitglied dieser Gruppe. Das sind dann eher geschlossene Social Media Gruppen oder eben auf Messenger Apps wie zum Beispiel Telegram und WhatsApp. Und da geht es darum, dass man diese sozialen Bündnisse stärkt und so sich angleicht, was die Meinungen angeht. Und dann eben aber auch für Aktionen, die dann wieder die externe Sichtbarkeit betreffen, mobilisiert und sagt "Wie treten wir jetzt nach außen, wie erreichen wir die Leute?" Und die anderen zwei Faktoren, da hören wir es nochmal rein in den Vortrag von Frau Kümpel.

Anna Sophie Kümpel: Ein ganz wesentlicher Faktor und der wahrscheinlich auch das spezifischste ist, was wir jetzt hier im Kontext sozialer Medien diskutieren, ist die Personalisierung und die damit zusammenhängende algorithmische Verstärkung. Es ist für Sie alle nichts Neues, wenn ich Ihnen erzähle, dass alle modernen Social Media Plattformen ihr Angebot personalisieren, basierend eben unter anderem auf Interessen und Präferenzen der Nutzerinnen, wodurch eben auch bevorzugt Inhalte ausgespielt werden, die bestehende Interessen widerspiegeln. Und dies wiederum kann, das zeigt auch die Forschung, einen selbst verstärkenden Kreislauf in Gang setzen, der schließlich auch Radikalisierung begünstigen kann. Wer sich beispielsweise für alternative Heilmethoden interessiert, bekommt durch die Logik von Social Media Algorithmen häufig dann auch schnell Inhalte zu Impfkritik oder zur 5G-Angst angezeigt und läuft so zumindest potenziell Gefahr, eben immer stärker auch mit Verschwörungsmythen konfrontiert zu werden. Dazu kommt etwas, was auch ein sehr spannender Aspekt ist und von Cotter und Kolleginnen als "algorithmic conspirituality" bezeichnet wird. Den Begriff "Conspirituality" haben wir ja gerade schon erwähnt. Hier wird er aber ein bisschen im anderen Kontext verwendet. Und zwar ist damit bezeichnet oder gemeint, dass viele Social Media Nutzerinnen gerade im Kontext von TikTok den Algorithmus als fast schon eine Art schicksalshafte Kraft wahrnehmen und den ausgespielten Content, also alles, was sie dann auf ihrer ForYouPage sehen, quasi als persönliche Offenbarung. Tatsächlich wird so was häufig auch durch Inhaltsersteller noch weiter forciert, die oft ihre Videos oder Beiträge beginnen dann mit Worten wie „Wenn du das hier siehst, dann ist das ein Zeichen des Universums“ oder „Dass dieser Post aus den Millionen von Posts, die es gibt, dich erreicht hat, das bedeutet etwas“ und so eben auch r versuchen zumindest den Inhalten noch mehr Wert zu geben und das Ganze aufzuladen. Und wenn eben auch schon so eine Anfälligkeit für solche universellen Fügungen bei den Nutzerinnen besteht, kann es dadurch eben noch mal eine besondere Wirkmächtigkeit entsprechend erhalten. Und schließlich wissen wir ganz generell, dass Social Media Algorithmen Inhalte mit einer hohen Emotionalität und auch Inhalte, die besonders polarisierend sind, dass die Algorithmen solche Inhalte besonders mögen und somit eben auch verstärkt an andere Nutzerinnen und Nutzer ausspielen. Diese Merkmale sind natürlich auch solche, die häufig auch auf rechte Esoterik oder Verschwörungserzählungen zutreffen, was diese dann noch mal besonders begünstigen kann in der Ausspielung. Und der letzte Punkt, auf den ich jetzt noch kurz eingehen möchte, ist das Soziale sozialer Medien das natürlich auch eine ganz zentrale Rolle spielt. Social Media Plattformen ermöglichen natürlich den Aufbau, die Aufrechterhaltung von virtuellen Gemeinschaften, wodurch kollektive Identitäten und bisweilen auch so ein Wir-gegen-die-Gefühl entstehen kann, was zum Teil eben auch ganz bewusst aufgebaut wird, um - ich hatte ja beim Punkt Sichtbarkeit erwähnt - diese internen Homogenisierungsprozesse, um die so ein bisschen zu forcieren und auch weiter auszubauen, auszugestalten. In diesem Kontext, auch das hatte ich bereits angeteasert, sind eben vor allem auch Influencer:innen relevant. Und hier zeigen Studien durchaus, dass auch vermeintlich harmlose Wellness-Influencerinnen rechte Narrative bedienen und so natürlich auch ein Einfallstor für extremere Inhalte und Botschaften schaffen können. Und gefährlich ist das vor allem dann, wenn die Nutzerinnen diese Influencer:innen schätzen, vielleicht auch schon eine Art Beziehung zu den aufgebaut haben, weil sie sehr häufig Inhalte von den Personen konsumieren, weil die Forschung dann zeigt, dass dann eben auch die Inhalte, die verbreitet werden, ja besonders wahrgenommen werden und somit natürlich potenziell auch eine besondere Wirkkraft haben können, was ihr Wirkpotenzial dann natürlich entsprechend erhöht.

