Was fehlt ohne den öffentlich-rechtlichen Rundfunk?
Zwischen politischem Druck und gesellschaftlicher Verantwortung
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gilt als zentrale Säule der demokratischen Öffentlichkeit - doch in Zeiten von Polarisierung, Social Media Algorithmen und dem schwindenden Vertrauen der Bevölkerung gerät er zunehmend unter Druck. In der dreiteiligen Veranstaltungsreihe "Medien für Menschen" der Akademie für Politische Bildung, der Evangelischen Akademie Tutzing und des Bayerischen Rundfunks diskutierten Expertinnen und Experten unter anderem über die Gegenwart und Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien. Was passiert, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk wegbricht - und wie lässt sich seine Rolle in einer fragmentierten Medienlandschaft stärken?
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 15.04.2025
Von: Rebecca Meyer / Foto: Rebecca Meyer
Programm: Medien für Menschen: Was fehlt ohne öffentlich-rechtlichen Rundfunk?
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"Das war kein öffentlich-rechtlicher Rundfunk mehr, das war Parteifunk." Mit diesen Worten beschreibt Bartosz Dudek, Leiter der polnischen Redaktion der Deutschen Welle, die Entwicklung der Medienlandschaft in Polen seit 2015. Wie mediale Unabhängigkeit unter politischen Druck geraten kann und welche Rolle öffentlich-rechtliche Medien für eine demokratische Öffentlichkeit spielen, diskutierte er gemeinsam mit Justizministerin a.D. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, der Medienforscherin Anna von Garmissen, dem Juristen Lennart Laude vom Verfassungsblog und dem BR-Journalisten Salvan Joachim. Die Veranstaltung war Teil der Reihe "Medien für Menschen" der Akademie für Politische Bildung, der Evangelischen Akademie Tutzing und des Bayerischen Rundfunks.
Parteifunk statt Pressefreiheit: Öffentlich-Rechtliche Medien in Polen
Wie schnell der unabhängige Rundfunk zum politischen Machtinstrument umgebaut werden kann, zeige das Beispiel Polen. Bartosz Dudek erklärt, wie die PiS-Partei seit ihrer Regierungsübernahme im Jahr 2015 gezielt die öffentlich-rechtlichen Medien entkernt habe: Journalistinnen und Journalisten seien unter Druck gesetzt, entlassen oder zum Rücktritt gedrängt worden. Auch Senderstrukturen seien gezielt umgebaut und Leitungsposten und Aufsichtsgremien mit regierungstreuen Personen neu besetzt worden. Dabei habe die PiS-Regierung systematisch versucht, finanziellen Druck auf unabhängige Medien auszuüben, etwa durch gezielte Werbeverbote im öffentlichen Sektor. Auch juristische Mittel seien eingesetzt worden, um missliebige Berichterstattung zu unterdrücken: Kritische Journalistinnen und Journalisten sahen sich mit sogenannten SLAPP-Klagen konfrontiert. Dabei handelt es sich um 'strategische Prozessführungen gegen öffentliche Beteiligung' (engl. Strategic Litigation Against Public Participation) - also Klagen, die weniger auf juristischen Erfolg zielen, sondern der Einschüchterung dienen. Sie sollen kritische Stimmen durch den enormen Aufwand, die hohen Kosten und die große psychische Belastung eines Verfahrens eindämmen.
Zusätzlich habe es in den parteigesteuerten Medien gezielte Hasskampagnen gegeben, in denen politische Gegner öffentlich diffamiert und verunglimpft worden seien. Die Folgen dieses Klimas seien definitiv spürbar gewesen, erklärt der Journalist. So seien etwa die Ermordung des Danziger Bürgermeisters Pawel Adamowicz sowie zahlreiche Morddrohungen gegen Donald Tusk, den langjährigen Oppositionsführer und heutigen Premierminister Polens, in einem Umfeld eskalierender verbaler Hetze erfolgt, das laut Dudek nicht nur in Kauf genommen, sondern gezielt gefördert worden sei. Nach dem Regierungswechsel im Herbst 2023 bemühe sich die neue Regierung unter Donald Tusk um eine Entpolitisierung der Medien - das erweise sich jedoch als langwieriger und schwieriger Prozess.
Ist Öffentlich-Rechtliche Rundfunk in Deutschland geschützt?
In Deutschland bilde der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) gemeinsam mit den privaten Medien ein duales System. Der ÖRR soll die Bevölkerung unabhängig, umfassend und ausgewogen informieren und damit zu einer freien Meinungsbildung und demokratischen Öffentlichkeit beitragen. Dieser Auftrag ist in den Rundfunkstaatsverträgen verankert. Das bedeutet: Die Rundfunkstaatsverträge werden zwar gemeinsam von den Bundesländern beschlossen, doch im föderalen System liegt die Entscheidungshoheit bei den einzelnen Landesregierungen. Jedes Bundesland kann einen Staatsvertrag kündigen oder seine Zustimmung verweigern. Gerade das sei eine strukturelle Schwäche, erklärt der Jurist Lennart Laude vom Verfassungsblog: Was ursprünglich dazu gedacht sei, Machtkonzentration zu verhindern, öffne in Zeiten wachsender politischer Polarisierung Spielräume für Einflussnahme. So habe etwa der AfD-Landesvorsitzende in Thüringen, Björn Höcke, angekündigt, im Falle einer Regierungsübernahme auf Landesebene sämtliche Staatsverträge mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten aufkündigen zu wollen. Das wäre zwar rechtlich möglich, hätte jedoch auch gravierende Folgen für die bundesweite Medienstruktur - denn schon ein einzelnes Bundesland kann dadurch das gesamte System destabilisieren. Obwohl rechtliche Vorkehrungen nie absolute Sicherheit garantieren könnten, fordert Laude daher dringlich eine breitere öffentliche Debatte und stärkere institutionelle Mechanismen, die den ÖRR vor politischer Einflussnahme schützen.
