Menu

Zwischen Räucherstäbchen und Rechtsextremisten

Wie Esoterik ideologisch und politisch instrumentalisiert wird

Wenn Esoterik und Rechtsextremismus sich die Hand reichen, wird schnell klar: Es geht keinesfalls nur um harmlose Heilsversprechen oder obskure Weltbilder. Vielmehr spiegeln sich in dieser Verbindung größere gesellschaftliche und politische Dynamiken wider: das Wiedererstarken irrationaler Denkweisen und das gefährliche Zusammenspiel von Spiritualität und politischer Radikalisierung. Doch wie wird Esoterik politisch instrumentalisiert - vor allem online? Und welche Gefahren birgt das für unsere Demokratie? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Tagung "Esoterik im Netz: Harmlose Lebenshilfe oder Treiber der Radikalisierung" der Akademie für Politische Bildung, der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit und dem Bayerischen Volkshochschulverband e.V..

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 23.04.2025

Von: Sophie-Marie Mühling / Foto: Sophie-Marie Mühling

Programm: Esoterik im Netz: Harmlose Lebenshilfe oder Treiber der Radikalisierung?

Esoterik im Netz: Harmlose Lebenshilfe oder Treiber der Radikalisierung?

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.

"Warum marschieren Leute, die auf Hare Krishna machen, neben Reichskriegsflaggen?", fragt Julian Strube von der Georg-August-Universität Göttingen ins Publikum. Denn Esoterik wird in der öffentlichen Wahrnehmung oft nur mit spirituellen Praktiken in Verbindung gebracht, die sich auf persönliche Erleuchtung, Heilung und das Streben nach innerer Balance konzentrieren. Doch in den letzten Jahren fällt besonders auf, wie rechte Akteure zunehmend Einfluss in der Esoterik-Szene gewinnen und diese für ihre politischen Ziele nutzen. Egal ob die Verwendung von Symbolen wie der "Schwarzen Sonne" oder die Verbindung von spirituellen Weltbildern mit autoritären Ideologien - immer häufiger verschwimmen die Grenzen zwischen Esoterik und politischem Extremismus. Darüber haben Expertinnen und Experten auf der Tagung "Esoterik im Netz: Harmlose Lebenshilfe oder Treiber der Radikalisierung" der Akademie für Politische Bildung, der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit und dem Bayerischen Volkshochschulverband e.V. diskutiert.

Spiritualität als Lifestyle - und Wirtschaftsfaktor

"Esoterik fungiert in einer Zeit der gesellschaftlichen Umbrüche und wachsenden Unsicherheiten zunehmend als emotional aufgeladener Sinnmarkt", erklärt Matthias Pöhlmann, Landeskirchlicher Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Zwischen Selbstoptimierung, Spiritualität und Heilsversprechen entfalte sich eine Form der digitalen Esoterik, die nicht nur wirtschaftlich relevant sei - mit einem geschätzten Jahresumsatz von bis zu 20 Milliarden Euro in Deutschland – sondern auch politisiert werden könne. Besonders auf Plattformen wie TikTok gewännen Inhalte zu #WitchTok, Kristallheilung oder spiritueller Selbsthilfe immer mehr an Popularität - eine Kombination aus algorithmisch verstärkten Inhalten und  einer visuell-emotionaler Ansprache.

Zwischen Achtsamkeit und Verschwörung

Diese emotional aufgeladene Mischung aus Sinnsuche, Selbstverwirklichung und digitalen Algorithmen schafft ein Umfeld, in dem spirituelle Angebote rasch an Boden gewinnen und zugleich ideologisch instrumentalisiert werden können. Anna Sophie Kümpel vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung erklärt, dass digitale Plattformen zentrale Räume für die Verbreitung esoterischer Narrative geworden seien - mit spezifischen Dynamiken, die eine Radikalisierung begünstigten. Sie sieht in klassischer Esoterik jedoch zunächst kein Problem. In vielen Fällen könnten sich entsprechende Inhalte auf Social Media sicherlich sogar positiv auf die Nutzerinnen und Nutzer auswirken, immerhin handele es sich dabei zum Beispiel um Yoga, mehr Bewegung, Meditation und Achtsamkeit. Jedoch sei der Weg von dort oft nicht mehr weit zum Legen von Tarotkarten, zur Nutzung vermeintlicher Heilkristalle oder auch zur Selbstoptimierung mit Hilfe von Zauberkraft - und in weiterer Folge teilweise sogar zu antisemitischen und rechtsextremen Narrativen. Auch Pöhlmann warnt vor einem erheblichen Radikalisierungspotential.

Faktoren wie gefühlte Anonymität, externe und gruppeninterne Sichtbarkeit, algorithmische Personalisierung und die charismatische Wirkung einzelner Influencerinnen und Influencer würden zu einer emotionalen Bindung an Inhalte führen, die sich zunehmend von faktenbasierten Diskursen entfernten, erklärt Kümpel. Der Begriff "Conspirituality" - eine Verbindung aus "Conspiracy" und "Spirituality" - beschreibe diese Entwicklung treffend: Spirituelle Überlegenheitsgefühle, Misstrauen gegenüber Institutionen und der Glaube an geheimes Wissen verschränken sich mit demokratiefeindlichen Tendenzen. Gerade auf junge Menschen, Menschen in Umbruchphasen oder solchen, die sich schlicht nach Orientierung sehnten, könnten diese Inhalte besonders attraktiv wirken, so Kümpel, denn der Content verspreche Sinn, Zugehörigkeit und eine einfache Erklärung komplexer gesellschaftlicher Herausforderungen.