Radikalisierungsmechanismen

Anna Berchtenbreiter: Also ich fasse jetzt noch mal diese Faktoren zusammen. Es gibt die erlebte Anonymität, die Sichtbarkeit - intern wie extern - die Personalisierung und Emotionalität und das Soziale der sozialen Medien. Worauf denkst du, muss man ein bisschen achten?

Gero Kellermann: Ich denke, man muss darauf achten, dass man eben auch diese Mechanismen kennt, wenn man diese esoterischen Angebote nutzt oder möglichst kennt, also dass man zumindest darüber aufklärt, wie diese Prozesse verlaufen. Es heißt hier nicht "Hände weg von Esoterik" oder dergleichen, aber dass man so einen reflektierten Umgang hat, was da vielleicht gerade passiert und welche schleichenden Entwicklungen das haben kann, dieser Konsum von dem esoterischen Angebot, dass das überführbar ist auf andere Inhalte.

Anna Berchtenbreiter: Genau das ist ein ganz guter Einwurf, der hier kommt: Nicht alle Esoterik ist schlecht, das wollen wir auch noch mal gesagt haben. Aber es ist halt so, dass da schnell mal rechtsextreme Narrative mit reinfließen. Wir haben es ja auch gerade schon gehört, man hat sehr niedrigschwelligen Content, es geht um Wellness, es geht um Selbstverwirklichung, es geht vielleicht auch um alternative Heilungsmethoden. Und dann rutscht das manchmal schon schnell ab, dass man plötzlich antisemitische oder rechtsextreme Narrative darin findet. Das ist alles sehr, sehr schleichend, darauf sollte man achten. Ich glaube, diese vier Faktoren treffen nicht nur auf Esoterik zu, sondern glaube ich allgemein auf Content, auf Radikalisierungscontent. Aber wir gucken heute natürlich auch vor allem auf die Esoterik. Schätzt du da die Gefahr hoch ein, Gero?

Gero Kellermann: Es gibt ja Studien, Frau Kümpel hat ja die auch erwähnt, die belegen können, dass sozusagen ein schleichender Prozess hin zur Radikalisierung erfolgen kann, mit dem man vielleicht am Anfang, als man dieses esoterische Angebot aufgerufen hat, gar nicht gerechnet hat oder rechnen konnte. Und eine Gefahr, die ich so ein bisschen sehe, durch diese starke Präsenz dieser Inhalte, dass auch gerade eben diese radikalisierungsnahen oder radikalisierungsgefährdenden Angebote mehr oder weniger zur Normalität werden, dass das letztlich die, was dahinter steht, verharmlost. Also durch diese starke Medienpräsenz oder eben gerade in den Social Media, dass da so eine Normalität kommt, die man eigentlich nicht so unreflektiert dastehen lassen sollte.

Esoterik und Rechtsextremismus

Anna Berchtenbreiter: Wir haben ja schon öfter gehört, dass das ein Problem wird, dass Sachen gesagt werden und die dadurch, dass sie in einem etwas unaufdringlichen Gewand kommen oder auch in einem lustigen Gewand, also Memes oder eben in Form von der Wellnessinfluencerin, die mir normalerweise erklärt, wie ich meine Yogapose gut halten kann, dann nicht so krass rüberkommen, aber am Ende eben doch schon zum Teil die Verbindung zum Rechtsextremismus da ist. Darüber wurde ja wirklich sehr viel gesprochen in der Tagung, also diese Verbindung von Esoterik und Rechtsextremismus. Und deshalb hören wir jetzt mal rein in den Vortrag von Matthias Pöhlmann. Der ist nämlich der landeskirchliche Beauftragte für Sekten und Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.