Doch juristische Stabilität allein reiche nicht aus, um die Legitimation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu sichern - genauso wichtig sei die Art, wie dieser Auftrag am Ende journalistisch umgesetzt wird. Die ehemalige Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger betonte dabei die besondere Verantwortung der öffentlich-rechtlichen Medien. Journalistinnen und Journalisten müssten unbedingt kritische Nachfragen stellen und sich durch Sorgfalt, Kontextualisierung und Transparenz auszeichnen - einfach nur Reproduktion dürfe es nicht geben, sagt die Justizministerin.
Wer spricht in den Medien?
Doch Vertrauen entsteht nicht allein durch gute Inhalte – sondern auch durch die passenden Strukturen. Wie Redaktionen aufgestellt sind, welche Perspektiven darin sichtbar werden und ob sich die Gesellschaft in den Medien wiederfindet, beeinflusse maßgeblich, ob journalistische Arbeit auch als glaubwürdig wahrgenommen werde, sagt die Medienforscherin Anna von Garmissen. Das journalistische Selbstverständnis sei in Deutschland insgesamt stark durch den eigenen Anspruch geprägt, gut zu informieren, aufzuklären und unparteilich zu berichten - das zeige eine repräsentative Studie, erklärt von Garmissen. Dabei messen Journalisten im ÖRR der Objektivität einen höheren Stellenwert bei als ihre Kollegen im Privatjournalismus. Grundsätzlich sei das Bewusstsein für gesellschaftliche Verantwortung im Journalismus groß - auch im Umgang mit Desinformation: 86 Prozent der Journalistinnen und Journalisten in Deutschland sei es laut Garmissen sehr oder extrem wichtig, in ihrer täglichen Arbeit gezielt gegen Fake News vorzugehen.
Trotzdem gebe es Defizite, etwa in der sozialen und kulturellen Zusammensetzung der Redaktionen. Nur zwölf Prozent der Journalistinnen und Journalisten in Deutschland hätten eine Einwanderungsgeschichte, in der Gesamtbevölkerung liegt der Anteil jedoch bei etwa 25 Prozent. Auch der hohe Akademisierungsgrad führe zu einer gewissen sozialen Schieflage. "Wenn immer dieselben reden, verlieren wir Menschen“, sagt die Medienforscherin mit Blick auf die Zusammensetzung vieler Redaktionen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse sich daher nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell hinterfragen – und das kontinuierlich.
Zwischen Quote, Auftrag und Zielgruppen: Programmstrategie im Wandel
Wie das zum Beispiel bei den öffentlich-rechtlichen Formaten konkret aussehen kann, schildert Salvan Joachim vom Bayerischen Rundfunk. Als Leiter des Portfoliomanagements analysiert er, welche Angebote welche Zielgruppen erreichen – und wo Lücken klaffen. Über Jahre hinweg habe sich gezeigt, dass bestimmte Gruppen überdurchschnittlich häufig erreicht würden, andere dagegen kaum. Vor allem junge Menschen seien mit den Angeboten des ÖRR immer weniger vertraut. Das liege auch daran, dass dieser traditionell stark auf lineare Formate wie Fernsehen und Radio gesetzt habe - Medien, die im Alltag vieler junger Menschen kaum noch vorkommen. Früher hätten sie öffentlich-rechtliche Inhalte häufig beiläufig über ältere Generationen mitbekommen. "Ich nehme gerne das Beispiel: Wenn junge Menschen sagen, sie wissen, dass es die ARD gibt – woher? Weil sie es mal bei der Oma gesehen haben. Das ist sozusagen die Restverankerung, die wir noch haben", erklärt Joachim. Diese beiläufige Mediensozialisation falle heute jedoch zunehmend weg. Um Sichtbarkeit zu schaffen, brauche es digitale Formate, und zwar dort, wo sich junge Zielgruppen tatsächlich aufhalten. Neue Projekte wie die 'News WG' auf Instagram versuchen, diese Lücken zu schließen. Unter dem Motto "Politik easy erklärt in der WG" vermittelt der Kanal politische Inhalte alltagsnah - und das erfolgreich: mittlerweile folgen den Mitbewohnern der News WG über 180.000 Nutzerinnen und Nutzer. Für Joachim sei das kein Widerspruch zum öffentlich-rechtlichen Auftrag, sondern eine notwendige Anpassung. Denn Inhalte müssten dort stattfinden, wo die Menschen sind. "Ohne niedrigschwellige Formate oder Unterhaltung würden wir nur die erreichen, die ohnehin ein hohes Informationsbedürfnis haben", sagt er. Entscheidend sei deshalb, Formate zu entwickeln, die nicht nur einzelne Zielgruppen bedienen, sondern den gesellschaftlichen Querschnitt im Blick behalten. Wer den öffentlich-rechtlichen Rundfunk also erhalten will, muss ihn schützen - und gemeinsam weiterentwickeln.
Die Veranstaltung in den Medien
Was fehlt ohne den öffentlich-rechtlichen Rundfunk? - BR24 Medien Podcast