Esoterik als Türöffner für rechte Radikalisierung

Rechte Akteure würden genau dies nutzen und ganz gezielt an ebensolche esoterische Milieus andocken, erklärt Judith Bodendörfer, Projektleitung des bpb-Projekts "KONVERS - Netzwerk politische Bildung gegen Verschwörungstheorien" - nicht obwohl, sondern gerade weil diese besonders weltoffen und dadurch anschlussfähig seien. Bodendörfer betont die Rolle von Esoterik als ideologische Brückenfunktion in der sogenannten "Mosaik-Rechten". Plattformen wie zum Beispiel der Onlinesender Auf1 zeigten, wie sich spirituelle Sinnangebote, Verschwörungserzählungen und rechtsextreme Positionen produktiv miteinander verschränken können. Hier stünden Räucherstäbchen neben Impfkritik und Bergkristalle neben den Werken des Begründers der Anthroposophie und einflussreichen Esoterikers Rudolf Steiner.

Der gemeinsame Nenner sei ein tiefes Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen, etabliertem Wissen und wissenschaftlicher Rationalität, verbunden mit dem Versprechen einer "höheren Wahrheit", die sich nur für jenen offenbare, die „erwacht“ seien - eine politisierende Haltung, die rechtsextremer Radikalisierung Vorschub leisten könne, so Bodendörfer. Esoterische Konzepte von Gesundheit, Natur und Freiheit würden ideologisch umgedeutet und böten Einfallstore für autoritäres Gedankengut. Besonders problematisch sei der Freiheitsbegriff, der persönliche Unabhängigkeit über demokratische Prinzipien stelle.

Das Erbe von Julius Evola

Doch woher stammen diese ideologischen Versatzstücke - und wie gelangten sie in heutige esoterisch-rechte Denkweisen? Rechte Esoterik habe sich bereits im 20. Jahrhundert als Teil einer metapolitischen Strategie mit dem Ziel etabliert, kulturelle Deutungshoheit zu erlangen - bevor politische Macht angestrebt werde, erklärt Julian Strube von der Georg-August-Universität Göttingen. Besonders hervorzuheben sei dabei der italienische Autor und Esoteriker Julius Evola, der mit "spiritueller Reinheit" und der Ablehnung der Moderne zentrale ideologische Bausteine für die heutige Neue Rechte lieferte. Evolas Denken, so Strube, verbindet spirituellen Elitismus mit politischer Reaktion und wirkt in rechten Subkulturen bis heute als ästhetisch aufgeladene Projektionsfläche. In Onlineforen, sozialen Netzwerken und in der "Fashwave" (zu Deutsch "Faschismus-Welle") -Memekultur wird Evola zur Ikone stilisiert - oft ohne Kenntnis seiner Inhalte, aber mit symbolischer Funktion für eine rebellische, autoritäre Gegenkultur.

Evola zähle ganz klar zu einer der zentralen Figuren des rechten Esoterik-Traditionalismus, dessen Ideen auch heute wieder in Politik und Gesellschaft Anklang finden. So wurde ein Sammelband verschiedener Evola-Übersetzungen unter anderem von dem ehemaligen Vorsitzenden der ungarischen rechtsextremen Jobbik-Partei, Gabor Vona, herausgegeben und auch der aktuelle Kultusminister Italiens, Alessandro Giulie, sei ein "Evoliano", erklärt Strube - also ein Evola-Anhänger, ebenso wie der Direktor der Biennale in Venedig, Pietrangelo Buttafuoco. Und in einer Rede über die Rückkehr zur traditionellen abendländischen Religiosität nahm auch der ehemalige Berater Donald Trumps, Steve Bannon, Bezug auf Evola. Die Verbindung von Hochkultur, Esoterik und radikaler Politik sei ein strategischer Bestandteil neurechter Politik, so Strube.

Am Schnittpunkt von Sinnsuche und Radikalisierung

Was also oftmals als individuelle Suche nach Heilung, Orientierung oder spirituellem Wachstum beginnt, kann - verstärkt durch die Mechanismen sozialer Medien - schleichend in ideologische Abgründe führen. In der Verschmelzung von Esoterik, Verschwörungsglaube und politischem Extremismus entsteht eine Gemengelage, die demokratische Grundwerte untergräbt. Die emotionale Aufladung, die Ablehnung etablierter Wissenssysteme und das Streben nach einer "höheren Wahrheit" machen es rechtsextremen Akteuren leicht, Anschluss zu finden - ohne dass es vielen zunächst bewusst wird. Gerade deshalb ist es wichtig, die politische Dimension von Esoterik ernst zu nehmen - und ihre Popularität nicht als bloßes Lifestyle-Phänomen abzutun.

Kontakt
Weitere News

"Das Gegenteil von Angst ist nicht Mut, sondern Vertrauen"
Akademiegespräch im Bayerischen Landtag mit Vera King


Was hat Esoterik mit Radikalisierung zu tun?
Episode 28 unseres Podcasts mit Gero Kellermann


Sportvereine als "Schulen der Demokratie"?
Ein Interview mit dem Fußballsoziologen Tim Frohwein


Populismus im Aufwind
Herausforderungen für Demokratie und politische Bildung


Streitkultur im Wandel
Social Media, Polarisierung und die Krise des politischen Dialogs