Matthias Pöhlmann: Seit Mitte der 1990er Jahre können wir eine spezifische Form rechter Esoterik beobachten, die über Bücher, Social Media und Videoplattform kräftigen Aufwind erlebt. Deren Anhänger inszenieren sich über die Verbreitung von Feindbildern und Schwarz-Weiß-Denken als aufgewacht, spirituell Überwissende in Abgrenzung zum verhassten Mainstream. Vor allem Social Media und Videoportale bilden die digitalen Echokammern rechter Esoterik, in denen sich gleiche Ansichten gegenseitig verstärken, was wiederum Verschwörungserzählungen anfacht. Manche sprechen von Brandbeschleuniger für Verschwörungserzählungen. Mit der Bezeichnung rechte Esoterik soll in Anlehnung an den Begriff Neue Rechte ein informelles Netzwerk von Personen, Bewegungen und Gruppen bezeichnet werden, in dem esoterikaffine, antiliberale und verschwörungsideologische Kräfte zusammenwirken. Ihre Akteure bedienen sich esoterischer Ideen, um antidemokratisches Gedankengut zu verbreiten. Und es gibt eben hierzulande eine Vielzahl rechts-esoterischer, alternativer Medien und Verlage, die das Gedankengut massiv unter die Menschen bringen. Sehr häufig ist vom Erwachen die Rede. Ein Begriff, der auch in rechten Bewegungen wie QAnon eine Rolle spielt. Anschlussfähig natürlich an diese Erweckungsbewegungen "Awakening" des 19. Jahrhunderts in den USA, aber gleichzeitig ein Schlüsselbegriff alternativer Spiritualität. Von einer höheren Warte aus glauben Erleuchtete, Wissende, die Dinge grundlegend anders einschätzen zu können. Erwachte fühlen sich der Gesellschaft, der Gemeinschaft, der Religion und dem Staat enthoben, wie es etwa in einem Telegram-Post heißt, und sind damit grundsätzlich unbestechlich und nicht manipulierbar. Deshalb sind rechte Esoteriker vielfach auf alternativen Plattformen oder in Telegram unterwegs um einer angeblich drohenden Zensur zu entgehen. Oftmals wird damit geworben, dass die eigenen Meldungen unzensiert seien und unterdrückte Inhalte präsentieren würden.

Anna Berchtenbreiter: Matthias Pöhlmann hat ja jetzt gerade schon angedeutet, dass es einerseits so etwas gibt wie so eine rechte Esoterik und andererseits sich rechte Akteure auch esoterischer Ideen bedienen und das als Einfallstor nutzen. Also das ist ja jetzt auch das, was wir gerade eben schon besprochen haben, dieser schleichende Prozess, das so zu verstecken und dann sozusagen so eine Pipeline oder einen Trichter zu machen. Ich glaube, Judith Bodendörfer, die ja das Projekt der bpb zum Thema Verschwörungsideologien leitet, die hat in ihrem Vortrag ja auch so etwas Ähnliches erwähnt und hat da auch den Begriff "Mosaik-Rechte" genannt. Kannst du das vielleicht kurz erklären, Gero?

Mosaik Rechte

Gero Kellermann: Judith Bodendörfer hat das erklärt. Das ist ein Wort, "Mosaik-Rechte", aus dem AfD-Kontext und meint, dass man Rechtsradikalismus aus unterschiedlichen Milieus speist, sozusagen. Und übers Internet, über Social Media kann man ganz gut testen oder austesten, wer denn darauf anspringen könnte. Gerade jetzt Esoterikszene, die vielleicht für alternative Medizin steht, was jenseits ist von der anerkannten Wissenschaft oder der etablierten Wissenschaft, eine Szene, die auch gewisse Institutionen in Frage stellt oder skeptisch gegenüber diesen Institutionen ist. Und wenn man sich damit befasst, also reinkommt in die Szene, kann man ja schauen, ob man die Anhänger oder diejenigen, die das nutzen auf seine eigene Seite, auf seine eigene radikale oder gar extreme Seite ziehen kann.

Anna Berchtenbreiter: Das erinnert mich jetzt irgendwie an zwei Sachen: einerseits so ein bisschen an die Querdenker-Bewegung, wo es ja, glaube ich auch dann Querverbindungen gab und andererseits eigentlich an Marketingtechniken, oder? Also man kommt dann auf eine Webseite - also das war glaube ich das Beispiel, das Judith Bodendörfer gebracht hat – da ist eine Webseite für alternative Heilmethoden und für Esoteriksachen, wo man dann aber auch irgendwann auf rechtsextreme T-Shirts stößt oder Bücher von Julius Evola. Also dass das wirklich marketingtechnisch einen immer weiter nach „unten“ holt, in die Richtung, wo man einen haben möchte.

Gero Kellermann: Ja, das Beispiel hat sie ja gezeigt, dass das so tatsächlich funktioniert. Insgesamt diese Logik der Social Media, die für nur etwas zu verkaufen funktionieren, die funktionieren eben auch oder können funktionieren in diesem Bereich Radikalisierung über Esoterik.

Anna Berchtenbreiter: Also im Grunde verkaufe ich eine Ideologie oder ich versuche es zu mindestens.

Gero Kellermann: Ja, ich mache sie sichtbar in dem Markt der Ideen, der sich da tummelt im Internet. Und wenn ich die Mechanismen gut beherrsche, dann kann man damit weit kommen, wie man sieht.

Anna Berchtenbreiter: Wir kennen ja auch versteckte Werbung, das ist ja im Grunde jetzt nichts anderes: dieser doch etwas schleichende Prozess, der da stattfindet, sehr niedrigschwellig. Da kommt vielleicht erst mal jeder drauf und dann siebt man immer weiter nach unten aus, spricht immer mehr Leute an und zieht Leute immer mehr da rein. Das ist schon…also ich sage immer wieder "ist das die größte Gefahr?", aber das wirkt schon gefährlich…

Gero Kellermann: Ja, deshalb haben wir ja das auch als Thema genommen im Rahmen der politischen Bildung, dass man darauf hinweist, dass man sich anschaut, was steht dahinter, welche Mechanismen sind da am Werk oder funktionieren da. Und wie du gesagt hast, Social Media, Digitalisierung, da gibt es ganz verschiedene Felder, wo eben diese Logiken, gerade eben auch politische Meinungsbildung, so eine Wirkkraft haben. Und das muss man eben aufzeigen.

Der Autor Julius Evola

Anna Berchtenbreiter: Jetzt habe ich gerade schon Julius Evola genannt. Ich sage hier noch mal Evola, nicht Ebola. Ich habe ihn am Anfang auch falsch verstanden. Das ist ja ein italienischer Autor, der so ab den 1920er Jahren sehr aktiv war, auch in der Nachkriegszeit und der aktuell auch wieder an Popularität gewinnt. Und ich meine, selbst Steve Bannon hat sich, glaube ich, auf ihn berufen. Der ist also tatsächlich sehr populär. Und Julian Strube von der Georg-August Universität Göttingen fasst seine Rolle mal ganz kurz so zusammen.

Julian Strube: Und das ist jetzt ein Beispiel, wo man quasi nicht sich verbiegen muss, um irgendwie Esoterik zu finden oder irgendwelche Definitionen für Esoterik aufstellen, damit das dann irgendwie passt. Sondern das ist jetzt wirklich ein esoterischer Autor, der im Kern von prominenten rechtsextremen, rechtsradikalen Bewegungen seit der Nachkriegszeit steht, die heute in wachsendem Maße die politische Landschaft prägen.

Anna Berchtenbreiter: Das war jetzt die die Kurz-kurz-kurz-Zusammenfassung sozusagen. Kannst du noch ein bisschen mehr zu Evola erzählen? Beziehungsweise vor allem zu seiner Beziehung von Esoterik und Rechtsextremismus?

Gero Kellermann: Julian Stube hat das ja ins Zentrum seines Vortrages gestellt und da viel drüber erklärt. Es geht um ein Gesellschaftsmodell, was dieser Autor entworfen hat, auf spiritualistischer Grundlage. Und dieses Gesellschaftsmodell zeichnet sich dadurch aus, dass es streng hierarchisch ist, elitär ist, ein extremer Antisemitismus dort zum Vorschein kommt, Rassismus, Misogynie und eben ein antidemokratisches Konzept. Das ist dort alles mit drin. Und tatsächlich ist es so, das fand ich zunächst verwunderlich, aber hat gerade in der rechtsextremen Szene auch eben, die sich da irgendwie das geistige Fundament setzen will, spielt dieser Autor Evola eine große Rolle.

Anna Berchtenbreiter: Ich habe auch gehört, dass er sich auch der SS angenähert hat und dann nach dem Zweiten Weltkrieg auch noch weitergeschrieben hat. Ich meine, er ist super populär, Steve Bannon hat sich auf ihn bezogen. Man findet auch Content im Netz mit Memes, die sich auf seine Theorie beziehen, die sich auf ihn beziehen. Das scheint schon eine sehr zentrale Figur zu sein. Also falls man mal über den Namen stolpert, sollte man, glaube ich, vorsichtig sein, würde ich in diesem Punkt sagen. Ich glaube, er zeigt ja auch ziemlich gut auf diese Verbindung von Esoterik und Rechtsextremismus, basierend auf gewissen esoterischen Ideen, die dann aber auch ganz starke rechtsextreme, antisemitische Narrative beinhalten und das sozusagen begründen, wo aber auch esoterische Ideen benutzt werden, um sozusagen rechtsextreme Narrative zu begründen. Ich glaube, da geht es auch um Ahnen und Bezüge auf weiß Gott wann in der Vergangenheit, die alle natürlich nicht nachweisbar sind. Aber man zimmert sich das so ein bisschen zurecht, dass das alles irgendwie passt, würde ich sagen, oder?

Gero Kellermann: Ja, das scheint so ein Mischmasch zu sein, aus dem man sich dann entsprechende Theoriegebäude oder die passende Theorie zusammenbasteln kann.

Anna Berchtenbreiter: Warum glaubst du, ist er heute noch so relevant?

Gero Kellermann: Der scheint so eine Faszination zu haben mit seinem Gesellschaftsmodell, an dem sich dann viele orientieren können, sich da irgendwie geistig munitionieren mit den Thesen dieses Autors und das dann tatsächlich dieser Einfluss ist. Er scheint so als Identifikationsfigur übergreifend anerkannt zu sein.

Esoterik: harmlose Lebenshilfe oder Treiber der Radikalisierung?

Anna Berchtenbreiter: Wir haben ja jetzt sehr viel darüber gesprochen, vor allem über die Verbindung von Esoterik und Rechtsextremismus. Was denkst du final? Esoterik im Netz - ist das eine harmlose Lebenshilfe oder ist es Treiber der Radikalisierung?

Gero Kellermann: Wir hatten das im Titel so als Entweder-oder-Frage provokativ gedacht. Das hat die Tagung ja auch gezeigt. Es gibt da ganz unterschiedliche Angebote. Viele haben sicherlich auch positive Effekte, können Rat geben oder Verbesserungen der mentalen Gesundheit durchaus fördern. Auf der anderen Seite gibt es eben diese Phänomene, dass Esoterik genutzt wird, sich als Weg erweist zur Radikalisierung hin zu Extremismus. Man kann jetzt natürlich auch gerade vor dem Hintergrund der Social Media, wenn man das von diesem Blickwinkel sich anschaut, wird es noch um einiges deutlicher und die Mechanismen, die dort gelten, das ist auch ein zentraler Punkt, dass man die kennt, dass man darüber aufklärt. Das war uns wichtig bei der Tagung.

Anna Berchtenbreiter: Das heißt sozusagen, es ist nicht alles schlimm, was Esoterik ist, aber man sollte auf jeden Fall wachsam sein. Aber ich glaube, das zählt für das Internet allgemein - immer mit offenen Augen swipen, liken und auf Links klicken. So fassen wir das mal zusammen. Es gibt Gefahren, es gibt Gefahren der Radikalisierung, aber nicht alles muss gleich dahin führen. Gero, an dieser Stelle sage ich vielen Dank für deine Einblicke in diese Tagung und auch vielen Dank an alle, die uns bis hierhin zugehört haben. Wir wünschen jetzt noch einen schönen Tag.

Gero Kellermann: Vielen Dank, Anna! Und auch von mir vielen Dank an die Zuhörerinnen und Zuhörer.

Anna Berchtenbreiter: Akademie fürs Ohr ist eine Produktion der Akademie für Politische Bildung. Mein Name ist Anna Berchtenbreiter, Pressereferentin der Akademie. Ein besonderer Dank geht an den Förderkreis der Akademie, ohne den dieses Projekt nicht möglich gewesen wäre. Postproduktion: ikone audio productions.

Esoterik im Netz: Harmlose Lebenshilfe oder Treiber der Radikalisierung?

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.

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